6. Einrichten

Text

von  Elisabeth

Adarach hatte keine Erinnerung daran, wie er in der Nacht zuvor zurück ins Gasthaus und in sein Bett gekommen war. Und ihm wurde klar, daß er nie zuvor so viel Oinos an einem einzigen Tag zu sich genommen hatte. Aber erstaunlicherweise hatte er nicht einmal einen Hauch von Kopfschmerzen. Vielleicht war der Oinos aus Tormar gerade deswegen so beliebt. Aber er war auch zu lecker gewesen. Und es stand Adarach doch auch zu, die Erkenntnis des Geheimnisses angemessen zu feiern, nicht nur einen, sondern zwei oder besser drei Tage. Also bat er die Götter nicht um Verzeihung für sein Übermaß.

Hatte er es sich nur eingebildet, oder hatte Ochasa wirklich versucht, ein Band zwischen ihm und ihrer Tochter zu knüpfen? Oder war es ihm nur so vorgekommen, als der Oinos schon begonnen hatte, seine Sinne zu vernebeln? Wenn es stimmte, konnte er auf eine weitere Einladung hoffen und wieder diesen köstlichen Oinos trinken.

Vielleicht war Ochasa ja nicht mit dem aktuellen Stand der Verrar als vertriebenem Stamm vertraut und meinte, sie würde ihrer Tochter mit einer solchen Verbindung einen Dienst erweisen. Er mochte als Erbe seines mütterlichen Großvaters vielleicht wirklich "König der Verrar und Herr über Verr" sein, aber Verr war verwüstet, und alle Verrar, die es noch gab, hatten am Festtag im Hof des Gasthauses gefeiert. Nein, es war besser, sich mit erfreulichen Gedanken zu beschäftigen. Eine weitere Einladung zu einer abendlichen Lustbarkeit im Hause der Kasiterim, konnte er darauf hoffen? Vielleicht sollte er selbst den Anstoß geben und einen Dankesbrief schicken. Vielleicht noch ein paar Komplimente über die doch wirklich recht nett anzuschauende Tochter hineinflechten, den Brief an Ochasa und Asatam adressieren, dann würde die Dame des Hauses, die ihr Täubchen verheiraten wollte, schon für eine weitere prompte Einladung sorgen. Eine verabredete Hochzeit mit Damila konnte natürlich Tawaram in seinen Armen kaum ersetzen, aber der Oinos war es schon wert, ganz abgesehen von weiteren Vorteilen, die er als Schwiegersohn eines Ratsherren von Berresh, einer der reichsten Städte der Welt, genoß. Adarach streckte sich genüßlich in dem großzügigen Bett. Hach, es war herrlich, erwachsen zu sein.

Wenig später saß er an dem kleinen Tisch vor dem Fenster zum Innenhof, sah unten die geschäftigen Bediensteten, die anderen Bewohnern des Gasthauses Frühstück servierten, über dem gegenüberliegenden Dach in der Ferne die Rauchsäule des Ewigen Feuers auf der Burg und schrieb seinen Brief.

Nach der Übergabe des Briefes an einen verläßlichen Boten und einem kleinen Frühstück im Innenhof, entschloß Adarach sich, die nähere Umgebung dieses Awrani-Viertels zu erkunden, das Chafaran gestern so gar nicht interessiert hatte. Da der Lehrer bisher nicht aufgetaucht war, beeilte Adarach sich mit den letzten Bissen und verließ das Gasthaus.

Er hätte in Garam oder Karn oder einer sonstigen großen Stadt der Awrani sein können, das Aussehen der Menschen, ihre Art des Umgangs miteinander, Schwüre bei der Großen Mutter und Grom, das war so anders als das Treiben auf den Straßen der restlichen Stadt. Die Menschen waren lauter hier, fröhlicher, als läge über den näher an der Oberstadt befindlichen Stadtteilen nicht nur der Schatten der Burg und der harzige Geruch des Ewigen Feuers, sondern noch etwas anderes, düsteres, das ihre Lebensfreude einschränkte. Bei der Abendgesellschaft der Kasiterim hatte alles trotz der zum Teil ernsten Gespräche harmonisch, zuletzt sogar ausgelassen gewirkt, auf den Straßen allerdings waren hauptsächlich die Bediensteten unterwegs gewesen, vielleicht war diese Bedrückung die Kehrseite des fantastischen Reichtums von Leuten wie Asatam Kasiterim, dessen Mittel angesichts der Trinkschalen und der Mengen an exquisitem Wein anscheinend weit über das hinaus gingen, was dem König der Garamar und Herrn über Garam zur Verfügung stand. Vielleicht war es die Furcht vor ihrem blutliebenden, auch Menschenopfern nicht abgeneigten Gott, der eher den Eindruck eines übermäßig strengen Vaters machte, und den Berreshi fehlte einfach eine mütterliche Göttin, die die Herzen der Menschen leichter machte. Sonst hätte die Frau eines Ratsherren ja wohl nicht die Feier einer Göttin, die ihre awranische Mutter verehrt hatte, besucht, sondern wäre wie andere Frauen ihres Standes eher zu einem heimischen Fest gegangen.

Während er dem Gedanken nachhing, ob für ihn eine Welt ohne die Große Mutter überhaupt denkbar war, nahm er einen Geruch war, der ihm sehr vertraut war, dazu die Rufe, das rhythmische Stampfen, da war ein Übungshof in der Nähe.

Die Übungshöfe mußten direkt in dem Gebäude neben dem er stand sein, denn seine fensterlosen Wände waren mit den Bildern von Ringern und gepanzerten Kämpfern, die gegeneinander antraten, geschmückt. Die Eingangstür stand offen, also trat Adarach ein. Der Sandplatz war geradeaus in einem offenen Hof, der von Säulengängen umgeben war, von denen auf der einen Seite anscheinend ein Bad abging, auf der anderen Seite schien der Wirtschafter zu wohnen. Dahinter war angesichts des Lichteinfalles ein weiterer offener Hof, vermutlich der Hof für die Rüstungskämpfer, denn von dort kam das Stampfen und metallenes Klirren. Von dort mußte auch der Schweißgeruch von den feucht geschwitzten Polstern in den Rüstungen herüberziehen, von denen so manche ja schon Generationen in Benutzung waren. Auf dem Sandplatz maßen aktuell nur eine Handvoll junger Männer ihre Kräfte gegeneinander.

"Bei Grom! Was stehst du noch rum, Kerl?" sprach ihn plötzlich ein etwas älterer Mann an. "Zieh dich aus und sieh zu, daß du in Bewegung kommst. Faulpelze werde ich nicht mit nach Ma'ouwat nehmen."

Adarach war im ersten Moment so verblüfft über diese unfreundliche Ansprache, daß er gar nicht wußte, was er diesem ihm unbekannten Mann antworten sollte. Aber er wollte ja Ringen. Vielleicht ließ dieser Mann ihn nicht mittrainieren, wenn er erfuhr, daß Adarach nicht dazugehörte, also legte er rasch den Mantel auf eine der Bänke im Säulengang, zog die Tunika über den Kopf und, nur noch mit seinem Lendentuch bekleidet, die Sandalen von den Füßen. Einer der Kämpfer wartete anscheinend nur auf einen neuen Gegner, und Adarach lief zu ihm, um einen Gang gegen ihn zu wagen.

Der Griff des anderen war nicht gerade sanft, als er versuchte, Adarach zu Boden zu zwingen. Und Adarach bekam seinen Gegner gar nicht richtig zu fassen, da dieser sich vor dem Kampf eingeölt hatte. Und dann grinste sein Gegner so unverschämt siegessicher, daß Adarach seinem Druck einen Moment scheinbar nachgab, und ihm dann mit beiden Händen ein Bein wegzog und den anderen so zu Boden warf. "Wa...?" rief der Unterlegene überrascht, aber dann grinste er wieder. "Das war ein guter Trick, den werde ich mir merken."

Adarach half dem anderen wieder auf die Beine. "Noch einmal?" fragte er, aber der andere schüttelte den Kopf. "Für jetzt bin ich raus und du kriegst einen neuen Gegner. Hast du eben nicht aufgepaßt?" Und wieder grinste er, gab Adarach einen freundlichen Klaps gegen den Kopf. "Kannst dir wohl nur Kampftricks merken, keine Anweisungen, was?" Dann ging er zu einem kleinen Grüppchen unter dem umlaufenden Dach, das waren anscheinend die Männer, die eine Niederlage erlitten hatten.

Adarach rang noch einen weiteren Gegner nieder, den dritten Ringkampf verlor er. "Immerhin zweiter geworden", sagte der ältere Mann zu ihm, als Adarach zu den fünf Männern in den Schatten ging. Dort war auch ein kleiner Wandbrunnen, von dem die anderen sich schon mit den Händen bedienten. Er hörte, wie der Ältere den Sieger beglückwünschte, dann kamen auch die beiden in den Schatten, um sich zu erfrischen.

Der Ältere sah danach in die Runde. "Wart ihr eben nicht sechs? Wer von euch war nicht von Anfang an dabei?"

"Ich, Herr", beeilte Adarach sich zu sagen. Als Faulpelz wollte er nicht gelten, aber nach Ma'ouwat zog es ihn auch nicht.

"Ach, auch noch zu spät, also wirklich ein Faulpelz."

"Herr, er war beim Lauf heute früh nicht dabei", warf einer der jungen Männer ein.

"Hast dich gedrückt, was Rotschopf?" sprach der Ältere Adarach nun direkt an.

"Ich weiß nicht, wovon ihr sprecht, Herr", gab Adarach zu. "Ich bin vor zwei Tagen zum Studieren nach Berresh gekommen und habe mich heute hier im Viertel umsehen wollen. Als ich dann den Übungshof fand dachte ich, etwas Bewegung würde mir nicht schaden."

"Das ist in der Tat eine lobenswerte Haltung, junger Mann. Aber dann bist...", der ältere musterte die Männer mit leicht zusammengekniffenen Augen und zeigte dann mit dem Zeigefinger auf einen von ihnen, "... du der Zweite. Und was dich betrifft, Student, falls dir die Studien irgendwann zu fad werden und du bei mir doch noch als Söldner für Ma'ouwat anheuern willst, bist Du herzlich willkommen. Ich komme alle zwei Monate zum Rekrutieren her."

*



Nachdem sich Adarach noch einen Besuch in dem kleinen Bad des Übungshofes gegönnt hatte, schlenderte er weiter durch die Straßen und Gässchen, bis er ein Stadttor der Neuen Stadtmauer passierte, die die nicht ummauerte Vorstadt von der Neustadt trennte. In diesem Teil der Neustadt hatten viele Händler ihre Stände und einer davon verkaufte auch Mäntel aus vielfarbig gewebten Stoffen, deren Oberfläche einen leichten Glanz hatte. Zwar wußte Adarach nicht, ob sein Brief schon für diesen Abend zu einer Einladung bei Ratsherr Kasiterim führen würde, aber einer der Mäntel hatte einen rot-orangenen Schimmer in der einen und einen grün-bläulichen Schimmer in der anderen Richtung und harmonierte so mit seiner Haarfarbe und mit seiner Augenfarbe. Den mußte er haben. Er bestellte die Lieferung in das Gasthaus an Kaharach, der ja sein Geld verwaltete und nahm, als sich der Hunger meldete, den Rückweg in die Vorstadt und das Awrani-Viertel auf der Straße neben dem schmalen Flußlauf des Barbesh, der sich, von den Bergen im Norden kommend, in seinem überdimensioniert wirkenden felsigen Bett bis zum Hafenbecken durch die Stadt schlängelte.

Der Mantel war schon eingetroffen und von Kaharach bezahlt worden und es lag auch ein Brief als Antwort auf sein Schreiben an Ochasa und Asatam Kasiterim in seinem Zimmer. Ein Wachsiegel, in das so etwas wie eine stilisierte Flamme in einer Schale eingeprägt worden war, verschloß das Schreiben auf feinem Papyrus. Ob das die ersehnte Einladung war? Obwohl Adarach noch nicht einmal ein Essen bestellt hatte und sein Magen zum wiederholten Male vernehmlich knurrte, erbrach er ungeduldig das Siegel, um zunächst Gewissheit zu erlangen. Sie dankten für die freundlichen Worte, freuten sich, daß er sich wohlgefühlt hatte und, ja!, fragten an, ob er an diesem Abend vielleicht auch wieder Zeit für sie hatte.

Adarach meinte, den Oinos aus Tormar schon zu schmecken, aber erst einmal brauchte er nun doch etwas zu essen. Er lief die Treppe hinunter in den Innenhof, bestellte beim Gastwirt etwas zu Essen und bat darum, daß Kaharach gesucht werde.

Kaharach war bei seiner Großmutter wurde ihm hinterbracht, das Essen war schnell verzehrt und Adarach ging hinüber zu dem Tempelhaus der Großmutter und klopfte an der Tür. Kaharach öffnete ihm. Die Tür zum Wohnbereich der Großmutter stand auf und Stimmen drangen von dort bis in den Vorhof, es klang, als wären Buhachan und Avilah ebenfalls hier. "Ah, das trifft sich ja", begrüßte Kaharach ihn. "Wärst du nicht hierher gekommen, hätte ich dich jetzt gesucht. Komm mit, meine Großmama möchte mit dir auch ein paar Worte wechseln."

"Ich wollte eigentlich nur ein bißchen Geld, um..."

"Der Mantel ist bezahlt", erinnerte Kaharach ihn. Der Mann wußte ja nicht, daß Adarach auch eine kleine Aufmerksamkeit für die Tochter des Hauses Kasiterim als Gastgeschenk besorgen wollte. "Und ich denke, das hier ist wichtig." Die Großmutter war immerhin die erste Prophetin von Verr gewesen.

Also folgte Adarach seinem Leibwächter zu der kleinen Gruppe, die im Schatten eines Sonnensegels um einen Tisch mit Erfrischungen herumsaß. Ja, da waren nicht nur die Großmutter, sondern auch Buhachan und Avilah, die auf ihrer Bank ein wenig zusammenrückten, um ihm Platz zu machen, Kaharach setzte sich neben seine Großmutter.

"Sei gegrüßt, König der Verrar und Herr von Verr", sagte die alte Prophetin förmlich und neigte den Kopf ein Stück. "Es gibt eine, nein zwei Angelegenheiten zu besprechen, die dich und deine Familie betreffen. Das eine habe ich schon mit Avilah und Buhachan besprochen, dazu erbitten wir deine Zustimmung. Das andere ist etwas, was vor allem dich betrifft."

"Was für eine Angelegenheit erfordert meine Zustimmung?" fragte Adarach überrascht. Er war jetzt erwachsen und sein eigener Herr. Aber das er jetzt auch über irgend etwas, was nicht ihn persönlich betraf, Befehlsgewalt hatte, verwunderte ihn. Sein Königstitel war doch angesichts des Zustands der Verrar und ihrer Stadt inhaltsleer.

"Ich möchte Avilah ab sofort zu meiner Schülerin machen. Sie ist wahrhaftig ein Geschenk der Göttin, denn sie hat schon jetzt stärkere Fähigkeiten als ihre Mutter in dem Alter. Ich trage zwar noch immer den Titel der Ersten Prophetin, aber nachdem die Göttin deine Mutter zu sich geholt hat, bin ich die letzte Prophetin, die die Verrar haben. Noch fünf Jahre mit Avilahs Ausbildung zur Prophetin zu warten ist eine Verschwendung, die wir Verrar uns nicht leisten können. Ihre Fähigkeiten kommen schon jetzt an die eurer Großmutter Mesanna heran, die eine Gesandte der Göttin war."

"Oh", entfuhr Adarach, der als Wissender nun verstand, was das bedeutete. Und auch Kaharachs Augen wurden groß. Anscheinend hatte er es bisher nicht gewußt.

Und die Großmutter fuhr fort: "Da der Brauch aber vorsieht, daß der König bestimmt, wann die rechte Zeit ist, die priesterliche Ausbildung zu beginnen, mußt du mir und Avilah deine Erlaubnis geben."

"Bedeuten ihre Fähigkeiten, daß auch Avilah eine Gesandte der Göttin ist?" vergewisserte Adarach sich.

"Das kann dir zum jetzigen Zeitpunkt nur die Große Mutter sagen", erwiderte die Großmutter. "Mit der Zeit wird es offenbar werden."

"Avilah, was sagst du dazu, jetzt sofort zur Priesterin und Prophetin ausgebildet zu werden?"

"Ich sehne mich schon danach, seit ich verstanden hatte, daß unsere Mutter der Großen Mutter diente. Ich bitte um Deine Erlaubnis."

"Dann ist es entschieden. Ich bestimme also, als König der Verrar und Herr des zerstörten Verr, daß Avilah das rechte Alter erreicht hat, um von dir ausgebildet zu werden, Erste Prophetin der Verrar."

"Ich danke dir, Mawek Adarach. Und erlaubst du auch, daß Avilah hier bei mir wohnt? Das ist für uns beide nämlich viel bequemer, und sie kann ja auch nicht für immer im Gasthaus bleiben."

"Wenn Onkel Buhachan nichts dagegen hat, erlaube ich es." Buhachans Blick zeigte Adarach, daß er diese Bemerkung für wenig angemessen hielt. Aber ihre Mutter hatte ja ihrem Bruder die Fürsorge für ihre Kinder übertragen und Avilah unterstand als Kind dieser Fürsorge noch immer.

"Da das nun also geregelt ist, würde ich gerne noch ein paar Worte mit dir allein wechseln, Mawek. Und Kaharach wird dir die Münzen, nach denen du gefragt hast, sicher nachher im Gasthaus geben." Und sie schmunzelte wieder.

Doch als die anderen drei gegangen waren, wurde ihr Gesicht sehr ernst. "Mawek, du bist in ernster Gefahr. Die Ratsherren haben keine Freunde, nur Verbündete. Und ein Bündnis kann auch einmal ohne Vorwarnung aufgekündigt werden, wenn ein anderes, vielleicht vorteilhafteres Bündnis dem entgegen steht. Wenn du wieder das Haus des Ratsherrn aufsuchen solltest, sei auf der Hut. Der Segen der Großen Mutter liegt auf dir, aber manchmal ist ihre Art der Rettung nichts, was wir uns erhoffen oder mit dem wir gut leben könnten."

Adarach nahm zur Kenntnis, daß sie eine düstere Vorahnung zur heutigen Nacht hatte, doch offenbar sah sie nichts Konkretes. Sollte er dieser Vorahnung wegen auf das Vergnügen des wunderbaren Oinos verzichten? Und was konnte ihm hier in Berresh schon passieren? Daß er für den Oinos zahlen mußte? Daß er Damila morgen würde heiraten müssen, weil er in dem Brief an ihre Eltern ihre Schönheit gelobt hatte? Nichts davon war etwas, das er herbeisehnte, aber es war auch nichts, was einem düsteren Schreckensszenario nahe kam. "Ich vertraue auf den Schutz der Göttin", sagte er ernsthaft. "Aber ein Bündnis mit einem Ratsherren ist für alle Verrar hier in der Stadt wertvoll. Ich werde ernsthaft aufpassen, daß nichts was ich tue das gefährdet."

Die Prophetin nickte. "Das wirst du, Mawek. Möge die Große Mutter dir zur Seite stehen, wenn du ihre Hilfe brauchst." Und sie verabschiedete Adarach.

Im Gasthaus wartete Kaharach auf seinen Schützling. "Wieviel Geld brauchst du, Mawek?" fragte er.

"Ich möchte ein kleines Amulett der Großen Mutter kaufen, als Gastgeschenk. Weißt Du, wo ich hier soetwas bekommen kann?"

"Ein Stück die Straße runter ist ein Schmuckhändler, der bietet auch Amulette an, sogar welche, die bereits gesegnet wurden." Und er drückte Adarach zwei Silberstücke in die Hand. "Das sollte reichen."

Adarach verabschiedete sich also, und suchte den Schmuckhändler auf. Er würde seiner Antwort auf die Einladung als kleine Aufmerksamkeit ein Amulett für Damila beilegen, zumindest ihre Mutter würde es zu würdigen wissen. Und die Mütter waren es doch traditionell, die die Fäden einer Verehelichung spannen... Adarach wurde etwas wehmütig. Wer wohl den Part seiner Mutter übernehmen würde? Kaharach oder etwa Buhachan? Und da wäre noch die alte Prophetin, die ihn allerdings vor dem Besuch bei Kasiterim gewarnt hatte.

Der Schmuckhändler hatte tatsächlich eine große Auswahl an Amuletten, größere, auf denen eine Statue der Göttin abgebildet war, kleinere, auf denen mal mehr mal weniger gut so eben ein Delphin zu erkennen war. Es gab welche aus Gold und anderen Metallen, aber auch einige aus geschnitztem Perlmutt. Die Darstellung eines Delphins war vielleicht die beste Wahl, denn er wußte ja nicht, wie der Vater Damilas zu den Bräuchen und dem Glauben der Awrani stand, nur daß es angesichts der Diskussion am Vorabend ja wohl schon mehrfach ein Thema in der Familie gewesen sein mußte. Auf Nachfrage fand der Schmuckhändler tatsächlich ein kleines perlmutternes Amulett an einer dünnen goldenen Kette, die lang genug war, daß Damila es um den Hals tragen konnte. Die Schnitzarbeit des Amuletts war so fein, daß sogar die Seitenzeichnung des Delphins zu erkennen war. Sah er nicht genau so aus, wie der erste dieser Fische, die die 'Königin der Wellen' vom Hafen von Garam nach Westen begleitet hatten? Da es nicht geweiht war, reichten die beiden Silberstücke. Vielleicht hätte Adarach den Mann auch noch etwas herunterhandeln können, aber dieses Amulett traf so genau das, was er sich vorgestellt hatte, daß er den geforderten Preis ungefragt bezahlte.

Zurück im Gasthof schrieb Adarach seine Antwort, dankte für die Einladung, er nehme sie gerne an und der beiliegende Halsschmuck sei als kleine Aufmerksamkeit für Damila gedacht. Ein Bote des Gastwirts lief los, um den Brief zu besorgen.

* * *



Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram