Fehler

Gedanke zum Thema Aufwachen

von  ZornDerFinsternis

In der Natur von uns Menschen liegt es nun wohl einmal, dass wir ständig Fehler machen. Es beginnt schon morgens, wenn ich aufstehe. Ein fataler Fehler, dass es mich überhaupt gibt. Wollte ich dieses Leben doch nie. Habe ich niemanden gebeten mir das anzutun; mir diese verfluchte Last auf die brechenden Schultern zu scheißen. Sehe in dieses Paar blassblauer Augen im Spiegel. Blicke in Schluchten voller lebloser Leiber. Voller Trauer und Ängste. Sehe die Ausweglosigkeit des Lebens direkt vor mir. Frage mich, wie es sein würde, wenn es  jemanden gegeben hätte, der mir sagt, dass ich nicht wertlos; nicht schlecht bin. Frage mich, wie sehr ich mich; diese Welt; dieses Leben, verabscheuen würde, wenn es jemanden gegeben hätte, der mich in die Arme schließt; mich vor all dem Leid und den Ängsten beschützt - mir ein "Zuhause" gegeben hätte? Steige auf das Dach. Blicke in den tiefschwarzen Himmel, der sich endlos über mir erstreckt. Wind weht kalt. Tost um die Dächer, heult durch die verlassenen Straßen. Setze mich. Nehme einen Zug meiner Zigarette. Starre in den hellerwerdenden Himmel. Eine kleine Schaar Vögel fliegt vorrüber. Sie scheinen so glücklich. Leicht, unbeschwert und frei. Frage mich, wie mein Leben verlaufen wäre, könnte ich doch auch bloß fliegen. Frage mich, wie viele verschiedene; weit entfernte Orte ich bereits gesehen hätte? Frage mich, ob die Welt überall genauso schlecht ist, wie hier? Ob ich all dem Leid und den Ängsten, hätte davon fliegen können? Wie es wäre, wenn ich tiefer in dieses düstere, schwarze Loch in meinem Herzen fallen würde? Frage mich, wie tief der Abgrund meiner Seele sei - ob er so gigantisch sei, wie die Wunde, die in meinem Herzen klafft, seitdem ich dich verloren habe? Nehme erneut einen Zug meiner Zigarette. Starre auf die leuchtende Glut. Irgendwie faszieniert von ihrem animalischen Willen; ihrer Arroganz; ihrer Erhabenheit. Sie frisst sich hungrig durch das Papier, brennt alles gnadenlos nieder - lässt nur kalte, leblose Asche zurück. Zugegeben, ein wenig banal - doch irgendwo, tief in mir eine Gefühlsregung der Begeisterung; der Faszination. Nehme den letzten Zug. Schiebe langsam die Ärmel des Pullovers doch. Narbenübersäte Haut starrt den Augen entgegen. Blasse Arme mit dunkelroten Schnitten. Manche bluten fast noch, andere sind schon fast Geschichte - vom kalten, fallenden Schnee bedeckt. In Gedanken malen sich schon wieder freudige Bilder in mein Herz, beim Gedanken daran, wie sich die Glut brennend heiß in mein Fleisch gräbt und sich Schicht um Schicht bis auf die Knochen bohrt. Lächle sanft. Bin den Tränen fast spürbar nah. Nehme die Zigarette, führe sie langsam an mein Handgelenk heran. Nah. Ganz nah. Spüre schon die Erregung durch die Adern rinnen. Schließe die Augen. Genieße dieses unbeschreibliche Gefühl, das mich immer, der Ohnmacht gleich, überkommt, wenn ich Schmerzen "erleide". Drücke zu. Brennend frisst sich neben der Pulsader ein kleines, dunkles Loch in die blasse Haut. Zucke zusammen. Überall in mir breitet sich dieses Gefühl aus. Dieser Schmerz, der mich zittern lässt. Der mich wissen lässt, ich lebe. Bebe. Freude und Angst fallen zu gleichen Heerscharen über mich. Packen mich, reißen mich mit. Ich blicke auf meinen Arm, erfreue mich an dem Kind; dem Moment des Glücks, das mir der Schmerz gebar. Lächle. Fühle ich mich doch wenigstens für ein paar Sekunden nicht mehr fremd; nicht mehr schlecht. Starre  in die Wolken hinauf, lasse den Blick mit ihnen ziehen. Ganz sanft zieht sich eine winzige, rote Spur durch den aufhellenden Himmel. Der Morgen rückt näher - die Nacht neigt sich dem Ende. Hoffe immer noch so sehr, dass ich an ihrem Ende, dem eigenen nicht mehr all zu fern bin. Stehe auf. Schmeiße die Kippe irgendwo aufs Dach. Verliere mich in meinen finsteren Gedanken. Trete an den Rand des Daches, lasse meine Fußspitzen über das Dach hinaus ragen. Blicke angestrengt in die Tiefe unter mir. Noch immer rührt sich kein Leben in den Gassen. Noch immer singt kein Vogel über den Dächern der Stadt. Kein Leben; kein Atmen; keine Chance auf ein Sein, in dieser Stadt der Toten. In dieser Stadt der Toten, die nicht lebt - nicht atmet, nur hasst. Der Wind raunt um die Dächer; tobt - kann ich seinen Zorn über diese Welt doch verstehen. Habe ich doch genauso wenig für diese Welt; diese Menschen; dieses Leben mehr übrig. Sehe die Sonne sich langsam durch die Wolken schieben - die Dunkelheit brechen. Sie sucht ihren Weg an den Himmel, weiß sie doch wenigstens wo ihr Platz ist... Frage mich, ob es anders gekommen sei, hätte ich dies auch zuvor jemals gewusst - hätte ich einen Platz; ein Zuhause gehabt? Frage mich, wieso niemals die Liebe eines Menschenwesens den Weg zu meinem Herzen fand? Bin ich denn wirklich so verachtenswert, kalt, abscheulich? Bin ich wirklich nichts als ein Monster? Lehne mich nach vorne - falle kopfüber vom Dach. 50 Meter. Falle federleicht, vom Glück beflügelt - und doch, schwer wie ein Stein. Komme dem Asphalt langsam näher. Höre von weit her leise, engelsgleiche Stimmen Lieder singen. Höre den Lärm des Lebens stätig leiser werden. Schließe meine Augen. Wiege mich in die schützenden Arme des Sturms. Ein leises, kaum merkbares Geräusch. Knochen zersplittern. Dunkelrotes Blut spritzt auf pechschwarzen Asphalt. Das Leben hinterlässt seine Spuren. Knochen bohren sich durch das leblose Fleisch ans Licht. Steige langsam Richtung Himmel auf. Blicke auf mich; auf den starren, kalten Leib am Boden herab. Sehe keine Angst in meinen Augen. Sehe nur die Entschlossenheit, die ihnen Jahre lang fehlte. Sehe nur den stummen Schrei nach Liebe. Lächle, beim Gedanken daran, wie erbärmlich ich all die Zeit über gewesen bin. Spucke auf den nutzlosen, geschundenen Leib, der im Dreck und veronnenen Leben erstickt. Sanft steige ich weiter gen Himmel. Treibe sanft mit dem Wind, als würde mich eine große Traube bunter Ballons über die Mauern aus Tod und Leben hinfort tragen. Blicke nicht zurück. Habe nichts mehr, das mich dort unten hält. Einsam liegt das Menschenwrack im Blut versinkend da und leise fällt von den Wolken Schnee herab. Blicke auf, zu den Wolken. Zittere, denn mir ist kalt. Doch werde von gleißendem; blendendem Licht empfangen. Sehe in unmittelbarer Nähe vor mir 5 kleine, geflügelte Wesen auf dieser Wolke. Tauchen mich in ihr warmes Licht, rufen mir zu. Das erste Mal, seit ich diese Welt betreten; dieses Leben hinnehmen musste, muss ich keine Angst mehr haben. Das erste Mal in diesem Leben, falle ich nicht. Sie rufen mir zu. Ich kenne sie. Wir lachen. Wir weinen. Umarmungen. Freudentränen. - Hier setzt die Erinnerung aus und die Farben verblassen - alles verschmilzt in bleicher werdendes Weiß. "Ich bin Zuhause angekommen". "Ich liebe dich, M."

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Kommentare zu diesem Text

Fub (24)
(15.05.10)
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