Feng-Shui für Dichter

Text zum Thema Schreiben

von  IngeWrobel


 

Ich träume von Zeit. Von genügend Zeit, um endlich einen Roman zu schreiben. Nein, „einen“ ist falsch, eher „den“ oder „meinen“ Roman, denn „einen“ klingt so, als hätte ich bereits mehrere Romane geschrieben – oder als hätte ich noch keinen geschrieben, aber es wäre nicht so wichtig, wie es nun mal für mich ist, nämlich sehr wichtig!
Welcher Dichter träumt nicht von dem großen eigenen Prosawerk, welches ihm nicht nur ein bisher ungekanntes Gefühl der Befriedigung verschaffen, sondern auch die Literaturkritiker schlichtweg vom Hocker hauen wird?

Wie wichtig mir dieser Roman ist, kann man auch daran erkennen, dass ich mir im Vorfeld genügend Zeit genommen habe, um die Schriftart zu wählen, in der ich auf meiner Tastatur meinen Roman schreiben möchte. Die Frage danach, in welcher Schriftart dieser Roman einmal gedruckt wird, wenn er gedruckt wird, ist völlig unerheblich für meine Wahl. Jetzt nämlich muss es eine Schriftart sein, die mir gefällig vom Bildschirm ins Auge springt und mich auf ästhetische Art zum Weiterschreiben animiert. Sie darf nicht so extravagant sein, dass sie mich ablenkt oder meine Gedanken in eine andere, als die vom Konzept her vorgesehene, Richtung lenkt.

Leicht habe ich es mir nicht gemacht: Ich habe verschiedene Schriftarten ausprobiert und in Ruhe auf mich wirken lassen. Ja, auch dafür braucht es nämlich Zeit, wenn man einen Roman schreiben will: Das Drumherum muss stimmen. Eine gewisse Vertrautheit im Arbeitsbereich, Feng-Shui für Dichter sozusagen, das finde ich schon wichtig.
Also wählte ich Arial. Arial ist unspektakulär, solide. Nicht meine Lieblingsschriftart, aber eine zuverlässige und lang vertraute. Nicht wirklich schön und modern, aber allemal viel schöner als die schreckliche Courier New und moderner als die noch schrecklichere Times New Roman.
Meine Lieblingsschriftarten Century Gothic und Comic Sans MS kommen für einen Roman nicht infrage. Zuviel Schönheit oder Originellität lenken ab und kosten somit Zeit.

Und das ist genau das anfangs angesprochene Problem: die Zeit. Hätte ich mehr Zeit, gäbe es diesen Roman bereits.

Was habe ich nun stattdessen gemacht in all den Jahren, die ich nicht am Roman geschrieben habe? Richtig: das, was alle schreibambitionierten Grundschullehrer machen, ich schrieb Gedichte. Man könnte hier ein leises Bedauern zwischen den Zeilen herauslesen – was aber in Wahrheit nicht vorhanden ist. Ganz im Gegenteil; hat man doch als Lyriker viele Vorteile gegenüber einem Romanschreiber. Lyrik liefert ein perfektes Alibi.

Ob es die Frau ist, die mir eine unangemessene Arbeit im Haushalt aufdrängen will, oder ob die Kinder mich mit Fragen bedrängen, die ich nicht gerne beantworten möchte ... als Gedichteschreiber darf ich nicht aus einer wichtigen, weil hoch motivierten und gerade musisch inspirierten Schaffensphase herausgerissen werden. Wenn ich später ein eilig hingeworfenes gereimtes Textlein vorweisen kann, ist in Sachen Haus- und Familienfrieden alles in bester Ordnung. Wirklich tiefgehende philosophische Betrachtungen zählen in dieser Art Wettbewerb nicht – ganz besonders auch deswegen, weil sie für ein schlichtes Ohr schwer zugänglich sind. Und sich selten reimen.

Ein Romanschreiber hat diese Vorteile nicht, wenn man ihn von seinem Werk ablenkt oder ihn bittet, das Schreiben für die Erledigung von in seinen Augen niedrigeren oder sogar erniedrigenden Arbeiten, wie zum Beispiel das Füllen und Heraustragen des Mülleimers oder das Staubsaugen des Wohnzimmerteppichs, zu unterbrechen. Seine Worte: „Ich ringe gerade um eine richtige Formulierung, um dieses Kapitel abschließen zu können.“ stoßen auf Unverständnis und werden mit solch schmerzenden Worten wie: „Ach, dieser Roman wird eh nie fertig, so lange, wie du schon daran schreibst!“ beantwortet.

Wer als kreativ schreibender Mensch schon einmal vor einem leeren Blatt saß, welches sich partout nicht mit Buchstaben füllen wollte; wer, die Hände auf der Tastatur, den leeren Bildschirm anstarrte, bis ihn die Augen schmerzten, der kann mich verstehen. Das ist eine deprimierende Situation, die ich oft genug erlitten habe.

Es ist ja nicht nur der Umstand, dass mir nichts einfällt, das wert ist, geschrieben zu werden, sondern da ist auch das aufkommende Schuldgefühl, die Zeit, die kostbare Zeit, ungenutzt verstreichen zu lassen.

 

Im Laufe der Jahre die ich bereits plane, einen Roman zu schreiben, haben sich meine Vorstellungen von diesem als fertiges Werk ständig geändert. Wahrscheinlich ist auch das mit ein Grund, weshalb ich mit dem Schreiben nicht eher begonnen habe: nicht nur die fehlende Zeit, sondern auch die Gewissheit, dass es in meinem Roman um ein bestimmtes Thema geht, über das ich schreiben muss. Ja, muss! – dass ich mir also ganz sicher bin, dass nichts anderes infrage kommt, als dieser Inhalt, der sich mir als allein möglich offenbart hat. Der ultimative Plot, die leidenschaftliche Inangriffnahme, die keine Alternative duldet. Der Druck, der keinen Zweifel aufkommen lässt: So und nicht anders will dieses Buch von mir geschrieben werden!

Tja, und daran, oder besser an dem Nichtvorhandensein dieser, keinen Widergedanken zulassenden, Überzeugung scheiterte bisher die Arbeitsaufnahme.

Am schlimmsten aber sind die Selbstzweifel. Ist es nicht vermessen, mich selbst für einen großartigen Literaten zu halten, obwohl ich doch mein Talent bisher noch nie unter Beweis stellen konnte? In Windeseile suchen meine Erinnerungen nach Begebenheiten in meiner Vita, die meine Befähigung zum Schriftsteller eindeutig belegen. Was bei dieser Suche, die deutlich eine Spur Armseligkeit in sich hat, dann aus der Versenkung geholt wird, könnte genauso gut wieder in derselben verschwinden. Da gibt es keinen Preis, der vorzuweisen wäre.
Zwar hab ich mich an einigen Schreibwettbewerben beteiligt, aber ohne den Erfolg, mich Gewinner des XYZ-Preises nennen zu dürfen.

Ob das Vorhandensein einiger Gedichte in unspektakulären Anthologien unbekannter Verlage überhaupt zählt, ist selbst für mich fraglich.

Bei erfolgreichen Lyrikern ist eine solche Publikation eher verpönt. Eigene Erfahrungen damit werden von ihnen lieber verschwiegen, als „Jugendsünden“ abgetan. Wie gesagt, bei arrivierten Schriftstellern ist das so.

Arriviert“ klingt gut! Ich möchte auch ein arrivierter Schriftsteller sein!

Ich glaube, ich sollte jetzt endlich einmal damit beginnen, meinen Roman zu schreiben...

 

 

 



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Kommentare zu diesem Text


 Quoth (27.11.23, 11:16)
Den ersten Schritt hast Du bereits getan: Du hast Dich von Dir selbst distanziert, indem Du aus dem Ich eines Mannes heraus schreibst, Dir also eine Maske übergezogen hast! Die Distanz zum eigenen Ich ist eine Grundvoraussetzung und auch ein absolut wirksames schöpferisches Werkzeug! Es funktioniert aber auch sehr gut beim Verfassen von Gedichten. Was mir nicht gefällt, ist Deine Verfallenheit an die überholte Auffassung, arriviert sei man als Schriftsteller erst, wenn man gedruckt sei. Nein, das Versenken von Perlen poetischer (lyrischer oder prosaischer) Erfindungskunst in den Abgründen und Kellern und Clouds des Netzes - das ist der wahre Genuss des Literaten! Ich gendere extra nicht, weil Du ja ein Mann sein willst - wie Marina Zwetajewa, für die es eine Beleidigung war, als Dichterin bezeichnet zu werden!  Gruß  Quoth

 IngeWrobel meinte dazu am 27.11.23 um 23:54:
Hallo Quoth, 
schön, dass Du dem Text soviel Aufmerksamkeit geschenkt hast – das freut mich! 
Und im Gegensatz zu der Frau Zwetajewa, die ich noch nicht kenne/gelesen habe, fühlte ich mich geehrt, als Dichterin bezeichnet zu werden. 
Ich betrachte es als Herausforderung, in die unterschiedlichsten Charaktere zu schlüpfen, und versuche das in vielen meiner Texte in Lyrik und Prosa. Oft ist das für Leser oder Zuhörer verwirrend, aber mir selbst bereitet das manchmal ein "diebisches" Vergnügen. Schlimm? 

So gibt es bei mir multiple Persönlichkeiten, aus deren Blickwinkeln ich schreibe, z.B. die blonde Senta (hübsch,  aber mit max. mittlerem IQ) und das clevere Fritzchen, das ich von seiner 1. Klasse schon bis zum Azubi begleitet habe. 
Bei all diesen Texten stehe ich mit einem Augenzwinkern sozusagen daneben. 
Ich danke Dir für die Empfehlung des Textes 
und grüße herzlich 
Inge

 eiskimo (27.11.23, 11:59)
Ein schönes Gedankenspiel, dicht dran, aber mit der nötigen Portion Selbstironie und Abgeklärtheit. Hättest Du den Roman tatsächlich schon geschrieben, wärst Du um einiges ärmer.
LG
Eiskimo

 IngeWrobel antwortete darauf am 28.11.23 um 00:33:
Lieber Eiskimo, 
das Lob in Deinem ersten Satz freut mich. 
Aber 

Hättest Du den Roman tatsächlich schon geschrieben, wärst Du um einiges ärmer. 
hier muss ich passen – verstehe nicht, was Du mir sagen willst. Magst Du erklären? 

Liebe Grüße zurück 
von der Inge

 eiskimo schrieb daraufhin am 28.11.23 um 07:30:
Es ist ein bisschen wie Weihnachten:  Die Vorfreude, die Gedanken an mögliche Gäste, Besuche, Aktivitäten oder zurückliegende Erlebmisse, das ist ein großer Schatz von Möglichkeiten und Hoffnungen - viel mehr als das,was am Ende die Realität ist. Die muss das vorher Geträumt ja notgedrungen klein rechnen....
LG
Eiskimo

 IngeWrobel äußerte darauf am 28.11.23 um 08:03:
... ah! ... jetzt ... ja! 

So weit hat mein Held Manfred gar nicht gedacht. 

Der Spruch "Der Weg ist das Ziel." findet so eine plausible Erklärung. 

Ich danke Dir und grüße Dich herzlich 
Inge
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