Das Klassenzimmer

Text

von  Saudade

Es riecht nach Wurstbrote, Kakao und Schweiß. An den dreckigen Wänden Plakate von Ohr, Augen und Nase, ein Poster einer Rockgruppe dazwischen. Kleine Papierkügelchen kleben dazwischen. Auch Spritzer von Kakao und Undefinierbarem. Der Boden glänzt, in den Ecken Staub. Die Stühle stehen erhaben auf den Schulbänken, kleine Zettelchen liegen verstreut überall darunter. Die Tafel ist grau-weiß verschmiert, auf der Kreidehalterung steht schräg eine halbvolle Schüssel mit trüben, übelriechendem Wasser, darin schwimmt ein Schwamm, längst verstorben. Ein Waschbecken, es tropft, im rechten Eck, daneben ein überfüllter Papierkorb mit Plastiksack darin. Über der Tafel thront das Bild des Bundespräsidenten. 

In der hinteren linken Ecke ein offenes Regal, es türmen sich achtlos hineingeworfene Schulbücher mit Eselsohren und Schulhefte. Eine Birne auf einem Geschichtebuch, sie wirkt ausgesetzt. Auf den drei Doppelfenstern kleben Zeichnungen von Urlauben, die vielleicht oder nie erlebt wurden aus Wachsmalkreide. Ein, aus Papier ausgeschnittener, grüner Weihnachtsstern, er sieht alt und müde aus, kündigt keine gesegnete Zeit mehr an. Dazwischen, an der Wand, eine Uhr, stehengeblieben, der Sekundenzeiger fiel auf den inneren Boden und läßt nur noch erahnen, dass die Zeit vergeht. 

Kleiderhaken, einige abgebrochen, neigen ihre Köpfe. 

Auf dem Lehrerpult steht eine Pflanze, die vergessen wurde und nun vertrocknet bröselt. Ein Bleistift, total abgespitzt liegt daneben. Neben der Tafel, links, steht "Lost" im DeathMetal-Style an der Wand. Auf einer Schulbank liegt ein angeknabbertes Brötchen, daneben ein Schulheft, offen, kariert, nicht liniert, mit Fettfleck. Man liest: "Ungenügend" unter einer Hausarbeit.


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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (30.05.25, 15:51)
Das ist wieder schön beschrieben und wirkt erlebt.
Die Melancholie entsteht nach meinem Eindruck nicht nur dadurch, daß soviel Ramponiertes vorkommt (als Schlußpunkt dann die Note als Ausdruck eines Scheiterns), sondern auch dadurch, daß etwas Entscheidendes nur als Leerstelle, als Fehlen vorkommt: das Getümmel von Schülern vor einem überforderten Lehrer.

Ein Detail kann ich noch aus langjähriger Erfahrung hinzufügen: die unter den Bänken klebenden Kaugummis.

 

 Saudade meinte dazu am 30.05.25 um 16:33:
Dankeschön. Ja, die Kaugummis... gruselig.

 Graeculus antwortete darauf am 30.05.25 um 17:21:
Die Tafel ist grau-weiß verschmiert, auf der Kreidehalterung steht schräg eine halbvolle Schüssel mit trüben, übelriechendem Wasser, darin schwimmt ein Schwamm, längst verstorben.

"Was bedeutet für dich Ekel?", habe ich einmal einen Lehrer gefragt. Seine Antwort: "Einen nassen Schwamm mit Kreideresten anfassen."
Da hatte er ja einen deprimierenden Beruf.

 Saudade schrieb daraufhin am 30.05.25 um 17:37:
Graeculus, das war das Härtetraining für das Leben: Wer den Schwamm überlebt hat, braucht nichts mehr zu fürchten.

 Graeculus äußerte darauf am 30.05.25 um 17:42:
Das stimmt. Nichts hat er mehr zu fürchten ... außer die 8c (Hochpubertät!) freitags in der letzten Stunde.

Antwort geändert am 30.05.2025 um 17:45 Uhr

 Saudade ergänzte dazu am 30.05.25 um 17:44:
Hahaha. Herrlich.

 tueichler (31.05.25, 13:11)
stilsicher die Stimmung eingefangen, klasse! Ich sitz gerade in Schottland und im Café am Hafen spielt eine Laienkünstlerin im Rahmen des Folk-Festival in Portsoy melancholische Lieder, wahrscheinlich von verwaisten Klassenzimmern in heruntergewirtschafteten Schulen an einem Freitag, nach der letzten Stunde ...

 Saudade meinte dazu am 31.05.25 um 13:14:
Genieße die Melancholie!
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