Wider die Bilderflut

Essay zum Thema Medien

von  eiskimo

Jetzt, da ich gerade diese Zeilen schreibe, werden in der Welt wieder millionenfach Fotos geschossen, Selfies gemacht, „Filmchen“ gedreht – als wären die Menschen, egal welcher Rasse oder gesellschaftlichen Klasse, von einem inneren Zwang getrieben, die Dinge um sie herum und natürlich sich selbst, in Bildern „fest zu halten“.
Die Möglichkeiten, per Sucher oder Display Ausschnitte seiner Umgebung „einzufangen“ und quasi in einem privaten Speicher-Ort „abzulegen“, werden immer billiger, die Handhabung immer einfacher.Was früher nur erprobten Künstlern oder ausgebildeten Spezialisten vorbehalten war – nämlich Bilder „für die Nachwelt zu machen“, das kann heute jeder, vom Kleinkind bis zum Greis. Und jeder kann seine „shots“ vervielfältigen und – wenn er denn will – weltweit verbreiten, ausgedruckt oder online. Ein visuelles Massenangebot sondergleichen, manche nennen es auch „overkill“ - jedenfalls ist es zu viel, um es en détail noch wahrnehmen zu können. Nicht einmal die eigenen Fotos kriegt manch einer noch sortiert, geschweige, dass er sie bei irgend einer Gelegenheit je wieder mit Bewusstsein vergegenwärtigt.
Also auf der einen Seite rituelles „Knipsen“ bei jeder sich bietenden Gelegenheit, gleichsam als moderne Form der Begegnung mit Umwelt und Mitmenschen; auf der anderen Seite permanentes „Weglegen“ oder „Sammeln“ auf immer leistungsfähigeren Festplatten, denn schon schiebt man ja weitere neue Bildersalven hinterher, geeignetes Fotografier-Gerät hat man ja heutzutage stets greifbar.
Aber je schneller unser Lebensrhythmus, desto größer unser Bedarf , dieses Leben „zu bannen“, wenn auch nur virtuell.  „Ich knipse, also bin ich.“, so könnte man diese letztlich blind machende Bilderjagd überschreiben. Eine Mischung aus immer mehr technischem Spieltrieb, kecker Selbstdarstellung, flacher Kommunikation und Zeitvertreib...
Dabei reden wir hier eigentlich von Kunst!  Will sagen: Von der Möglichkeit, unserer linear ablaufenden  Existenz nicht nur zu entkommen, sondern sie auch schöpferisch zu überhöhen. Denn was tun wir beim „Auslösen“? Wir halten gezielt einen ganz bestimmten Moment unseres Daseins fest, frieren ihn sozusagen auf einem Medium ein und entziehen ihn damit dem Fluss der Vergänglichkeit. Aber was wir da aus diesem Fluss herausfischen, das gestalten wir auch. Denn je nach Brennweite, Belichtung und Verschlusszeit unserer Kamera erscheint das von uns (subjektiv!) gewählte Motiv groß oder klein, diffus oder scharf,schön oder verzerrt, nebensächlich oder dominant. Schon sind wir kreativ gewesen... oder manipulativ. Kein Knipser und kein Fotograf gibt die von ihm „verarbeitete“ Wirklichkeit objektiv wieder – jedes Bild trägt seine Handschrift, seine Art der „Weltendeutung“ und verrät, was ihm wichtig ist.
Ja, wir reden von Kunst, von einer hoch spannenden, höchst anspruchsvollen, ja, einer im Grunde philosophischen und ästhetischen Beschäftigung. Und trotzdem agieren die meisten Menschen dabei „blind“, ohne jeden Plan, und sie begnügen sich letztlich mit Effektehascherei. Was für alle Augen öffnend und  Bewusstseins erweiternd hätte wirken können, bleibt ohne Tiefgang, ja, stumpft  unsere überreizten Sensoren immer mehr ab.
Wie könnte man dieser Banalisierung der Fotografie entgegentreten – wo müsste es „Klick“ machen?
Nun, es ist der Prozess, der dem „Klick“ vorausgeht, der entscheidet.
Mit unserer Fähigkeit zu sehen, also bewusst zu sehen, ist es wie mit dem Essen: Reicht mir die Fastfood-Boulette, die ich hastig im Gehen herunter schlinge –  oder nehme ich mir die Zeit, etwas wirklich Leckeres aus guten Zutaten zusammenzustellen?  Der Hamburger von der Warmhalteplatte wird meine Rezeptoren für Feinsinniges kaum stimulieren, das achtsam selbst Gekochte aber sehr wohl.
Um es fotografisch auszudrücken: Weg mit der vollautomatischen Schnellschuss-Kamera, her mit einem Gerät, das manuelle Einstellmöglichkeiten hat. Das Einstellen per Hand und Feinjustieren ist insofern von Vorteil, als es den Prozess verlangsamt, weil es  echtes Hingucken verlangt, und damit  „blinde Schnellschüsse“ verhindert.  Ein nachhaltiges Foto will vor-gedacht sein. Es zwingt einen also, sich vorher auf die Situation einzulassen, sie sozusagen für sich bildlich wirken zu lassen, um danach seine individuelle Verarbeitung in Form eines Foto zu starten.  Wenn hier gesagt wird EINES Fotos – ja, im Idealfall EINES. Das soll durchaus als Absage verstanden werden an jene, die in der Jagd auf  den „Volltreffer“ stets ganze Serien „schießen“.  Seh-Erfahrung kann man auf diese Weise schwerlich machen. Und das vor-gedachte Einzel-Foto bleibt mit Sicherheit tiefer haften, weil es nämlich eine ganze Geschichte hat. Und wenn man mit jedem seiner Fotos noch eine Geschichte lebendig halten will, dann reduziert sich das inflationäre „Knipsen“ von alleine.
Im Grunde könnte das Fazit für das Fotografieren heute  also schlicht  lauten: Weniger ist Mehr. Weniger überquellende Dateien, mehr Substanz. Weniger visueller Schnick-Schnack, mehr Einsicht.  Weniger Bildermüll, wieder mehr Appetit auf  gute .... Fotos.


Anmerkung von eiskimo:

Schreiben und Fotografieren haben Vieles gemeinsam. Beim Schreiben benutzen wir Bilder, und gute Bilder wiederum erzählen Geschichten. Es lohnt sich, das zu vertiefen

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Kommentare zu diesem Text

Marjanna (68)
(21.08.18)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 21.08.18:
Ich stimme dir in allen Punkten zu, fürchte aber, dass gegen die Sucht des seriellen Fotografierens kein Kraur gewachsen ist.
LG
Ekki

 eiskimo antwortete darauf am 21.08.18:
Spontane Familienbilder, da muss man keine kün stlerischen Maßstäbe anlegen, das ist klar. Und mit der modernen Technik gelingen die ja auch. Aber auch da weiß ich von Kindern, die fast allergisch auf die permanent zugeschaltete "Linse" reagieren. Die würden mir mit "Weniger ist Mehr" wahrscheinlich zustimmen.
lG
eiskimo

 niemand (21.08.18)
Beim Schreiben benutzen wir Bilder, und gute Bilder wiederum erzählen Geschichten.
Also, wenn man obige Bemerkung kritisieren möchte,
müsste man jetzt fragen, ob Schreibende im Bilderbuch-Stadium,
sprich in der Kindheit, stehen geblieben sind?
Erwachsene Menschen brauchen keine, oder wenigstens nicht
immer und überall nur Bilder [hier kommt mir die absolut
komische und häufig gebrauchte Bezeichnung "Kopfkino" in den Sinn]. LG niemand

 eiskimo schrieb daraufhin am 21.08.18:
Bilder herabzustufen auf "Bilderbuch-Niveau" , gefällt mir nicht. Zum einen gibt es fantastische Bilderbücher, zum anderen sagen Bilder oft mehr als 1000 Worte (weil sie uns viel direkter und tiefer ansprechen) Und: Kopfkino kann auch super sein
lG
eiskimo

 TrekanBelluvitsh (21.08.18)
Ich verstehe dein Bedürfnis hinter diesem Text. Allein, ich würde dir widersprechen. Es geht bei all den Fotos nicht um Kunst. Denn Kunst ist immer eine Reflexion auf das Leben, niemals das Leben selbst. Und selbst die meisten Knipswütigen würden kaum behaupten, dass es bei dem, was sie da veranstalten, um Kunst geht. Es würde mit ziemlicher Sicherheit das Wort "authentisch" fallen. Was ich ziemlich gekünstelt finde, aber das ist meine Meinung.

Aber worum geht es dann bei den Millionen von Gigabyte Daten? Dazu muss man nur mal einige Instagram-Konten besuchen. Schnell wird einem klar, dass ein Bild des Grand Canyon allein keinen Wert mehr zu haben scheint. Nein, die eigene Grinsrübe muss mit auf Bild, ein hingepinkeltes "I was here" in Megapixel.

So kann der Narzissmus sich ungehindert seine Bahn suchen. Alles erhält einen Mehrwert, wenn die eigenen Nase mit im Bild ist, ganz gleich ob es sich um die Rialto-Brücke in Venedig oder einen Autounfall auf der A2 handelt. Womöglich wird so der Narzissmus hoffähig, ganz gleich ob er in einem einzigen Individuum oder als Mob - umgangssprachlich: Gesellschaft - daherkommt. Alle denken nur an sich, nur ich, ich denk an mich.

Womöglich sind die Auswirkungen fatal. Womöglich ist es jedoch gut so. Denn auch wenn  unsern Oppa behauptet, "datfrühajaalletbessagewesenwar", habe ich da meine Zweifel. Und das ist der Vorteil: Dieser latente Narzissmus bricht sich Bahn auf die Festplatten. Dabei ist der narzisstische Drang keine Erfindung der digitalen Fotografie. Die Menschheit wandelt sich, in der Tat, doch sie wandelt sich in einer für einen Menschen kaum wahrnehmbaren Geschwindigkeit. Es gibt keinen Grund für die Annahme, dass die Psychologie der Menschen in der Antike anders funktionierte, wie unsere. Denn was tat man in jener Zeit (wenn man es sich leisten konnte)? Man lies Büsten und Bilder anfertigen, die nicht selten einen selbst zeigte.

Und das anstatt Idioten sich mit wirklich wichtigen Themen beschäftigen, fotografieren sie nun. Das ist gut so, das entspricht uns. Außerdem erzählen uns ja ständig Lebensberater, Gurus und selbsternannte Philosophen, dass jeder Mensch etwas besonderes ist. Natürlich ist das Unfug. Die Errungenschaften der Aufklären besagen nicht, dass jeder Mensch universelle Rechte hat, weil er etwas besonderes ist. Jeder Mensch hat universelle Rechte, unabhängig davon, ob er etwas besonderes ist. Daran kann man auch mal denken, wenn im Supermarkt mal wieder der Gaumen juckt und man "Können-se-mal-ne-zweite-Kasse-aufmachen" maulen will. Ist das eigene Leben wirklich so interessant, dass man etwas verpasst, wenn man zwei Minuten länger in der Schlage steht? Wohl kaum ...

Und es gibt noch eine weitere Annahme, die vermuten lässt, dass die Knipswut etwas mit Idiotie zu tun hat: Die Menschen tun es, weil sie es können.

 eiskimo äußerte darauf am 22.08.18:
Wauww... Da gibst Du mir ordentlich was zu denken. Muss es noch ein paar Mal lesen, weil ich ganz viel scharf Beobachtetes erkenne. Jedenfalls Danke für so viel menschliche Betrachtung. Du bist da ja ziemlich schonungslos....
vG
eiskimo

 TrekanBelluvitsh ergänzte dazu am 23.08.18:
Ich verweise auf  Selbstbeschreibung auf meiner Autorenseite hier auf KV.
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