Entkindung

Sonett zum Thema Alleinsein

von  Isaban

Die Kleine dort vorm Bahnhof wird bald vierzehn.
Die meiste Zeit des Tages schnorrt sie Kippen.
Erfolge kleben ihr an ihren Lippen,
um dann, wie Glück, im Winde zu verwehen.

Im Sommer trägt sie eine kurze Hose,
so kurz, dass nichts zu ahnen bleibt, man weiß.
Das Jeansding endet hautnah unterm Steiß,
das Top dazu ist bauchfrei und sitzt lose.

Recht dürre Fohlenbeine zeigt die Kleine,
Bauch, Hintern oder Busen hat sie kaum.
Ich sah sie oft, doch nie, dass sie was aß.

Sie geht zum Pinkeln hinter einen Baum,
hockt dort, als sei sie vollkommen alleine,
in einer Welt aus Notdurft, Holz und Gras.

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Kommentare zu diesem Text


 franky (21.07.19)
Mutig von dir Sabine, so ein heikles Thema in ein Sonett zu verpacken, ist dir aber sehr gut gelungen.

Liebe Morgengrüße

Von
Franky

 Isaban meinte dazu am 21.07.19:
Danke, Franky!

Liebe Mittagsgrüße

Sabine

 TassoTuwas (21.07.19)
Puh!
Was läuft falsch in der Republik?
Will keiner hören, passt in keine Erfolgs-Statistik.
LG TT

 Isaban antwortete darauf am 21.07.19:
Stimmt, lieber Tasso.
Das will keiner hören, keiner sehen, das will man auch nicht unbedingt lesen, es sei denn in einem Roman mit Happy End.
Wir sind eine Nation von Wegguckern (und das hat Geschichte bei uns). Es bleibt zu hoffen, dass sich bei der Sehfähigkeit (und natürlich bei der Finanzierung von Hilfeangeboten) bald etwas ändert.
LG v I
Cora (29) schrieb daraufhin am 21.07.19:
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 TassoTuwas äußerte darauf am 21.07.19:
Cora, dazu nur mein unmaßgebliche Bemerkung.
Dieses Land ist weltweit eines der wohlhabendsten auf dem Globus, da ließe sich doch sinnvolles gegen Kindereinsamkeit und -armut tun!
Ok, ist ein Minderheitsmeinung

 Isaban ergänzte dazu am 21.07.19:
@ Cora: Du fragst, zu welcher Nation wir gehören, welche Nationalität Schuld trägt? Immer die derjenigen, die grade wegschauen. Hier in Deutschland wurde schon so viel weggeschaut, dass bereits nach weniger als achtzig Jahren die Leute anfangen zu zweifeln, ob da überhaupt jemals etwas war, bei dem man besser hätte hinschauen und eingreifen sollen.

Mir ist klar, dass keine Nation perfekt ist, es gibt auf der Welt nicht eine einzige die der Definition von "Nation" vollkommen entspricht. Ist es jedoch sinnvoll Haare zu spalten und möglichst vielen "Nationalitäten" die Schuld dafür zuzuschieben, wenn es darum geht, Missstände vor unserer Haustür zu erkennen und die entsprechende Hilfe in Angriff zu nehmen?

Einzelne können helfen - allerdings nur bedingt, temporär und in geringem Umfang. Um solch ein Problem zu lösen, muss der Staat Hilfe auf die Beine stellen und nicht einfach wegschauen, wenn eine unbequeme Problematik offensichtlich vorhanden ist, auch wenn keiner laut (und medienwirksam) aufschreit - und der Staat, das sind wir, du, ich, jeder, der dazu in der Lage ist, mit (friedlichen, angemessenen und) für ihn verfügbaren Mitteln den trägen Staatsapparat - und seien es auch nur ein paar Millimeterchen - zu bewegen.

@ Tasso: Ist es nicht irre, dass sich niemand verantwortlich fühlt, dass sogar hier die "Wegschauschuld" verteilt wird, anstatt zu anzuerkennen, dass jeder von uns dazu beitragen sollte, solche Missstände zu beheben?
Cora (29) meinte dazu am 21.07.19:
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 Isaban meinte dazu am 21.07.19:
Ja, aber das war keine leichte Geburt und hat dermaßen viel Unmut bei all unseren Ich-bin-mir-selbst-der-Nächste-Wegguckern verursacht, dass jene auf die Barikaden und durch den ach so gerechgten, lautstarken Die-nehmen-uns-die-Arbeit-weg-die-vergewaltigen-unsere-Frauen-die-leben-nur-von-Stütze-die-belegen-unsere-Wohnungen-die-sind-schuld-dass-wir-selbst-nichts-auf-die Reihe-kriegen-die-sollen-doch-erstmal-richtig-Deutsch-lernen-Volkszorn sogar in den Bundestag gekommen sind.


Im Übrigen: Ist eine einzige gute Sache die Ausrede dafür, alle anderen zu unterlassen? Wir haben ja schließlich damals den Flüchtlingen das im Grundgesetz verankerte Asyl gewährt, da können wir bei den kleinen Straßenmiezen ruhig mal so tun, als ginge uns das nichts an, oder?
Cora (29) meinte dazu am 21.07.19:
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 Isaban meinte dazu am 21.07.19:
Werte Cora,

wirst du nicht ein wenig polemisch?

Der Text handelt von einem 13-jährigen Mädchen, das sein Leben hier in Deutschland unter wenig angenehmen Bedingungen vor einem Bahnhof fristet. Möchtest du abstreiten, dass hier in Deutschland nur allzugern weggesehen wird und dass sich - um mal dein Vokabular aufzugreifen - unser "Volk" schon viel zu gründlich dadurch hervorgetan hat, gern und gekonnt wegzuschauen?
Ist es "völkisches Denken", wenn ich einer Nation, der ich selbst angehöre vorwerfe, dass sie trotz allgemeinen Wohlstands selten Willens und in der Lage ist, helfend einzugreifen, wenn es dringend notwendig wäre?
Lass mich raten, ich muss wohl ein völkisch denkender Nazi sein, wenn ich unserem Land und somit unserer Nation unbewältigte Missstände und die Neigung, diese vorzugsweise zu ignorieren vorwerfe?
Cora (29) meinte dazu am 22.07.19:
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 Isaban meinte dazu am 22.07.19:
Was für ein Blödsinn.
Lass uns unsere Konversation, beenden, Cora, das artet sonst aus und es ist jetzt schon ziemlich offensichtlich, dass wir beide nicht auf den gleichen Nenner kommen..
Cora (29) meinte dazu am 22.07.19:
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 Momo (22.07.19)
Ich lese hier in einem Kommentar: „Was läuft falsch in der Republik“?
Ich sehe das nicht so. Es ist keine Frage eines Landes oder der Politik - was ich hier in deinem Text lese, ist ein menschliches Schicksal, das es überall, in jedem Land der Erde, zu finden gibt. Ob ein Sonett der passende Rahmen ist, um es darzustellen, sei mal dahingestellt.

Meine Erfahrung zeigt mir, dass Hilfsangebote manchmal nicht greifen, weder private noch von amtlichen Fürsorgestellen. Als meine Kinder noch kleiner waren, gehörte zu ihrem Freundeskreis ein junges Mädchen, das sich manchmal ganze Nächte draußen herumtrieb, obwohl sie bei ihrer Familie wohnte, und obwohl man sich von privater Seite und auch von amtlichen Stellen um Hilfe bemühte, beging sie später als junge Frau Selbstmord.

LG Momo

 Isaban meinte dazu am 22.07.19:
Hallo Momo,

ja, es gibt immer wieder Einzelfälle, bei denen die Hilfen, die angeboten werden nicht greifen oder aber, dass die angebotene vielleicht nicht die Art der Hilfe war, die wirklich angenommen werden konnte. Manchmal kommt auch leider jede Hilfe zu spät, was aber kein Grund ist, sie nicht anzubieten.

Fakt ist, dass es z.B. Streetworker, die sich auch um die "Bahnhofskinder" kümmern und sogenannte "Schlafhäuser" und Auffangheime bestenfalls in Großstädten gibt, in kleineren Gemeinden oder Kleinstädten wird erwartet, dass die Kinder die Hilfsangebote in den Großstädten oder irgendwo im Landkreis annehmen oder selbsttätig zum Jugendamt gehen, um Hilfe zu beantragen. Theoretisch eine tolle Sache, nur funktioniert das leider nicht wirklich. Für die meisten Jugendlichen ist "Jugendamt" ein Drohwort und die Fahrt in die nächstgrößere Stadt oder innerhalb des Landkreises scheitert grade bei Jugendlichen oft schon am Fahrgeld und an der Ungewissheit, ob dort wirklich zu finden ist, was man sucht.

Ob ein Sonett ein passender Rahmen ist? Ich finde, dass jede Gelegenheit, auf das Problem aufmerksam zu machen eine ist, die man ergreifen kann (es muss ja nicht das einzige Engagement, beziehungsweise die einzig ergriffene Maßnahme sein), Leser lesen den Text, vielleicht sensibilisiert er manche für das Thema - und jeder kleine Schritt ist ein Fortschritt, viele Schritte bewältigen den Weg.

Liebe Grüße
Sabine

Antwort geändert am 22.07.2019 um 10:55 Uhr

 Momo meinte dazu am 22.07.19:
Ich wohnte damals auf dem Land, ungefähr acht Kilometer von einer Stadt entfernt (keine Großstadt). Es gab dort ein Mädchenhaus, in dem auch übernachtet werden konnte. Jugendliche wissen sich schon zu helfen, wenn sie irgendwo hin wollen und kein Geld haben. Aber es stimmt schon, dass sie aus eigenem Antrieb zum Jugendamt gehen, ist eine abwegige Vorstellung. Meistens ist es die Schule oder sind es die Eltern, die Verbindung aufnehmen.
Ich glaube, das Problem ist, dass die meisten desorientierten Kids ja gar nicht wissen, was sie suchen.

Es ist ein Problem, ja, aber es gibt eben nicht für jedes Problem eine Lösung, auch wenn man das zu gerne glauben möchte. Es braucht nur das passende Hilfs- und Gesprächsangebot, Betreuung, Fürsorge, ob privat oder amtlicherseits, und schon wird alles besser. Es gibt manchmal seelische Nöte, die unauslotbar sind.

Na ja, spätestens seit „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, ist das Problem bekannt. Kinder, die auf den Strich gehen, obdachlose Kinder, drogensüchtige Kinder, Kinder und Jugendliche, die von ihren Eltern auf die Straße gesetzt werden …, und was ist mit den Kindern, die Krieg und Flucht hinter sich und traumatisches erlebt haben. Es gibt vieles, das zur „Entkindung“ führt. Da hätte man noch Stoff für viele, viele Sonette.

Liebe Grüße, Momo

 EkkehartMittelberg (22.07.19)
Welch ein starkes Gedicht. Die Metaphern passen punktgenau. Es ist zu hoffen, dass über die fehlenden Street-Worker in der Provinz weiter nachgedacht wird.
Servus
Ekki

 Isaban meinte dazu am 22.07.19:
Vieln herzlichen Dank, Ekki.
Und ja, ich hoffe auch, dass über die Problematik weiter nachgedacht und dass sich zeitnah etwas möglichst Gutes, Passendes und Umfassendes tut.
Einen schönen Abend noch
wünscht
Sabine
Agneta (62)
(22.07.19)
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 Isaban meinte dazu am 23.07.19:
Ein klassisches Thema bedarf einer klassischen Form, liebe Monika, hier bekam es eine, bei der in den Terzetten zwar Endreime vorhanden sind, die aber weit auseinanderliegen, so dass sie beim stimmhaften Lesen irgendwie fehlplatziert erscheinen - wie die Lösungsansätze für das geschilderte Problem.
Ich freue mich riesig, dass du in Text und Problematik eintauchen mochtest.
Herzliche Grüße
Sabine

 AZU20 (23.07.19)
Deine Zeilen sind fast zu schön für dieses heikle Thema. Die Kleine kann einem nur leidtun. LG

 Isaban meinte dazu am 09.08.19:
Oha, lieber Armin,
wenn sie zu schön sind, dann habe ich das Ganze gründlich vermasselt. LG
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