Tag 58: Sonntag, der 10.5.

Tagebuch zum Thema Aktuelles

von  Manzanita

Ich wache auf. In der Küche höre ich schon das Klirren von Geschirr. Ist es denn schon so spät? Ich schaue auf die Uhr. Es ist halb neun, also für ein Wochenende ganz normal. Vielleicht ist meine Mutter schon lange wach und langweiligt sich. Wahrscheinlich wird es das sein. Ich liege noch ein bisschen rum, dann stehe ich auf.

Es ist der zehnte Mai, Muttertag. Gestern, oder war es vorgestern?, hatte ich meine Mutter gefragt, was sie sich zum heutigen Anlass den wünschte. Aber sie wusste noch nichts. Wie auch? Ich hatte mir bisher noch keine Gedanken gemacht, und deswegen sie auch nicht. Ich beschloss, dass mir in den nächsten Stunden irgendetwas einfallen müsste, denn ohne nichts wollte ich nicht dahstehen. Erst aber Frühstück.

Nach diesem geht meine Mutter mit einer Freundin spazieren. Ich wundere mich, dass sie uns diese Entscheidung so spät erst mitgeteilt hat, aber letzten Endes ist das ja auch nicht besonders schlimm. Ich frage mich natürlich auch, was ich jetzt tun soll. Als allererstes bemühe ich mich sehr, trotz meiner Müdigkeit das Tagebuch von gestern zu schreiben, da ich am selben Tag dafür keine Zeit hatte, weil wir eben erst so spät vom Feld ankamen. Dann lege ich mich hin. Ich begebe mich sozusagen in die „wagerechte Position“. So einfach geht das, wenn wir Menschen uns mal ausruhen wollen. Wenn man es sich als Beobachter so ansieht, dann erscheint das doch so ziehmlich interessant.

Ich liege eine lange Zeit herum, weil ich überhaupt keine Ahnung habe, was ich tun soll. Ich glaube selbst nicht, wie wenig ich zu tun habe, und dass wir überhaupt keine Hausaufgaben über das Wochenende bekommen haben. Ich liege weiter herum. Ich warte. Ich warte auf irgendetwas. Ich weiß nicht, worauf. Ich warte. Mir gehen Gedanken durch den Kopf, einer davon weißt mich auf den Muttertag hin. Mir fällt ein, dass gerade heute, heute, am Muttertag, meine Mutter überraschenderweise spazieren gegangen ist. Sie will erst wieder zum Kochen zurückkommen. Ist das nicht genau der Zeitpunkt, indem ich irgendetwas für sie vorbereiten soll? Weiß ich nicht, aber ich werde es trotzdem.

Allerdings habe ich keine Ahnung, was ich für sie tun soll. Als erstes fällt mir die Möglichkeit ein, ihr vielleicht irgendetwas süßes bei einem Bäcker zu kaufen. Ein Einfall genügt, weil der nächste bestimmt noch ewig braucht, und ich nehme das Fahrrad, einen Zehn-Euro-Schein und fahre zu einem französischem Bäcker. Die Fahrt hin dauert ungefähr zwölf Minuten. Ich fahre schnell, sogar sehr schnell. Dort angekommen versuche ich irgendwie mein Fahrrad an das Fahrrad selbst anzuschließen, so, dass man nicht ohne die Nummer losfahren kann. Aber ich kapiere immer noch nicht, wie das gehen soll. Ich will so reingehen, das Fahrrad wird in den zwei Minuten schon nicht gestohlen werden.

An der Tür ist ein Schild angebracht: „Eintreten nur mit Mund-Nasen-Schutz“. Super, die habe ich wohl vergessen. Ich will wieder zurückfahren, schaue aber doch noch mal durch das Fenster. Die Verkäufer haben auch alle keine an. Ich gehe doch rein. Ich suche etwas leckeres aus, nehme die Tüte in die Hand und gehe. Es ist ein kleines Törtchen. Ich nehme es in die eine Hand, und mit der anderen fahre ich. Aber ein schlechtes Gefühl überwältigt mich. Halte ich es falschrum? Dann wäre die Torte nicht mehr so schön wie an der Theke. Ich schaue nach. Zum Glück nicht. Ich beschließe, zu schieben. Ich gehe einige Meter, aber diese Weise sich fortzubewegen ist mir zu langsam. Ich fahre wieder. Ich fahre nach Hause.

Um abzusteigen bremse ich vor der Haustür scharf ab. Leider zu scharf. Ich selbst falle nicht vom Fahrrad, aber das Törtchen in der Hand schon. Es liegt am Boden. Hoffentlich richtig herum. Leider nicht. Super! Ich schaue nach, wie es aussieht. Nicht wie an der Theke. Aber jetzt kann ich auch nichts mehr ändern. Ich gehe nach oben und gebe es meiner Mutter, ein leicht deformiertes Geschänk eben. Oder auch nicht ganz so leicht. Aber das stört sie nicht, sie ist sehr dankbar für das Geschenk. Schön.

Zum Muttertag helfe ich auch beim Kochen aus. Nach dem Mittagessen höre ich noch eine Pressekonferenz, dann machen wir alle einen Spaziergang durch die Stadt. Sie ist voll wie nie! So voll hatte ich sie vor dem Virus noch nicht mal erlebt, wobei ich damals (!) eher wenig im Zentrum Spaziergänge gemacht habe. Wir essen ein Eis. Auf der Rückkehr nutzen wir aus Zeitgründen die S-Bahn. Das erste Mal seit mindestens sechzig Tagen in einem Tunnel!

Schöner Tag, aber trotzdem ein Sonntag, und bei solchen muss das Ende des Tages einem selbst eben ein bisschen Leid tun.

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