Die Literatur, das Kondom und die protestantische Ethik

Essay zum Thema Literatur

von  toltec-head

Die Furcht vor dem Tod ist, was diese drei eint: die Literatur, das Kondom und die protestantische Ethik. Die Helden der Ilias lesen nicht, sie stürzen sich furchtlos in das Schlachtgetümmel und man kann sich Achilleus nicht mit einem Kondom vorstellen. Von Homer über Martin Walser zur Internetliteraturforenliteratur: Die Schriftsteller waren nie Helden, aber am Anfang nahmen sie sich wenigstens noch Helden zum Fluchtpunkt. Fluchtpunkt, der sich im Laufe der Zeit immer weiter verflüchtigte, bis im 20. Jahrhundert die sogenannte Angestelltenexistenzenliteratur à la Martin Walser herauskam. Und da den Angestellten im 21. Jahrhundert die Zeit und Geduld für richtige Bücher fehlen wird, wird die Literatur in den Internetliteraturforen enden als Hobbyangelegenheit von Angestelltenexistenzen für Angestelltenexistenzen. Sie wird um die ewig gleichen weichgespülten romantischen Themen Liebe, Glaube, Hoffnung als Lebenssurrogate kreisen.

Der Todesmutige, der Held erringt das Leben. Die in der ständigen Furcht vor dem Tod dahinvegetierende Angestelltenexistenz muss sich hingegen mit Lebenssurrogaten begnügen: Sie liebt das Leben, sie glaubt an das Gute im Menschen, sie hofft auf eine bessere Zukunft. Aber ob ihrer Todesfurcht erntet sie doch nur statt Leben Lebenssurrogate. Ohne protestantisch zu sein, ist sie doch die fleischgewordene protestantische Ethik. Denn dies war der Kern der protestantischen Ethik: Lebensaufschub. Die Belohnung für ein tugendsamen Leben kommt später. Die Angestelltenexistenz führt zwar kein tugendsames Leben mehr. Sie fickt. Genau genommen dreht sich ihr Leben um nichts anderes mehr. Aber immer mit Kondom. Denn am nächsten Tag geht ihre Arbeit weiter. Sie liest. Aber nicht von etwas Größerem als sie selbt, von Helden. Sondern nur von sich selbst und von dem, was sie sein könnte, wenn... Ja, wenn.

Was könnte aus der Seele einer Angestelltenexistenz nicht alles werden, wenn sie nicht eine solche Furcht vor dem Tod hätte. Mit ein wenig Glück doch vielleicht sogar ein Held?

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Kommentare zu diesem Text

Jack (33)
(07.06.13)
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 toltec-head meinte dazu am 07.06.13:
Du übertreibst im letzten Satz und siehst in den Sätzen zuvor, glaub ich, ein wenig zu rosig. Auch Ideale haben ein Verfallsdatum. Dann ist es auch mit Verinnerlichung nicht mehr getan.
Jack (33) antwortete darauf am 07.06.13:
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 toltec-head schrieb daraufhin am 07.06.13:
Deshalb hält man sich besser an das unsagbare Mädchen :)
Jack (33) äußerte darauf am 08.06.13:
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cooori (20)
(07.06.13)
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 toltec-head ergänzte dazu am 07.06.13:
Ich würd auch für einen Essay die Trennung zwischen Autor und Text in Anspruch nehmen wollen. Durch die Verwendung von Nicks im Internet wird diese Trennung sogar noch verstärkt. Ich bin nicht das Monster meiner Texte. Aber eine Angestelltenexistenz führe ich natürlich trotzdem, wie wir mehr oder weniger alle. Auf die Paradoxien, die sich hieraus ergeben, hast du sehr schön hingewiesen.
AronManfeld (43)
(07.06.13)
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Jack (33) meinte dazu am 07.06.13:
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 toltec-head meinte dazu am 07.06.13:
Ich denke auch, dass die protestantische Ethik etwas sehr spezielles war. Max Weber sah in ihr den Kapitalismus begründet. Man muß sich klar machen, dass es auch beim Zins um einen Genussaufschub geht. Es ist aber zu eng, die Dinge auf die Wirtschaft zu begrenzen. Die Aufschubs-Ethik und Zinsgier gibt es auch in literarischen und eben sexuellen Varianten.
AronManfeld (43) meinte dazu am 07.06.13:
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 toltec-head meinte dazu am 07.06.13:
Für mich gibt es hier nur einen Herrn und das ist Jan.

Seltsam find ich, dass die Herren immer so seltsame Hobbys haben. Der eine sammelt Vorhäute, der andere ist in maßgeschneiderte Kondome vernarrt. Ich halte sie (unter uns) auch für ziemliche Hobbypsychologen. So wirft Jan mir Pseudo-Homosexualität vor, was ich schon ziemlich Jehova like finde. Aber gut, man kann ja froh sein, wenn sie heutzutage noch halbwegs ihren Job machen.
AronManfeld (43) meinte dazu am 07.06.13:
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 toltec-head meinte dazu am 08.06.13:
Versuch´s doch mal mit Brandopfern.

 EkkehartMittelberg (07.06.13)
Tolty, ich weiß nicht, ob Helden weniger Furcht vor dem Tode haben als Angestellte. Sie haben per definitionem Mut, weil sie die Furcht überwunden haben. Angestellte in Europa werden heute nicht mehr mit dem Tod konfroniert. Als sie es in den letzten beiden Weltkriegen wurden, gab es unter ihnen ebenso viel Helden wie unter Aristokraten.
Ich finde Helden gar nicht so interessant, wenn ich daran denke, wie viele Heloten herhalten müssen, damit sie es sein können. Ich mag die halben Helden, die Schwejks des Alltags, die halb naiv, halb raffiniert überleben, und die gibt es auch unter Angestellten. Die Literatur, die sie beschreibt, erreicht nie die Stilhöhe der Ilias, aber sie ist facettenreich wie das wirkliche Leben.
Dennoch würde ich deine idealtypischen Essays gerne im Prinzip unverändert weiter lesen. Ich finde sie sehr anregend.
Gruß
Ekki

 toltec-head meinte dazu am 07.06.13:
Der Essay hat einen konkreten Anlass, Ekki, den du nicht kennen dürfest, da du in dem entsprechendem Thread, in dem sich Jan als Kondomproduzent geoutet hat, nicht beteiligt warst. Mir stellte sich dort schon die Frage, wie Kondome und Literatur zusammen gehen. Und ich kam auf die protestantische Ethik. In dem Thread hatte ich bereits eine Antwort versucht, die Jan übelst verrissen hat und die ich selbst noch nicht ausgereift fand. Ich bin jetzt ein paar Schritte weiter, aber immer noch nicht ganz dort, wo ich hin will. Fortsetzung wird also in der Tat folgen.
majaja (28) meinte dazu am 08.06.13:
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 toltec-head meinte dazu am 08.06.13:
Ja, Bloom :)

Oder noch besser: Bartleby, The Scrivener. Die Mythologisierung der Angestelltenexistenz. Auch Kafka. Aber doch nicht einfach nur "Ehen in Philippsburg". Das ist mir zu profan. Und Bartleby endet ja im "Amt für unzustellbare Briefe". Also Internetliteraturforum. Genau wie in meinem Text.
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