Schriftstellerische Machtergreifung

Er fragt sich immer mal wieder was wäre wenn er schreiben würde was man eigentlich nicht schreiben dürfte. Andere Autoren*innen werden zum Beispiel für ihre Texte zur sexuellen Selbstermächtigung in ihrer Detailgenauigkeit gefeiert – bis hin zu einem sich Wälzen in großartigem Schmutz. Schließlich haben viele Menschen Freude am Tabubruch.
In der Hip-Hop und R&B-Szene zelebrieren die Sänger*Innen ihre Texte bei den Auftritten dazu noch in spektakulären Outfits.
Er überlegt wie er mit seinen Texten so etwas zelebrieren könnte? Letztendlich entscheidet er sich, zunächst mitreißende Event-Lesungen mit dem Motto <live is live> zu veranstalten, um eine Leserschaft zu interessieren. Er beschließt, es aus seiner Wohnung heraus übers Internet mal auszuprobieren.
Die Resonanz entwickelt sich beachtlich von Auftritt zu Auftritt. Das Regionalfernsehen bekommt Wind davon und lädt ihn zu einem Interview ein. Ihm ist klar, dass es dabei nicht so sehr darauf ankommt was gesagt wird, sondern in erster Linie wie es rüberkommt damit Presse und Fernsehen darüber berichten. Besonderen Wert legt er auf eine schrille Kleidung und extravagante Mimik und Gestik in Form von unerwarteten Bewegungen. In der dritten Folge steigt er plötzlich auf einen Stuhl und zelebriert eine besonders feierliche Szene - so als wäre er ein junger Gott.
Wow – drei Monate später spricht die ganze Region über seine mitreißenden Texte und das Outfit mit ausgefallenem Bartschnitt, rosafarbener Lederhose und weit geöffnetem schwarzem Seidenhemd, sodass seine eingeölte und blank rasierte Brust voll zur Geltung kommt. Daraufhin wird er zu einer ersten Fernseh-Lese-Show im Landesprogramm geladen.
Sein Ziel, überregional bekannt zu werden, erscheint ihm trotz seines fortgeschrittenen Alters immer noch erreichbar – Wow.