Warum nicht noch in bisschen warten

Erzählung zum Thema Ferne

von  eiskimo

Die Friedhofsfrage beschäftigt ihn sehr, trotz seines geringen Alters. Regelmäßig schaut er sich dort  um, verfolgt, wie rasch die freien Flächen verschwinden und erkundigt sich nach Belegfristen und Gebührenordnung.  Er kennt sie alle, die da beruflich unterwegs sind. Und sie kennen ihn, diesen jungen Mann, der da so frühzeitig schon vorsorgen will.
Gerade hatte er dort den Vormittag verbracht. Er war zwei Straßen weiter, da kam ein älteres Ehepaar auf ihn zu. Sehr alt. Sie hatte schneeweißes, schütteres Haar und ein freundliches, aber völlig runzeliges Gesicht. Ihr Mann ging dicht neben ihr, mit ganz kleinen Schritten, gebeugt und am Stock. Wo es denn hier zum Friedhof ginge, fragte ihn die Alte.
„Haben Sie reserviert?“ fragte der Angesprochene besorgt zurück.“Nicht dass Sie da völlig vergeblich hin tippeln...“
Da richtete sich der alte Herr empört auf. “Natürlich haben wir reserviert! Wir haben sogar in unseren Särgen schon Probe gelegen. Aber nur beim Bestatter. Und der  hat uns einfach wieder nach Hause geschickt!“
„Ja, die Bestatter heutzutage!“ beschwichtigte der junge Mann. „Die ziehen natürlich junge Ware vor. Leute, die im prallen Leben standen. Da haben sie die Friedhofshalle voll und richtig Publikum. Ich könnte ihnen da Sachen erzählen...“
„Unsere Generation, wir haben sie alle überlebt,“ unterbrach ihn die Alte nachdenklich.“Alle, einen nach dem anderen. Wer sollte uns da noch begleiten?“
„Ich würde kommen,“ entgegnete der junge Mann in vollem Ernst.“Wo uns das Leben jetzt so zusammen gebracht hat.“
Die beiden Alten schauten ihn dankbar an. Die Frau griff sogar nach seiner Hand, und er wich ihr nicht aus.
„Aber jetzt zeige ich ihnen erst einmal den Weg zum Friedhof. Sie haben Glück – ich kenne mich da bestens aus. Zwei nette Grabstellen sind gerade frei geworden. Urnengräber. Da müssten sie sich aber beeilen!“
„Wir haben nichts mehr vor,“ sagte der alte Herr ganz freundlich.
„Unsinn, Ferdi!“ korrigierte ihn  seine Frau. „Den 90sten von Franziska, den würde ich gerne noch mitnehmen. Nächsten Freitag!“
„Oh, da fürchte ich, dass wir dann zu spät kämen,“ entgegnete der junge Mann. Hier muss man sozusagen just in time sterben, um nicht in die Warteschleife zu müssen.“
„Franziska ist mir aber wichtig,“ insistierte die Alte. „Und ein bisschen Warten, das bringt uns nicht um. Gell, Ferdi?“

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Kommentare zu diesem Text


 regenfeechen (27.07.20)
Die alten Leutchen, einfach klasse......ja, lassen wir uns noch Zeiz zum sterben. Kommt eh immer unerwartet und zu plötzlich, da können wir planen was wir wollen.
Lebendig geschrieben, von mir gerne gelesen

 eiskimo meinte dazu am 27.07.20:
Danke! Ich mag diese alten Leutchen auch sehr, die so viel Entspanntheit vorleben!
lG
Eiskimo

 AchterZwerg (27.07.20)
Heutzutage muss ja alles reserviert werden - selbst das Plätzchen für einen Espresso.
Insofern hat der vorsorgende junge Mann ganz Recht: Früh übt sich, wer ein Toter werden will ...

Zustimmende Grüße
der8.

 eiskimo antwortete darauf am 27.07.20:
Wobei so ein Espresso ja richtig belebend wirken kann, bei den anderen Adressen weiß ich nicht...
optimistische Grüße
Eiskimo

 FrankReich (27.07.20)
Wartung ist schon viel wert und je früher sie begonnen wird, desto besser funktioniert sie im Alter. 😎

 eiskimo schrieb daraufhin am 27.07.20:
Ich warte regelmäßig und mit einer gewissen Hingabe!
ciao
Eiskimo

 Dieter_Rotmund (06.06.23, 18:19)
Handwerklich nicht schlecht, geht aber an der Realität völlig vorbei.
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