Mit der Wende kam das Ende - Hat die BRD die DDR verschrottet?

Bericht zum Thema Gesellschaft/ Soziales

von  Graeculus

Mir als Bürger der BRD hat sich die Wende 1989/90 als Befreiung der Bürger der DDR dargestellt, die sich in Massen von ihrem Staat abwandten und in freien Wahlen erstmals zwischen miteinander konkurrierenden Partei-Angeboten entscheiden konnten. Die Bilder der fliehenden oder zu Hunderttausenden gegen das Regime und seine Unterdrückungsmechanismen demonstrierenden Menschen waren überwältigend.

Eine erste Korrektur dieses Eindrucks entstand durch meine Ehe mit einer Frau, die bis zum Ende der DDR deren Bürgerin war. Sie habe, versicherte sie, sich nicht unterdrückt und von der Stasi bespitzelt gefühlt. Dabei gab es in ihrer Familie weder Parteimitglieder noch Beschäftigte in staatlichen Unternehmen; sie selbst hat ihre berufliche Laufbahn in einer Institution der evangelischen Kirche begonnen. Es war ihr offenbar möglich gewesen, eine gewisse Distanz zu bewahren gegenüber dem, wovor so viele Menschen geflohen und wogegen so viele Menschen demonstriert hatten.

Nun habe ich einen völlig anderen Eindruck gewonnen durch die Dokumentarfilmreihe von Enno Seifried über „Lost Places“ auf dem Gebiet der ehemaligen DDR (2013 – 2018). Sie führt uns zu Ruinen von Industrieunternehmen, Erholungsheimen, Hotels und Restaurants in Leipzig („Geschichten hinter vergessenen Mauern“) sowie im Harz („Vergessen im Harz“). Wir lernen diese deprimierend verfallenden Gebäude kennen, die verstaubenden Hinterlassenschaften, in denen einst geschäftiges Treiben herrschte, und wir werden konfrontiert mit Interview-Stimmen derjenigen Menschen, die einst dort ihren Lebensunterhalt verdient und ihren Lebenssinn gefunden haben.

Weniger mit vorwürflicher Bitterkeit als mit Trauer berichten sie davon, wie sie 1989/90 nicht von Unterdrückung befreit worden sind, sondern ihre Arbeit und ihre Aufgabe verloren haben. Sie berichten von Gemeinschaft und Solidarität, von Feiern und Betriebsausflügen ... und von der Leere, die dann über sie kam, weil ihre Arbeitskraft nicht mehr benötigt wurde. „Mit der Wende kam das Ende“, sagt einer dieser melancholischen, unfreiwilligen Rentner.

Auch die Gründe dafür werden – jedenfalls in den reflektierteren unter den Beiträgen – deutlich: Die industrielle Produktion war in der Konkurrenz mit den westlichen Unternehmen nicht wettbewerbsfähig. Hotels, Gastronomie und Krankenpflegeheime entsprachen nicht mehr dem Standard, der nun verlangt wurde. Viele der Unternehmen, deren Ruinen wir sehen, waren noch in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, einige sogar im Kaiserreich errichtet worden, wenn sie auch damals als hochmodern gegolten hatten. Wieviele Menschen aber hätten diese Hotels noch gebucht, sobald sie frei reisen durften, oder in diesen Restaurants gegessen, wenn sie nun doch zum Italiener gehen konnten?

Ich gewinne den Eindruck, daß zu DDR-Zeiten in Modernisierung wenig investiert wurde, oft gar nichts. Was man damals Produktionsmittel nannte, war nach internationalen Maßstäben Schrott und mußte nach ökonomischen Kriterien verschrottet werden. Nach den Maßstäben derer, die dort arbeiteten, war es ihre Existenzgrundlage und ihr Lebenssinn. So oder so sind es heute in einem tieferen Sinne „Lost Places“.

Noch bringe ich beide Eindrücke nicht zusammen: den Schrei nach Befreiung auf der einen und die Sehnsucht nach Bewahrung auf der anderen Seite.

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Kommentare zu diesem Text

ich (54)
(27.05.21)
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 AchterZwerg meinte dazu am 27.05.21:
Stimmpt! :)

 Graeculus antwortete darauf am 27.05.21:
Es geht mir um die Eindrücke, die ich habe, und die Fragen, die sich mir dazu stellen. Diese Eindrücke bei den gesehenen Interviews waren sehr stark.
Eine umfassende Analys lag nicht in meiner Absicht - und dafür ist kV wohl auch nicht der rechte Ort.
Wir Ihr darüber denkt (sofern Ihr darüber nachgedacht habt), interessiert mich schon, aber da helfen mir Links nicht weiter.
ich (54) schrieb daraufhin am 27.05.21:
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 Graeculus äußerte darauf am 27.05.21:
Dann warte ich auf den Text von ich zu diesem Thema.
Bin gespannt.
(Aber keine Verschwörungstheorie, gelt?)
ich (54) ergänzte dazu am 28.05.21:
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 Graeculus meinte dazu am 28.05.21:
Ich werde mich nicht nochmal auf eine ausführliche und aufwendige Darstellung einlassen. Noch steckt mir die Erfahrung in den Knochen, dir auf deine Bitte meinen Standpunkt zum Thema Wissenschaft und Demokratie dargestellt zu haben, ohne darauf eine Antwort erhalten zu haben.
Es ist nicht so, daß ich hier säße und nicht wüßte, was ich mit meiner Zeit anfangen soll.
ich (54) meinte dazu am 28.05.21:
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 Graeculus meinte dazu am 28.05.21:
1. Stimmt, aus irgendeinem Grunde erhält man nicht immer eine Nachricht.
2. Als ärgerlich empfinde ich eine Nicht-Antwort nur dann, wenn mich jemand nach etwas gefragt hat und ich darauf mit einigem Aufwand geantwortet habe (Nachdenken, Recherchieren).
Habe ich dich überhaupt schonmal nach etwas gefragt?
Ja, jetzt nach deiner Antwort.
ich (54) meinte dazu am 29.05.21:
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 Graeculus meinte dazu am 29.05.21:
Das stimmt wohl. Ich kann mich an Einwände meinerseits, aber nicht an Fragen erinnern.
Aber wenn Du mir Fragen stellst, dann eröffnest Du ein Gespräch. Oder?
ich (54) meinte dazu am 30.05.21:
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 Graeculus meinte dazu am 30.05.21:
Falsche Alternative. Ich sehe mich als Verschwörungsskeptiker. Das sichert mir in der Diskussion die günstige Position zu, daß der andere seinen Standpunkt begründen muß (affirmanti incumbit probatio). Damit ist dann auch der Fall einbezogen, daß "die Verschwörung real ist": Es ist seine Aufgabe, das zu begründen, wenn andere, z.B. ich, ihm glauben sollen.
Da es sich hier ja per definitionem um geheime Absprachen handelt, ist das keine leichte Aufgabe.
(Lukaschenko & Putin profitieren sehr von diesem Problem.)

 Graeculus meinte dazu am 30.05.21:
An ich:

Mal eine Bemerkung zu Deinem Alias: In einem Kommentarstrang erscheinen mir Deine Beiträge als "ich meinte dazu", meine eigenen als "Ich meinte dazu" (während Dir sicher "Graeculus meinte dazu" angezeigt wird).
Das ist für mich hier und für alle anderen außer Dir bei ihren eigenen Texten ziemlich verwirrend.
ich (54) meinte dazu am 30.05.21:
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 Graeculus meinte dazu am 30.05.21:
Das wäre so wie bei literarischen Wettbewerben, wo die Texte der teilnehmenden Autoren der Jury anonym vorgelegt werden.
Allerdings würde das hier, wo man die Leute zum Teil seit Jahren kennt, m.E. nicht funktionieren. Hier gibt es mindestens ein Dutzend Leute, die ich sofort am Stil erkenne.
Dich allerdings (noch) nicht. Warst Du hier schonmal unter anderem Alias aktiv?
Außerdem ist das mit dem "ich" immer so eine spontane Irritation; ein zweites Hinschauen löst das Problem.

 Graeculus meinte dazu am 30.05.21:
Auf den angekündigten anderen Beitrag warte ich dann noch.
ich (54) meinte dazu am 31.05.21:
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 Graeculus meinte dazu am 31.05.21:
Ich dem selber nachgehen? Nur dann, wenn mich der Fall interessiert. So habe ich es getan bei der 'jüdischen Weltverschwörung' ("Die Protokolle der Weisen von Zion") sowie bei der 'jesuitischen Weltverschwörung' und bei dem sog. 'Hermenfrevel' im antiken Athen.

Eugen Drewermann habe ich längere Zeit beobachtet und einzelne Bücher von ihm gelesen, die älter sind und nichts mit der gegenwärtigen Lage zu tun haben. Wenn es bei ihm eine Verschwörung gab, dann eine solche des deutschen Episkopats (was ich für wahrscheinlich halte).
Mehr ist nicht drin, bis ich Argumente sehe.

Die von Dir genannten Leute mögen bekannt sein, aber nicht als Fachleute für die aktuell anstehende Frage. Das gilt mir ähnlich viel, wie wenn Oliver Kahn für Sportwetten Werbung betreibt. Er ist Fachmann für Fußball, aber nicht fürs Wettgeschäft.
ich (54) meinte dazu am 01.06.21:
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 Graeculus meinte dazu am 01.06.21:
Kabarettisten schaue ich mich in der Tat selten (nicht: nie!) an. Ihre Zuverlässigkeit? Aus der Antike gibt es den Spruch: "Lieber einen Freund verlieren als eine Pointe."

Wenn "die Regierung" oder "der Bundestag" mit einer Verordnung oder einem Gesetz gegen das Grundgesetz oder das Völkerrecht verstoßen (oder mutmaßlich verstoßen), gibt es dagegen den Rechtsweg. Und das BVerfG kann ja über mangelnde Arbeit nicht klagen. Gestern erst hat der Bundesfinanzgerichtshof die Doppelbesteuerung von Renten gerügt.
Das erfüllt aber nicht gleich den Tatbestand der Verschwörung. Dafür müßte man sich zunächst auf eine Definition dieses Begriffes einigen. Ich schlage vor:
Eine Verschwörung im politischen Sinne liegt vor, wenn eine Gruppe von Menschen sich einem einheitlichen Willen unterwirft, um mit einer abgestimmten Methode zu einem gemeinsamen Ziel zu gelangen: der Erringung der Macht in einer bestimmten Gesellschaft oder weltweit.

Eine solche Verschwörung kann tatsächlich existieren oder einer bestimmten Gruppe lediglich unterstellt werden – letzteres möglicherweise in der Absicht, um selbst verschwörerisch an die Macht zu gelangen, indem die Gesellschaft im Kampf gegen die angebliche Verschwörung einem einheitlichen Willen unterworfen wird; in diesem Falle gebraucht eine Verschwörergruppe den Vorwurf der Verschwörung in projizierender Weise.
Über letzteres kann man auch mal reden, wenn der Vorwurf der Verschwörung als Waffe in einem politischen Kampf dient, nicht wahr?

 AchterZwerg (27.05.21)
Der Ausverkauf einiger sozialistischer Errungenschaften (ja das waren und sind welche) empört mich heute noch.
Warum wurde das effiziente duale, in Strecken bessere, Schulsystem der DDR nicht kopiert?
Warum nicht das weitläufige System an Betriebskindergärten, die für jeden bezahlbaren Mieten und v. a. m. übernommen?
Warum durfte die Treuhand schalten und walten wie sie wollte?

Der8.
Ex-Westberliner

 Quoth meinte dazu am 27.05.21:
Schau Dir Bilder von der damaligen DDR an - dann weißt Du, warum die Mieten für jeden bezahlbar waren.
"Warum durfte die Treuhand schalten und walten wie sie wollte?"
Weil das Freiheitsbegehren der DDR-Bürger umgemünzt wurde in einen ideologischen Sieg des Kapitalismus über den Sozialismus, und dieser Sieg musste ein totaler sein.

 Graeculus meinte dazu am 27.05.21:
Ja, die niedrigen Mieten hatten ihren Preis. Die Wohnungen glichen in ihrem Standard den Fabriken, Hotels usw., die ich in den Filmen gesehen habe. Darin würde heute kaum jemand wohnen wollen.

Ja, man hätte mehr übernehmen können als das Ampelmännchen; aber die Industrieanlagen waren marode. Ihr Wert lag, wie mir scheint, in Grundstücken und Kundenkreis. So auch bei manchem anderen.

Zur Treuhand mag ich kein Urteil abgeben. Da hat man Neuland betreten und ist zugleich von der Annahme ausgegangen, die damals sehr nahe lag: daß man selbst ein überlegenes Wirtschaftssystem vertrete. Hinterher ist man in vielem schlauer.

Mich hat vor allem der Gegensatz fasziniert: die Aufbruchsstimmung auf den Straßen, die teils dramatische Fluchtbewegung und die Melancholie der Menschen, die plötzlich ohne Arbeit dastanden.
Was das irgendwie durchdacht, was sie gewollt haben? Die Freiheit wie im Westen und die kuschelige soziale Sicherheit wie im Sozialismus? Ist das überhaupt vereinbar?

 Terminator (27.05.21)
Politisch Befreiung, ökonomisch feindliche Übernahme. Aber immerhin sind die Schadstoffemissionen drastisch gesunken; die Industrie der DDR produzierte Mist und blies Scheyße in die Luft. Letztlich behielt Kohl Recht mit den blühenden Landschaften, jedoch wörtlicher, als er es gemeint hatte: landschaftlich.

Kommentar geändert am 27.05.2021 um 08:58 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 27.05.21:
Damit kann ich was anfangen. Das mit der politischen Befreiung kann man in etwa mit dem Worten Stanislaw Lems beschrieben: "Der Unterschied zwischen Kapitalismus und Sozialismus ist der, daß man im Kapitalismus sagen darf, wie beschissen es einem geht."
Ökonomisch muß es eine Art Tsunami gewesen sein, der über die DDR kam. Sie hatte dem aber auch nichts entgegenzusetzen.
Wie ein hochverschuldeter Mensch, der einem Kredithai in die Hände fällt - falls dieser Vergleich angebracht ist.

Aber ich glaube, die meisten DDR-Bürger haben im Herbst 1989 nicht von der Wiedervereinigung geträumt und erst recht nicht von einer Übernahme, sondern von einem dritten Weg, einem liberalen, humanen Sozialismus.
Doch ist das überhaupt mehr als ein Traum?

 Quoth (27.05.21)
Hallo Graeculus, Du fragst: " Hat die BRD die DDR verschrottet?"
Mit Grass bin ich der Meinung: Ja, hat sie. Grass hielt die Treuhand für teilkriminell. Es wäre Vieles zu retten gewesen - aber daran hatte der Raubtierkapitalismus, dem Kohl die DDR überlassen hat, kein Interesse.

 AchterZwerg meinte dazu am 27.05.21:
So isses.

 Graeculus meinte dazu am 27.05.21:
Es wäre vieles zu retten gewesen - was?
In die Hotels und FDGB-Erholungsheime, die ich in den Filmen gesehen habe, hätte viel Geld investiert werden müssen, aber unter Bedingungen, unter denen die Menschen - endlich! - nach Mallorca reisen wollten und nicht mehr in den Harz.
Ein ehemaliger Ingenieur erklärte zu einer stillgelegten Mälzerei haarklein, daß es auf dem Weltmarkt, dem die DDR plötzlich ausgesetzt war, ein Überangebot an Malz gab und sich der Betrieb einfach nicht mehr rentierte. Er kann durchaus ökonomisch denken, was aber seine Traurigkeit nicht mindert, denn er wurde damals arbeitslos.

Ich bin mir keineswegs sicher, daß mehr Arbeitsplätze zu erhalten gewesen wären, als erhalten worden sind. Dabei mag ich mich irren, und Ihr könnt mich gerne belehren - aber dann bitte mit Details.
Bis dahin bleibe ich bei der Vermutung, daß es sich um ein tiefes Tal handelte, das durchschritten werden mußte (und heute auch durchschritten ist), weil man sich in der DDR damals unter einer auf Dauer nicht zu bezahlenden Käseglocke Illusionen gemacht hatte.

Die Wohnungen! Da mußte Kapital für Renovierungen investiert werden. Aber wer investiert, wenn die Mieten so niedrig sind?
In der DDR hatte der Staat die Mieten niedrig gehalten - wie wahr; aber er hatte nichts in Renovierungen investiert!

 Quoth meinte dazu am 27.05.21:
Vielleicht sollte man auch an Betriebe und Betriebsstandorte denken, die die Wende und die Treuhand "überlebt" haben:
https://www.welt.de/wirtschaft/article147141584/Jena-Dresden-Glashuette-Hier-brummt-der-Osten.html
gobio (30)
(27.05.21)
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 Graeculus meinte dazu am 27.05.21:
Danke für den langen Beitrag. Darauf werde ich noch eingehen, heute jedoch nicht mehr.

 Graeculus meinte dazu am 28.05.21:
Daß man mit 20 Leuten betreiben konnte, wofür die DDR 150 einsetzte, das ist eine wesentliche Erkenntnis, die für viele DDR-Bürger ein schreckliches Erwachen bedeutet hat. Und daß die staatlich subventionierte Planwirtschaft einen hohen, auf Dauer nicht zu bezahlenden Aufwand erfordert.

Eine realistische Alternative wäre nicht der von vielen gewünschte "menschliche Sozialismus" gewesen, sondern das chinesische Modell, das ökonomisch erfolgreich, wiewohl wenig menschlich ist.

 GastIltis meinte dazu am 30.05.21:
Entschuldige Graecu,
dass ich zu dem Unfug, den gobio hier lang und breit von sich gegeben hat, ein paar Worte verlieren muss. Natürlich waren wir im Osten alle stinkend faul, dumm sowieso und kriminell darüber hinaus. Dass wir versucht haben, wie die Fischer auf oder an der Müritz die Zeit tot zu schlagen, war das eine, es ist uns leider nicht so recht gelungen. Die Schulen waren z.B. nicht in der Lage, ein einheitliches, vernünftiges Schulsystem durchzusetzen, und das Niveau der Kindergärten war auf Grund der Zwangsrekrutierung der Kinder, die Mütter mussten ja einer „Schein“arbeit nachgehen, auch bedauerlich gering. Zum Glück gab es diese komische Form der Pisa-Einstufungen noch nicht, sonst hätte man sicher feststellen müssen, dass im Osten selbst Achtklässler kaum des Lesens und Schreibens mächtig waren, vom Rechnen mal ganz abgesehen. Ein weiteres Riesenproblem im Osten waren natürlich die Eigentumsdelikte der Bürger. Da alles, also die Produktionsmittel, die Betriebe, der Handel, Schulen, Institutionen usw. volkseigen war, herrschte der allgemeine Glauben vor, dass auch die private Nutzung vorhandenen Ressourcen davon betroffen sein müsste. Und so wurde der normale Umgang auch gepflegt. Etwaige Ähnlichkeiten mit z.B. Corona-Hilfs- und Pflegemitteln im kapitalistischen Westen der Gegenwart sind eher zufällig.
Die ehemalige DDR hat einen krampfhaften Versuch unternommen, eine Industriegesellschaft zu entwickeln. Indem sie eigene Autos hergestellt hat, PKWs, wenn auch keine besonders guten, LKWs ebenfalls, sogar als Kipper und Pritschenwagen, sie hat sich im Kranbau versucht, in der Chemieindustrie, hat Talsperren gebaut, Pumpspeicherwerke, sogar ein Kernkraftwerk und hatte sogar ein eigenes Gesundheitswesen, zumindest hat sie so getan. Selbst bei der Zahnvorsorge von Kindern hat sie sich versucht.
Und die DDR hatte sich immer versucht, kulturell hervorzutun. Mit Musikern, Theaterleuten und sonstigen Künstlern. Denen hatte sie sogar gelegentlich die Reisemöglichkeiten gestattet.
Wahrscheinlich hätte sie, wenn sie eine gehabt hätte (die DDR), sogar ihre Seele verkauft.
Sie war ja irgendwann nicht mehr konkurrenzfähig. Mitten im kapitalistischen Europa. Und der Osten konnte oder wollte nicht mehr helfen.
Aber ich will mich noch einmal zu drei Fischern verlieren, mit denen ich es 1968 beim Bau des Kernkraftwerkes in Lubmin zu tun hatte. Sie stammten alle drei von der kurischen Nehrung. Im Winter 68 benötigten wir Pumpenwärter für unsere Vakuumanlagen, um den Kühlwassereinlaufkanal (Länge 2 km; Breite: 40 m; Tiefe: 6 m) herstellen zu können, durch den später das Kühlwasser von der Ostsee zum Kraftwerk fließen konnte. Dazu stellten wir die Fischer und einen ehemaligen U-Bootfahrer ein. Die Fischer schieden im Frühjahr wieder aus, um ihrer eigentlichen Tätigkeit nachzugehen. Zweimal in der Woche fuhren sie auf die Ostsee zum Fischen. Im Sommer zum Aalfang. Ob das ein harter Job war, kann ich nicht beurteilen, weil ich nie mit war. Jeder der Fischer hatte Hände wie geschmiedet. Eins habe ich mitbekommen: Wenn man jemand kennen lernen wollte, der zuverlässig ist, dann z.B. einen wie Fritz Bonies. Dass ich von ihm meinen Räucheraal bezog, erwähne ich nur am Rande (ein Kilo: 16 Mark).
Tut mir leid, dass ich mir erlaubt habe, mich einzumischen. Gil.

 Graeculus meinte dazu am 31.05.21:
An GastIltis:

Dein Kommentar besteht aus drei Teilen, deren einer sarkastisch ist, während der zweiter eine Analyse der Ziele der DDR-Führung beinhaltet und der dritte autobiographisch ist.

Ich stimme allen drei Teilen zu.
Gut kann ich mich daran erinnern, daß Mathematik- und Naturwissenschaftslehrer aus der DRR für die entsprechende Bildung in der DDR schwärmten und sich Schulbücher von dort für ihren eigenen Unterricht besorgten.
Ich selbst habe den Zwangsumtausch stets dafür eingesetzt, mir in Ost-Berlin Bücher (wenn auch solche anderer Art) zu kaufen. Der Aufbau- und der Akademie-Verlag genossen hohes Ansehen. Ein Freund, seinerzeit bei Suhrkamp tätig, lobt noch heute den Insel-Verlag in Leipzig.

Daß die DDR - um zum zweiten Teil zu kommen - immer etwas mehr gewollt hat, als sie bezahlen konnte, und daß sie es nicht immer mit redlichen Mitteln versucht hat (Sport - Doping), ist mein Eindruck. Zwecks Erlangung von Devisen hat sie obendrein, wenn auch in geringerem Maße als Stalin in den 20er und 30er Jahren - ihr 'Tafelsilber' im Westen verscherbelt.

Die persönliche Integrität vieler DDR-Bürger steht überhaupt nicht infrage.

 Teichhüpfer (27.05.21)
In der Theorie bei Marx und Lening bleibt politisch keine Frage offen. Das hat mich bezaubert, aber wie Du genau richtig beschreibst, geht die Praxis nicht auf.

 Graeculus meinte dazu am 27.05.21:
Stimmt.
Es gibt in Ost-Berlin ein großes Karl-Marx-Denkmal. Damals hat jemand darunter die Worte gesprüht: "Tut mir leid, Jungs, war nur so eine Idee von mir."

 EkkehartMittelberg (27.05.21)
Eigentlich müsste die Frage lauten: Was hat die Verschrottung der DDR ermöglicht? Die ökonomischen Ursachen wurden in den Kommentaren nahezu lückenlos erwähnt. Entscheidend war aber die ungeheure Arroganz in der BRD nach der Wende. Meine Bekannten, die sogleich danach zur Besichtigung hinüber fuhren, ließen an nichts ein gutes Haar und waren nicht bereit zu diskutieren, ob irgendetwas reformiert übernommen werden könne. Sie ließen nicht einmal die später wieder anerkannte Lesekultur in der DDR gelten. Als sie später den 2008 erschienenen Roman "Der Turm" von Uwe Tellkamp lasen, waren sie erstaunt darüber, dass sich große Teile von Akademikern mit des System arrangiert hatten und in bescheidenem Wohlstand lebten, freilich ohne Bananen.
Wahrscheinlich sind die Zwänge des Kapitalismus so groß, dass man nichts bewahren konnte. Aber ich verstehe, dass insbesondere ältere Menschen den Charme des langsamen Lebens in der DDR vermissen.
gobio (30) meinte dazu am 27.05.21:
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 Graeculus meinte dazu am 27.05.21:
Auch hierauf kann & werde ich erst morgen eingehen.

 Graeculus meinte dazu am 28.05.21:
Die DDR war ökonomisch am Ende, diesen Eindruck hatte auch ich damals. Den goldenen Angelhaken zu schlucken, den JFS mit seinem Milliarden-Kredit, ausgelegt hatte, war bezeichnend.

Aber haben die DDR-Bürger, die bei den Volkskammerwahlen für die Parteien der Wiedervereinigung gestimmt haben, das nicht durchschaut? Entweder nicht, oder sie haben auf die weiteren Milliarden gehofft, die Kohl ihnen versprochen hatte, und darauf, daß sie ihre Arbeitsplätze erhalten würden. Aber ein Staat à la BRD investiert nicht im privatwirtschaftlichen Sektor. Hätte er es getan, hätte das noch weit mehr gekostet, als der jahrzehntelang gezahlte Solidaritätszuschlag erbracht hat.

So verstehe ich es jetzt.

 Graeculus meinte dazu am 28.05.21:
An Ekkehart:

Die Arroganz vieler Bundesbürger damals war in der Tat erschreckend. Und wie die Heuschrecken müssen sie vielen DDR-Bürgern erschienen sein. Alles aufkaufen, was irgendeinen Wert hat, und dann nach marktwirtschaftlichen Prinzipien gewinnbringend umgestalten - wobei Arbeitsplätze als Kostenfaktor in der Bilanz auftauchen und zu minimieren sind.

 Dieter_Rotmund (27.05.21)
Im Text kommt unterschwellig gut zum Ausdruck, das Ostler kaum die Eigeninitiative kannten, sich selbst in Interessensgruppen zu organisieren, alles "von oben" erwarteten und hinterher in einer Opferrolle festsaßen.
"Lost Places" ist eigentlich kein geschichtswissenschaftlicher Begriff wie "Erinnerungsort", sondern was für Hobbyfotografen.

 Graeculus meinte dazu am 27.05.21:
"Lost Places" habe ich bewußt doppeldeutig interpretiert, und ich denke, daß dies auch in der Absicht des Films liegt.

Wenn "die" Ostler so dachten und handelten, was war dann im Herbst 1989 los? Da haben Hunderttausende von "Ostlern" eine Revolution gemacht, wie es sie so gewaltfrei selten in der Geschichte gegeben hat. Die haben doch "von oben", von der SED, nichts mehr erwartet, sondern selber etwas gemacht.

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 27.05.21:
Ja, und dann wieder die Hände in den Schoss gelegt und auf die versprochenen "blühenden Landschaften" gewartet, aber selbst nix dafür getan. Später herb enttäuscht und AfD gewählt - was war das los?
Der 9. November wurde vermutlich nur von ein paar Dutzend Menschen erreicht. Alle anderen waren Mitläufer, das funktionierte in Deutschland ja schon immer pirma.

 Soshura (27.05.21)
Hallo Graeculus,

lass mich ein paar willkürliche Wörter aus Deinem Textes herauspicken:



abwandten, freien, konkurrierenden, Angeboten, fliehenden, demonstrierenden, überwältigend

Korrektur, gefühlt, Kirche, Distanz, geflohen, demonstriert

anderen Eindruck, ehemaligen, Ruinen, deprimierend verfallenden, verstaubenden Hinterlassenschaften, Lebensunterhalt, Lebenssinn

Trauer, nicht ... befreit, verloren, Gemeinschaft, Solidarität, Leere, nicht mehr benötigt, melancholischen, unfreiwilligen

reflektierteren, industrielle, Konkurrenz, nicht mehr dem Standard, damals, frei reisen

gewinne den Eindruck, wenig investiert, internationale Maßstäbe, ökonomischen Kriterien, Existenzgrundlage, Lebenssinn, tieferen Sinn

nicht zusammen, Schrei, Befreiung, Sehnsucht, Bewahrung



Ich hoffe, die Zusammenfassung bewahrt den Sinn Deines Textes, obwohl er von einigen Lasten befreit wurde. Ich entschuldige mich ausdrücklich bei Deiner Frau.

zwinkernde Grüße
Sosh

 Bergmann meinte dazu am 27.05.21:
Graeculus, da hast du ein Fass aufgemacht! Und nun stehen weitere Fässer daneben.
Welche Perspektive ist richtig? Welche Wörter, welche Sprache? So viele Erinnerungen, so viele Geschichten und Schicksale ... so viele Aspekte ... Was war für den einen gut, den anderen schlecht? Was ist gut? Was ist schlecht?
Wäre eine "rein" auf "Fakten" sich konzentrierende Geschichtsschreibung angemessen und träfe sie die Wahrheit wenigstens für die meisten? Nein. Sind die bisher geschriebenen Romane besser? Fraglich.
Ich deute nur das Problem an.
Deine kurze Betrachtung zeigt dein Staunen, deine Verwunderung - und manches mehr, das uns alle betrifft, in diesem Meer von Fragen.
Herzlichst: Uli

 Graeculus meinte dazu am 27.05.21:
Interessant, Soshura. Eine sehr ökonomische Reduktion meines Textes. Sie bewahrt durchaus den Sinn, zeigt aber auch, daß Ökonomie nicht alles ist. Ästhetisch zum Beispiel nicht.
Und ja, irgendwie ist meine Frau dabei verschwunden, was auch nicht schön ist.
Dennoch ... daß man sowas daraus machen kann, beeindruckt mich.

 Graeculus meinte dazu am 28.05.21:
An Bergmann:

Wie üblich, durchschaue ich es im Nachhinein besser. Tragisch ist das für die DDR-Bürger, die es damals (auch) nicht recht analysiert haben.
Ein großes Faß, fürwahr.

 TassoTuwas (27.05.21)
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Ostalgie von Jahr zu Jahr größer wird. In schätzungsweise weiteren dreißig Jahren wird man sich in ganz Deutschland die Frage stellen, warum hat sie die BRD eigentlich nicht der DDR angeschlossen?
Gut, dass ich das nicht erleben muss!
TT

 AchterZwerg meinte dazu am 27.05.21:
Jüngst hast du immerhin erlebt, Liebwerter, wie schnell (auch) ein neoliberales System versagen kann.
Und wie aberwitzig es ist, von einem nie endendem Wirtschaftswachstum zu faseln ....

Skeptische Grüße
der8d

 Graeculus meinte dazu am 27.05.21:
Nein, Tasso, ich hatte nicht den Eindruck von Ostalgie, denn die Leute in den Interviews verklärten nichts, sie beschrieben ja Tatsachen, die wir in der Form von Ruinen ("Lost Places") vor Augen hatten. Ein großer Verlust an Arbeitsplätzen war eine unleugbare Begleiterscheinung der damaligen Ereignisse. Daß die
davon Betroffenen darüber erfreut waren, wird man nicht erwarten können; daß sie es nicht geahnt haben, als sie auf die Straße gingen und das System der DDR stürzten, das war vermutlich naiv ... falls es denn dieselben Leute waren, die Demonstranten und die künftigen Arbeitslosen.
LARK_SABOTA (37)
(28.05.21)
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 Graeculus meinte dazu am 29.05.21:
Ja, und wie es scheint, wird daraus wohl auch nichts mehr. Schade.

 Judas meinte dazu am 30.05.21:
Ich würde gerne was dazu sagen, als "bekennender Ossi", aber ich war zugegeben ein Jahr alt, als die Mauer fiel.

 Graeculus meinte dazu am 30.05.21:
Spontan wollte ich jetzt antworten: Und was hast Du von Deinen Eltern mitbekommen?, aber dann habe ich mir bewußt gemacht, daß weder für meine Kinder noch für die meiner Frau die DDR ein Thema ist. Das kommt ihnen wohl so vor wie meiner Generation, wenn unsere Altvorderen was von Stalingrad erzählt haben.

 Judas meinte dazu am 30.05.21:
Nun so ganz stimmt das nicht, es ist für mich ein Thema. Ich hab durchaus das ein oder andere durch meine Eltern mitbekommen, durch deren Freundeskreis auch, durch die Schule, unsere Stadt.
zB hatten wir eine Spinne in meiner Geburtstadt, die der größte Arbeitsgeber war. Diese wurde geschlossen mit der Wende. Gefühlt 1/4 der Stadt war angestellt dort. Die waren plötzlich alle arbeitslos.
Ich komm aus Grenznähe. Das Eichsfeld war wortwörtlich gespalten. Wenn ich wandern war mit meinen Eltern, sind wir manchmal an den alten Zäunen und Türmen lang gelaufen. Es war meine "Schuld", quasi, dass meine Eltern nicht direkt an Tag 1 zur Grenze gerannt sind, als die Mauer fiel. Haben sich nicht recht getraut, wollten meinen damals 6-jährigen Bruder nicht alleine mit seiner 1-jährigen Schwester lassen und dann eventuell Gefahr laufen, nicht zurück zu können.
Mein Vater saß als Deserteur im Knast für 'ne Weile als junger Mann. Er war nicht sehr "regierungskonform". Sein Glück, dass er aber Langläufer/Biathlet war. Hat viel trainieren müssen in Oberhof und sollte auch bei Meisterschaften antreten, hatte sich dann aber mit der Wende auch geklärt. Was er studiert hat, gibt es jetzt nicht mehr. (Lehrer für Polytechnik.)
Meine Mutter ist schlauer und fleißiger als mein Vater. Aber in einem katholischen Haushalt geboren, mein Opa war bekennend "schwarz" statt "rot". Sie hatte Glück, dass sie Abi machen durfte, aber Studieren - nope, da wurden ihr zich Steine in den Weg gelegt, obwohl sie Jahrsgangsbeste in Russisch war. Stattdessen landete sie auf einer katholischen Berufsschule und wurde Physiotherapeutin. Sie wollte immer gerne Kunstgeschichte in Halle studieren. Tja. Nichts da.

Meine Eltern vermissen die DDR keine Spur. Nicht mal ein bisschen. Das heißt nicht, dass sie dort keine schöne Zeit haben konnten. Und, wie heißt es immer... "es war nicht alles schlecht."
LARK_SABOTA (37) meinte dazu am 30.05.21:
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 Graeculus meinte dazu am 30.05.21:
Graeculus, deine Frau ist im Alter deiner Kinder? :0
Ich schrieb:
weder für meine Kinder noch für die meiner Frau
Für mich geht daraus hervor, daß die Kinder meiner Frau so etwa im Alter meiner Kinder sind. So verhält es sich in der Tat.

Judas' Beitrag war gut, ja. Ich denke noch darüber nach und spreche darüber mit meiner Frau (nicht mit deren Kindern).

 Graeculus meinte dazu am 30.05.21:
An Judas:
Spinne = Spinnerei?
LARK_SABOTA (37) meinte dazu am 30.05.21:
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 Graeculus meinte dazu am 30.05.21:
O.k. So kann man in einen falschen Ruf kommen.

 Graeculus meinte dazu am 30.05.21:
An Judas:

Spinne ist eine Spinnerei, sagt meine Frau.

Was Du schreibst, bringt - außer der Bestätigung der hohen Arbeitslosigkeit - noch zwei Aspekte hinzu, an die ich nicht gedacht hatte:
- die Ausbildung für einen Beruf, den es jetzt gar nicht mehr gibt: Lehrer für Polytechnik. Kommentar meiner Frau: Konnte er damit nicht Lehrer an einer Berufsschule werden? Zumindest als Seiteneinsteiger?
- die Nichtzulassung zum Studium wegen politischer Unzuverlässigkeit der Eltern - ein tolles Ding! Wie soll man das anders bezeichnen außer als Sippenhaft?

Andererseits:
Heute läuft ein Jubiläums-Polizeiruf 110. Gibt's seit fünfzig Jahren und kommt aus der DDR. Andreas Schmidt-Schaller spielt mit und schwärmte im Vorab-Interview über die Drehbedingungen zu DDR-Zeiten unter Beratung durch das MdI (Ministerium des Inneren); so sei für Realitätsnähe gesorgt worden, die er im Tatort nicht so gegeben sieht. Außerdem tauchte da auch die erste Ermittlerin auf - Jahre vor einer im Tatort. Ein Pädophilie-Fall ("Am hellerlichten Tag") wurde 1974 verboten und durfte erst nach der Wende gezeigt werden. Eine seltsame Mischung aus Fortschrittlichkeit und Restriktion.

In den alten Polizeiruf 110-Folgen, die ja hin und wieder heute noch gezeigt werden, bekommt man einen interessanten Einblick in die DDR ... auch wenn die Verfolgungsfahrten mit Trabi und Wartburg heute ziemlich komisch wirken.

 Judas meinte dazu am 30.05.21:
Jap Spinne ist 'ne große Spinnerei.

Mein Vater ist Lehrer an einer Berufsschule ;)
Und meine Mutter, tja... ist 'ne super Physiotherapeutin. Meint aber, wenn sie dann mal in Rente geht, wird sie so Rentnerstudium in Erfurt an der Uni machen und dann doch endlich Kunstgeschichte.
Mutti findet übrigens, dass Bambini Schokolade und Halorenkugeln immer noch besser sind, als alles, was "ihr ollen Wessis" je produziert habt. Wie gesagt. War net alles schlecht.
Meine Oma (wie gesagt, katholisch und damit auf der "watch list") hat irgendwann mal all die alten Briefe bekommen, die die Stasi abgefangen hat. War ziemlich lächerlich, was die teilweise einbehalten haben. So Postkarten mit Geburtstagsgrüßen drauf und so ein Scheiß.
Meine Eltern sind keine "Ostalgiker" und blicken ziemlich realistisch auf das alles. Vorallem mein Vater. Der ist hart Typ Freiheit - und motzt schon mal, wenn er sich in seiner Freiheit eingeschränkt fühlt. Er ist so der Typ, der versucht, den Sicherheitsgurt vom Auto austricksen, wenn er piept, statt sich einfach anzuschnallen. Aus Trotz, weißt? Weil das Auto ihm durch das Piepen ja SAGT, dass er sich anschnallen soll. Für ihn war das keine gute Zeit, wirklich nicht.
Aber auch er war jung und hat hart in Halle in der Saufgasse Party gefeiert, war Student, hatte Studentenerlebnisse. Nur die Zeit bei der Armee... die hat ihn glaub ich fast flüchten lassen. Er hatte es sogar fast getan. Einer seiner damaligen Kumpel ist rüber. Naja.
LARK_SABOTA (37) meinte dazu am 30.05.21:
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 Graeculus meinte dazu am 30.05.21:
An Judas:

Ist Berufsschullehrer, welch ein Glück! Aber wenn man, wie unser HEOR hier, Presseoffizier bei der NVA gelernt & praktiziert hat, ist das fast aussichtslos, und insofern kann ich seine Verbitterung verstehen.

Die Rentnerstudenten sind toll! Ich habe sie in meiner Zeit an der Uni kennen und schätzen gelernt. Hochmotiviert (weil an der Sache interessiert) und dazu jede Menge Lebensklugheit. Kann ich Deiner Mutter nur empfehlen. Hoffentlich macht sie es!

Das mit dem Mißtrauen und dem Abfangen von Briefen wirkt auf mich so unsouverän! Wenn die Machthaber dem eigenen Volk nicht trauen, wie soll das Volk seinen Machthabern trauen?
Ich wollte mal mit einer Schülergruppe auf einen Tag von West- nach Ostberlin. Die haben mir eine Schülerin aus dem Verkehr gezogen, weil sie einen Jutebeutel mit dem Aufdruck "ai" bei sich trug. Du verstehst? amnesty international, das galt als eine Attacke des leibhaftigen Teufels und erforderte das komplette Programm bis hin zur Leibesvisitation!

Wie sich die Haltung Deines Vaters gegenüber,Anordnungen, und seien es die seines Autos, entwickelt hat, das ist spannend. Obwohl ich ja nun nicht NVA- und Stasi-gestählt bin, ist mir das nicht völlig fremd. Ich hasse Befehle. Das lag wohl an Erfahrungen mit Lehrern, die ihre Sozialisation im Dritten Reich erhalten hatten.
Solche Lehrer gab es in der DDR nicht, oder? Nun, zu Deiner Schulzeit bestimmt nicht mehr.

 Graeculus meinte dazu am 30.05.21:
An LARK_SABOTA:

Ist nicht Ossi-spezifisch, nein, wie ich oben schon geschrieben habe.
Aber beim Sport, ich etwa beim Fahrradfahren, gebe ich mir selber den Befehl: Diesen Berg schaffst du jetzt noch! Das empfinde ich nicht als Freiheitsbeschränkung. Wenn man es dann geschafft hat, fühlt man sie groß (naja); wenn man aber dem Befehl eines anderen gehorcht hat, womöglich noch mit dem Blick auf dessen Pistole, fühlt man sich klein.
Von außen oder aus einem selbst, das halte ich für einen wesentlichen Unterschied.
Anders mag es sein - da habe ich keine Erfahrung - wenn der Befehlsgeber der eigene Trainer ist.
LARK_SABOTA (37) meinte dazu am 31.05.21:
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 Judas meinte dazu am 31.05.21:
@Lark das kannst du so nicht vergleichen. Der Drang nach Freiheit mag nicht Ost-spezifisch sein. Aber wenn du ihn hast und eingesperrt bist, dann macht dich dieser Drang wohl unglücklicher, als er es tun würde, wärst du nicht eingesperrt. Meinst du nicht auch? Mein Vater hat mit seinem Fahrrad Reisen durch Indien, Peru und China unternommen. Nur mit dem Fahrrad. Für jeweil 4-6 Wochen. Das war sein Lebenstraum. Genauso wie am Wasaloppet in Schweden Teil zu nehmen, was er tat.
NICHTS von dem wäre möglich gewesen, wäre die DDR weiter so, wie sie war, bestehen geblieben.
Und wir sind jetzt hier nur bei Reisen. Dass er in den Knast geworfen wurde, einfach weil er in der Armee etwas nicht tun wollte, ist noch mal eine ganz andere Geschichte.

@Graec Du kennst sicher den Film Sonnenallee, oder? Laut meiner Eltern fängt der das Lebensgefühl von damals gut ein. Der Film ist liebenswert, voller Schrullen, aber es zuckt auch das Negative auf.

Antwort geändert am 31.05.2021 um 01:24 Uhr
LARK_SABOTA (37) meinte dazu am 31.05.21:
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 Judas meinte dazu am 31.05.21:
Da hast du recht, aber es ging Graec ja nun mal explizit um Erfahrungen in der DDR. Die ich selbst nicht gemacht habe, das muss ich jetzt an der Stelle noch mal betonen.

Antwort geändert am 31.05.2021 um 02:26 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 31.05.21:
An Judas:

Den Film "Sonnenallee" kenne und schätze ich. Auch: "Die Spur der Steine". Wolf Biermann schon, als er noch in der DDR lebte.
Richard Leising ("Und dieses Land darin ich leben will / Aber muss") ist einer meiner Lieblings-Lyriker.

 Jedermann (03.06.21)
Nett mit Verständnis geschrieben. Nur, ausgedrückt durch den Romantitel von Chinua Achebe gilt: Things fall apart! Eine technologisch weiter entwickelte Gesellschaft wird die schwächere nach ihren Regeln umgestalten. Der Beispiele gibt es viele in der Geschichte.
Der Mensch, so differenziert wir uns auch fühlen, passt sich zwangsläufig den Verhältnissen an. Ob er nun als Revolutionär die Feinde der Revolution erschießt, oder als Kapitalist andere zu seinen Gunsten ausbeutet, spielt keine Rolle. Er handelt entsprechend den Gegebenheiten für sein Überleben.
Und mit der Freiheit ist das so eine Sache. Da müssten wir noch einmal gründlich nachdenken, da just im Moment alle demokratischen Regeln außer Kraft gesetzt sind und die Eliten ihre Macht wohl nicht einfach aufgeben werden. Denn nicht nur Blut, auch unumschränkte Macht scheint ein ganz besonders Elixier zu sein.

 Graeculus meinte dazu am 03.06.21:
Der Wille zur Macht ist weit mehr als der Wille zum Überleben. Mir scheint, daß nicht alle von jenem besessen sind, aber diejenigen, die nicht von ihm beherrscht werden, bringen es in der Politik, also an den Schalthebeln der Macht, nicht weit.
Zum Glück der Untertanen sind alle Machthaber mitsamt ihren Reichen sterblich.

Antwort geändert am 03.06.2021 um 12:57 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 03.06.21:
Manche Machthaber wissen das sogar, wie z.B. Scipio Africanus im Angesicht des von ihm zerstörten Karthago daran dachte, daß so einst auch sein Rom untergehen werde.

 Feliks Gershon Bokser (12.08.21)
Sehr gut. Ähnliches mit der Sowjetunion. Ähnliches immer und immer weider. Danke für den Text.

 Graeculus meinte dazu am 12.08.21:
Immer und immer wieder. Erleben wir nicht gerade in Afghanistan das gleiche?

 Verlo (26.10.21)
"Die industrielle Produktion war in der Konkurrenz mit den westlichen Unternehmen nicht wettbewerbsfähig."

Aber erst, nachdem die DDR-Mark durch die D-Mark ersetzt wurde.

Einige werden sich an Quelle-Kataloge erinnern: Produkte der Marke "Privileg" waren aus dem Osten.

Ökonomen war klar, was passiert, wenn die D-Mark kommt.

Aber dem Ossi hat man das vorher nicht erzählt.

Man hat die Ossis mit der Freiheit gelockt und das Preisschild mit einer Banane verdeckt.

#

"Noch bringe ich beide Eindrücke nicht zusammen: den Schrei nach Befreiung auf der einen und die Sehnsucht nach Bewahrung auf der anderen Seite."

Ich hab nie nach eine Befreiung geschrien, und ich war ab Sommer 83 Staatsfeind (offizielle Vorwurf: "Kollaboration mit dem Klassenfeind", hatte Berufsverbot), hab auch nie einen Ausreiseantrag gestellt. Bin aber dann 2009 nach Norwegen ausgewandert. Und ich will mir nicht vorstellen, wenn ich jetzt zu Corona-Zeiten in Deutschland leben würde.

Die Ausreisantragsteller, mit den ich gesprochen habe, hatten alles.

Ein Beispiel eines Nachbarn aus dem Haus (Berlin Köpenick): Grundstück mit Bungalow am Wasser, Boot, Bootsanhänger, Lada, zwei Kühltruhen im Keller ... ich mußte damals fragen, was eine Kühltruhe ist, gab es nur für D-Mark. Man konnte sich nicht unterhalten, ohne daß über die Bonzen hergezogen wurde, über die Mauer, die Stasi ... die den Strom abgestellt hatte, nachdem die Familie nicht aus dem Ungarn-Urlaub wie erwartet zurückgekehrt war (das muß in den frühen 80ern gewesen sein) und man auf Arbeit wartete: beide Tiefkühltruhen waren voll, aber nun ist alles verdorben, diese scheiß Stasi.

Ich habe mich immer gefragt, warum die ausreisen wollten: die hatten alles, die hatte reichlich West-Geld (dafür hat man im Osten alles bekommen), die konnten ihre Meinung sagen ... weil sie nicht nach Frankreich reisen konnten? Das können sie heute auch nicht.

Was ich wollte? Daß der Staat tut, was er sich auf die Fahnen geschrieben hatte.

 Graeculus meinte dazu am 28.10.21:
Es stimmt, daß die DDR Produkte in den Westen geliefert hat, daran erinnere ich mich jetzt.

Weiter unten schreibst Du allerdings, daß es in der DDR Kühltruhen nur für DM gab. War das eine zweigeteilte Produktion? Auf Weltniveau für den Export und auf niedrigem Niveau fürs eigene Land?

Mit dem Schrei nach Freiheit meinte ich nicht bzw. nicht nur diejenigen, die in den Westen geflohen sind, sondern (auch) die, die im Herbst 1989 zu Hunderttausenden auf die Straßen gegangen sind, z.T. ja sogar mit dem Slogan "Wir bleiben hier!" ... und dennoch Freiheit einfordernd.
Vom Preis der Freiheit haben viele wohl nichts geahnt.

Daß der Staat das tue, was er sich auf die Fahne geschrieben hatte: Dubceks "Sozialismus mit menschlichem Gesicht"?
Ich weiß bis heute nicht, ob das nicht nur ein "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß" ist. D.h.: Gib uns die Freiheit, aber schütze uns auch vor ihren Gefahren!

 Verlo meinte dazu am 28.10.21:
"War das eine zweigeteilte Produktion?"

Zwei Produktionslinien wird es wohl nicht gegeben haben (jedenfalls wo ich gearbeitet habe, gab es die nicht), aber das Beste (Güteklasse A) ging in den Export.

Bzw. sehr hohe Stückzahlen für den Export (zB Schweine, berichtet jemand hier im Forum), so daß für die Ossis nicht genug vorhanden war.

Oder: elektrische Schreibmaschine Erika 3004 für 2.500 DDR-Mark ab 87 im Osten oder 200 (?) D-Mark im Westen.

Diese Schreibmaschine (Robotron Dresden) konnte man als Drucker und Tastatur an einen Robotron-Computer anschließen, auf dem unter anderem eine Textverarbeitung lief. Display war ein Fernseher.

Damit hab ich Texte vom Neuen Forum vervielfältigt und im Betrieb verteilt. Hat aber nicht wirklich jemand interessiert. War auch zu abgehoben, wieder an den Interessen des Volkes vorbei.

Davon abgesehen, war wohl schon klar: wenn die Mauer weg ist, muß die D-Mark kommen, sonst überrollen die Ossis den Westen.

#

"Gib uns die Freiheit, aber schütze uns auch vor ihren Gefahren!"

Macht Deutschland das nicht gerade in der Corona-Pandemie?

Oder als Deutschland seine Demokratie 20 Jahre in Afghanistan verteidigt hat.

Ebenso konnte doch auch die DDR nicht machen, was sie wollte. Siehe 68 Prag oder 80 Polen.

Aber so weit nach oben hatte ich keine Einblick.

Nehmen wie das Devisen-Problem: immer mehr mußte beschafft werden. Man hätte das eigentliche Problem doch lösen können. Aber irgendwer hat blockiert.

Man kann auch fragen: Hätte Frau Merkel bei Corona den schwedischen oder norwegischen Weg gehen dürfen?

Oder: Warum wurden JFK und Olaf Palme umgebracht?

Oder: Warum ist es zur deutschen Teilung gekommen?

Nur was hätte man davon, wenn man die Antworten wüßte? Welchen Einfluß haben Menschen wie wir, obwohl wir in der Überzahl sind?

Inzwischen glaube ich nicht mehr, daß die Wende eine vom Volk ausgegangene Revolution war, sondern ich kann mir vorstellen, daß man sie gestattet und organisiert hat.

(Ich weiß, das hört sich verrückt an: aber in anderen Staaten ist es nachgewiesen und man akzeptiert es.
Übrigens: mein Vater, der nie "Aktuelle Kamera" geguckt hat, sondern immer nur "Berlin am Abend" und "Tagesschau", war 53 in Berlin dabei, sagte: die meisten waren keine Arbeiter, sondern Studenten aus West-Berlin.
Und daß Demonstrationen von Hunderttausenden allein nicht reichen, sieht man an der Bewegung gegen die Corona-Maßnahmen. Da stehen global starke Kräfte im Hintergrund, die keinen Widerstand dulden und sich durchsetzten können. Bei Corona geht um mehr als man uns sagt.)

Nachdem Honecker auf dem absteigenden Ast war, veränderte sich die DDR.

Ende 86, Anfang 87 war ich drei Monate bei der NVA-Reserve und wurde wegen (harmlosen) Äußerungen in der Politschulung zu fünf Tagen im Standort-Knast verurteilt. Zuvor hat man mir sogar gedroht, mich in den Armee-Knast nach Schwedt zu bringen.

Kurz vor der Wende war ich noch einmal bei der Reserve (der letzte Durchgang, den es in der DDR gab). Da wurden wir gebeten, vor der nächsten Politschulung 19:30 "Aktuelle Kamera" und 20:15 "Tagesschau" zu gucken, damit wir über die Ereignisse umfassend informiert diskutieren können.

Oder: die gesammelten Werke Sigmund Freund wurden dreibändig als Essays 1988 bei Volk und Welt veröffentlicht. Davor war das Jahrzehnte lang undenkbar.

Man stelle sich nur mal vor: die Ost-Deutschen hätten sich mit den Russen zusammengetan, ohne daß Beton-Köpfe (von welcher Seite auch immer) bestimmen. Veränderungen in der Produktion wäre nicht mehr daran gescheitert, daß es nichts gab.

Man hätte auch das Sozialsystem reformieren können. Mieten, Fahrkosten, Energie-Preise usw. hätte angepaßt werden können. Gleichzeitig wäre die DDR-Mark weiterhin Vorheil im Welthandel.

Aber das sind nur Gedanken ...

Antwort geändert am 29.10.2021 um 08:12 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 29.10.21:
Mehr als Gedanken (und Erinnerungen) habe auch ich nicht.
War auch zu abgehoben, wieder an den Interessen des Volkes vorbei.
Das ist es genau, was mich beschäftigt: Was waren damals die Interessen des (DDR-)Volkes, das - ein Lied aus der 48er-Revolution zitierend - skandierte: "Wir sind das Volk!"?

Zu all den von Dir reflektierten Umständen muß man noch einen hinzufügen: Gorbatschows Reformen und seine Erklärung, die UdSSR werde sich nicht mehr an der Unterdrückung einer Volksbewegung im sozialistischen Block beteiligen.
Das war die Zeit, in der das Motto "Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen" aus dem Repertoire der DDR-Führung verschwand.

Ich meine schon, daß es eine Volksbewegung war und daß überhaupt das Problem der DDR darin bestand, daß sie zeit ihres Bestehens ihr Volk daran hindern mußte, mit den Füßen abzustimmen. Eine Regierung, die ihr Volk einmauert, um es daran zu hindern, ihr Land zu verlassen, legt einen Offenbarungseid ab.

Meine Frau lebte 1989 in Leipzig und hat niemals von irgendeiner äußeren Einflußnahme auf das berichtet, was sich damals dort abspielte.

Eine äußere Einflußnahme kann ich erst ab der Zeit der Parteigründungen in der DDR und seit Kohls 10-Punkte-Plan erkennen. Der Punkt 3, die versprochene umfassende Wirtschaftshilfe, muß in den Ohren der DDR-Bürger eindrucksvoll geklungen haben. Ab dann wurde aus "Wir sind das Volk" "Wir sind ein Volk", d.h. die Perspektive einer Reform des Sozialismus in der DDR war erledigt, denn Geld winkte aus dem Westen.

Eine Rolle hat vermutlich auch gespielt, daß allmählich der Umfang bekannt wurde, in dem die Stasi das Volk kontrolliert und bespitzelt hatte. Wenn man erfährt, daß der eigene Ehemann ein IM, angesetzt auf seine Ehefrau, war, muß das ein Schock gewesen sein. Dann könnte ich nur noch Haß auf dieses System empfinden.

 Verlo meinte dazu am 30.10.21:
"Meine Frau lebte 1989 in Leipzig und hat niemals von irgendeiner äußeren Einflußnahme auf das berichtet, was sich damals dort abspielte."

Ich hatte keine Beweise vorgelegt, sondern meine Verwunderung geäußert, daß die Wende stattfand, als sich die DDR änderte.

Davon abgesehen, hätte man schlecht gearbeitet, wenn deine Frau Einflußnahme mitbekommen hätte, falls es Einfluß gegeben hätte.

Der Schwiegervater eines Freundes war dreifach Spion: für Stasi, KGB und BND. Und ist nie enttarnt worden. Gern hat er seinem Schwiegersohn, ebenfalls bei der Stasi, aus seiner Abenteuerzeit erzählt. Ich habe den alten Herrn einige Male getroffen, wie man einen Nachbarn trifft: man hat ihm seine Qualifikation nicht angesehen. Ich glaube, er war gebürtiger Sachse, klein, leicht fett, dicke Brille, jemand der in der Schule gehänselt wurde.

Damit sage ich nicht, daß dieser Mann Einfluß genommen hat, sondern verdeutliche, wie schnell man zu falschen Schlüssen kommen kann.

Von mir hat man (Kollegen) oft gedacht, ich sei bei der Stasi. Selbst die Behörde zur Rehabilitation der Geschädigten des DDR-Regimes war mir gegenüber sehr mißtrauisch. Aber ich war nie bei der Stasi, auch nicht bei einer entsprechenden Geheimorganisation, sozusagen eine Stasi in der Stasi.

Selbstverständlich kann ich alles behaupten. Zumal meine Stasi-Unterlagen vernichtet wurden. Jedenfalls hat man keine gefunden. (Wie bei Frau Merkel.)

Dabei hätten welche vorhanden sein müssen. Aber aktuelle Vorgänge wurden zuerst verzichtet. In der Hauptverwaltung Potsdam wie folgt: zuerst in einem großen Aktenvernichter, danach wurden die Papierschnipsel auf einen LKW mit Hänger verladen (erzählte mir einer der Kraftfahrer) und in eine Papiermühle der Stasi gebracht. Dort wurden sie gewässert und gemahlen, um schließlich auf eine Deponie entsorgt zu werden.

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"Eine Rolle hat vermutlich auch gespielt, daß allmählich der Umfang bekannt wurde, in dem die Stasi das Volk kontrolliert und bespitzelt hatte. Wenn man erfährt, daß der eigene Ehemann ein IM, angesetzt auf seine Ehefrau, war, muß das ein Schock gewesen sein. Dann könnte ich nur noch Haß auf dieses System empfinden."

Die DDR hat sich offiziell als Diktatur bezeichnet. Da sollte man kein demokratisches Verhalten erwarten.

Inzwischen gehe ich noch weiter: man sollte von keinem westlich-demokratischen Staat erwarten, daß er die Interessen seines Volkes in den Vordergrund stellt, um Enttäuschungen zu vermeiden.

Ich will nicht Corona thematisieren. Ist zu aktuell. Aber 9/11.

Allein sich vorzustellen, daß 9/11 nicht so abgelaufen ist, wie offiziell dargestellt, widerstrebt den meisten. Weil das zwangsläufig bedeutet ...

Deshalb sagt man: ich habe doch gesehen, wie das zweite Flugzeug in den Turm geflogen ist ... und unzerstört in ihm verschwunden wie in einer Nebelwand.

Wenn man so etwas in einem Action-Film sehen würde, würde man sagen: B-Movie, ganz schlechtes CGI.

Wäre es wirklich um die Ossis gegangen bei der Wende, hätte man sich anders verhalten.

Dem ersten Chef der Treuhand, Detlev Rohwedder, deutscher Spitzen-Manager, war klar, was auf Ostdeutschland zukommt. Er hat Zeit für die Umstellung der Wirtschaft gefordert. Konnte seine Arbeit aber nicht vollenden, weil er (offiziell) von der (linken) RAF ermordet wurde.

Ich hasse weder das eine noch das andere System. Sie tun, was sie tun müssen.

 Graeculus meinte dazu am 30.10.21:
Wir sind uns (anscheinend? vermutlich?), einig, daß es für die Bevölkerung Gründe gab, im Herbst 1989 auf die Straße zu gehen. Man denke nur an die Wahlfälschungen bei der vorangegangenen Kommunalwahl.
Zwar hatte es Wahlfälschungen in der DDR immer gegeben, aber jetzt kam ein durch Gorbatschow ausgelöster Stimmungswandel hinzu; eine Aufbruchstimmung machte sich breit.

Wozu sollte da eine Manipulation von westlicher Seite noch nötig sein? Zumal die bundesrepublikanische Regierung nicht darauf vorbereitet war, das dann passierte (Geschehnisse in den Botschaften in Prag und Warschau).
Und dann noch eine Manipulation, von der meine Frau und ihre Freunde nichts merkten?
Wie soll das vonstatten gegangen sein?

Das ist mir zu dicht an einer Ausrede, wie sie unser kV-HEOR (weiland Oberstleutnant der NVA) noch heute vertritt.

Das System stand auf tönernen Füßen und wäre - ich behaupte: - zu jeder Zeit hinweggefegt worden, wenn nicht die UdSSR ihre bewaffnete Hand darüber gehalten hätte, wie auch in Ungarn, Polen und der CSSR. Diese bewaffnete Hand entfiel mit Gorbatschow.

Man kann über die BRD, die USA usw. sagen, was man will; aber da fliehen die Menschen hin, während sie aus den sozialistischen Ländern weg geflohen sind.

Klar, die DDR war eine sozialistische Diktatur, aber der Ideologie gemäß hätte dies eine Diktatur der Mehrheit über eine ausbeuterische Minderheit sein sollen. In Wahrheit aber handelte es sich um eine Parteidiktatur, wenn nicht sogar Schlimmeres (Stalin!).

 Verlo meinte dazu am 30.10.21:
"Das ist mir zu dicht an einer Ausrede, wie sie unser kV-HEOR (weiland Oberstleutnant der NVA [& Redakteur bei der DDR-Wochenzeitung "Volksarmee"]) noch heute vertritt."

Da werde ich meine Aussagen gern präzisieren.

In der DDR hätte man mich in meiner aktiven Zeit niemals einen Artikel in der "Volksarmee" schreiben lassen. Da möchte ich jetzt auf keinen Fall nachholen.

Letztendlich ist mir das Unterscheiden zwischen den beiden Systemen aber zu eng gedacht, weil sie sich nicht wirklich unterscheiden. Das meint ja nicht, daß es keine, teilweise gravierende Unterschiede gibt.

Aber: der Mensch steht weder in der deutschen Diktatur noch in der deutschen Demokratie im Mittelpunkt.

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"Klar, die DDR war eine sozialistische Diktatur, aber der Ideologie gemäß hätte dies eine Diktatur der Mehrheit über eine ausbeuterische Minderheit sein sollen."

Ja. War sie aber nicht.

Das meinte ich damit, als ich schrieb: die DDR soll machen, was sie sich auf die Fahnen geschrieben hatte.

In der DDR gab es den Feind ja nicht mehr, trotzdem wurden die Menschen in der DDR wie Feinde behandelt.

So etwas kann nur funktionieren, wenn es genug von allem gibt. Nennt sich goldener Käfig.

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"In Wahrheit aber handelte es sich um eine Parteidiktatur, wenn nicht sogar Schlimmeres (Stalin!)."

Ja. Die zudem aber nicht wirklich funktioniert, sondern sich das eigene Grab geschaufelt hat, weil es ... keine Ahnung.

Vielleicht war man in der Führungsebene einfach nur zu blöd und hat alle klügeren zu Feinden erklärt?

Vielleicht hat man aber auch einen alten Feind (den Zaren) beseitigen lassen und gleichzeitig einen neuen geschaffen, und der Zusammenbruch des Ostblockes war gar nicht erwünscht.

Wenn man keinen neuen Feind gefunden, erfunden hätte, hätte man das deutlich weniger Waffen usw. verkaufen können.

Nach dem Prinzip: Was nutzt mir der Himmel, wenn es keine Hölle gibt.

#

"Wozu sollte da eine Manipulation von westlicher Seite noch nötig sein? Zumal die bundesrepublikanische Regierung nicht darauf vorbereitet war, das dann passierte (Geschehnisse in den Botschaften in Prag und Warschau)."

An deutsche Manipulation hab ich nicht gedacht.

Ich kann mir vorstellen, daß die Kräfte, die Deutschlands Teilung anstrebten, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Deutschland wieder als Ganzes haben wollten, um es noch einmal gegen Rußland einzusetzen.

Das würde aber nicht funktionieren, würde sich Ost-Deutschland entwickeln, wie sich China entwickelt hat.

Aber im Grunde ist es egal: denn China wird den Laden übernehmen.

Vielleicht besser: chinesische Methoden werden auch in Deutschland Einzug halten.

Den Laden werden die weiterhin lenken, die ihn immer gelenkt haben, nur eben mit chinesischen Methoden.

Und die sind das eigentliche Übel. Weil sie uns, die einfachen Leute, seid Unzeiten an der Nase herumführen und gegeneinander aufhetzen, in den Krieg treiben, mit und ohne Waffen. Und am Ende haben die oben wieder gewonnen und die unten wieder verloren.

 Graeculus meinte dazu am 31.10.21:
Unsere Ansichten nähern sich allmählich an.
Zum Unterschied zwischen den beiden Systemen hat mir immer das Bonmot von Stanislaw Lem gut gefallen: "Der Unterschied zwischen Kapitalismus und Sozialismus besteht darin, daß man im Kapitalismus sagen darf, wie schlecht es einem geht."
Ich kann mir vorstellen, daß die Kräfte, die Deutschlands Teilung anstrebten, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Deutschland wieder als Ganzes haben wollten, um es noch einmal gegen Rußland einzusetzen.
Welche Kräfte wären das? Die britische und die französische Regierung haben sich lange gegen die Wiedervereinigung gesträubt, weil sie ein zu starkes Deutschland fürchteten. Da hat Kanzler Kohl etliche Zusicherungen machen müssen. Vor allem Frau Thatcher war strikt dagegen.

Wenn sich die Welt in Richtung China bewegt, dann bin ich froh, schon so alt zu sein.

 Graeculus meinte dazu am 31.10.21:
Unser Gespräch hat sich etwas von den Filem entfernt, von denen ich ausgegangen bin und bei denen mich die melancholische Stimmung der ehemaligen DDR-Bewohner beeindruckt hat.

Für meine Frau, die 1991 nach Baden-Württemberg übergesiedelt ist, ist das alles graue Vergangenheit. Sie hat nicht nur den Wohnort, sondern die Heimat gewechselt.

 Verlo meinte dazu am 31.10.21:
Du schreibst:

"Unser Gespräch hat sich etwas von den Film entfernt, von denen ich ausgegangen bin und bei denen mich die melancholische Stimmung der ehemaligen DDR-Bewohner beeindruckt hat."

Die Filme sind zwar auf der ARD-Mediathek nicht mehr vorhanden, aber auf dem Youtube-Kanal des Filmemachers.

Zum Beispiel: Enno Seifried "Lost Places Leipzig I – Geschichten hinter vergessenen Mauern".

https://www.youtube.com/watch?v=u7IkQOSAtR8&t=19s

Wenn der ehemalige Kranfahrer zeigt (4:15 min), wo er eine Frau an eine Wand gemalt hat, sagt, daß er am nächsten Tag vom Abteilungsleiter aufgefordert wurde, das Bild zu beseitigen und kommentiert, "es war in unserer sozialistischen Gesellschaft nicht möglich, daß man hier ein Frauenbild dran hatte", dann sollte er mal probieren, ohne Absprache in einem Betrieb eine Wand nach seinen Vorstellungen anzumalen.

Ich habe den Eindruck, das sind Heimatfilme für Ossis.

Mein Herz erwärmt dieser Filme nicht. Nicht, weil ich es so schlecht gehabt habe in der DDR, sondern weil ich es jetzt besser habe.

Mich würde nicht überraschen, wenn deine Frau nicht mehr nach Leipzig zurück möchte, selbst falls sie in Leipzig geboren wurde.

#

Nein, ich meinte keine Regierung mit den Kräften, die die Teilung Deutschland anstrebten.

Antwort geändert am 31.10.2021 um 21:06 Uhr

Antwort geändert am 31.10.2021 um 21:16 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 31.10.21:
Diese Filme von Enno Seifried - meine Frau hat sie mir auf DVD geschenkt - haben mich schon beeindruckt, auch die über die "Lost Places" in Leipzig. Da ist mir aber eher die heutige Nutzung mancher dieser Plätze in Erinnerung geblieben.
Wie "Ossis" darauf reagieren, weiß ich nicht ... unter der Voraussetzung, daß meine Frau sich nicht mehr als eine solche fühlt.

In Leipzig waren wir schon gemeinsam; sie ist da wirklich unbelastet.
Kennst Du das Gefühl, daß Du etwas hinter Dir läßt - in jeder Hinsicht? So daß eine kühle Distanz, aber unbelastete Distanz entsteht.
Sie ist damals allerdings auch keiner Verfolgung ausgesetzt gewesen (ohne mit dem System verbunden gewesen zu sein).

Und für die Kinder, die hier geboren worden sind, ist die DDR nur noch ein Schemen, der mal im Geschichtsunterricht vorgekommen ist. Das dürfte für viele nach 1989 geborene Kinder gelten.

 Graeculus meinte dazu am 31.10.21:
Manchmal meine ich, daß ich, ein Westler, mehr durch diese Vergangenheit belastet bin als sie, und zwar durch die deprimierenden Besuche, die ich mit meinen Schülern nach Berlin unternommen habe. Der Schäferhund, der am Ende der Transitstrecke, kurz vor Westberlin, unter dem Zug eingesetzt wurde, um festzustellen, ob sich irgendwelche Republikflüchtlinge dort festgeklammert hatten.
Daher meine emotionale Meinung, daß eine Regierung, die ihre Bürger an der Flucht hindern muß, ihren Bankrott erklärt.
Diese Erlebnisse fehlen meiner Frau, die nicht einmal in die Nähe dieser Grenze durfte.

 Graeculus meinte dazu am 31.10.21:
Nach den vielen Änderungen weiß ich nicht, auf welche Version ich nun geantwortet habe. Ich hoffe, es paßt noch.

 Verlo meinte dazu am 31.10.21:
Ja, es paßt!

Kann sein, daß du (als Wessi) bei der DDR emotionaler bist als ich (als Ossi).

Die DDR war aber nicht so schlimm, wie es dir erscheint.

Die DDR aber auch nicht so gut, wie es die Nostratiker meinen.

#

Wenn ich es sagen darf: Mir erscheint Deutschland in Corona-Zeiten schlimmer als die DDR.

Weil ich anderthalb Jahre erlebt habe, daß es sehr viel entspannter geht.

Wenn man so will, blicke ich jetzt aus dem Westen in den Osten.

Antwort geändert am 31.10.2021 um 22:01 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 01.11.21:
Ich habe die DDR nur von einer bestimmten Seite her erlebt (ich betone: erlebt, und sehe davon ab, was während des Kalten Krieges bei uns in den Medien über die SBZ und "DDR" berichtet wurde).
Diese Erlebnisse laufen auf ein deutlich paranoides System hinaus. Beispiel: Mit einer Schülergruppe möchte ich von Westberlin aus einen Tag in Ostberlin verbringen. Bei der obligatorischen Kontrolle wird eine Schülerin aus der Gruppe herausgeholt und eine Stunde lang verhört sowie visitiert. Was hatte sie getan? Sie trug einen Jutebeutel mit zwei Buchstaben als Aufdruck: ai.
ai? Das mußte er sein, der Klassenfeind!
Ahnst Du, was das Verbrecherische daran war?
Die Schülerin durfte "Berlin - Hauptstadt der DDR" nicht betreten mit diesem Jutebeutel. Immerhin ergab die Leibesvisitation, daß sie kein weiteres staatszersetzendes Material bei sich trug.

Daß nicht alles so schlimm war, wie es mir erschien, sagt meine Frau auch immer.

Sie hat jetzt übrigens gerade gelesen:
Reinhard Kuhnert

Abgang ist allerwärts

Leipzig 2013
Es geht um Korruption und Unterschlagung in der DDR, und "Abgang ist allerwärts" war offenbar ein gängiger Spruch - im Sinne von: ein bißchen Schwund ist immer.
Ich kannte das aus Wolf Biermanns schönem Lied "Enfant perdu", wo es heißt: "Abgang ist überall."

Das Buch hat ihr gefallen, gebe ich also als Empfehlung weiter.

 Graeculus meinte dazu am 01.11.21:
Das Buch will ich übrigens auch mal lesen.

 Verlo meinte dazu am 01.11.21:
--> Es geht um Korruption und Unterschlagung in der DDR, und "Abgang ist allerwärts" war offenbar ein gängiger Spruch - im Sinne von: ein bißchen Schwund ist immer. <--

Es war Volkseigentum und hat nur den Standort gewechselt.

Antwort geändert am 01.11.2021 um 13:13 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 01.11.21:
Es war Volkseigentum und hat nur den Standort gewechselt.
War das ein Volksspott aus DDR-Tagen?

[Was ai bedeutet(e), ist Dir klar, ja?]

 Verlo meinte dazu am 01.11.21:
--> ai? Das mußte er sein, der Klassenfeind! <--

Sei froh, daß du den ai-Beutel nicht getragen hast.

Beim Verhör durch die Stasi hättest du garantiert die falschen Antworten gegeben. Dann hätte man dir in einer Zelle Gelegenheit gegeben, um deine Einstellung nachzudenken.

Wolf Biermann kannte ich nicht, bevor er ausgewiesen wurde. Für mich hat er nie gesungen.

Und da er über russische Soldaten in Afghanistan geklagt hat, aber nicht über amerikanische oder deutsche, macht er sich unglaubwürdig und legt den Verdacht nahe, daß er nie Kommunist war, sondern Söldner.

Wenn ich mich recht erinnere, schreibt der Sohn von Robert Havemann, Florian, Biermann habe eine Affäre mit der Frau von Honecker gehabt, Margot, Jahrzehnte lang Bildungsministerin.

 Verlo meinte dazu am 01.11.21:
ai - Amnesty International.

Volkssport war Feiern und Trinken.

 Graeculus meinte dazu am 01.11.21:
Oh, gewiß hätte ich die falschen Antworten gegeben. Es hätte schon angefangen mit der UN-Menschenrechtserklärung, auf die die DDR sich ja (offiziell) festgelegt hatte.
Das wäre ein spannender Fall geworden, weil dann auf einmal 30 Schüler ohne Lehrer auf DDR-Gebiet gestanden hätten.
Sowas nennt man wohl eine diplomatische Verwicklung.

Wolf Biermann ist auch mir erst durch seine Ausweisung richtig bekannt geworden. Da aber sein damaliges Konzert in Köln sehr gut besucht war, mag ich das nicht verallgemeinern.

"Enfant perdu" ist einfach ein großartiges Lied für einen trauernden Freund - ein Trostlied, und davon gibt es ja gar nicht so viele.
Um Florian Havemann geht es ja darin und um den Vater, Robert Havemann.
Biermann ruft da, nach Florians Flucht, zum Bleiben in der DDR auf: "Wir machen hier Sozialismus / Trotz Rotz und Stalinismus!"

Von dem Margot-Honecker-Gerücht habe ich schon gehört. Hat das jemals jemand außer Florian Havemann bestätigt?
Bekannt ist Biermanns Beziehung zu Eva Maria Hagen (die übrigens damals, in den frühen 80ern, in Westberlin Konzerte geben durfte, wo ich einen Auftritt von ihr erlebt habe).

 Graeculus meinte dazu am 01.11.21:
Von Kuhnerts neuer Version des Romans "Abgang ist allerwärts" wußte meine Frau in der Tat nichts.
Sie sagte allerdings, daß er ein sehr guter Sprecher sei bei Lesungen von Romanen anderer Autoren.
(Vom Schreiben allein kann man schlecht leben.)

 Verlo meinte dazu am 02.11.21:
Da haben wir wohl nicht die gleichen Helden.

Statt Angst vor den intellektuellen Reden von Havemann und Biermann zu haben, hätten die DDR-Oberen mit den Arbeiter und Bauern auf Augenhöhe reden sollen, um gemeinsam anzugehen, was sich die DDR auf die Fahre geschrieben hatte.

 Graeculus meinte dazu am 02.11.21:
Daß wir nicht die gleichen Helden haben, ist gut möglich.
Wer ist für Dich ein Held?

Ich jedenfalls bin weder Arbeiter noch Bauer, sondern Bildungsbürger. Denkt man an Marx, Engels und Lenin, dann ist diese Gruppe (oder Klasse) in der Kommunistischen Partei von Anfang an führend gewesen.
Das mag dem widersprochen haben, was der Arbeiter- und Bauernstaat sich auf die Fahnen geschrieben hatte, aber es ist so. Und damit waren weder die UdSSR noch die DDR eine Diktatur des Proletariats.

Komisch, daß diese Idee nie eine Idee des Proletariats selber gewesen ist.

Das scheint sich durch die Geschichte zu ziehen. So wurden die Bauernkriege durch evangelische Theologen angeleitet; und wo einmal die Unterdrückten aus eigenem Antrieb Aufstände gewagt haben (in den Sklavenkriegen der Antike), da ging es ihnen - wie die Quellen berichten - nicht um eine Abschaffung der Sklaverei als Institution, sondern um eine persönliche Befreiung und allenfalls um eine Umkehrung des Herr-Knecht-Verhältnisses (wenn Spartacus die gefangenen Römer Gladiatorenkämpfe durchführen ließ).

 Verlo meinte dazu am 02.11.21:
"Wer ist für Dich ein Held?"

Jedenfalls nicht Biermann.

Ich erinnere nicht einen Arbeiter, der gesagt hätte: Biermann hat den Durchblick. – Und, wie ich schon geschrieben habe: wer russische Soldaten in Afghanistan (zurecht) beklagt, aber nicht zu amerikanische oder deutschen sagt, macht sich unglaubwürdig. Oder ist es besser, wenn ein Afghane in seiner Heimat von einem Deutschen getötet wird?

Keine Ahnung, ob das stimmt, aber Wikipedia schreibt:

"1953 siedelte er [Biermann] als Sechzehnjähriger kurz vor dem 17. Juni in die DDR über Die Übersiedlung hatte nach seinen Angaben die KPD organisiert. Die Partei habe auch seine Mutter angewiesen, in Hamburg zu bleiben."

Biermann wurde also von der KPD in den Osten geschickt. Parteiauftrag sozusagen. Weil der KPD nicht paßte, was die SED gemacht hat? Um den Ossis zu zeigen, daß sie es nicht bringen (daß sie Ossis sind)?

#

Helden? Wer als Chef für seine Untergebenen das Leben im Osten erträglicher gemacht hat, obwohl er Ärger bekommen konnte.

 Graeculus meinte dazu am 03.11.21:
Über Biermann werden wir uns wohl nicht einig.

Der von Dir wohl vertretenen "Allseitigkeitsverpflichtung" für Künstler stehe ich distanziert gegenüber. Zumindest muß es erlaubt sein, primär die Fehler im eigenen System aufzuspießen. Zumal die Fehler der anderen ja gerne zur Ablenkung von den eigenen Fehlern eingesetzt werden.

Ein Chef, der zum Schutz seiner Untergebenen etwas riskiert, ist ... ein Held? Nun gut, zumindest verhält er sich vorbildlich.

(Übrigens: Wäre dann der SS-Obergruppenführer Paul Hausser ein Held, weil er entgegen ausdrücklichem Führerbefehl 1943 seine drei SS-Divisionen aus Charkow abgezogen hat, um, wie er sagte, "das Leben seiner Männer zu retten"? Nur mal am Rande gefragt, wie weit der Begriff des Helden reicht.)

 Verlo meinte dazu am 06.11.21:
Verstehe ich dich richtig, Graeculus:

1) du hast nicht in der DDR gelebt, aber kommst nicht mir ihr klar,

2) dein DDR-Held ist ein Wessi (Biermann),

3) um zu zeigen, wie groß dein Held war, bemühst du einen SS-Oberst-Gruppenführer, der für seine Kriegsverbrechen nie angeklagt wurde (diese vergleichende Ehre ist vermutlich selbst Biermann zuviel),

4) die Guten (Demokraten) muß man beschützen, die Bösen (Terroristen) darf man töten, deshalb darf ein gutes Land auch ein böses Land bombardieren (Russen raus aus Afghanistan, NATO rein)?

 Graeculus meinte dazu am 08.11.21:
Nein, nein, ich wollte in diesem Schritt des Gesprächs lediglich verstehen, wer für Dich ein Held ist.

Bei Deiner Definition
Wer als Chef für seine Untergebenen das Leben im Osten erträglicher gemacht hat, obwohl er Ärger bekommen konnte.
ist mir aufgefallen, daß sie ziemlich gut auf Paul Hausser paßt, obwohl ich mir sicher bin , daß Du den nicht meinst.
Es gibt also eine Unklarheit in Deiner Verwendung dieses Begriffs.

Ich selbst benutzt ihn sehr selten. Heldenhaft erschien mir, unter welchen Bedingungen und Widrigkeiten Alexander Solschenizyn "Der Archipel GULag" recherchiert und geschrieben hat.

Auch das paßt freilich nicht zu Deiner Definition.

 Graeculus meinte dazu am 08.11.21:
Eine kurze Ergänzung möchte ich noch anbringen: Du nennst (wohl aus Wikipedia) Paul Hausser SS-Oberstgruppenführer (= Generaloberst der Waffen-SS). 1943 zum Zeitpunkt seiner Insubordination war er "nur" Obergruppenführer (= General der Waffen-SS).
Trotz seiner offenen Befehlsverweigerung ist er später von Hitler zum Oberstgruppenführer befördert worden.

Man kann den Fall gut vergleichen mit Generaloberst Paulus, dem Befehlshaber in Stalingrad. Der hat seine Männer geopfert und Hitlers Verbot eines Ausbruchs aus dem Kessel befolgt. Kurz vor der Kapitulation der 6. Armee hat Hitler ihn noch zum Generalfeldmarschall befördert, weil Hitler annahm, ein deutscher GFM werde niemals kapitulieren. Hat er aber.

Dieser GFM Paulus hat dann später in der DDR bis zu seinem Tode eine gut bemessene Rente genossen.

Es ist schon eine vertrackte Sache mit dem Heldentum.

 Verlo meinte dazu am 09.11.21:
"Es ist schon eine vertrackte Sache mit dem Heldentum."

So ist es. Zumal, wenn man zurückblickt.

Wir können die Geschichte unberücksichtigt lassen und entsprechende Personen, um nicht abzudriften.

(Davon abgesehen, vermute ich, daß ich Haussen, Paulus, Solschenizyn ... anders als du einordne. Auch wenn es nicht gefragt wurde, aber wenn du einen seiner Lieblings-Generale anführt: Hitler ist für mich zweifellos der Führer, aber er kein Held.)

Was wäre für dich heute ein Held:

a) jemand der eine Maske trägt, doppelt impft ist sowie bereit fürs Boostern und alle Corona-Schutz-Maßnahmen unterstützt oder

b) jemand der keine Maske trägt, nicht geimpft ist und sich dafür einsetzt, daß die Verantwortlichen der Maßnahmen zur Verantwortung gezogen werden?

Für mich ist heute eindeutig b) ein Held.

 Graeculus meinte dazu am 09.11.21:
Hitler ist bzw. war kein Held, darauf können wir uns verständigen. Aber er hat sich selber für einen gehalten.

Vor diesem selbstverliebten Trugschluß sollten auch wir uns heute hüten, wobei ich fürchte (irre ich mich?), daß Du Dich (b) und damit den "Helden" der Gegenwart zuordnest.
Nein, der Begriff ist für eine Selbstzuschreibung ungeeignet.

Wie leicht man sich in dieser Hinsicht auch bei der Beurteilung anderer irren kann, zeigt das nicht der Friedensnobelpreis für den Äthiopier Abiy Ahmed?

Der Begriff bleibt für mich ziemlich dubios, und ich verwende ihn ungern.

Zurück zur DDR, d.h. zum Thema?

 Graeculus meinte dazu am 09.11.21:
Wie hießen noch gleich die Stachanow-Arbeiter in der DDR?
Und gab es nicht auch einen Orden "Held des Sozialismus"?

 Verlo meinte dazu am 09.11.21:
Meinst du Adolf Hennecke?

"Held des Sozialismus" --> in der DDR: Held der Arbeit.

Ist vielleicht so, als wenn Steinmeier Merkel für ihre Verdienste für Deutschland auszeichnet.

 Verlo meinte dazu am 09.11.21:
--> Hitler ist bzw. war kein Held, darauf können wir uns verständigen. Aber er hat sich selber für einen gehalten. <--

Keine Ahnung. Hat er sich so geäußert?

--> Vor diesem selbstverliebten Trugschluß sollten auch wir uns heute hüten, wobei ich fürchte (irre ich mich?), daß Du Dich (b) und damit den "Helden" der Gegenwart zuordnest.
Nein, der Begriff ist für eine Selbstzuschreibung ungeeignet. <--

Ich ordne mich b) zu, sehe mich aber nicht als Held. Ich bin aber in Norwegen, wo ich nie eine Maske tragen mußte, wo auch indirekt auf mich kein Impfzwang ausgeübt wurde.

Aber stell dir doch mal vor: es wird irgendwann offiziell, was jetzt noch Verschwörungstheorie ist. Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte.

--> Wie leicht man sich in dieser Hinsicht auch bei der Beurteilung anderer irren kann, zeigt das nicht der Friedensnobelpreis für den Äthiopier Abiy Ahmed? <--

Du meinst, es ist ein Fehlgriff wie bei Obama?

--> Der Begriff [Held] bleibt für mich ziemlich dubios, und ich verwende ihn ungern. <--

Ich hatte "Held" ja eingeführt, nachdem du immer wieder im Biermann ... Ein Wessi, der der beste Ossi sein wollte – sein mußte?

Ich weiß aber auch nicht jemand zu nennen ... Ich habe da keine Kontakte gehabt.

Ich kenne aber einige, die in der DDR privilegiert waren, jetzt sich aber als Widerständler darstellen, entsprechende Bücher schreiben, die teilweise in der Schule behandelt werden.

Wir können "Helden" streichen. Da sind wir dann zurück bei "Mit der Wende kam das Ende - Hat die BRD die DDR verschrottet?"

Mein Antwort: Ja.

Was aber nicht bedeutet, daß die DDR die modernste Technik hatte.

 Graeculus meinte dazu am 09.11.21:
Adolf Hennecke, so hieß der. Aber an diese Gelden der Arbeit glaube ich nicht.
In Deutschland, jetzt insgesamt, muß man wohl nur genügend lange an der Macht bzw. in einem Amt sein, dann bleiben Orden und Ehrendoktorwürden nicht aus.

 Graeculus meinte dazu am 09.11.21:
Hitler hat sich so geäußert, oft sogar: von der Vorsehung geleitet. Und Mansteins "Unternehmen Sichelschnitt" war natürlich auch eigentlich seine Idee.

Abiy Ahmed ist ein größerer Fehlgriff beim Friedensnobelpreis als Obama ... obwohl auch dieser ihn nicht verdient hat.
Vielleicht sollte man den altgriechischen Gedanken, daß niemand vor seinem Tode glücklich gepriesen werden solle, auch auf Friedensnobelpreise übertragen.

Ich hatte "Held" ja eingeführt, nachdem du immer wieder im Biermann ... Ein Wessi, der der beste Ossi sein wollte – sein mußte?
Diesen Satz verstehe ich auch grammatisch nicht.
Hatte ich Wolf Biermann als Held bezeichnet? Ich meine nicht.

Die Corona-Pandemie solltest Du wohl besser weiterhin im Forum diskutieren. (Am Rande: Ich kenne Leute, die daran gestorben sind; und ich kenne auch Leute, die an der Impfung ernsthaft bis sehr schwer [Myokraditis] erkrankt sind.)

Zur DDR: von der BRD unter Wert übernommen, verramscht. Noch gut kann ich mich an die Immobilienblase erinnern, die nach 1989 ausgebrochen ist. Da haben clevere Leute viel Geld gerochen.
Was ich aber auch sagen kann, ist, daß es in Ostdeutschland heute besser aussieht als zu DDR-Zeiten. Wenn ich nur an Quedlinburg denke, wo die DDR-Führung kurz davor stand, die Altstadt, heute eine architektonische Perle, abzureißen.
Und dann die katastrophalen Umweltbedingungen (Bitterfeld usw.).

 Graeculus meinte dazu am 09.11.21:
Dieser Teil unseres Gesprächs, so muß ich offen sagen, interessiert mich mehr als das Helden-Thema, bei dem ich nur Nebel sehe.
Paßt auch besser zum Thema meines Textes.

 Verlo meinte dazu am 10.11.21:
Held — das hab ich eingeführt, weil ich mit Biermann nicht anfangen kann und mich frage, warum er für dich so wichtig ist.

Ich frage mich auch, warum du intensiv über die DDR nachdenkst.

Ich denke nicht über die Bundesrepublik vor 89 nach.

2009 bin ich nach Norwegen, weil es in Deutschland für mich immer schlimmer wurde, insbesondere mit der Arbeit.

Das scheint auf der Westseite nicht besser: in Stavanger hab ich einige Wessis getroffen, die sagte: mein Betrieb wurde ausgelagert, hat geschlossen.

Davon abgesehen: auch in Norwegen ist die Arbeitssituation schlechter geworden.

Das war vor Corona. Man hat es Ölkrise genannt.

Ich habe nicht behauptet, daß die DDR die Umwelt geschützt hat.

Die letzten Jahre habe ich in einem Heizwerk gearbeitet, das meist Braunkohle verfeuert hat. Die Entschwefelungsanlage ist nicht fertig geworden.

Auch erinnere ich, wie die Ossi-Autos riechen.

Quedlinburg kenne ich aus der DDR: das wäre nicht zusammengefallen. In der Stadt gab es im Osten bereits Radikale, die gern zerstören.

Nicht nur in Quedlinburg mußte viel saniert werden.

Der Osten hat es falsch abgepackt, wie immer, wenn Politiker mehr zu sagen haben als Ökonomen.

Auf der anderen Seite ist der Kapitalismus auch in der Krise: Euro-Krise, Banken-Rettung, jetzt Milliarden von Euro ohne Substanz.

Ich kenne in Potsdam einige Unternehmer. Ich könnte sie fragen, wie die Geschäfte laufen. Aber ich mache es nicht. Ich weiß, was sie mir antworten würden.

Gestern war Jahrestag vom Fall der Mauer. Einige Kommentare im Netz waren: Niemals hat sie Honecker getraut, was Merkel durchgezogen hat.

Kohl hat sich über Merkel lustig gemacht. Aber nicht nur er hat sie unterschätzt.

Könnte man Merkel als die ostdeutsche Rache am Westen bezeichnen?

 Graeculus meinte dazu am 10.11.21:
Ich teile das einmal auf (und bin nicht sicher, ob ich heute alles schaffe).

Mein Verhältnis zur DDR:

- Wolf Biermann ist für mich nicht sehr wichtig; aus persönlichen Gründen (weil mir ein Kind abhanden gekommen ist) habe ich eine starke Beziehung zu "Enfant perdu". Ansonsten gefallen mir einige Lieder, aber ich kenne bei weitem nicht alle.

- Mit der DDR hatte ich zunächst als Lehrer zu tun, d.h. ich mußte die Geschichte nach 1945 und die Unterschiede der Systeme unterrichten, weiterhin häufig Klassenfahrten mit entsprechendem Bildungsauftrag nach Berlin leiten. Du kennst ja eine eindrucksvolle Anekdote (ai) aus dieser Zeit.

Dann bin ich mit einer Frau aus der DDR verheiratet, die ihre Kindheit dort weder glorifiziert noch verdrängt. Wir sprechen häufiger darüber, so wie ich mit ihr über meine Vergangenheit spreche.

Bei Historikern ist das nicht unüblich. Nun kannst Du allenfalls noch fragen, warum ich Historiker geworden bin.

 Graeculus meinte dazu am 10.11.21:
Mein und Dein Verhältnis zu Norwegen:

Bei mir: eigentlich keines. Ich war nie dort, und es zieht mich auch eher in den (europäischen) Süden als nach Norden. Römer statt Wikinger, sozusagen.

Ich weiß, daß die beiden wichtigsten Industrie- und Exportzweige Norwegens Erdöl und industriell betriebene Lachszucht sind.
Beides ist mir nicht sonderlich sympathisch.

Deine Eindrücke von diesem Land lese ich durchaus mit Interesse (auch im Forum), denn ich bin ein von Natur aus neugieriger Mensch. Ich wäre allerdings genauso interessiert, würdest Du von Irland, Portugal oder Liechtenstein berichten.

 Graeculus meinte dazu am 10.11.21:
Nachtrag zur DDR bzw. Ostdeutschland:

Aus persönlichem Interesse habe ich nach der Wende zahlreiche Städtereisen in Ostdeutschland unternommen. Ich wollte die berühmten Orte, die mir vor der Wende ja nicht zugänglich waren, kennenlernen.
Dazu gehörte auch Quedlinburg, und daß der Abriß der dortigen Innenstadt vor der Wende geplant war, hat uns ein Reiseführer bei der Stadtrundfahrt berichtet.

Wo vor allem bei den früheren Reisen noch viel alte DDR zu sehen war, fand ich sie grau und trist - ein Eindruck, der sich bei mir noch heute einstellt, wenn ich die alten Folgen von "Polizeiruf 110" sehe.

 Graeculus meinte dazu am 10.11.21:
Zu Frau Merkel:

Ich halte sie für eine sehr gute Bundeskanzlerin: ruhig, besonnen, auf Vermittlung bedacht und mit feinem Humor.
Deshalb erscheint mir der Gedanke einer Rache des Ostens als absurd.

Übrigens hat sie etwas geleistet, was nur wenigen Menschen an der Macht gelingt: sie ist freiwillig abgetreten. Man vergleiche damit Adenauer oder Kohl, die nicht von der Droge Macht lassen konnten.

 Verlo meinte dazu am 10.11.21:
Graeculus, dann ist ja alles gesagt, oder?

--> ich mußte die Geschichte nach 1945 und die Unterschiede der Systeme unterrichten, <--

Du hast mein Mitgefühl.

--> Ich weiß, daß die beiden wichtigsten Industrie- und Exportzweige Norwegens Erdöl und industriell betriebene Lachszucht sind.
Beides ist mir nicht sonderlich sympathisch. <--

Dann solltest du nie nach Norwegen reisen.

--> Wo vor allem bei den früheren Reisen noch viel alte DDR zu sehen war, fand ich sie grau und trist <--

Als ich das erste Mal von Osten in Hannover einfuhr, wollte ich umdrehen, weil die Häuser dort aussahen wie die schlimmste Platte im Osten.

--> Ich halte sie für eine sehr gute Bundeskanzlerin: ruhig, besonnen, auf Vermittlung bedacht und mit feinem Humor. <--

Ich schätze, daß sie vor Jahren den sich anbahnenden Konflikt mit Russland durch persönliche Gespräche mir Putin entschärft hat.

Es war die Zeit, als auch der Spiegel Putin als neuen Hitler bezeichnet hat. Damals hatte ich Angst, daß Deutschland wieder in Russland einmarschiert.

Plötzlich war dann Ruhe. Die Medien haben sich wieder anderen Feinden zugewandt.

--> Übrigens hat sie etwas geleistet, was nur wenigen Menschen an der Macht gelingt: sie ist freiwillig abgetreten. <--

Noch ist Frau Merkel Bundeskanzler. Vielleicht greift sie noch einmal (wie in Thüringen?) in die Wahl ein.

Aber wer auch neuer Bundeskanzler sein wird: besser als Merkel wird der keinesfalls.

Vermutlich sind wir in diesem Punkt einer Meinung, oder?

 Graeculus meinte dazu am 11.11.21:
Geschichte zu unterrichten ist nicht schlecht - es gibt Schlimmeres im Leben.

Ja, ich habe nicht vor, nach Norwegen zu reisen, zumal ich eher der Kultur- als der Naturtyp bin.
Das Land Knut Hamsuns, das ich immerhin als Literatur zu schätzen weiß, gibt es sicherlich nicht mehr.

Was Du da in Hannover gesehen hast, muß eine üble Seite der Stadt gewesen sein. Für mich war immer, wenn ich aus Ostberlin oder (zweimal) aus der UdSSR wieder nach Westberlin kam, der erste Eindruck: bunt, vielfältig, wie ein freies Aufatmen.

Ja, bei der Bewertung von Angela Merkel sind wir uns wohl einig. Insbesondere gehört sie zu den Menschen, denen ich ohne Schmerzen zuhören kann.

 Verlo meinte dazu am 13.11.21:
@ Graeculus:

--> Ja, ich habe nicht vor, nach Norwegen zu reisen, zumal ich eher der Kultur- als der Naturtyp bin. <--

Ich habe Jahrzehnte in Berlin/Bandenburg gelebt. Unzählige Museen, Kirchen, Kultur. Aber irgendwann war der Reiz erlöschen.

In Stavanger konnte ich von zu Hause den Fjord sehen, habe jeden Tag (zehn Jahre lang) mindestens einen Spaziergang am Fjord gemacht und war immer fasziniert.

Im alten und schönen Dom von Stavanger war ich vielleicht zwanzigmal.

Ich kann nur vermuten: vielleicht ist der Fjord das Ursprüngliche, der Dom die Kopie?

--> Das Land Knut Hamsuns, das ich immerhin als Literatur zu schätzen weiß, gibt es sicherlich nicht mehr. <--

Ich habe das Gut, auf dem Hamsun Jahrzehnte gelebt hat, besucht. Habe in seine Schreib-Hütte hineingesehen.

http://www.andreasthieme.net/norwegen_hamsun_landsitz.html

Und habe einmal auf der anderen Straßenseite im Wald übernachtet.

Selbstverständlich ist die Zeit auch in Norwegen nicht stehengeblieben. In den großen Städten (ich kenne Oslo, Bergen, Stavanger) merkt man nicht wirklich, daß man in Norwegen ist, wo man alles ruhiger als in Deutschland angeht.

Vermutlich hast du "Segen der Erde" gelesen.

Auf der ersten Seite steht: "... vielleicht ist er ein Philosoph und sucht Frieden ..."

In Utvik habe ich ihn gefunden.

 Graeculus meinte dazu am 13.11.21:
Gelesen habe ich von Knut Hamsun alles, was ich finden konnte: sozusagen einmal durch die Gesamtausgabe.
"Segen der Erde" habe ich sogar schon als junger Mann gelesen, und "Hunger". Von "Hunger" war und bin ich sogar noch mehr beeeindruckt.

Damals habe ich noch gedacht: Was ist denn das für eine Stadt, Christiania?

Du hast das Land, aus dem heraus diese Literatur entstanden ist, kennen- und schätzengelernt ... und sogar deinen Frieden gefunden. Das ist eindrucksvoll, eine bemerkenswerte Aussage!

Was hat Dich denn veranlaßt, Dich für Norwegen zu entscheiden, als Du Dich zum Gang ins Exil entschlossen hattest?

(Ein Professor während meines Studiums, der einen Ruf nach Zürich angenommen hat, sagte zu uns darüber: "Die Schweiz ist immer gut. Wenn man einmal ins Exil gehen muß, ist man schon da." Die Schweiz, das klassische Exilland, zugleich mit viel Natur.)

 Verlo meinte dazu am 13.11.21:
@ Graeculus:

--> Was ist denn das für eine Stadt, Christiania? <--

Oslo hieß von 1624 bis 1924 "Christiania".

--> Was hat Dich denn veranlaßt, Dich für Norwegen zu entscheiden ... <--

Nach der Wende bin ich mit meiner Freundin abwechselnd nach Süden und nach Norden gefahren.

Im Süden sind wir bis Nürnberg, Regensburg, Prag gekommen.

Im Norden sind wird bis Ålseund, Stockholm gekommen.

Bis Göteborg sieht die Natur mehr oder weniger wie Norddeutschland, Dänemark aus. Danach werden die Farben anders.

Man sieht: das ist nicht mehr Dänemark oder Südschweden: hier beginnt etwas anderes.

--> Was hat Dich denn veranlaßt, ... Du Dich zum Gang ins Exil entschlossen hattest? <--

Nachdem ich mich Mitte der 1990er Jahre in die Natur Norwegens verliebt hatte, aber durch immer schlechter werdende finanzielle Verhältnisse befürchten mußte, nie wieder nach Norwegen zu kommen, habe ich mir gesagt: wenn du nicht mehr in den Urlaub nach Norge kommst, versuche doch, dort Arbeit zu finden – dann bist du jeden Tag im Urlaub. So bin ich dann Herbst 2009 nach Stavanger.

--> "Die Schweiz ist immer gut. Wenn man einmal ins Exil gehen muß, ist man schon da." Die Schweiz, das klassische Exilland, zugleich mit viel Natur.) <--

In Stavanger hab ich einen Schweizer getroffen (mit einer Norwegerin verheiratet), der in Norwegen im Exil war.

Ich schwärmte von der tollen Demokratie in der Schweiz, Vorbild für jedes anderes Land. Er und seine Frau erwiderten nichts. Ich schämte mich für meine Dummheit.

 Graeculus meinte dazu am 13.11.21:
Das mit Christiania und Oslo habe auch ich dann bald begriffen.

Im Süden seid Ihr dann, ich muß es sagen, nicht weit gekommen. Da frage ich mich, was aus Deinem Leben geworden wäre, wenn Du die Provence oder gar die Bucht von Sorrent sowie Capri kennengelernt hättest.
Vielleicht hätten sie Dir nicht gelegen, wenn Du nämlich ein 'kühler' Typ bist; für mich war und ist es der Inbegriff der Schönheit - auch deshalb, weil hier Natur und Kultur in einzigartiger Weise verschmolzen sind.

Umgekehrt bin ich nach Norden hin nie über Schleswig-Holstein hinausgekommen ... und kann mich fragen, was aus mir geworden wäre, wenn ich mich beispielsweise in eine Norwegerin verliebt hätte. Hätte ja passieren können.
Die Liebe läßt einen so manchen Weg einschlagen, den man ansonsten gemieden hätte.

Nun sind wir alte Leute und werden uns aller Voraussicht nach nicht mehr grundlegend ändern.

Daß die Schweizer das mit der Exilwürdigkeit ihres Landes anders sehen, habe auch ich schonmal gehört.
Ich selber habe die Schweiz beinahe ausschließlich nachts erlebt; wenn man nämlich morgens im Rheinland losfährt, um nach Italien zu kommen, dann kommt man halt nachts durch die Schweiz. Also: Schweiz = finster.
Beinahe ... denn zweimal sind wir nach Basel zu einem Theaterbesuch gefahren. Da hatte ich dann den Eindruck, daß das Leben in der Schweiz für meine bescheidenen Möglichkeiten ungeeignet ist. Schweiz = teuer.

In Norwegen soll letzteres ja zumindest für den Alkohol gelten. Da sei dann mein geliebter Rotwein vor.

 Verlo meinte dazu am 13.11.21:
Frankreich, Italien, Griechenland ... leider vertrage ich Hitze nicht gut, immer schon. Außerdem mag ich keine großen Temperaturunterschiede.

Stavanger war mir im Sommer noch zu warm. Utvik liegt nördlicher, und hinterm Haus ist der größte Festland-Gletscher Europas. Gleichzeitig ist es durch den Fjord im Winter nicht so kalt.

Im Dorfladen gibt es nur Bier. Für Schnaps und Wein müßte ich ins Vinmonopol fahren: 40 km nach Stryn oder 30 km nach Sandane. Oder sehen, wo ich von einem Bauern was bekomme.

Rotwein: mindestens 20 Euro pro Liter.

 Graeculus meinte dazu am 14.11.21:
Offenbar hast Du im hohen Norden genau das Richtige gefunden. Hitze-Unverträglichkeit ist ein unüberwindbares Hindernis für einen Aufenthalt im Süden.
Außerdem habe ich weiterhin den Eindruck, daß Dir Natur mehr bedeutet als Kultur ... was völlig legitim ist, jedoch für mich nicht gilt.

Möchte wissen, was ein antiker Grieche oder Römer über Gletscher gesagt hätte. Schon Germanien galt ihnen als kalt und unwirtlich. Was Tacitus über Bier im Vergleich zu Wein gesagt hat, gilt als klassisch.

Für eine Flasche Rotwein 30-40 km fahren (ohne Auto!) und dann > 20 Euro dafür bezahlen ...
Du hast ein Auto?

 Graeculus meinte dazu am 14.11.21:
Interessantes Gespräch übrigens. In dieser Form hier ungewöhnlich, aber es macht Spaß.

 Verlo meinte dazu am 14.11.21:
Ich habe kein eigenes Auto.

Aber vor meiner Haustür ist eine Bushaltestelle. In 50 Minuten bin ich in Stryn. Könnte Wein kaufen und mit dem nächsten Bus zurückfahren.

Die Fahr mit dem Bus kostet 2x 116 NOK. Also nur wegen eine Flasche Wein sollte man nicht fahren.

Da aber die Strecke an Fjord entlang führt, ist der Höhenunterschied nicht groß und man kann mit dem Rad fahren.

Auf der anderen Seite (nach Sandane) muß man über einen 600 Meter hohen Paß. Ich bin da schon mit dem Rad hoch, aber war nicht viel schneller als Schnittgeschwindigkeit. Zurück muß man ja auch wieder.

Wie man es auch anstellt (die 40 km nach Stryn mit dem Auto sind ja keine deutschen 40 km: nicht selten muß ein PKW warten, wenn einer entgegen kommt): man wird sich die Frage stellen, ob einem Wein wirklich wichtig ist.

Ich bin ja nicht ohne Kultur. Da sind einige Bücher, in die ich jeder Zeit hineinsehen kann (teilweise originale von 1852 oder Faksimile von 1500). Selbstverständlich erinnere ich die Kirchen, Museen usw. Außerdem kann ich sie jederzeit virtuell besuchen.

Denke ich allerdings an meine Lieblingskirche in Potsdam (im italienischen Stil), erinnere ich keine Gefühle. Und müßte ich mich entscheiden zwischen dieser Kirche und einen Lieblingsplatz in den Bergen, würde ich mich für den Berg entscheiden. Weil er ist das Ursprüngliche, von dem sich alles ableitet.

Auf dem Berg bin ich mir und auch Gott näher als in der eindrucksvollsten Kirche.

Antwort geändert am 14.11.2021 um 14:31 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 14.11.21:
Gut, das gibt mir eine Vorstellung von den Umständen, unter denen Du lebst.
Nicht völlig anders als ich im Schwarzwald. Nur daß wir im Dorf einen Laden mit Weinangebot haben. Der Ort liegt auf 700 Meter Höhe, und wenn man sich ringsum mit dem Fahrrad bewegt, dann ist das ... anspruchsvoll.

Daß Du völlig ohne Kultur lebst, war auch nicht mein Eindruck, sondern daß der Akzent ein anderer ist.
Warum ich trotz meiner Neigungen in einem Dorf gelandet bin, ist eine andere Frage.

Eine Gottesnähe habe ich weder in den Bergen noch in Kirchen jemals verspürt.
Ein Berg ... nun, eine gute Aussicht. Es fehlt mir dort der Geist, und den kann ich auch nicht auf den Berg als das Ursprüngliche zurückführen.

Die Villa Iovis auf einer hohen Klippe in Capri vereint beides: Natur und Menschengeist bzw. durch Geist geformte Natur.

Natürlich kann man auch eine norwegische Aquakultur so nennen - was zeigt, daß der Geist auch Blödsinn hervorbringen kann.

 Verlo meinte dazu am 14.11.21:
Geht es nicht immer um den Zugang zu sich selbst, wenn man Frieden finden will?

Du bist in einem Dorf (im Schwarzwald?) gelandet und träumst von der Villa Jovis. Das hört sich nicht nach einem erfüllten Leben an.

--> Ein Berg ... nun, eine gute Aussicht. Es fehlt mir dort der Geist, und den kann ich auch nicht auf den Berg als das Ursprüngliche zurückführen. <--

Hier würde ich ansetzen. Dann wirst du auch Gottes Nähe fühlen.

Daß ich nicht den Gott der Kirche meine, sollte klar sein nach meinen Äußerungen in KeinVerlag. Sondern das göttliche in jedem, das Ursprüngliche.

Es ist im Grunde ja nicht ein bestimmter Berg, der seinen Besucher das Göttliche spüren läßt, sondern ... die Nähe zu sich selbst, ohne Umwege.

 Graeculus meinte dazu am 14.11.21:
Ich meinte durchaus nicht die Kirche, sondern Gott (wer immer das sein mag), von mir aus auch das Göttliche in jedem. Ich spüre nichts davon, nirgends.
Allerdings ist meine Fähigkeit, mir etwas einzubilden, auch nicht sehr stark ausgebildet.

Capri und die Villa Jovis sind eine wunderbare Erinnerung. Ein Traum? Nun, ich werde wohl nicht mehr dorthinkommen.

Erfüllt ist mein Leben schon, d.h. ich weiß mit meiner Zeit Sinnvolles anzufangen. Einen inneren Frieden habe ich in meinem Leben weder gefunden noch gesucht; Friede im Sinne von Zur-Ruhe-Kommen hat keinen hohen Wert für mich. Leben, Lebendigsein, das ist für mich Auseinandersetzung, Offenheit, vielleicht sogar Kampf.

Ich glaube, Du bist etwas älter als ich. Möglicherweise stellt sich für mich die Ruhe noch ein, was dann ein Symptom von Müdigkeit wäre. "Einmal muß es Abend werden."

 Verlo meinte dazu am 14.11.21:
KeinVerlag schreibt, du bist 1949 geboren. Falls das stimmt, bist du zehn Jahre älter als ich.

--> Ich meinte durchaus nicht die Kirche, sondern Gott (wer immer das sein mag), von mir aus auch das Göttliche in jedem. Ich spüre nichts davon, nirgends. <--

Dann bist du vermutlich ein zu rationaler Mensch. Vielleicht unterdrückst du deine Gefühle, um dich zu schützen.

--> Allerdings ist meine Fähigkeit, mir etwas einzubilden, auch nicht sehr stark ausgebildet. <--

Man fühlt das Göttliche. Oder nicht.

 Graeculus meinte dazu am 14.11.21:
Dann bist du vermutlich ein zu rationaler Mensch. Vielleicht unterdrückst du deine Gefühle, um dich zu schützen.
Von diesem Argument bzw. dieser Unterstellung halte ich nichts. Das ist nämlich beliebig umkehrbar: Vielleicht unterdrückst Du Deine Zweifel oder sogar Dein besseres Wissen, um nicht den Glauben an Gott aufgeben und dann "ein Narr auf eigene Faust" sein zu müssen.
Man fühlt das Göttliche. Oder nicht.
Mag schon sein, sagt aber nichts über die Qualität dieses Gefühls.

Daß ich hier rational rüberkomme, hängt mit der Art zusammen, in der wir uns begegnen: nämlich in einer Diskussion und nicht in einer Liebesbeziehung.

 Verlo meinte dazu am 14.11.21:
... Gefühle nur in einer Liebesbeziehung?

Dann verstehst du nicht, was ich mit dem Göttlichen meine.

Dann wirst du wohl auch kein Frieden mehr finden.

 Graeculus meinte dazu am 14.11.21:
Von nur in einer Liebesbeziehung habe ich nichts gesagt; ich habe lediglich zwei Beispiele einander gegenübergestellt.

Mit dem Gott Abrahams und Isaaks verbinde ich in der Tat keinerlei Gefühle, mit manchen Göttern der antiken Religion durchaus. Ich kann nicht die "Bakchen" des Euripides sehen und dabei keine Gefühle haben.

Vielleicht finde ich den Frieden im Tod. Ein starkes Bedürfnis habe ich danach, wie gesagt, nicht. Leben ist nicht Frieden.

Warum suchst Du Frieden, warum ist Dir der so wichtig? Es klingt müde, jedenfalls für mich.

 Verlo meinte dazu am 14.11.21:
Habe ich es nicht verdient, daß ich nach 60 Jahren Frieden gefunden habe, nicht mehr mein größter Feind bin?

 Graeculus meinte dazu am 15.11.21:
Klingt für mich immer noch nach Müdigkeit. Aber sich selbst ein Feind zu sein, ist auch besonders anstrengend.

Hassenswert zu sein, hat mir noch niemand erfolgreich eingeredet.
Habe ich deshalb immer schon Frieden mit mir gehalten?
Das wäre nun vielleicht doch übertrieben.

 Graeculus meinte dazu am 15.11.21:
Darf ich vor diesem Hintergrund auch Deinen speziellen Begriff von Gott verstehen? Die Vorstellung von Gott trägt ja in aller Regel die Züge dessen, wonach wir bedürftig sind.

 Verlo meinte dazu am 15.11.21:
--> Klingt für mich immer noch nach Müdigkeit. Aber sich selbst ein Feind zu sein, ist auch besonders anstrengend. <--

So bin ich selbstverständlich nicht auf die Welt gekommen.

Etwas mehr Text schreibe ich in einer PN, weil es mit dem Thema "Mit der Wende kam das Ende - Hat die BRD die DDR verschrottet?" nicht zu tun hat.

 Verlo meinte dazu am 15.11.21:
--> Darf ich vor diesem Hintergrund auch Deinen speziellen Begriff von Gott verstehen? <--

Du darfst verstehen, wie es angenehm für dich ist.

 Graeculus meinte dazu am 15.11.21:
Ob etwas mir angnehm ist, ist kein Kriterium für mich, sondern ob sich die Puzzleteile zu einem Bild zusammenfügen.

Das Weitere paßt wirklich nicht mehr hier in die Öffentlichkeit.

 Verlo meinte dazu am 15.11.21:
Ich präzisiere:

--> Darf ich vor diesem Hintergrund auch Deinen speziellen Begriff von Gott verstehen? <--

Du darfst so verstehen, daß sich die Puzzleteile zu einem Bild zusammenfügen.

 Graeculus meinte dazu am 15.11.21:
So macht man sich - oft mühsam - ein Bild, mit dem man dann leben kann.
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