Die Kehrseite der Tugenden

Fabel zum Thema Betrachtung

von  EkkehartMittelberg

Der Löwe wusste, dass alle Tugenden zwei Gesichter haben. So konnte zum Beispiel Milde einen Herrscher beliebt machen, aber auch seine Feinde zum Umsturz verführen. Er wollte den Vorteil der Tugenden nutzen und den Nachteil ausschließen.

Wie immer fragte er den listigen Fuchs um Rat, der wusste, dass seine Mission diesmal besonders heikel war. Er sagte: „Serenissimus, an Euren Universitäten lehren doch Philosophen, die nach der Wahrheit forschen. Pensioniert sie und stellt stattdessen Rhetoriker ein, die man in anderen Staaten Propagandisten nennt“. „Welche Aufgaben sollen diese Rhetoriker haben?“, frage der Löwe. Der Fuchs lächelte: „Eigentlich nur zwei. Sie müssen alles, was Eure Feinde tun, schlechtreden und alles, was ihr selbst veranlasst, als Ausweis von Tugend schönfärben.“ „ Aber das fällt doch auf“, widersprach der Löwe. Der Fuchs lächelte wieder: “Wenn Eure Philosophen im Dienste blieben, ja, aber mit Euren Propagandisten, äh ich meine Rhetorikern, dauert es viel länger, bis es durchschaut wird, und bis dahin habt Ihr Eure Feinde mit echter Tugend besiegt.“

Jetzt lächelte der Herrscher. Er hatte schon die Schlagzeilen vor Augen, die ihn als „Milden“ bezeichneten,. Selbstverständlich würde er von seinem Grundsatz nicht ablassen:“Mögen sie mich hassen, wenn sie mich nur fürchten.“



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Kommentare zu diesem Text


 harzgebirgler (14.03.23, 11:42)
"Tugend ist nur Mangel an Gelegenheit"*
und her mit ihr wohl eh nicht allzuweit.
*Lichtenberg

lg
henning

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.03.23 um 12:07:
Besten Dank, Henning.
Lichtenberg hat recht. Es ist auf jeden Fall leichter, in einem lethargischen Kaff tugendhaft zu bleiben als in einem Sündenbabel. 
LG
Ekki

 harzgebirgler antwortete darauf am 14.03.23 um 12:14:
:) :D <3
Taina (39) schrieb daraufhin am 14.03.23 um 12:24:
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 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 14.03.23 um 12:41:
Ja Taina, so möchte es der Löwe. Gute Macchiavellisten benutzen die Tugend als Tarnung.

 AlmaMarieSchneider ergänzte dazu am 14.03.23 um 22:45:
Richtig! Ist doch "Der Fürst" mein Lieblingsbuch. Er arbeitet mit den Abgründen der Menschen.
Der Löwe auch.

Liebe Grüße
Alma Marie

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 15.03.23 um 01:16:
Merci, Alma Marie,
ich staune immer wieder über dein breit gefächertes Wissen,
 in den Geisteswissenschaften, das du dir  neben deiner Ausbildung in der Elektrotechnik? erworben hast. 
Beeindruckt grüßt dich dein alter Freund
Ekki

 AlmaMarieSchneider meinte dazu am 15.03.23 um 01:59:
Ach Ekki,
ich habe doch auch noch Grafik-Design und Marketing studiert, da waren Psychologie, Soziologie und Geisteswissenschaften Pflicht. Aber nur ein "Männerberuf" ließ mich gut verdienen und er machte mir auch viel Spaß. Also auch noch E-Technik. Eigentlich habe ich mein ganzes Leben lang gelernt und bin doch noch so dumm.
Ja, wir kennen uns wahrlich schon sehr lang auch vom Autoren Web. 
In alter Freundschaft grüßt
Alma Marie

 lugarex meinte dazu am 02.04.23 um 08:06:
Ja, wir kennen uns wahrlich schon sehr lang auch vom Autoren Web. 
So so! Demzufolge seid Ihr eine eingeschworene Komplizen Bande, die wahren Eidgenossen, sozusagen ;)


Ein helvetischen Sonntagsgruss Luga

PS Was ist "Autoren Web"? Ewas mir Autos, oder mit Toren, oder wie?

 AlmaMarieSchneider meinte dazu am 02.04.23 um 12:55:
Nö Luga,
ich bin zumindest keine Schweizerin und nie auf der Rütliwiese gewesen. Ob es das damalige Autorenweb noch gibt? Keine Ahnung. Das ist doch schon zwanzig Jahre her.

Liebe Grüße
Alma Marie
Kämpfernatur (31)
(14.03.23, 12:27)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.03.23 um 12:45:
Gracias, Kämpfernatur. Ich fürchte freilich, dass mein wertvoller Beitrag in einem Ethik-Seminar durchfallen würde.
Kämpfernatur (31) meinte dazu am 14.03.23 um 14:26:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.03.23 um 17:16:
Du blickst so schön durch, dass du mich auf eine Idee gebracht hast. Lateinisch heißt durchblicken "perspicere". Man könnte also einen Text oder eine durchblickende Kommentatorin als "perspicuös" bezeichnen. Vergiss es, war nur ein Scherz.
Kämpfernatur (31) meinte dazu am 14.03.23 um 21:37:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.03.23 um 22:19:
Es ist relativ einfach.  Serenissimus und Durchlaucht waren geläufige Anreden der Herrscher.
Kämpfernatur (31) meinte dazu am 14.03.23 um 23:53:
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Agnete (66)
(14.03.23, 14:25)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.03.23 um 17:21:
Gracias, Monika, gtroffa hamma
Hartherzige Egoisten legen sich Tugenden zu wie Aktien

LG
Ekki

 Saira (14.03.23, 17:08)
Dem Löwen ist jedes Mittel recht, um seine Herrschaft zu erhalten und seine Feinde niederzustrecken. Er schreckt auch vor Täuschung nicht zurück. Moralische Bedenken hat er keine.

Wie im wahren Leben! Schauen wir uns doch die Herrscher auf unserem Globus an.
 
Deine Fabel, lieber Ekki, sollte in der Schule zum Unterrichtsstoff gehören.
 
Herzlichst
Sigi

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.03.23 um 17:30:
Vielen Dank, Sigi,

nur für wenige Klarblickende sind Tugenden fälschungssicher.
Ich vertraue heute nur noch sehr wenigen Herrschern im Prinzip, denn alle verstellen sich und fast alle haben die Lehre des Fuchses mit Löffeln gefressen.

Herzlichst
Ekki

 Graeculus (14.03.23, 17:42)
Anders als sein Nachfolger Caligula mit dessen "oderint dum metuant" hat Tiberius den Grundsatz "oderint dum probent - Mögen sie (mich) hassen, wenn sie (mir) nur recht geben" vertreten. Das hätte der Fuchs vermutlich nicht empfohlen, denn es ist riskant und anstrengend, das durchzuhalten; aber schlecht finde ich es nicht. Everybody's darling wird man so allerdings nicht.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.03.23 um 19:47:
Merci, Graeculus. Ich denke, dass der Grundsatz von Tiberius psychologisch nicht stimmt, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass man jemandem recht gibt, den man hasst. Man wird sich im Gegenteil Scheinargumente zurechtlegen, um ihn weiter hassen zu können.

 Graeculus meinte dazu am 14.03.23 um 22:40:
Das ist in der Tat nicht sehr wahrscheinlich, da gebe ich Dir recht ... woraus Du ohne weiteres schließen kannst, daß ich Dich nicht hasse. (Das war nur ein Scherz.)
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