Achte Etage, Balkon

Satire zum Thema Schreiben

von  niemand

Heute morgen warf er sich in die Tiefe. Balkon, achte Etage, Verlagshaus. Dieser stete Druck war nicht mehr zu ertragen. Dieses ins Hirn eingestanzte „Du musst durch das Labyrinth der Worte“. Täglich, stündlich, minütlich. Aus, vorbei, Ruhe. Ruhe, besonders vor diesen Romantikern und ihren unter Weinen und Selbstmitleid hergestellten Versen.
Weg von dieser mit Regalen eingezäunten Welt, voller verlegter Päckchen und Pakete, die ihm etwas verzeilen wollten, ohne darum gebeten worden zu sein.

All dies  hätte er irgendwie noch ertragen, wäre da nicht seine wortverliebte Gattin Hermine. Hermine, seit einem Jahr im Ruhestand, entdeckte ihre Begabung fürs Reimen. Verse, Verse, Verse, ellenlang und nach allen Regeln dieser Kunst. Nicht einmal die Woche, nein, fast stündlich. „Schau mal, Frieder, schau doch mal drüber, du bist doch der Mann vom Fach ...“

Hermine, das braucht doch keiner, das ist doch so sinnlos wie ein Zahn in der Nase. Doch so sinnlos wie dieser war auch sein Reden, denn Hermine hat sich grade selbst neu erfunden, wie sie zu sagen pflegte.

Die Lage war aussichtslos. Acht, bis zehn Stunden, umgeben von fremden Versen und die restliche Zeit gefüllt mir familiären. Das war ein Strophen der gemeinsten Art und dabei hat Frieder doch nichts verbrochen. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Hermine bestand auf eine Veröffentlichung ihrer Elaborate. „Du sitzt doch an der Quelle“ war Hermines Lieblingssatz. Wie sollte  er seiner Gattin nur beibringen, dass sie noch schlimmer dichtete, als diese ihn bis in seine Alpträume Verfolgenden? Frieder suchte nach Auswegen, beruflichen, wie auch familiären. Er sehnte sich nach Frieden, nach Freiheit. Doch das Labyrinth der Worte verdichtete sich zusehends.

Achte Etage, Balkon. Ein Platz, welchen er in den Pausen aufsuchte. Ein Platz mit einem Blick ins Weite. Doch heute zeigte auch dieser keinerlei Wirkung. Frieder wünschte nichts als fern zu sein, metafern. Er beugte sich über die Balkonumrandung und ließ sich fallen.

Die dadurch entstandene Aufregung bekam er nicht mehr mit. Frieder flog höher und höher und höher. Leicht wie die Luft um ihn herum, flog er und flog, wohin auch immer. Nur einmal überkam ihn  noch ein Gedanke, der Gedanke, dass ihm ganz sicher irgendwer irgendetwas andichten wird.

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Kommentare zu diesem Text


 ViktorVanHynthersin (24.04.20)
Ich würde den Text statt unter Kurzprosa unter Satire einstellen. Der leicht spöttische Unterton passt nicht zur Beschreibung des Selbstmordes. Als Satire fände ich den Text gelungen.
Herzlichst
Viktor

 niemand meinte dazu am 24.04.20:
Du hast recht, Satire passt besser. Ich habe nur anfangs gezweifelt, ob es für Satire nicht vielleicht zu schwach ist. Doch auch da gibt es von derb bis fein etc. Danke für den Anstoß!
Mit Herzlichen zurück, Irene
Sätzer (77)
(24.04.20)
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 niemand antwortete darauf am 24.04.20:
Na, ja, ich schleiche zwar, aber nicht mit der Absicht der Dichtung, oder was man dafür hält zu entsagen. Ab und an mal überfällt es mich vielleicht demnächst auch mal öfter prosaisch zu werden.
Und ja, es ist wohl eher Satire und keine Kurzprosa. Ich habe es abgeändert. Mit liebem Dank und Grüßen zurück, Irene

 LottaManguetti (24.04.20)
Du kannst das nicht wissen, aber Hermine* ist tot. Sie starb am letzten Wochenende am Herzinfarkt.
Um den armen Frieder ists aber auch schade.

:(

Gruß Lotta


*Hermine war eine Eule, Schneechen wurde sie auch liebevoll genannt.

 niemand schrieb daraufhin am 24.04.20:
Oh, das mit dem "Schneechen" [wegen der weißen Farbe?] genannt Hermine, das tut mir echt leid. Eulen sind dermaßen bezaubernde Tiere, dass man sie knutschen möchte
Mit lieben Grüßen und Dank, Irene

 EkkehartMittelberg (24.04.20)
hallo Irene, Frieder hat bewiesen, dass der Mensch frei sein kann, selbst dann noch, wenn man ihm etwas andichtet. Sehr gelungene Satire..
LG
Ekki

 niemand äußerte darauf am 24.04.20:
Angedichtet wird uns allen etwas lieber Ekki, mal mehr, mal weniger, damit müssen wir wohl leben, doch man kann es in einer Dichtung zu verarbeiten versuchen. Mit liebem Dank und lieben Grüßen zurück, Irene

 plotzn (24.04.20)
Hallo Irene,

dicht geschrieben und inklusive Metafern und passender Ironie.

Man sollte Verlagen den Sitz in Hochhäusern verbieten, oder zumindest die Fenstergriffe abmontieren...

Liebe Grüße,
Stefan

 niemand ergänzte dazu am 24.04.20:
Balkone abschaffen, lieber Stefan, zumindest ab der 1. Etage,
alles darunter Liegende ist wohl eher lächerlich denn gefährlich
Ich mach mich jetzt mal metafern sprich verdrücke mich vor die andere Kiste, sofern man dort etwas finden kann. Ich kann nicht so lange vor diesem Monitor am Schreibtisch sitzen, weil ich einen verspannten Nerv im Nacken habe, der höllisch weh tut.
Mit liebem Dank Dir und lieben Grüßen zurück, Irene

 TassoTuwas (24.04.20)
Oh ich kann den Frieder verstehen!
Und du verehrte Irene, mach dir keine Sorgen, die KV-Gemeinde wird morgen wieder in ganzer Stärke zum Dienst erscheinen
Herzliche Grüße
TT

 niemand meinte dazu am 24.04.20:
Das mit der "Anwesenheit der KV-Gemeinde" lieber Tasso beruhigt mich sehr, spüre ich doch in mir immer mehr
herminische Züge und diese drängen . Das ist ein Druck, ich sage es Dir Mit liebem Dank und herzlichen Früßen
zurück, Irene

 TassoTuwas (24.04.20)


Kommentar geändert am 24.04.2020 um 18:31 Uhr

 AchterZwerg (25.04.20)
Sich selbst zu erfinden, ist der schönste Sieg. Oder das größte Drama. Oder wie hieß das nochmal?
Frieder hätte sich aber mit dem Abflug Zeit lassen können, denn noch war der Lektor nicht mit Hermines Leberversen befasst:

Die Leber war von seiner Frau und nicht von einem Dichter,
dem Lektor wurde es recht flau - er kotzte in den Trichter.

 niemand meinte dazu am 25.04.20:
ein kotzender Lektor ... das hat was
Mit schmunzelnden Grüßen und liebem Dank, Irene

 Habakuk (26.04.20)
Manche Gedichte auf KV können einen schon in den Selbstmord treiben. Manche Satiren aber auch.

BG
H.

 niemand meinte dazu am 26.04.20:
Dem kann man nur zustimmen
LG niemand
Browiak (67)
(23.01.22, 11:36)
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 niemand meinte dazu am 23.01.22 um 12:19:
Ja, darüber kann man schon stolpern, aber das ist mein Neologismus, der sich
aus den Worten Metaphern und Meter fern zusammensetzt. :P
Der gute möchte nichts als Meter entfernt sein von den verflixten Metaphern.
Sowas mache ich öfter ;) 
Mit liebem Dank Dir und lieben Grüßen, Irene
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