Seiser Alm

Erzählung zum Thema Urlaub/ Ferien

von  AZU20

Vermutlich traute er mir eine Klettertour auf die Seiser Alm nicht zu. Aber ich drängte ihn so lange, bis er nachgab, trotz seines Südtiroler Dickkopfs. Als der Pichler Franz aus Burgstall endlich sein „mei is ja wurscht, morgen früh“ loswurde und mir die Hand hinhielt, schlug ich begeistert ein. Die Sache war abgemacht.
Franz klopfte am nächsten Morgen gegen fünf Uhr an meine Tür. Ich stand schon in voller Montur bereit:  Rucksack, Bergschuhe, Zipfelmütze, dreiviertellange Hose, lange rote Strümpfe und Anorak. Er musterte mich von oben bis unten und konnte sich sein sattes, ironisches Grinsen angesichts dieses  Flachlandtirolers nicht verkneifen. Ich gebe zu, er sah in seiner Krachledernen, den nackten Waden und mit einem Hut, der Heidis Freund Peter alle Ehre gemacht hätte, zünftiger aus als ich.

Wir fuhren bis St. Vigil und stiegen dann zur Seiser Alm hoch. Eine kräftige Gestalt eilte geschmeidig voran, der Tourist stolperte mühsam hinterher. Hin und wieder blieb ich stehen und genoss schwer atmend den herrlichen Ausblick auf die wunderbare Berggirlande, den Rosengarten, den Schlern und die Santnerspitze. Bis  der Franz sich kurz umdrehte und rief: „Derfangen kannscht oben. Der Weg ist noch weit.“
So erreichten wir nach zwei Stunden die Schlernboden- Hütte. Die Pause, die Franz mir gewährte, reichte gerade für einen Kaffee. Der half mir, als ich dann stundenlang nur noch zwei nackte, stramme Waden auf Augenhöhe vor mir hatte, die den Weg zur Santnerspitze wiesen. Mir ging bei diesem Anblick die Puste aus und die Beine schmerzten.
„Net roschtn. Wir wolln hoam aufnocht“, raunzte dieser Südtiroler Prachtbursche, wenn ich zu weit abreißen ließ. Das half. Mit letzter Kraft kam ich oben an,  in meinem Kopf die große Leere.

Es war wie ein Ritterschlag, als Franz mir anerkennend auf die Schulter schlug. Wir gingen nach vorn an den steilen Abhang und genossen den Rundblick. Doch ich will nicht lügen: Franz ging nach vorn, blickte etwa 1000 m senkrecht hinab auf die Alm. Dann setzte er sich an den äußersten Rand und ließ die Beine baumeln. Ich kroch auf allen Vieren heran, wagte einen Blick in den Abgrund und robbte schnell zurück, bevor mir restlos schwindlig wurde.
Zurück wählte mein Bergführer den Gamssteig. Er lief die steilen Felsplatten leichtfüßig hinunter. Ich hangelte mich nah am Fels von einer Kletterhilfe zur nächsten. Hin und wieder hielt der Franz kurz an und wies mir mit der rechten Hand den Weg. Das half, solange die Südtiroler nicht am nötigen Eisen sparten. Als die künstlichen Fußtritte plötzlich fehlten, ließ ich mich todesmutig rückwärts den Fels herunterrutschen und landete wie ein Kleinkind in Franz Pichlers muskulösen Oberarmen. So kam ich mit wenigen Kratzern davon.

Der Rest des Wegs war dann Erholung pur. Der Abend senkte sich herab, die Spitzen von Laurins Garten glühten dunkelrot. Franz stellte sich am Wegrand auf und begann gekonnt zu jodeln. Meine Ergriffenheit war echt. Wenn ich auch zerschlagen und müde war, so war ich doch unendlich glücklich.
Und dieses Glück wollte kein Ende finden, als Franz mich zwischen zwei Strophen ansah und in reinstem Hochdeutsch meinte: „Morgen gehen wir beide auf den Gangkofel.“

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (07.12.14)
Einwandfrei, wobei es streng genommen keine Klettertour war, andererseits Laien derartige Besteigungen gerne so nennen, insofern wieder glaubwürdig. m würde ich ausschreiben.

 AZU20 meinte dazu am 07.12.14:
Vielen Dank. Der Gamssteig kann schon so bezeichnet werden, denke ich. Was meinst Du mit dem "m"? LG in den Sonntag

 Jorge (07.12.14)
Gerade vom Sonntagsmarkt kommend, wo bekleidungsmäßig wieder alles vertreten war, also Badelatschen bis Fellstiefel, Shorts und Pelzmantel, lief ich an deiner Seite Armin bzw. meistens hinter dir den Weg zur Seiser Alm. Ich jodelte mit Franz und du hast es nicht gemerkt. Ein anstrengender Spaziergang - den Gangkofel
lasse ich ausfallen.

Liebe Grüße
Jorge

 AZU20 antwortete darauf am 07.12.14:
Danke. Ja, das hätte ich auch tun sollen. Außerdem schleppte mich ein Freund, der nicht mitging, hinterher noch zum Tennis. LG

 tulpenrot (07.12.14)
Nach einer solchen Tour kannst du stolz sein! Und in der Rückschau vergisst man schnell alle Mühen.
Bist du dann am nächsten Tag mit ihm hoch gegangen/geklettert/gestiegen/gerutscht?
LG
Angelika

 AZU20 schrieb daraufhin am 07.12.14:
Ja bin ich und anschließend musste ich noch Tennis spielen. LG in den Sonntag
janna (66)
(07.12.14)
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 AZU20 äußerte darauf am 07.12.14:
Ist es, Wort für Wort. Danke für die Anerkennung. LG in den Sonntag
Nimbus (41)
(07.12.14)
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 AZU20 ergänzte dazu am 07.12.14:
Danke, Heike, und lG in den Sonntag
Fabi (50)
(07.12.14)
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 AZU20 meinte dazu am 07.12.14:
Der Pfänder ist doch auch sehr schön. Etwa mit der Seilbahn? LG in den Sonntag
Fabi (50) meinte dazu am 07.12.14:
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 Didi.Costaire (07.12.14)
Gut erzählt. Man kann mitfühlen und sich schließlich mitfreuen.
Schöne Grüße, Dirk

 AZU20 meinte dazu am 08.12.14:
Danke, Dirk, Dir eine schöne Woche. LG

 Regina (07.12.14)
Bald rückt der Nanga Parbat in greifbare Nähe.

 AZU20 meinte dazu am 08.12.14:
Dann doch gleich auf den Everest. Nein, im nächsten Jahr erst einmal auf den Tafelberg. LG

 princess (07.12.14)
Besonders erheiternd, wenn auch besonders nachvollziehbar: Der heldenhafte Auftritt am Abgrund. Und ich meine jetzt nicht den Franz.

Liebe Grüße
Ira

 AZU20 meinte dazu am 08.12.14:
Ja, ich b in gekrochen, aber nur ein kurzer Blick. das reichte. LG und danke

 EkkehartMittelberg (07.12.14)
Du musst Franzens Schlusswort wie einen Ritterschlag empfunden haben. Hast dich tapfer gehalten.

LG
Ekki

 AZU20 meinte dazu am 08.12.14:
Danke, Ekki, habe alles gegeben. LG in die Woche

 TassoTuwas (07.12.14)
Es hat einen Grund, dass ich das Meer liebe.
Ich bekomme schon beim Lesen weiche Knie.
LG TT

 AZU20 meinte dazu am 08.12.14:
Die Berge waren mir immer lieber, obwohl Egmond dieses Jahr auch seine Reize hatte. LG und danke

 sandfarben (10.12.14)
Natürlich lese ich als Südtirolerin einen Text über die Seiser Alm. Richtige Klettertour war das sicher nicht, aber anstrengend für jemand, der Bergsteigen nicht gewöhnt ist. Zum Glück bist du wieder gesund vom Berg runter gekommen. Ausgerüstet warst du ja!
lg Christa

 AZU20 meinte dazu am 10.12.14:
Ja, ausgerüstet war ich, wenn auch die Knie am Gamssteig, der mir durchaus als "Klettertour" in Erinnerug ist, dennoch gelitten haben. LG in die Woche
ichbinelvis1951 (64)
(16.12.14)
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 AZU20 meinte dazu am 17.12.14:
Die Wampn verschwindet dann wie von Zauberhand. Ausprobieren! LG, danke und eine schöne Restwoche
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