Wenn aus Dorf Großstadt wird

Beschreibung zum Thema Nähe

von  eiskimo

Die alten Schommers, Martha und Ralf, sie sind nicht mehr unsere Nachbarn

Seit sechs Monaten leben sie im Heim. Es musste sein, beide sind weit über 80.

Die neuen Mieter dagegen blutjung. Ein Pärchen, beide berufstätig, zwei Kinder.

Was anders geworden ist? Jetzt parken da vorm Haus meist zwei große Autos.

Schommers hatten nur eins, und das brachten sie abends immer in die Garage.

Der Garten wird ganz anders genutzt – er ist inzwischen Grill- und Spielplatz,

zudem Sonnenbank, Spaßbad, Kinderparadies und Rumpelkammer für alles.

Vorbei das alte Blumenidyll zwischen den eigenen Gewürz- und Salatbeeten,
denn die junge Frau ist Freelancerin, ein TV-Job, immer busy, immer auf Achse

Wo aus der Schommers-Küche fast täglich leckere Brat- oder Backdüfte kamen,

sehen wir jetzt regelmäßig den Rewe-Lieferservice und diverse  Pizza-Taxis.

Klar, dass wir auch nichts Selbstgebackenes mehr vorbei gebracht kriegen.

Zwischen Tagesmutter, Kindergarten und Berufspendelei ist da  kein Platz für.

Vorbei  Kuchen und Kekse, die alle Bäckereien des Viertels weit übertrafen.

Vorbei, die Utensilien für den Notfall, die bei Ralf stets auszuleihen waren.

Der junge Mann jetzt, der kann nur Supervision, Coaching, Teambildung und,

wie er sofort entschuldigend kund tat, nicht einmal einen Nagel einschlagen.

Martha war fit wenn es ums Nähen ging, um das Aufpäppeln eines kranken Igels,

den fehlenden Puderzucker, und selbst die defekte Klospülung bekam sie hin.

 Tja, die alten Schommers waren einfach da und immer ansprechbar für alle.

Sie waren es. Wir sind hier nun einsam in dieser neumodischen Unabhängigkeit,

auch verwundbarer, weil im Notfall ja nebenan gar keiner zu Hause ist.

Kurz: Was sich früher noch anfühlte wie das simple Großfamilien-Leben im Dorf

ist jetzt Großstadt geworden: Modern, unverbindlich-nett, aber beziehungslos.



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Kommentare zu diesem Text


 Regina (27.12.21, 07:14)
Es kann allerdings auch umgekehrt kommen, dass Alte unangenehmer und problematischer sind als junge Leute.

 eiskimo meinte dazu am 27.12.21 um 08:30:
Ja, schau nur mich an. Ich habe Ansprüche, Erwartungen, Regeln.....

 Regina antwortete darauf am 27.12.21 um 12:35:
….und rauchst wie ein Schlot, brauchst Friedhofsruhe statt Kindergequengel, verpestest die nachbarliche Luft mit häufigem Grillen, verbreitest eine griesgrämige Stimmung, und ein Postpäckchen für die Nachbarn anzunehmen gerät dir zur größeren Affäre. Nur dein Hund darf alles, auch auf nachbarlichem Gelände. Muss ich mir das so vorstellen?
Und die unterschiedlichen Verhaltensweisen, sind die wirklich an Land oder Stadt gebunden?

 eiskimo schrieb daraufhin am 27.12.21 um 13:06:
Du musst Dir das viel, viel schlimmer vorstellen.  Kennst Du Ekel Alfred?
Zu Stadt und Land: Man kann auch mitten in der Großstadt dörfliches Miteienander hinkriegen, klar Ich hab es nur gerade verloren, darum dieser Nachruf...

 AZU20 (27.12.21, 12:18)
Wir hstten schreckliche ältere Nachbarn. Das jungen Paar jetzt mit zwei Kindern ist sehr angenehm, auch wenn manches auch hier so abläuft wie Du beschrieben hast. LG

 eiskimo äußerte darauf am 27.12.21 um 13:09:
Die Kinder haben sicher so ein Trampolin mit Fischfangnetzen drum herum und hüpfen was das Zeug hält.....
Aber verbiesterte Alte sind viel schlimmer, d´accord!
LG

 Graeculus (27.12.21, 18:18)
Wir hatten eine Zeit lang einen Drogenhändler nebenan wohnen; da hat die Polizei auch schonmal bei uns geklingelt.
Jetzt ist er weg. Aber das Dorf ist Dorf geblieben.
Zumindest in dieser Hinsicht haben sich die Unterschied zwischen Stadt und Dorf wohl nivelliert.

 niemand (27.12.21, 19:06)
Die Gesellschaft ist voller Klischees bezüglich der Mitmenschen. Entweder sind die Alten dement, blöd, unverträglich, oder die Jungen immer toll, sozial, was weiß ich noch.
Es gibt asoziale Kreaturen allerseits. Und ob jung, oder alt, das Verhalten, die Mentalität macht
das Zusammenleben  nicht selten unerträglich. Ein blöder alter Sack/eine Schachtel, sind genauso unmöglich wie ein junger Sack/ein junge Tussi. Kinder können übrigens auch fies sei,
richtige Monster, wie Oma und Opa auch. Und beide machen nicht selten Lärm, nur das Klischee dass Kinderlärm keiner ist, das ist eine Indoktrination, die mir zum Halse heraushängt inzwischen. Wenn sie alle zusammen nehmen, könnte das Dasein viel leichter sein. Aber zuvor
müssten die Klischees aufgehoben werden. Doch wer einmal einen Bock reitet, der reitet einen solchen nicht selten zu Tode. LG niemand

 eiskimo ergänzte dazu am 27.12.21 um 19:39:
Gott sei Dank ist der Kontrast  zwischen den Generationen nicht überall und immer so holzschnittartig wie ich ihn dargestellt habe. Man muss differenzieren, um allen gerecht zu werden.
Trotzdem bleiben unterschiedliche Lebenserfahrungen und Sozialisationen.
Ein Ralf Schommers wäre zur S-Bahnstation nie mit einem E-Scooter gefahren, er wäre zu Fuß gegangen; und Martha Schommers hätte immer die Zeit gefunden, bei Rewe selber ihre Einkäufe zu tätigen - und natürlich hätte sie bar bezahlt und nicht mit Karte.
Schommers hätten auch nie drei Tage gebraucht, um ihre Mülltonne von der Straße zu holen....
LG
Eiskimo

 Judas (27.12.21, 19:09)
Immer diese scheiß Jugend überall, echt ey. Wünschte, alle Menschen wären schon 50+ bei Geburt.

 eiskimo meinte dazu am 27.12.21 um 19:22:
Das mit der Scheiß Jugend hast Du gesagt... Ich habe nur gemerkt: Wirklich guten Kuchen backen, einen Fahrradschlauch flicken, Garttenbau betreiben - das können eher die Alten. Und ich füge hinzu: Den ganzen neumodischen Kram können natürlich viel besser die Jungen. 
Hätte ich das Nachbarhaus zu besetzen, wünschte ich mr trotzdem die Schommers.

 Judas meinte dazu am 27.12.21 um 19:50:
Naja dafür können dir diese Nachbarn vielleicht helfen, wenn dein W-Lan mal wieder nicht geht ;)
Davon abgesehen stimmt das nicht. Ich bin 33 und backe verdammt guten Kochen, zum Beispiel. Davon geb ich dir nur nichts ab! So, ätsch.

 minze meinte dazu am 27.12.21 um 20:50:
Vielleicht hätte ja der Protagonist Zeit, einen Kuchen zu backen, da er aus der passenden Generation ist. 
Eine Mülltonne stehen lassen und laute Kinder haben, Pizza liefern lassen, Tagesmutter und f*** berufstätige Mutterschaft!!!!!!! - ich identifiziere mich leicht mit diesen Nachbarn, die von den alten Nachbarn mies beäugt werden, trotz entschuldigender Worte. Die sich stets in die gute alte Zeit mit den andern alten Nachbarn sehnen.
Wäre einfach gut, aufeinander zuzugehen, zu sehen, was die andern so ausmacht, ohne die eigenen Lebensvorstellungen und Werte "neuen" Mitmenschen aufzusetzen oder sie anhand derer sofort enttäuscht zu "entwerten".

Ganz starrer Text. Die Folie der früheren Nachbarn auf neue...die Erkenntnis "die Sara ist aber gar nicht die Marlene" ...
Finde ich sehr dünn.

 eiskimo meinte dazu am 27.12.21 um 22:58:
Sorry, Minze, dass ich Dich mit diesem starren Text so verärgert habe. 
Du sagst, der Alteingesessene sei es, der die neuen Mitmenschen "entwerte". Ich glaube, der will nur ausdrücken, dass er einiges vermisst., Elemente, die eine Nachbarschaft reicher machen könnten. Natürlich misst er das mit seiner Elle - die jungen Leute haben ganz andere Prioritäten, andere Zwänge und vielleicht empfinden sie da gar keinen Verlust.

 minze meinte dazu am 27.12.21 um 23:01:
Ich würde einen Verlust nicht gleichstellen mit der Entwertung neuer Mitmenschen. Dass die alten Nachbarn so geschätzt sind, das kann ein Wert für sich sein. Ohne, dass die neuen als so unwertvoll betrachtet werden.

Das macht es umso mehr zu eine Sackgasse.

Antwort geändert am 27.12.2021 um 23:39 Uhr

 eiskimo meinte dazu am 28.12.21 um 00:07:
Ich versuche es mit einem Beispiel:  in deiner Volleyballmannschaft scheidet eine langgediente Spielerin aus Altersgründen aus. Die Frau war äußerst beliebt, weil sie sich total eingebracht hat und immer da war für die anderen Spielerinnen. Sie hatte auch technisch enorme Qualitäten und holte Bälle, die andere nie erreichten.
Die junge Spielerin, die jetzt ihre Position ausfüllen soll, ist nicht so Volleyball-versessen , lässt es lockerer angehen und hat auch von ihren spielerischen Fertigkeiten nicht so viel drauf wie die Vorgängerin.
So: ist das jetzt ein Verlust für das Team?  Ja!  Darf ich auch sagen, dass die neue Spielerin  für das Team weniger wertvoll ist?  Ja!    Könnte es sein, dass einige weniger Spaß am Spiel haben …?
Mehr wollte ich nicht sagen.

 minze meinte dazu am 28.12.21 um 14:26:
Ja habe schon verstanden. Die gleichen Maßstäbe ansetzen, für die „neue“ Person, die eine alte ersetzen soll. Und die deswegen verliert, weil sie die andere nicht ersetzen kann.

Welche Qualitäten man aber nicht sieht bei der neuen Person, weil man die Qualitäten der alten vergeblich sucht und vermisst, - - bleibt mir in deinem Text wie auch in deinem Beispiel mit den Volleyballern verloren – genau das wird es auch bleiben in der Perspektive, um die es dir geht.
(anders gesagt wird der neuen Spielerin nicht gerecht, wenn man sie mit jemand anderen vergleicht. Besser würde man ihr gerecht, wenn mit ihr eine neue Mannschaftsaufstellung gestaltet, die ihren Qualitäten gerecht wrid.)


Ich verstehe den Mechanismus im Sinne von: er ist sehr bekannt – ich verstehe ihn nicht im Sinne von – ich fühle mit.

In diesem Mechanismus ist der Hadernde in einer Vorwurfshaltung gegenüber jemanden, der die Erwartungen, die auf ihn übertragen worden sind durch eine positive Beziehung mit jemand anderen – eine neue Beziehung die auf so einem Vorwurf aufbaut, ist per se schwierig.. die Sehnsucht nach jemanden „der immer für einen da ist“ oder so…. verbaut man sich selbst.
Das macht es so eindimensional für mich, was du beschreibst. Weil in der Perspektive dann alles so klischeehaft schlecht erscheint, was einen anderen/neuen Lebensstil ausmacht.
 
(im Übrigen habe ich mich auf dein Beispiel eingelassen, um die ähnlichen Perspektiven zu besprechen, aber was unter Anderem hakt ist, dass in einer Mannschaft eine Verpflichtung anzunehmen ist aller Spieler, einen sportlichen Ehrgeiz, Teamgeist, ..Fähigkeiten mitzubringen. In einer Nachbarschaft sind Erwartungen an ein So-Sein und wenn diese enttäuscht werden eine Ablehnung zu empfinden…ähhhmmm ein Thema für sich. Ein Thema, was mich auch schon sehr in Texten beschäftigt hat – also ein sehr lohnenswertes Thema, um mal mit etwas Positivem zu schließen)

 eiskimo meinte dazu am 28.12.21 um 19:23:
Ich glaube, wir messen immer an etwas Bekanntem. Es sei denn, man begibt sich in eine gänzlich neue Situation, ohne Vorerfahrungen.
Der Protagonist hier aber hatte ja schon einmal Nachbarn, und das Gewesene  kann er nicht einfach auslöschen. Er wird auch immer von seiner Warte ausgehen - bringen ihm die neuen Nachbarn Vor- oder Nachteile?
Natürlich sollte er bei seiner Einschätzung fair sein und ihnen Gelegenheit geben, sich in ihrer neuen Rolle zu entwickeln. Im Text waren es sechs Monate, da hätte viel Positives entstehn können

 minze meinte dazu am 29.12.21 um 15:23:
Er sollte auch sich eine Chance geben. Vll haben ihm 6 Monate nicht gereicht ;)
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