Auf Lit-Foren für die Ewigkeit schreiben

Essay zum Thema Literatur

von  toltec-head

Lange Zeit dachte ich, Lit-Foren seien Imitationshöllen, wo sich aus den gesellschaftlichen Funktionssystemen wie Kunst oder Wissenschaft ausgesonderte Looser zum Kaltlaufen versammeln und Fratzen schneiden. Heute scheint es mir, dass ich dabei zu Unrecht meinen Fall (und vielleicht den ein paar anderer wie parkfüralteprofs oder Bergmann) verallgemeinerte. Der absoluten Mehrheit der User dürften Lit-Foren nicht als Imitationshöllen sondern mit einem gewissen Recht als eine Versammlung von Originalgenies, unter anderen ihres eigenen, erscheinen. Man sieht sich nicht in Konkurrenzkampf zu irgendwem, verweigert diesen auch nicht, sondern ist einfach nur ganz man selbst. Eine professionelle Kritik von Texten auf Lit-Foren fällt dementsprechend schwer. Denn wie will man eigentlich jemanden kritisieren, der das Andocken an Qualitätsstandards anerkannter Autoren nicht nur nicht verweigert, sondern diese Standards schlichtweg nicht zur Kenntnis nimmt? Sprüche wie der den Dieter Bohlen auf DSDS brachte, "Du hast tatsächlich einen ganz eigenen Stil, Barbara, nur ist der voll Scheiße", verhallten auf DSFO oder kV im luftleeren Raum. Hier will niemand ein Superstar werden, denn (für sich) ist er es ja schon und das seit langem.

Was die allermeisten, die den Fehler begehen, sich dem realen Konkurrenzkampf zu stellen, nicht schaffen, haben die meisten Lit-Foren User längst schon geschafft: ein zeitloses Werk. Denn: gemessen an den derzeitigen benching-marks des von ihnen gewählten Genres, sei es Lyrik, Romanhaftes oder Lebensweisheitliches, kann man von ihren Werken tatsächlich nicht sagen, ob sie nun hilflos veraltet oder halbwegs à jour sind. Werke von Lit-Foren Autoren haben nicht nur ihren ganz eigenen Stil sondern auch ihre ganz eigene Zeit, von der aus gesehen ein professioneller Kritiker, der diese Werke vielleicht bestenfalls gespenstisch fände, seinerseits gespenstisch erscheint. Wie sonst nur die der ganz Großen sind Werke von Lit-Foren Autoren daher tatsächlich über jede Kritik erhaben. Man hat es wie letztlich nur Leute wie Goethe und Schiller geschafft - ich meine das ironiefrei -,  in eine Sphäre der Ewigkeit vorzudringen, in der man vor kleinlichem Kritikergequacke immun ist.

Bleibt die Kinder-Frage nach dem Wofür, die letztlich ja doch auch in Fällen "echter", wenn man sich so ausdrücken darf, Ewigkeit nicht zu beantworten ist. Die beiden Ewigkeitssphären - die anerkannte und die der Foren - mögen segegrated communities sein. Erstaunlich ist: sie funktionieren beide.

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Kommentare zu diesem Text

Jack (33)
(03.04.15)
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parkfüralteprofs (57)
(04.04.15)
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parkfüralteprofs (57) meinte dazu am 04.04.15:
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 toltec-head antwortete darauf am 09.04.15:
Danke für den Hinweis auf den Keller-Text. Der ließe sich bei Gelegenheit auf Foren-"Literaten" ummünzen.
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