Sommer mit Papa

Text

von  monalisa

Dein Name steht auf dem Stein, aber du bist nicht da. Was mache ich hier? Ich habe Blumen mitgebracht, wie lächerlich.
Neben der Laterne steht eine Vase. Das Wasser darin stinkt brackig, ich kippe es mitsamt den welken Moderblumen aus, die irgendjemand, irgendwann hier hinterlassen und vergessen hat.
Der Blumentyp warst du ja nie, eine Flasche San Marzano - Negroamaro wäre dir sicher lieber. Ich könnte sie öffnen, mir ein Glas einschenken und den ganzen Rest über den Grabstein gießen, aber das gäbe nur Flecken und wäre absolut sinnlos, wo du ja doch nicht da bist. Zu friedlich ist es am Friedhof, die ewige Ruhe ist bestimmt nichts für dich. Ich muss lachen, und auf einmal bist du doch da, nicht unter der Erde. Du mischst dich in mein Lachen, mischst dich schon wieder ein. Wie habe ich es gehasst, wenn du alles besser wusstest, wenn du mir vorschriebst, was ich zu tun hatte. Wie oft habe ich das genaue Gegenteil gemacht und bin nicht selten auf die Nase gefallen. Die Nase habe ich auch von dir, deinen guten Riecher vielleicht noch nicht jetzt, aber irgendwann.
Gerade wünsche ich mir, du würdest dich einmischen, wir würden uns streiten und versöhnen und uns wie früher auf die Holzbank hinterm Haus setzen und schweigend ein kaltes Pils trinken, direkt aus der Flasche. Wir würden die Gedanken über den Himmel wandern lassen, zum Kleinen Wagen und weit zurück in die Vergangenheit, als du mir die Sternbilder gezeigt und erklärt hast. Wir konnten gut schweigen und nebeneinanderherdenken. Einmal bist du dabei eingeschlafen und dein Schnarchen hat mich aufgeschreckt. Da war es schon wieder vorbei mit der Ruhe, von wegen ewig!
Du hast mir Weidenpfeifchen geschnitzt, und ich bin dir mit meinem Pfeifen so sehr auf die Nerven gegangen, dass du jedes Jahr gesagt hast: „Nie wieder“. Und dann hast du doch wieder geschnitzt, im nächsten Frühling. Ich habe keine Ahnung mehr, wie das geht, wollte dich immer danach fragen, damit ich es meinen Kindern auch irgendwann zeigen kann.
Als ich mit dem Studium fertig war, hast du mir kumpelhaft auf die Schulter geklopft und gemeint: „Das ist erst der Anfang, Bub.“ Aber, dass du schon fast am Ende warst, hast du verschwiegen, wusstest es damals vielleicht selbst noch nicht. Ich erkannte es erst, als du nur noch eine Hand voll Mensch warst, deine spitze Nase noch spitzer aus deinem Gesicht ragte und die Augen dunkel und tellergroß waren. Du hattest Angst, und ich hatte Angst, darüber schwiegen wir. Wir sprachen vom Jakobsweg, planten die Anreise, die einzelnen Etappen. Dass du dich kaum auf den Beinen halten konntest, vergaßen wir.
Du bist abgereist, alleine und nicht nach Santiago. Wir waren an deinem Bett, als du die Augen noch einmal aufschlugst: „Es tut mir leid, ich kann nicht mehr!“, sagtest du. Du, der sich, solange ich denken kann, nie für irgendetwas entschuldigt hat. Dann glittst du wieder in einen Dämmerzustand, aus dem du nicht mehr erwachtest, nicht hier in unsrer Welt. Siebzehn Jahre ist das nun her, ich hatte zu tun: Beruf, Heirat, Hausbau, Kinder – zwei Mädchen. Da blieb wenig übrig von mir und für mich, fast gar nichts für dich.

Fluchtartig verlasse ich den Friedhof, drücke im Vorbeilaufen dem Friedhofsgärtner meine Blumen in die Hand. „Sie wissen bestimmt jemanden, der sich darüber freut!“, rufe ich, und erklärend, „Ich muss mit meinem Vater nach Santiago.“ Soll er doch denken, was er will. Dieser Sommer gehört endlich uns, Papa und mir.

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Kommentare zu diesem Text


 BeBa (15.10.20)
Hallo mona,

so etwas in dieser Art haben wohl die meisten von uns schon erlebt. Zumindest, wenn man in ein bestimmtes Alter gekommen ist.
Der Text hat mich sehr berührt.

LG
BeBa

 monalisa meinte dazu am 16.10.20:
Lieber Beba, ich freue mich sehr über deine Rückmeldung, dass dich der text erreicht hat und berühren könnte. Dankesschön!

Liebe Grüße
mona

 Moja (15.10.20)
Liebe Mona,

diese Art der Selbstgespräche sind mir auch vertraut, deshalb berührt mich Dein Text sehr. Ich fühle mich beim Lesen ganz hineingezogen. Erstaunt mache ich mir auf Friedhöfen meine Gedanken inzwischen bewusst, höre ihnen zu. Das hast Du wunderbar eingefangen.

Nur den ersten Satz würde ich nach:

"...Blumen mitgebracht, wie lächerlich."

stellen, sonst nimmst Du ja alles vorweg.

Liebe Grüße,
Moja

 monalisa antwortete darauf am 16.10.20:
Liebe Moja,
hab vielen Dank für dein Lob und die Anregung, das leuchtet mir ein! Ich habe also ein bisschen umformuliert. Besser so?

Liebe, dankbare Grüße
mona

 Moja schrieb daraufhin am 16.10.20:
Liebe Mona,
ich fand den Anfang vorher besser, nur die Reihenfolge nicht - was zeigst Du dem Leser zuerst? Der junge Mann spottet über sich selbst bzw. über die Blumen, fällt gleich ein Urteil.

Frei aus dem Kopf - erinnere ich mich an den Anfang wie folgt:

Dein Name steht auf dem Stein, aber du bist nicht da. Was mache ich hier? Ich habe Blumen mitgebracht, wie lächerlich.
- Als nächstes entdeckt er die Vase.

Ist es so nicht folgerichtiger im Ablauf? Du zeigst dem Leser den Ort aus der Sicht einer Person, die mit sich zu Hadern beginnt.

Mit einer Frage zu beginnen, dazu noch abwertend gemeint, nimmt dem Leser zu viel vorweg, meinst Du nicht auch?

Vielleicht empfinde nur ich das so? Ich hab es nämlich genauso erlebt am Grab meines Vaters

Mir gefällt der Einstieg:

"Dein Name steht auf dem Stein, aber du bist nicht da."

Ich fühle sofort die Vergeblichkeit des Unterfangens, den Widerstreit in Deiner Figur.

Frag mal den "Bub", was er meint,
liebe Grüße,

Moja

Antwort geändert am 16.10.2020 um 11:52 Uhr

 monalisa äußerte darauf am 16.10.20:
Danke, Moja, für die ausführliche Erklärung, jetzt, denke ich, ist der Groschen auch bei mir gefallen. Der "Bub" meint das auch!
Ich werde also deinem Vorschlag gern folgen.

Liebe Grüße
mona

 Vaga (15.10.20)
Mich beeindruckt dieser Text sehr, u.a., weil hier eine letzte Ruhestätte ganz plötzlich zum Standort eines Unruhestandpunkts des protagonistischen Ichs wird, das - ausgehend vom Nachdenken über Vergangenes - in ein erinnerndes Gedenken an ein wiedergefundenes (personelles) Gegenüber wechselt. Es ereignet sich aus der Plötzlichkeit des Augenblicks heraus ein Erlebnismoment, der die Perspektive ermöglicht, etwas fortzuführen bzw. 'in Gang' zu setzen, was (aus inneren und äußeren Umständen gespeist) nie einen Anfang haben konnte.

So kommt es ausgerechnet am Grab dieses 'Beziehungsmenschen' zu einer Art geistiger Wiederbelebung desselben, die einer - vom realen Standort abweichenden -, das 'Andenken' korrigierenden, (m. E. inhaltlich sehr bezeichnend ins 'Spirituelle' führenden) Reise bedarf.

Ein Geheimnis bleibt - für mich als Betrachterin dieser Szene und Leserin dessen und was darüber hinaus recht spannend zwischen die Zeilen geknüpft wird - welches Geheimnis ein Leben lang und über den Tod hinaus zwischen den beiden Protagonisten steht.

Lb. Grüße - Vaga.

P.S. Erwähnen möchte ich am Ende doch noch gern meine kurze Irritation an der Stelle, an der die Autorin - für mich unerwartet, weil ich das Ich wie selbstverständlich schon weiblich im Kopf hatte - schreibt
„Das ist erst der Anfang, Bub.“

Kommentar geändert am 15.10.2020 um 14:54 Uhr

 monalisa ergänzte dazu am 16.10.20:
Wie schön, so ein ausführlicher Kommentar, liebe Vaga.
Du gehst darin auf genau jene Punkte ein, die mir selbst auch wichtig waren. Das ist eine wunderbare Bestätigung. Was den "Buben" angeht, da sieht man mal wieder wie vorschnell man unbewusst Ich-Protagonisten/innen mit dem Autor, der Autorin gleichsetzt. In meiner optimistischen Art werte ich das als Zeichen, dass die Geschichte autentisch und glaubwürdig rüberkommt. Das freut mich!
Ganz herzlichen Dank und liebe Grüße
mona

 irakulani (15.10.20)
Obgleich der Vater nicht da ist und trotz der wenigen Sätze entsteht ein Bild vor den Augen des Lesers. Eine kurze Szene, die das Gefühl zurückläßt, als kenne man die Personen. Wahrscheinlich, weil wir alle Beziehungen erleben, in denen das Unausgesprochene das eigentlich Wichtige ist.
Ein sehr berührender Text!
L.G.
Ira
Jo-W. (83) meinte dazu am 15.10.20:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 monalisa meinte dazu am 16.10.20:
Hallo Ira, Hallo Jo,
vielen Dank euch beiden fürs Eintauschen und Berührenlassen. Ich freue mich über eure Rückmeldungen.

Liebe Grüße
mona

 AchterZwerg (16.10.20)
Gefällt! :)
Unter anderem deshalb, weil hier der Vater im Nachhinein nicht glorifiziert wird, sondern auch seine "unangenehmen" Züge
Raum finden.
Den Schluss finde ich ebenso gelungen. Hier wird etwas zu Ende gebracht, dass im Diesseits seinen Anfang genommen hat.

Liebe Grüße
der8.

 monalisa meinte dazu am 16.10.20:
Vielen Dank 8.,
freut mich sehr, wenn dir die kleine Episode am Grab gefällt.

Liebe Grüße
mona

 AvaLiam (17.10.20)
Hallo mona,

diese Gedankenstruktur kenne ich - und immer wieder rufe ich mich dazu auf, dass nichts mehr von dem untergeht, was mir eigentlich wichtig ist...

...und dann stolpere ich über deinen Text - halte kurz inne und frage mich, an welchen Stationen ihr beide gerastet hättet und welche Etappen ihr gegangen wärt, habe ich selbst vor einigen Jahren begonnen, mich auf den Jakobsweg vorzubereiten.

Na ja - jedenfalls habe ich den Rucksack, den ich eigens dafür gekauft habe, schon benutzt. Immerhin. :-D

Der Text ist eine gute Erinnerung, sich auf das zu besinnen,w as noch aussteht, was man immer aufschiebt, bis mal Zeit ist... weil wir endlos davon zu haben scheinen... Doch die Vergänglichkeit kreist immer über uns.
Auch unseren Lieben widmen wir oft zu wenig der Aufmerksamkeit, die sie verdienen und brauchen.

Dein Schluss gefällt mir sehr gut - denn es ist niemals zu spät, etwas zu ändern. Man kann immer von vorn anfangen.
Es ist immer die Zeit, loszulaufen - nach vorn.

Und wenn man sich nur die Schuhe anzieht und schnürt mit der Entschlossenheit einer ganzen Wanderung.

Sehr gern gelesen.
Liebe Grüße - Ava

 monalisa meinte dazu am 18.10.20:
Liebe Ava, ganz herzlichen Dank für deine zu Herzen gehenden Worte.
Liebe Grüße
mona

 RainerMScholz (26.10.20)
Ich habe keine Ahnung mehr, wie das geht, wollte dich immer danach fragen...
Und das ist nicht der einzige Satz, der den Leser sich erinnern lässt.
Grüße,
R.

 monalisa meinte dazu am 27.10.20:
Dankeschön, Rainer, freut mich, wenn es gelingt der Erinnerung von Leser*innen auf die Sprünge zu helfen.

Liebe Grüße
mona

 EkkehartMittelberg (26.10.20)
Liebe Mona, der wundervolle Text gefällt mir Satz für Satz, so dass ich gar nichts hervorheben kann, weil alles gelungen ist. Du hast uns hier am Grab eine Flasche San Mazano serviert, de mich herbsüß durchrieselt.
Wohl dem, dem ein solches Gedenken zuteil wird.
Herzlichst
Ekki

 monalisa meinte dazu am 27.10.20:
Dankeschön, lieber Ekki, du machst mich wieder ein bisschen verlegen. Aber ich freue mich natürlich sehr über dein Lob.

Herzliche Grüße
mona
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