Bei Begräbnissen nicht verzweifeln

Tagebuch zum Thema Ferne

von  eiskimo

Der Trauergottesdienst ätzend lang. Die Kirche fast leer, zwei Dutzend Trauernde im kalten Rund verstreut.  Vorn am Altar der Pfarrer, aus einem fernen Land, des Deutschen kaum mächtig. Für die Verstorbene - viel zu früh verstorben, leider -  gut gemeinte Worte. Das Übliche, nur halt mühsam formuliert. Ätzend langsam. Und dazu der kümmerliche Gesang.
Was mich total in seinen Bann zog, war das Kind. Ein vielleicht zwei, höchstens drei Jahre alter Junge, wahrscheinlich der Enkel der Verstorbenen. Dass die Oma nun tot ist und für immer weg, das schien den kleinen Mann nicht nachhaltig zu bedrücken. Er saß neben seinem Papa, besser gesagt: er turnte an seinem Papa herum: Auf dem Schoß, zwischen den Beinen, auf dem Arm. Und er hatte reichlich Gelegenheit und noch mehr Fanatsie, ihn auf seine Belastbarkeit zu testen.
Vom Pfarrer weitere fromme Worte um die Verdienste der Verstorbenen als Mutter, als treue Ehefrau, aktive Helferin in der Caritas –  da hatte der Enkelsohn  ganz andere Dinge im Sinn. Die Haare seines Papas zogen ihn magisch an. Und da war ja auch seine Brille. Ich konnte gar nicht anders, als den zarten und weniger zarten Übergriffen des Knaben gespannt zu folgen. Geduldig bewahrte der Vater die Fassung, spielte quasi mit. Das Ringen der beiden vollzog sich dabei geräuschlos; nichts störte die zäh zusammengestückelten Sätze des Geistlichen. Der hielt verkrampft ein frommes Buch hoch, musste fast jeden Gedanken ablesen.
Das Kind improvisierte frei. Während des Gesanges krabbelte es zwischen den Füßen des Vaters unter die Bank. Immer noch ohne einen Mucks. Es kam erst wieder hoch, als der Pfarrer den Segen spendete.
Nach dem Trauergottesdienst, als sich alle am Grab versammelt hatten, sah ich den kleinen Kerl wieder. Er hielt ein Band mit drei gasgefüllten Luftballons dran. Toll, wie die zappelten, wenn der Wind sie erwischte. Und so stramm nach oben wollten die.
Die Urne wurde in die Erde versenkt, Blumen folgten. Der kleine Junge guckte nach oben. Er hatte nur Augen für die Ballons. Denn die durfte er endlich loslassen und ihnen lange nachwinken. Sie stiegen hinauf in den Himmel.


Anmerkung von eiskimo:

geschrieben an Himmelfahrt

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (16.05.21)
Da kommt bei einem Begräbnis fast so etwas wie Freude auf. LG

 AchterZwerg (17.05.21)
Sühüüß!
Ganz besonders die Luftballonepisode.
Vom "Marktwert" her natürlich auch die Vater-Sohn-WinWin-Situation: Offenbar waren beide froh, der ätzenden Trauerrede auf sportliche Weise zu entgehen.

Lächelnde Grüße
der8.

 eiskimo meinte dazu am 17.05.21:
So war es. Vielleicht haben sie auch schon weiter geschaut....
Danke für deine Rückmeldung
Eiskimo
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram