Gefährlicher Rollenwechsel

Fabel zum Thema Wahrheit

von  EkkehartMittelberg

Der Löwe war des Regierens müde und wünschte sich für drei tolle Tage einen Rollenwechsel mit dem Fuchs, der sein Hofnarr war. Der Fuchs fügte sich schweren Herzens diesem Begehren; denn er ahnte, dass er damit Kopf und Kragen riskieren würde.
Der Löwe musste bald feststellen, dass der Kronrat über seine Scherze als Hofnarr nicht lachte, wie er es bei dem Fuchs getan hatte. Also forderte er diesen auf,  ihm das veränderte Verhalten des Kronrats zu erklären. Der Fuchs wusste, dass der Löwe ihm die Flucht in Nichtwissen nicht durchgehen lassen würde. Also entschloss er sich, auf Gedeih oder Verderb die Wahrheit zu sagen: “Durchlaucht, erinnert Ihr Euch als Motto Eurer Herrschaft die Parole ausgegeben zu haben: 'Mögen sie mich hassen, wenn sie mich nur fürchten.' ? Ihr habt jetzt den Beweis, wie gut dieses Motto funktioniert, denn der Kronrat wagt aus Furcht nicht, über eure witzigen Bemerkungen zu lachen.“
Der Löwe, der insgeheim an seinem Witz in der Rolle des Hofnarren gezweifelt hatte, sah sich nun doppelt als Regent und in der Rolle des witzigen Hofnarren bestätigt und verzieh dem Fuchs als Kurzzeitherrscher seine Offenheit.

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Kommentare zu diesem Text


 loslosch (30.09.20)
das soldatenstiefelchen horcht auf.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.09.20:
Merci, für den schönen indirekten Kommentar. Ob außer bei Graeculus auch bei anderen das Stichwort " Soldatenstiefelchen" sofort Erkennen auslöst?

 Graeculus antwortete darauf am 30.09.20:
Ist bekannt, ja; der Spruch wird schon von Cicero häufiger zitiert, allerdings nicht als dessen eigenes Lebensmotto.

Der preußische "Soldatenkönig" Friedrich Wilhelm II. bemerkte, wie die Leute auf der Straße ängstlich vor ihm zurückwichen. Darauf schlug er mit dem Knüppel auf sie ein und schrie: "Nicht fürchten sollt ihr mich, sondern lieben! Lieben!"
Er mochte halt kein Caligula sein.
Er hätte aber Macchiavelli lesen und dort finden können, daß die Furcht eine weitaus stabilere Emotion bei Untertanen ist als die Liebe.

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 30.09.20:
Merci, Graeculus, ich wusste doch, dass du die historische Linie weiter ziehen würdest. Das Christentum hat aus Gottesfurcht und Gottesliebe eine erfolgreiche Mixtur gemacht, wobei ich den Eindruck habe, dass die Gottesfurcht immer weniger verfängt. Darf man das als fortschreitende Mündigkeit auslegen?

 FrankReich äußerte darauf am 01.10.20:
Ist es nicht allgemein bekannt, dass Herrscher keine Witze erzählen können und Hofnarren auch Dialektik beherrschen müssen, wenn sie überleben wollen?
Ciao, Frank

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 06.10.20:
Das bestreite ich nicht, Ralf. Aber der Witz von Fabeln liegt wohl darin, etwas allgemein Bekanntes amüsant zu erzählen. Da du die Fabel empfiehlst, ist mir dies vielleicht gelungen.
LG
Ekki

 TassoTuwas (30.09.20)
Hallo Ekki,
die allermeisten Mitmenschen können Kritik vertragen, sie muss nur gut verpackt sein
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.09.20:
Gracias, Tasso, ich habe lange überlegt, ob ich die "Lehre" der Fabel nicht direkter formulieren sollte. Die verdeckte Formulierung hat sich gelohnt; denn du hast sie trefflich erkannt.
Herzliche Grüße
Ekki

 harzgebirgler (30.09.20)
hallo ekki, deine schöne fabel hat mich inspiriert:

kein witz ist daß manch prinz für sonst drei tolle
tage demnächst kaum spielt noch (s)eine rolle.

lg
henning

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.09.20:
Merci, Henning, leider lassen sich Herrschernaturen wie der Löwe auf karnevalesken Rollentausch nicht wirklich ein.
LG
Ekki

 TrekanBelluvitsh (30.09.20)
Irgendwie scheint mir der Löwe stalinisiert. er wird an seinen letzten Tagen auch japsend am Boden liegen.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.09.20:
merci. Diesmal bist du der Optimist und ich der Realist. Leider bin ich das.
Al-Badri_Sigrun (61)
(30.09.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.09.20:
Grazie, Sigi, deine Beobachtung gilt selbst für alternativlose Ehrlichkeit.
Herzliche Grüße
Ekki

 monalisa (01.10.20)
Lieber Ekki,
am Beispiel des Fuchses zeigt deine Fabel auf, wie wichtig es für einen guten Diplomaten ist, sich in die Persönlichkeit seines Gegenübers einzufühlen. So findet er genau die richtigen Worte für den Löwen, ohne sich selbst untreu werden zu müssen.

Fabelhaft!
Liebe Grüße
mona

Kommentar geändert am 01.10.2020 um 17:23 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.10.20:
Merci, Mona, dein Kommentar trifft wie immer den Punkt.
Liebe Grüße
Ekki
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