Gibt es eine Chance, Seereisen trotz Massentourismus zu genießen?

Ansprache zum Thema Sinn/ Sinnlosigkeit

von  EkkehartMittelberg

Meine Frau und ich habe in ihrem Leben sehr viele Seereisen gemacht und insbesondere die ersten waren ein Genuss. 1964 machten wir unsere Hochzeitsreise von Ancona nach Rhodos auf einem alten griechischen „Seelenverkäufer“ Decksklasse. Das bedeutet, wir schliefen auf dem Deck auf unseren Luftmatratzen, badeten im Mondschein und ließen uns von der aufgehenden Sonne küssen.


Selten haben wir eine erlebnisreichere Reise gemacht und vom Massentourismus war noch nichts zu spüren. Die anfangs unproblematischen Seereisen haben mich in dem Sinne verdorben, dass ich trotz Massentourismus und Umweltschädigung auf diese Art des Reisens nicht verzichten mag. Nach einer Pause von einigen Jahren habe ich mit meiner Frau und meiner 20jährigen Enkelin wieder eine Seereise zu den norwegischen Fjorden unternommen, wohl wissend, dass ich auf einem großen Schiff mit den schlimmsten Folgen des Massentourismus konfrontiert werden würde. Ich wollte erproben, ob man durch geschicktes Manövrieren noch Schlupflöcher fände, um den Massen aus dem Wege zu gehen.


Um das Deprimierende vorwegzunehmen: Wenn man sich zu den Mahlzeiten bewegt, besonders zum Frühstück und Abendessen, sind die Gänge so belebt, dass man sehr aufpassen muss, nicht jemanden anzurempeln oder von einem angestoßen zu werden. Das ist einfach stressig.


Vor noch zwanzig Jahren konnte man fast auf jedem Schiff eine Ruhezone finden, die Bibliothek oder zum Beispiel ein Weinlokal mit dezenter Barmusik. Auf der großen Costa Diadema haben wir weder das eine noch das andere vorgefunden. Scheinbar bevorzugt die große Mehrheit der Reisenden auf allen Ebenen lautes Halligalli. Und doch gab es drei Möglichkeiten, sich wirklich zu entspannen.


Wer eine Balkonkabine bucht und nicht zufällig sehr laute Nachbarn hat, kann in Ruhe den Blick aufs Meer genießen. Das ist uns an mehreren Tage gelungen. Eine weitere Ruhezone war der Speiseraum, in dem ausgezeichnete Mahlzeiten mit zahlreichen Möglichkeiten der Auswahl geboten wurden. Die Tische waren bewusst weit auseinander gezogen, um entspannende Beschaulichkeit zu erreichen. Mit Charme und einiger Rhetorik war es auch möglich, einen Fensterplatz zu erhalten, von dem aus wir auf den Gischtstreifen sahen, den das Schiff hinter sich herzog. Es war in Norwegen sogar möglich, in Bergen und Haugesund mit der Nutzung von Hop on und Hop off idyllische Plätze zu finden.


Ich bin mir dessen bewusst, dass mein illusioniertes Fazit nur solchen Nutzern großer Schiffe gelingen wird, die die unbedingte Bereitschaft mitbringen, letzte Zufluchten der Ruhe zu finden.


Mir scheint aber, dass unser Bestreben die Mehrheit der Reisenden auf großen Schiffen kalt lässt. Offensichtlich findet sie den lauten Trubel mit knuffigen Begegnungen geil und flieht vor der „nervigen“ Stille.

Siehe Foto auf folgender Seite






































Anmerkung von EkkehartMittelberg:

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Kommentare zu diesem Text


 eiskimo (14.08.24, 11:29)
Sehr anschaulich erzählt, lieber Ekki.  Jetzt bin ich vorgewarnt.
Werde weiter cyclotourisme betreiben,  frisch, fröhlich und frei in Frankreich :)

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.08.24 um 20:16:
Merci, Eiskimo, es gibt noch kleinere Schiffe, die Wert auf Beschaulichkeit und Entspannung legen. Aber sie sind vergleichsweise sehr teuer. Es bleibt selbstverständlich die Kritik der immensen Umweltschädigung. Ich denke freilich, dass der Kapitalismus dieses Problem in den Griff bekommen wird, weil er zur Sicherung hoher Gewinne grenzenlos erfindungsreich ist.

 Aron Manfeld (14.08.24, 11:48)
Mit Verlaub, werter Ekkehart - ich würde mir in Deinem Alter diesen Erlebnisstress nicht mehr antun, sondern froh sein, mit meiner Frau gesund durch den Wald gehen zu können ...

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 14.08.24 um 20:25:
Aron, wahrscheinlich habe ich mein hohes Alter auch deshalb erreicht, weil ich mich immer einem gesunden Erlebnisstress ausgesetzt habe. Mit dem Wald habe ich freilich auch experimentiert. Dort habe ich die Stille entdeckt und die Kraft, die man aus ihr schöpfen kann.

 Saira (14.08.24, 12:31)
Lieber Ekki,
 
ich persönlich könnte diesem Massentourismus auf einem Kreuzfahrtschiff nicht viel abgewinnen. Zum einen würde ich so eine Reise, wegen der, wie von dir schon angesprochenen Folgen für die Umwelt nicht erproben wollen und zum anderen eben wegen zu vielen Menschen auf engem Raum.
 
Zu sehr sehne ich mich im Urlaub nach Ruhe und Erholung.
 
Die von dir allerdings im Jahr 1964 beschriebene See- und Hochzeitsreise bringt mich zum Träumen.
 
Natürlich muss jeder für sich entscheiden, wonach ihm der Sinn im Urlaub steht, aber in Anbetracht unserer Umwelt sollte vielleicht ein Umdenken stattfinden.
 
Deine Gedanken hast du sehr bildreich erzählt.
 
Liebe Grüße
Sigi

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 14.08.24 um 21:30:
Liebe Sigi,
ich verstehe deine Bedenken total, zumal ich ja auch andere Formen des Reisens probiere, die Ruhe und Entspannung gewährleisten. Aber ich denke, dass das riesige Kapital, das in die Kreuzfahrten investiert wird, die von dir erwähnten Probleme lösen wird.
1. Es gibt zu viele Liebhaber beschaulicher Kreuzfahrten, auf deren Kapital man nicht verzichten wird. Also wird man wieder auch kleinere Schiffe bauen, die zu erschwinglichen Preisen fahren. 2. Das Umweltproblem ist den Kreuzfahrt- Gesellschaften sehr bewusst. Costa informiert zum Beispiel selbst darüber, dass ihre Schiffe in Kürze die norwegischen Fjorde nicht mehr befahren dürfen, dass man aber fieberhaft daran arbeite, den Umweltauflagen gerecht zu werden. Wenn sie das nicht schaffen würden, wäre der Verlust enorm. Das Kapital wird auch dieses Problem lösen, nicht aus moralischen Erwägungen, sondern weil der Verlust bei Misserfolg zu groß wäre.

Liebe Grüße
Ekki
Agnetia (66)
(14.08.24, 13:47)
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 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 14.08.24 um 21:58:
Merci, Agnete, du hast recht. Das Publikum auf den großen Kreuzfahrtschiffen hat sich sehr verändert. Zwar ist es immer noch heterogen. Bei den Hop on und Hop off-Fahrten werden zum Beispiel immer noch anspruchsvolle Museen besucht, aber die Zahl derer, die lärmende Events suchen, wird immer größer. Das bedeutet tatsächlich, dass für unsere Generation der Lack ab ist. Aber man sollte den raschen Wandel auf Kreuffahrt-Schiffen nicht unterschätzen.
Ich habe zum Beispiel mal auf einem Aida-Schiff mehrere Krawattenträger erlebt. Als ich eine Gruppe von Offizieren danach befragte, sagten sie, dass es sie immer wieder überrasche, wie schnell sich modische Trends auf Schiffen ändern.
LG
Ekki

Antwort geändert am 14.08.2024 um 21:59 Uhr

 plotzn (14.08.24, 14:48)
Lieber Ekki,

es erschließt ich mir nicht ganz, warum man als Ruhesuchender ausgerechnet ein Kreuzfahrtschiff bucht und nicht einen ruhigen Ort irgendwo, wo es schön ist.

Klar, ich sehe den Vorteil, dass einem die Schiffsreise viele interessante Orte in relativ kurzer Zeit ermöglicht, aber ist das den Trubel wert?

Liebe Grüße
Stefan

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 15.08.24 um 17:20:
Lieber Stefan,
der Entschluss für diese Reise ist logisch anders verlaufen, als du es annimmst. Richtig ist, dass ich die Stille liebe und ich habe im Schwarzwald Plätze gefunden und darüber hier auch berichtet, wo meiner Frau und mir mir auf einer Stunde Waldweg kein Mensch begegnet ist. Aber zu meinen ersten Reisen zählten auch Seereisen und die bringen Naturschauspiele, die keine andere Reise ersetzen kann. Die Sehnsucht danach war nach einer langen durch Corona bedingten Pause einfach zu groß. Für die berühmten norwegischen Fjorde, die wir zusammen mit unserer Enkelin besucht haben, fanden wir zu einem gemeinsam möglichen Zeitpunkt nur die große Costa Diadema. Als das feststand, richtete sich mein Ehrgeiz darauf, trotz des zu erwartenden Massentourismus noch entspannende Stunden an Bord zu verbringen und das ist uns ja nach meiner Beschreibung auch dreifach gelungen.

 plotzn meinte dazu am 16.08.24 um 11:18:
Lieber Ekki,

danke für die Erklärung. Ich war selbst noch auf keiner Kreuzfahrt und kenne es nur aus den Erzählungen meiner Eltern. Dabei habe ich mehr an die angefahrenen Städte als an die Natur und Fjorde gedacht, die man (zumindest aus dieser Perspektive) nur vom Schiff aus bewundern kann.

Liebe Grüße
Stefan

 harzgebirgler (14.08.24, 17:31)
hallo ekki,

eine seefahrt kann sein lustig
doch bisweilen auch mehr frustig
wie dein schöner beitrag zeigt
der probleme nicht verschweigt.

beste grüße
henning

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 15.08.24 um 18:35:
Vielen Dank, Henning,
sollte ich noch einmal eine Seereise unternehmen, werde ich systematisch nach einem kleinen Schiff suchen.

 Teo (14.08.24, 17:57)
Hi Ekki,
Ich habe 1978 eine Karibikkreuzfahrt gemacht. Von Trubel konnte da noch keine Rede sein. Relativ kleines Schiff.
800 Gäste. Ich fand es schon einzigartig. 
Liebe Grüße 
Teo

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 15.08.24 um 20:11:
Hallo Teo,
von Massentourismus und Umweltproblemen war damals noch nicht die Rede. Die meisten Kreuzfahrten habe ich mit der Vistamar, einem legendären, sehr kleinen äußerst gastfreundlichen Schiff gemacht. Man hält es heute kaum für möglich, aber es gab damals persönliche Beziehungen zwischen Gästen, die das Schiff häufiger nutzten, und Teilen der Besatzung. "Die Vistamar war ein  Kreuzfahrtschiff, das häufig für Expeditionskreuzfahrten zum Einsatz kam. Es verfügte über 154 Kabinen für bis zu 300  Passagiere. [4] Bis Anfang 2012 fuhr es in  Charter des in  Bremen ansässigen  Reiseveranstalters  Plantours & Partner, danach für Abou Merhi Cruises als Orient Queen IIMed Queen und Orient Queen.

Am 4. August 2020 wurde das Schiff bei der  Explosionskatastrophe im  Hafen von Beirut schwer beschädigt und  kenterte." (Wikipedia)
Wer mit einem so charmanten Schiff gefahren ist wie ich, läuft Gefahr, der Kreuzfahrt wieder alle Vernunft verbunden zu bleiben. Aber keine Angst, ich widerstehe der Gefahr falscher Sentimentalität.
Liebe Grüße
Ekki

Antwort geändert am 15.08.2024 um 20:21 Uhr

 Teo meinte dazu am 15.08.24 um 20:26:
Ach, das ist ja interessant.
Das Schiff, mit dem ich fuhr, ist übrigens 2004 ausgebrannt.
Waren Vorfahren von uns vielleicht auf der Titanic?

 Augustus (14.08.24, 22:56)
Auch in den Seereisen erkennt man die zwiespältigen Geister, die Gutes wollen und Böses tun, in Hinblick auf die Klimaänderung. 
Jeder der kreuzfahrtreisender möchte etwas gegen die klimakrise tun, aber keiner ist bereit auf eine Kreuzfahrt zu verzichten. 

Die Kreuzfahrtschiffe werde heute abfällig als „schwimmende Altersheime“ bezeichnet. 

In die Unberührte Flora und Fauna an der Fjorde strömen tausende Passagiere und zerstören diese. Die Mega-Schiffe zerstören während der Fahrt Riffe und Korallen, lebensboden der Fische usw. und hinterlassen unbewohnbare Bereiche. Es ist quasi so als wurden man Wälder im Meer abholzen. Auch hier erkennt man die Unmündigkeit der Leute, die gegen die Abholzung schreien, aber bereit sind Riffe und Korallen zu zerstören. 

Weil der Bedarf an Kreuzfahrten mittlerweile so hoch ist, (es sollen auch die weniger gut verdienenden das Erlebens auf dem Meer bekommen) werden demnächst Schiffe über dem Meer fahren mit einer Kapazität, die eine ganze Kleinstadt umfassen kann (10.000passagiere) zukünftig ab 2030 sogar bis 12.000 Passagiere. 

Früher schleuderten und versenkten die Schiffe während der Nachtfahrt, die scheisse der Leute ins Meer. Abwasser wurde ebenfalls nachts abgeführt - alle Gifte und Schadstoffe ebenfalls. Heute müssen sie gesetzlich diese in den Häfen abgeben und müssen dafür Gebühren zahlen. 

Aber was kümmert den Bequemen die Nachwelt, wenn nur die momentane Aussicht zählt. 

In 10 Jahren werden die Flotten der Reedereien insgesamt im Jahr  Millionen Passagiere über die meere chauffieren. Und was wenige wissen, die ganze Besatzung in den Küchen und Kellner verdienen Apel und Ei für 12 Stunden Arbeit… weil sie unter der Flagge (Panama, Bahamas, Liberia) die das Schiff fährt, unterliegen alle Besatzungsmitglieder dem Arbeitsrecht dieses Landes. Und da diese Länder kein Arbeitsrecht kennen, wird also auch Sklaverei auf diesen Schiffen gefördert.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 15.08.24 um 20:40:
Merci Augustus,

deine schonungslose Kritik an der Unweltzerstörung durch Kreuzfahrten ist berechtigt. Die Zukunft wird zeigen, ob die Megakapitalkonzentration der Reedereien durch vermehrte und intensive Kritik von Umweltschützern gezwungen werden kann, dem Ziel klimaneutraler Seereisen näher zu kommen.
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