Eine Affäre mit der Sonne

Text zum Thema Allzu Menschliches

von  bluedotexec

Stell' dir eine Situation vor. Eine Situation, in der es egal ist, was du tust, weil du nichts zu verlieren und nichts zu gewinnen hast. Das ist der Status Quo, der nicht geändert werden kann. Du befindest dich in bester Verfassung, erfreust dich großartiger Gesundheit, und du hast nichts zu verlieren. Und du gerätst in direkten Kontakt zu einer Droge.
Diese Droge versetzt dich in einen angenehmen Rauschzustand, der absolut positiv auf dich wirkt, vergleichbar mit dem von Marijuana. Sie verursacht keine Horrortrips und sie hat weder psychisches noch körperliches Abhängigkeitspotenzial. Sie beeinträchtigt deine Gesundheit nicht. Sie hat keine negativen Aspekte.
Würdest du sie konsumieren?
Ich stehe hier auf einer Brücke über eine Eisenbahnstrecke, die sich bis an den Horizont durch Wälder hindurch nach Osten erstreckt. Ich stehe auf einer Leitplanke vor meinem Mofa und sehe dem Sonnenaufgang entgegen, man beachte: Es ist fünf Uhr und die Sonne geht in 20 Minuten auf. Ich bin hierher gekommen, um dir beim Aufwachen zuzusehen, zu sehen, wie du mich verschlafen zwischen Wolkenkissen und Himmelslaken hindurch anblinzelst. Will sehen, wie du dir deine Augen vom Schlaf befreist und mich das erste Mal am Tag küsst. Ich will die Wärme spüren, die durch meinen Körper flutet, ich will spüren, wie sich meine Härchen aufstellen, wenn du mich berührst. Ich will sehen, wie du einen noch leicht torkelnden Schritt auf die Mitte der Welt zu machst und meinem Haus dieses kleine, verhaltene Lächeln aufzwingst, das du selbst an den Tag legst, wann immer man dich auch ansieht.
Es brennt in mir das Verlangen, dich zu berühren, dir bis an dein/mein Lebensende zu folgen und jeden meiner Schritte, jede meiner Entscheidungen, an dir abzuwiegen, dich als Gegengewicht für mein Leben zu benutzen, und deine Liebe soll mein Schwert sein. Ich stehe hier und schreie deinen Namen, immer wieder, immer wieder, wiederhole mich beständig, und doch klingt es jedes Mal ein Mal zu wenig, ein Mal zu leise, ein weiteres Mal wie das erste Mal. Ich schrieb noch niemals einer Frau ein Gedicht, einen Text, ein Sinnbild dessen, was ich für sie empfand, und kaum sehe ich dich als scheinbar erster dieses Tages, fang' ich an, für dich zu reimen? Wie konnte ich mich nur so sehr in dich verlieben?
Du bist eine Hure.
Es gibt sicher keinen Menschen auf der Welt, der sich nicht nach einem Kuss von dir sehnt. Niemand, der sich nicht wünscht, dass du dich in ihn verliebst. Menschen, die der billigen Liebe der bekanntesten Schönheit im bekannten Universum nachjagen. Niemand, der etwas opfern muss, um sich als von dir geliebt zu betrachten.
Schon deutlich weniger Menschen gibt es, die ein Opfer für dich bringen, obwohl du keines forderst.
Aber es gibt nur einen Menschen, der dich zu betrügen versucht. Einen Menschen, der dir morgens entgegen blickt und dich, ein halbes Dorf zusammen schreiend, auffordert, dich zu zeigen, endlich aufzuwachen, mit deinem Lächeln sein Herz zum Glühen zu bringen.
Es gibt nur einen Menschen, der dich mit Worten weckt, mit denen er seine Seele zu entlasten versucht. Der sich Verse für dich ausdenkt, Verse voll Glück, Liebe, Zuneigung, Zärtlichkeit, Verse, die mit all den Worten gesättigt sind, derer man in geschriebenen Texten überdrüssig ist, Verse, die er noch nie einer Sterblichen gesagt hat, ja, Verse, deren Erfindung ihm in Bezug auf eine Frau noch nichteinmal als Liebesbeweis in den Sinn gekommen ist. Tatsächlich steht er da und schreit von einer Brücke hinab, dass du dich zeigen sollst, schreit: "Dein Lächeln will ich endlich sehen, will niemals mehr nach Hause gehen! Deine Wärme will ich spüren, du sollst durch den Tag mich führen! Zeig' deine Liebe stetig mir, und ich werd' letztlich singen hier!"
Steht auf einer Brücke und reimt aus dem Stehgreif billige, unüberlegt kindliche Verse zusammen für dich, du größte aller Huren, du billigste aller Huren, du Schlampe, deren billiger Sex für jeden Menschen dieser Welt frei verfügbar ist, im Stadtpark, im Wohnzimmer, im Auto, auf den Bergen, wo auch immer deine Kunden deine weiche Haut, deine Lippen, deine Titten, deine Fotze für wie lange auch immer in Anspruch nehmen wollen, und ich liebe dich dafür so sehr, wie ich niemals einen Menschen lieben könnte, und das so lange ich lebe, meine Sonne!

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Kommentare zu diesem Text

tausendschön (33)
(17.07.09)
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 bluedotexec meinte dazu am 18.07.09:
^^
Wenn du die Sonne ansiehst und die Emotionen, die sie in dir auslöst, einmal unbetrachtet lässt, was hast du dann noch vor dir?
Einen großen gelben Ball.
Vielleicht ist es hier genau so.
cannam (35)
(27.07.09)
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 bluedotexec antwortete darauf am 28.07.09:
Oh, nein. Die F**** bleibt! Ich hab den Begriff bewusst gewählt, hab auch viele andere wie M***, M***** oder P**** in Betracht gezogen, aber F**** passt am besten. Außerdem hat das Wort einen für ein Schimpfwort merkwürdig passenden Klang, was bei vielen anderen dieser Art nicht der Fall ist.
Aus dem Stehgreif fällt mir jetzt nur noch der "Hurensohn" ein, der auch einen sehr, sehr passenden Rythmus hat, man kann sagen: Der Rythmus ist so heftig wie die Bedeutung des Worts.
cannam (35) schrieb daraufhin am 28.07.09:
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