Wie Bücher ordnen?

Bericht zum Thema Buch/ Lesen

von  Graeculus

In einem Lied, in dem Bob Dylan eine schon im Ansatz scheiternde Liebesbeziehung beschreibt, berichtet er, wie er erstmals die Wohnung einer Frau betritt und sofort bemerkt, daß die Frau keine Bücher im Regal stehen hat. Das kann unmöglich gutgehen mit dieser Frau. Das verstehe ich.

Doch wenn man nun Bücher hat, wie ordnet man sie? Das wird bei einer größeren Menge eine wichtige Frage.
Ich halte es so, daß ich sie nach Fachgebieten wie z.B. Antike, Geschichte oder Belletristik (unterteilt nach Sprachen) sortiere und dann innerhalb dieses Fachgebietes chronologisch. Es beginnt also die deutschsprachige Belletristik im Mittelalter und endet bei den gegenwärtigen Autoren. Auf diese Weise kommt Goethe neben Schiller zu stehen, während auf Aischylos Sophokles und Euripides folgen, ganz wie im wirklichen Leben. Ich weiß, wo ich suchen muß, und finde, was ich suche. Meistens.

Meine Frau kommt mit meiner Ordnung nicht gut klar, denn sie bevorzugt bei ihren Büchern eine andere Systematik: alphabetisch nach Autor, ganz gleich, welches Genre. Das ist gut, wenn man den Namen des Autors kennt, nach dessen Buch man sucht; das ist schlecht, wenn man nicht mehr hat als die vage Erinnerung, daß es da irgendein Buch gibt, welches sich irgendwie befaßt mit ... Nein, das ist dann ungünstig. Außerdem muß man unter diesen Umständen Goethe von Schiller trennen und ihn stattdessen mit Goebbels und Grass anfreunden. Meine Frau meint, auch in der Wirklichkeit könne man sich seine Nachbarn nicht aussuchen. Mir aber können selbst Bücher leid tun.

Eine Bekannte hat ihre Bücher nach Farben geordnet. Das sieht phantastisch aus, etwa so wie die komplette edition suhrkamp, nur nicht so einheitlich groß wie diese. Ästhetisch ist das unschlagbar. Man kann von einer Farborgie sprechen. Zur Frage, wie sie nach diesem Prinzip ein bestimmtes Buch findet, bleibt die Bekannte schmallippig, versichert aber, das funktioniere schon.

Auf ein gutes Gedächtnis kommt es so oder so an, denn irgendetwas muß man sich bei jedem Ordnungsprinzip einprägen. In dieser Hinsicht bewundere ich Karl Lagerfeld, der nicht nur, wie man hört, 300000 Bücher sein eigen nannte, sondern auch mehrere, sicherlich großräumige Wohnungen. Der konnte, wenn er sich in einer anderen Wohnung aufhielt, sein Personal anrufen und bitten: „Schauen Sie doch mal das und das nach in dem und dem Buch. Es steht da und da.“ Er hatte das im Kopf! Das setzt freilich voraus, so habe ich mir gedacht, daß er nicht einfach  angeordnet hat – finanziell hätte er das ja gekonnt –, die kompletten Neuerscheinungen von Suhrkamp, Hanser und S. Fischer zu kaufen, sondern jedes einzelne Buch mindestens einmal in der Hand gehalten und für seine Einordnung eine Entscheidung getroffen hat. Bei 300000 Büchern! Und der Mann hatte ja noch anderes zu tun, z.B. das Geld zu verdienen für den Kauf so vieler Bücher. Blöd wär’s nur gewesen, wenn er sich eines Tages entschieden hätte, seine Bücher komplett anders zu sortieren. Beispielsweise nach Farbe.

Hinweis: Der Verfasser wünscht generell keine Kommentare von Mondscheinsonate.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (28.03.20)
Ich empfehle den Beindruckungsmodus. Will heißen: Taschenbücher und Paperbacks nach ganz unten oder ganz oben im Regal und die dicken Wälzer, die Hardcover, in Augenhöhe, um den "Boah"-Effekt bei Besuchern zu stimulieren.

 Graeculus meinte dazu am 28.03.20:
Bei uns jedenfalls kommt selten jemand vorbei, der durch sowas zu beeindrucken ist. Und ich glaube sogar, wenn jemand durch sowas zu beeindrucken ist, dann will ich ihn gar nicht beeindrucken.
Sin (55)
(28.03.20)
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 AchterZwerg antwortete darauf am 28.03.20:
Der8. ordnet User nicht nur nach Schreibfertigkeiten, sondern auch nach Inhalt und Beschaffenheit ihrer Bücher.
Wo mag ein geblendeter Canetti-Fan da wohl stehen?

Genau, ganz weit oben! :)

 Graeculus schrieb daraufhin am 28.03.20:
An Sin:

Was Canetti da beschreibt, habe ich vor Jahrzehnten mal in einer Witzzeichnung gesehen: Jemand saß vor dem Bücherregal in seinem Sessel und las Schopenhauer, worauf sich aus dem Regal ein Nietzsche-Band auf ihn stürzte.

Nicht zu wissen, nach welchem Prinzip man sortiert hat, und dennoch zu finden - das nenne ich genial.
Ich kenne da sehr, sehr unanständige Wörter, von denen ich hemmungslos Gebrauch mache, wenn ich eine halbe Stunde vergeblich gesucht habe (was trotz aller Ordnung vorkommt).

 Graeculus äußerte darauf am 28.03.20:
An Achter Zwerg:

Das stimmt. Man kann auch Menschen 'sortieren': nach ihren Lieblingsbüchern.
Wenn ich weiß, daß jemand sehr gerne X, Y oder Z liest, dann weiß ich auch, daß ich mit dem klarkomme. Das gilt sogar umgekehrt für die 'falschen' Bücher.
Interessanter Gesichtspunkt.

 AvaLiam (28.03.20)
Da gibt es sicher nicht DAS System.

Ich halte es einfach.

Gelesene Bücher für sich - an den nicht so günstigen und greifbaren Platz, da die Wahrscheinlichkeit, sie demnächst zu brauchen, gering ist, Fachbücher, Sachliteratur und Nachschlagewerke ausgenommen.

Weiß ich, dass ich von den bereits gelesenen ein bestimmtes noch mal lesen möchte, so wandert es quasi an den günstigsten Platz des ungünstigen Platzes.

Bücher, die ich noch gar nicht gelesen habe kommen an den günstigsten Platz - logisch. Auch hier gesellen sich jene nach vorn, die ich ihrem Thema nach wahrscheinlich eher lesen werde.

Mehr System brauche ich eigentlich nicht.

Die Sachbücher stehen thematisch zwischen günstig und ungünstig. Nachschlagewerke an dem günstigeren Platz dieser Einreihung.

Ich habe ca. 1400 Bücher...und ein relativ funktionierendes fotografisches Gedächtnis. Ich komm klar :D

Schön finde ich deine Erwähnung, dass Lagerfeld mind. 300.000 Entscheidungen allein seinen Büchern gewidmet hat.
In den Verdruss einer möglichen Neusortierung wäre Karl wahrscheinlich nicht gekommen.
Er war ein Mann, der gefällte Entscheidungen nicht überdachte oder gar zurücknahm und sehr überlegt handelte.

Ich fühle mich gern an ihn erinnert.

liebe Grüße - Ava

 Graeculus ergänzte dazu am 28.03.20:
Das ist ein sehr originelles und durchdachtes System. Es sagt viel darüber aus, wie Du Deine Bibliothek benutzt, weil Du einen ganz bestimmten Gesichtspunkt, die Wahrscheinlichkeit des Griffs nach einem bestimmten Buch, zum Kriterium machst.
Das klingt klug.

Eingeschränkt kommt es auch bei mir zum Zuge: insofern ich die Bereiche, mit denen ich es bei der Arbeit am meisten zu tun habe, in meinem Arbeitszimmer angesiedelt habe.
Aber bei dir geht das offenbar sehr viel weiter.

Und nein, natürlich wäre Karl Lagerfeld nicht darauf verfallen, eine solche Entscheidung zu revidieren. Das wäre bei 300000 Büchern (habe ich gestaunt über diese Nachricht!) einer Katastrophe gleichgekommen.
Daß er generell danach lebte, Entscheidungen nicht ändern zu müssen, wußte ich nicht.

Danke für Deinen anregenden Kommentar!
Graeculus

 Bluebird (28.03.20)
Eine "Genie" beherrscht das Chaos! :)

 Graeculus meinte dazu am 28.03.20:
Oder: Wer Ordnung braucht, ist bloß zu faul zum Suchen.
(Da ist auch was Wahres dran.)

 Dieter_Rotmund (28.03.20)
Bü-chern -> Büchern

 Graeculus meinte dazu am 28.03.20:
Stimmt, danke.

 Graeculus meinte dazu am 30.03.20:
Da waren noch mehr Fehler drin! Die mußt Du überlesen haben - wie auch ich.

 TassoTuwas (28.03.20)
Jeder entwickelt wohl seine ihm eigene Ästhetik. Das trifft auf Bü-
chern zu, wie auf Kommentare
TT

 Graeculus meinte dazu am 28.03.20:
Deshalb sollten hier farbige Kommentare eingeführt werden.

 eiskimo (28.03.20)
Dein Problem wächst sich aus. Für die Staubfänger gibt es ja smarten Ersatz. Alles immer online verfügbar zu haben, on demand oder just in time, das wird Lesen zu einem tool, bestenfalls zu einer Option reduzieren - es hält ja auch ungemein auf.

 Graeculus meinte dazu am 28.03.20:
Mich schaudert's angesichts eines derart illusionslosen Realismus'.
So kann man sich einen Fluch zuziehen, indem/obwohl man recht hat.

 Graeculus meinte dazu am 28.03.20:
Das war natürlich nur ein Scherz. Ich weiß, daß Du recht hast, aber ich bedauere, daß Du recht hast.

 EkkehartMittelberg (28.03.20)
Hallo Graeculus,,
das Fatale ist, dass man im Leben nicht nur Bücher ordnen muss. Ich versuche in meinen Beziehungen zu Menschen insofern Ordnung zu halten, als ich möglichst wenig unbeantwortet lasse. Das erfordert viel Zeit und geht auf Kosten der Ordnung meiner Bücher, die deiner gleicht, nur mit dem Unterschied, dass ich wahrscheinlich weit weniger konsequent bin.

 Graeculus meinte dazu am 28.03.20:
Das stimmt - ordentlich zu sein in seinen Beziehungen zu Menschen, ist soviel schwerer als bei den Büchern. Diese sind nicht beleidigt, wenn man sie mal ein Jahr lang nicht zur Hand nimmt.
Das ist sicher ein Grund dafür, daß manche die Bücher den Menschen vorziehen ... und soviel Trost daraus beziehen.
Unser Vater Homer, der du jetzt mit dem edlen Achilleus
Wallst in Elysions Hain, geheiliget werde dein Name!
Oft besuch’ uns dein Geist, und wie im Lande der Schatten
Deine Lyra ertönt, so schalle sie auch auf der Erde:
Sie, die die Sorg’ um das tägliche Brot aus den Busen hinwegsingt,
Selbst, ein Wunder dem Ohr, Centauren versöhnt mit Lapithen.
Doch es versuch’ uns Schwächre dein Genius nimmer zum Wettflug,
Sondern erlös’ uns nur von dem Erdengeschick auf Minuten:
Denn dein ist ja die Kraft, das Herz zu rühren, der Lorbeer,
Heiliger Vater! von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
(Arthur Schopenhauer: Oratio Dominica; Weimar 1808/09)

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.03.20:
O wie schön! Du überraschst mich immer wieder mit Neuem.

 Graeculus meinte dazu am 28.03.20:
Was hältst Du von Schopenhauer als Lyriker? Ich persönlich mag ihn, aber gerne läse ich Dein fachmännisches Urteil. Einige (nicht alle) Gedichte hat er - zögernd, gleichsam schüchtern - als Anhang dem II. Band seiner "Parerga und Paralipomena" beigefügt. Das von mir zitierte freilich nicht, das findet sich nur im Handschriftlichen Nachlaß.

 Oskar (28.03.20)

 Graeculus meinte dazu am 28.03.20:
Zufällig habe ich es heute von drei Seiten gehört. Gestern noch wußte ich es nicht. Danke für die Information.

 LottaManguetti (28.03.20)
Gute Bücher sind Lebensbegleiter.
Schau mal im Privaten Komm.
Ich wollte deine Leser nicht überfordern.

😂👍

Lotta von saludos💕

 Graeculus meinte dazu am 28.03.20:
Lauter interessante Gesprächspartner stehen da im Regal - Menschen, deren Gedanken & Erfahrungen man sonst nie kennenlernen würde. Man kann ihnen nicht antworten, leider - aber zuhören.
Aha (53)
(29.03.20)
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 Graeculus meinte dazu am 29.03.20:
Loriot schätze ich über die Maßen und fasse es als großes Kompliment auf, eine Loriotiade geschrieben zu haben.
Allerdings sollte darüber nicht das ernste Problem, das ich angesprochen habe, aus dem Blick geraten. "Nie kann ich bei deinen Büchern etwas finden!" - ein Ehedrama mit zahllosen Akten.
Aha (53) meinte dazu am 29.03.20:
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 Graeculus meinte dazu am 29.03.20:
Soll ich das meiner Frau vorschlagen? Ha! Im letzten Jahrhundert hat es zwei Weltkriege gegeben. Ich fange keinen dritten an.

 ViktorVanHynthersin (30.03.20)
Ich finde Deinen Text ebenso inspirierend wie die gesammelten Kommentare dazu. Da ich meine Bibliothek wegen eines Umzugs bzw. einer Wohnraumverkleinerung drastisch (von rund 8.000 auf ca. 4.000 Bücher) verkleinern musste, ist einiges auf der Strecke geblieben. Aus Zeitgründen wurde auch die alte Ordnung nicht mehr hergestellt und ich bin auf mein fotographisches Gedächtnis angewiesen. Aber das funktioniert prima.
Bibliophile Grüße
Viktor

 Graeculus meinte dazu am 30.03.20:
Es ist schön, wieder einmal etwas von Dir zu lesen. Aber dann so Trauriges: die Bibliothek halbiert!
Aber letztlich werden wir alles aufgeben müssen, und da mag das schon einmal eine Einübung sein.
Das photographische Gedächtnis, bezieht es sich auch auf den Inhalt der Bücher?

 ViktorVanHynthersin meinte dazu am 31.03.20:
Nein, leider nicht. Zur Buchfindung jedoch reicht mir das Regal, die Unterscheidung Taschenbuch oder Hartcover, die Farbe des Einbands und das Verlagslogo. So finde ich (fast) jedes Buch in kürzester Zeit.
Bleib gesund!
Herzlichst
Viktor

 Graeculus meinte dazu am 31.03.20:
Aber Du gehst doch von Autor - Titel - Thema aus, oder? Und dann fallen Dir die genannten Details ein. Das kann so gehen - bei einem guten Gedächtnis.

 ViktorVanHynthersin meinte dazu am 01.04.20:
Deine Annahme ist richtig. Ob ich aber ein gutes Gedächtnis habe, ist eine andere Geschichte

 Graeculus meinte dazu am 01.04.20:
Es genügt ja, wenn man im Gedächtnis behält, was man liebt. Für belanglose Informationen habe ich ein gutes Teflon-Gedächtnis.
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