Tanz am Abgrund (Dem Himmel so nah)

Gedanke zum Thema Aufwachen

von  ZornDerFinsternis

Kraftlos, hängt der Blütenkopf dem Grunde nahe.
Lächelt schmerzlich, der schwarzen, kalten Erde entgegen.
Weint stumm, seine letzten Blütenblätter. Schönheit welkt.
Leben und Liebe verblühen.
Hoffnung treibt keine Wurzeln mehr aus.
Ängste befallen die müde Pflanze. Strecken sie zu Boden.
Maden, Käfer und anderes Getier haben leichte Beute.
Winden sich durch die Qualen, nähren sich an Angst und Hoffnungslosigkeit.
War dieses Leben, doch nie ein leichtes.
Lauerten überall Gefahren. Unscheinbar. Winzig. Klein. Keine Anmut tragend, habe
ich still am Wegesrand gekauert. Hinter Rosen dicht versteckt.
Unter ihrer Schönheit gelitten. Neid im Herze sprießen lassen. Wollte ich doch auch, etwas schönes an mir haben. Wollte ich doch ebenso, einen Stachel an mir tragen, um die Schmerzen von mir fern zu halten. Ein festes Wurzelwerk austreiben, um dem Sturm; dem Leben, Stand zu halten. Sträuche und hohe Gräser, wucherten um mich her. Doch blieb der Platz neben mir; an meiner Seite, doch immer leer.
Große, dichte Bäume, breiteten ihr dunkles Schattendach über mich. Griffen mit ihren knochigen Fingern nach mir. Traten mit ihren Wurzeln nach mir. Warfen ihre schönen Früchte zu mir in den Dreck. Kein Vogel kam zu mir, um ein Lied an mich zu widmen.
Keine Fliege, keine Biene verirrte sich zu mir. War mein Antlitz doch nie so traumhaft schön, wie das der Rosenkinder. Gab es nie einen Menschen, der sich zu mir gesellte. Zu mir in den Dreck und die Scherben kroch, um nach mir zu sehen. Mich zu bestaunen, zu bedauern, zu berühren. Selbst die Sonne schickte mich ins Dunkel. Auch ihr war ich zu anders. Kam der Frühling, hoben und regten alle ihre Köpfe zum Licht. Spiegelten ihre Schönheit im Morgentau. Spinnen umgarnten sie mit ihrer Liebe. Schmetterlinge flogen, überbrachten von weit her liebliche Melodien und sanfte Flügelschläge; einer Umarmung gleich. Nur ich, ich blieb allein. Erreichte dann der Herbst das Land, wehte ein rauer Wind. Dessen Zorn sich auf mich niederdrückte. Am Boden, ganz weit unten lag ich. Zwischen all den großen, schönen Lieblichen. Weinend und ängstlich. Von allem verlassen. Keinen Blick auf die Sonne.
Nun endlich naht der Winter. Spüre schon die Blätter nicht mehr an mir. Zittre mit jedem eisigen Hauch des Windes. Der erste Schnee fällt. Er fällt langsam, still und leise. Der Lärm der Straße ist das einzige Geräusch, das auszumachen ist. Wie oft habe ich mir gewünscht, dass ein Mensch von dort, in meine Einsamkeit käme. Mich am Schopfe packen und um mein Dasein bringen würde. Sind meine Wurzeln doch schon lange trocken. Meine Blätter, lange welk. Rissig - vernarbt. Leise fällt der Schnee und schreit dabei. Schreit und flüstert mir doch liebevoll in die Einsamkeit hinein. Fühle ihn an meiner Haut. Bedeckt die Narben, die die Zeit gerissen hat. Fühle eine Last auf meinem Rücken. Eine Last. Schwer - und doch, tragbar. Sinke wieder müde an den Grund. Habe den Schlaf gefunden, den die Lieblichen Dornröschen längst schenkten. Schlafe ein. Werde im Frühling nicht mehr zittern brauchen. Meine Tränen nicht mehr unbemerkt vergießen müssen. Die verbleichten Narben nicht mehr zählen und die Sonne nicht mehr hassen müssen. Schlafe ein. Und die welken Blätter tanzen in den klaren Himmel davon - die Symphonie verstummt.


Anmerkung von ZornDerFinsternis:

"Zeit bleibt nicht steh'n - Leben verrinnt"

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

Asvika (23)
(07.07.09)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 ZornDerFinsternis meinte dazu am 07.07.09:
Du bist echt eine Bereicherung für mich :)
In jeglicher Hinsicht. Du ispirierst mich, spendest mir Mut und Wärme, bist immer da - einfach ein wunderbarer Mensch. Meine Lebensretterin, immerhin, würdest du mich aus der kalten Erde buddeln, danke, Süße
Asvika (23) antwortete darauf am 07.07.09:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 ZornDerFinsternis schrieb daraufhin am 07.07.09:
Du bist so toll, wie wundersam (ein positives "wundersam") :)
Ich hab' dich wirklich gern
yodafan (47) äußerte darauf am 07.07.09:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 ZornDerFinsternis ergänzte dazu am 07.07.09:
Liebe Grüße zurück ^^

 Dieter Wal (20.07.09)
Ab dem zweiten Absatz erinnert es mich an eine moderne Variante von Hyperion, also der für mich schönsten Prosa, die bisher deutsch geschrieben wurde. Dafür spricht die Naturverbundenheit, die sich artikuliert bei gleichzeitigem Gefühl der Vereinzelung. Romantik im besten Sinn. Der leise schreiende und flüsternde Schnee ist zwar eine leicht beunruhigende, aber geniale Metapher für Kälte und Wärme übersetzt in Lautstärke und die Macht der Stille. Kann es sein, dass du Synästhetikerin bist?
(Kommentar korrigiert am 20.07.2009)
(Kommentar korrigiert am 20.07.2009)

 Feuervogel (28.07.09)
Deine dichte Sprache macht den Abgrund fassbar, ...erinnert mich an Vertrautes, Altes...sehr gut...LG Ela
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram