Bücherdiebin, gehindert

Tragikomödie zum Thema Psychologische Phänomene

von  AchterZwerg


Betont unauffällig betrat ich die noble Frankfurter Buchhandlung.

Schon am Tag zuvor hatte ich die Prachtausgabe *„Das föderative Prinzip“ von P.-J. Proudhon entdeckt, dessen frühere Schrift *„Was ist Eigentum?“ bereits mein Heim zierte. Darin gab es auch die Antwort zu lesen: Eigentum ist Diebstahl!

Dies leuchtete mir an jenem denkwürdigen Tag ganz besonders ein, denn das ledergebundene Buch sollte schlappe 280,00 DM kosten – unerschwinglich für eine bibliophile, doch mittellose Studentin.


Schon hielt ich das Buch in der Hand, öffnete die vorsorglich mitgebrachte Tasche, wollte die Untat mit Schwung vollenden, als mein Blick auf den greisen Buchhändler fiel, der wiederum mich aus wässrig-blauen Augen musterte, als sei ich eine staunenswerte, moralische Wüste.

Röte begann das Gesicht einzufärben und verschämt wandte er sich wieder seiner Tätigkeit, dem liebevollen Binden eines beschädigten Buches, zu. Mich ließ er gewähren.


Augenblicklich stellte ich das Werk zurück, rannte hinaus und betrat die Buchhandlung niemals wieder.


Das Stehlen von Büchern gab ich fortan auf. Proudhon nicht.



*1: „Du Principe fédératif“ (1863)

*2: „Théorie de la propriété“ (1841)










Anmerkung von AchterZwerg:

Für bluebird, den unerschrockenen Gotteskrieger. Das meine ich jetzt ohne Ironie.

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Kommentare zu diesem Text


 TassoTuwas (21.07.24, 13:56)
Dicke Bücher haben eine verständliche Anziehungskraft auf kleine Menschen.
Nicht, dass sie deren Inhalt ver stehen, nein, sie erscheinen  größer wenn sie drauf stehen!

Herzliche Grüße  :D   
TT

Kommentar geändert am 21.07.2024 um 13:57 Uhr

 AchterZwerg meinte dazu am 21.07.24 um 17:37:
Du sagst es!
Manchmal bleibt mir beim Gardinenaufhängen nur die Wahl zwischen den gesammelten blauen Bänden (Kalle M.) und vorzeitigem Suizid!

 DanceWith1Life antwortete darauf am 21.07.24 um 19:25:
ist das schon Galgenhumor, weiß das jemand?

 AchterZwerg schrieb daraufhin am 22.07.24 um 06:30:
Ich nicht.  :P

 Saira (21.07.24, 15:06)
Liebe Heidrun,
 
eine interessante und nachdenkenswerte Geschichte, die du zum früheren französischen Sozialreformer und Theoretiker Proudhon, der sich gegen Monopoleigentum und Staatsgewalt stellte und den Begriff Anarchismus prägte, schreibst.
 
Proudhon war ein Antisemit und Rassist. ÜBEL! Außerdem war er ein Antifeminist, der die Rolle der Frau darin sah, sich der häuslichen Macht des Mannes zu unterwerfen. Auch ÜBEL!
 
Er kritisierte das Monopoleigentum, das von der wirtschaftlichen Macht ausgeübt wurde und wird, womit ich mit ihm übereinstimme. Monopole bestimmen den Markt, d. h. die Preise und die Angebote. Proudhon sah die Probleme seiner Zeit im Industriekapitalismus bezüglich der Wohnungssituation, Verlängerung der Arbeitszeit, den Niedriglöhnen u.m.
 
Er wollte eine regionale Wirtschaftsentwicklung und -förderung, die unter Kontrolle der Arbeiterschaft stehen sollte.
 
Er hatte sicherlich gute Ideen und seine Kritik gegenüber dem Monopoleigentum ist heute, mehr denn je, ein Thema. Schauen wir uns Amazon, Google, Apple, Deutsche Post, Telekom, Supermarktmächte wie Nestlé, Unilever u.v.m. an.
 
Inwiefern stahl Proudhon Bücher? Höchstwahrscheinlich gibt es dazu eine Geschichte, die ich nicht kenne. Liegt hier vielleicht der tiefere Sinn dem berühmten Zitat „Eigentum ist Diebstahl“ zugrunde, das besagen würde, dass man keinen Diebstahl begeht, wenn man sich Bücher nimmt, da sie ja niemandem gehören?
 
Liebe Grüße
Sigi





 AchterZwerg äußerte darauf am 21.07.24 um 17:17:
Liebe Sigi,

ich fürchte, du hast die Story nicht ganz verstanden.
Nicht Proudhon wollte Bücher stehlen, sondern ich. 8-) Oder die Prota.
Antifeminist konnte der nicht gewesen sein, weil seinerzeit der Feminismus ja erst im Entstehen war. Ein Frauenflüsterer war er allerdings nicht und glaubte an die Überlegenheit des männlichen Geistes.
Mit seinem verbalen Antisemitismus hielt er sich auf der "Höhe" seiner Generation, entschuldigen möchte ich den aber nicht. 
Andererseits fließen Proudhons Lehren in die Schriften des deutschen Schriftstellers, Publizisten, Anarchisten  u n d   Juden  Erich Mühsam ein, dem diesbezüglich niemand etwas vorwerfen kann.

Kann es sein, dass du ein wenig kühl auf den Begriff "Anarchismus" reagierst?

Mit Bombenlegen hat der aber nix zu tun, meint ein herrschaftsfreies Leben. 
Auch nichts mit Frauenhass. Im Gegenteil. Gerade bei ihnen und nur bei ihnen fiel erstmals der Begriff der "Gefährtin."

Der Begriff "Nation" entstand erst im Zuge der Französischen Revolution und galt als sehr fortschrittlich.

Sicherlich hatte Proudhon viele Fehler und irrte sich nicht selten. Neben Bakunin gehört er jedoch zu den Begründern des Anarchismus bzw. Syndikalismus. Das Scheitern kommunistischer Ideen hat er präzise vorausgesagt.

Man kann ihn gut finden oder nicht. Wichtig war er allemal. Ein Trost bleibt dir allemal:

"Was klappt nie? Die Anarchie!" ;)
---

Der Witz meines Textes liegt übrigens gerade in Proudhons These "Eigentum ist Diebstahl", weil die von einer Diebin angewandt wird. Und zwar wörtlich.

Herzliche Grüße
Heidrun

 Saira ergänzte dazu am 21.07.24 um 18:23:
*Hihi* den letzten Satz habe ich in der Tat missverstanden

Ich und kühl bei bei dem Begriff "Anarchist"? Oh nein, bin ich doch im Herzen eine Anarchistin :)

 Pfeiffer (21.07.24, 15:12)
Mein Rat, wenn man ihn denn gewünscht hätte, wäre gewesen:
Proudhon aufgeben und weiterhin Bücher stehlen!

Gruß, liebe Heidrun, von Fritz

 AchterZwerg meinte dazu am 21.07.24 um 17:21:
. :D

Lieber Fritz,

ich bin ja mehr wegen des Buchhändlers vom Diebstahl abgekommen.
Wenn du den gesehen hättest: ein zartes, blasses Männchen mit einerm Samtmützchen aufm Kopp, und dass der nix gesagt, sich nur fremdgeschämt hat ...
Da wärst du auch weich geworden.

 Pfeiffer meinte dazu am 21.07.24 um 18:29:
Können wir uns wie folgt verständigen: Bei dem zarten Buchhändler mit dem Samtmützchen klauen wir nix mehr, aber woanders umso mehr?
Da wäre ich dabei!

 Saira meinte dazu am 21.07.24 um 19:39:
:D

 Moja (21.07.24, 16:47)
Echte Zwerge verstehen eben Wissen mit Gewissen zu vereinbaren, beeindruckend die Reaktion des Buchhändlers, meint Moja  8-)

 AchterZwerg meinte dazu am 21.07.24 um 17:22:
Genau, Moja,
damit hat der mich weichgekloppt! 8-)

 Teo (21.07.24, 16:48)
Mh...für mich warst du stets eine Ikone der Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit.
Dat kann doch nich wahr sein!!!???

 AchterZwerg meinte dazu am 21.07.24 um 17:24:
Kann mir schon denken, Teo, dass solche Gräuel in Herne gar nicht erst vorkommen.
Aber mir, der jungen MenschIn *hüstel) fehlte es seinerzeit an solchen Vorbildern wie euch. :(

 Teo meinte dazu am 22.07.24 um 09:39:
Ach Zwerch,
in Herne gibt es auch Kriminelle.
Ich wurde mal entführt. Dann hab ich den Räubern in Gefangenschaft meine Gedicht vorgelesen. Die haben mich dann freigelassen und sind schreiend weggerannt.

 LotharAtzert (21.07.24, 17:02)
„Das föderative Prinzip“ von P.-J. Proudhon entdeckt
Ja gut, ich täte ja eher das Daseinsprinzip empfehlen, aber ansonsten war ich auch mal fast dran, - bei mir war es eine Byron-Erstausgabe einzusacken, aber dann siegte die Angs vor dem Erwischtwerden.


Wird Bluebird wenigstens verständigt von dieser Ehre? Ich weiß nicht, ob Gott das von sich aus übernimmt

meint bauklötzerstaunend Ätzbabbel

 AchterZwerg meinte dazu am 21.07.24 um 17:29:
Ich verständige ihn jedenfalls nicht. 8-)
Kann aber auch kaum dagegen an, dass der mich irgendwie anrührt.
Ein Leben als Seelenretter eines Forums wie KaVau ist bestimmt nicht immer einfach.
Deshalb korrigiert er ja seine Missionitäten andauernd ... halt irgendwie süß.

Und er freut sich bestimmt, dass wenigsten eine von uns über ein tragfähiges Gewissen verfügt ... *hüstel) :D

 Quoth (21.07.24, 17:12)
 Der bestirnte Himmel über ihm wie das moralische Gesetz in ihm erfülle sein Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht.  Sagte Kant, und eben dies moralische Gesetz hast Du in diesem Moment entdeckt: Klauen ist nicht in Ordnung, hättest Du Deinen Vorsatz ausgeführt, das Buch hätte Dich immer mit den wässrig-blauen Augen des Buchhändlers angeschaut: als eine "staunenswerte, moralische Wüste". Schöner Text! Kann mir die "bibliophile, doch mittellose Studentin" so richtig vorstellen! Es war die große Zeit der Raubdrucke, vor allem Marcuse, Frantz Fanon und Bloch gab es auch unterm Ladentisch!

 AchterZwerg meinte dazu am 21.07.24 um 17:34:
Danke, danke,

für diesen klugen Kommentar, lieber Quoth. -
Du kennst dich aus - sogar in der halbseidenen Welt der Raubdrucke. Eine seiner Hauptumschlagsplätze war ja Frankfurt am Main ... :)

 AchterZwerg meinte dazu am 21.07.24 um 17:40:
Ekki hat wohl aufs falsche Knöpfchen gedrückt (Privatkommentar), deshalb hole ich seine Antwort mal ans Licht des Tages


Hallo Piccola,
viele Geistesgrößen haben sich zum Diebstahl von Büchern bekannt. Eigentlich eine Defizit des Denkens, denn warum sollte ein Buchhändler weniger geschädigt werden als ein anderer Händler?
Liebe Grüße
Ekki (21.07.24)

Darf ich also davon ausgehen, lieber Ekki,

dass du mich ebenfalls zu den Geistesgrößen zählst? Und das, obwohl ich so klein bin?

Entzückte Grüße
Piccola

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 21.07.24 um 18:02:
Piccola,
du zählst zu den wenigen Geistesgrößen, die den Geist mit Charme verbinden.
Beglückte Grüße
Ekki

 Quoth meinte dazu am 21.07.24 um 19:21:
Du kennst dich aus - sogar in der halbseidenen Welt der Raubdrucke. Eine seiner Hauptumschlagsplätze war ja Frankfurt am Main ... 
Adorno/Horkheimers "Dialektik der Aufklärung" erschien im VERLAG ZERSCHLAGT DAS BÜRGERLICHE COPYRIGHT hamburg-berlin-havana ... Fidel Castro ließ grüßen!  :)

 AchterZwerg meinte dazu am 28.07.24 um 18:21:
Mein Freund Wilhelm, der mit Ende 30 noch im Studentenheim wohnte, war auch an solcher Art der Zerschlagung interessiert ...
ach ja ...

Einer vom Lauftreff kam Do mit einem T-Shirt an, darauf zu lesen war: Viva la evolution (!).
Aber nicht Ché Guevara war abgebildet, sondern der Schimpanse aus "Planet der Affen", richtig mit revolutionärem Mutzchen und so ...
bin vor Lachen fast umgefallen.
War aber ziemlich gemein von mir - ich weiß ... 8-)

 EkkehartMittelberg (21.07.24, 17:38)
Hallo Piccola,
viele Geistesgrößen haben sich zum Diebstahl von Büchern bekannt. Eigentlich eine Defizit des Denkens, denn warum sollte ein Buchhändler weniger geschädigt werden als ein anderer Händler?
Liebe Grüße
Ekki (21.07.24)

 AchterZwerg meinte dazu am 21.07.24 um 17:42:
Siehe oben, Ekki!

Lachende Grüße
Piccola

 Didi.Costaire (21.07.24, 17:48)
Hallo Achter,

das habe ich auch mal erlebt, aber nur mit einem Lolli. Es hatte also einfach nicht diese Relevanz und ich erblasse vor Neid. Du hast selbst im Nichttun eine Größe, die mir nicht gegeben ist.  :(

Schöne Grüße, 
Dirk

 AchterZwerg meinte dazu am 22.07.24 um 06:36:
Die gedankliche Lolli-Sünde wird dir im Oben bestimmt vergeben, Dirk! :) 
Aber ob der HErr ein Herz für Bibliophile haben wird? Wer weiß das schon ...

 plotzn (22.07.24, 09:51)
Servus Heidrun,

schön, wenn das Prinzip des schlechten Gewissens so gut funktioniert. Ist nicht selbstverständlich, heutzutage umso weniger...

Liebe Grüße
Stefan

 AchterZwerg meinte dazu am 23.07.24 um 07:45:
Du sagst es, Stefan,
gerade wir Zwerge sind mannigfachen Anfechtungen ausgesetzt.
Bei einer Größe unter der Gürtellinie fällt ja das Klauen kaum auf. :)

 Regina (22.07.24, 10:01)
Bei den Verkaufstischen, die im Sommer draußen stehen, wären die Händler froh, wenn du die Sachen mitnimmst, weil sie Platz im Lager brauchen. Das gilt nicht nur für Taschenbücher.

Für ein Projekt mit einem teureren Objekt hier der ultimative Tipp:
heure zwei schlecht gekleidete, verdächtig aussehende Gestalten an, die sich dann im Laden so benehmen, als wollten sie etwas stehlen.
Während die Verkäufer auf diese Gestalten achten, kannst du in deinem bürgerlich anmutendem Schneiderkostüm mit spießiger Hochfrisur in aller Ruhe abräumen.

Aber, wie du schreibst, gibt es auch Verkäufer, die Verständnis für Armut haben. Erlaubtes Stehlen sozusagen. Da müssen wir uns als spirituell Hochgebildete (wir lesen seit Jahren Lothar Atzert) Gedanken über das Karma machen. Stehlen beim Monopolkapitalisten ist ja gewissermaßen Zurückstehlen. 

Mundraub wäre nicht strafbar, aber wie ist es mit dem geistigen Hunger.

Dein Text ist recht anregend.

Kommentar geändert am 22.07.2024 um 10:05 Uhr

 AchterZwerg meinte dazu am 23.07.24 um 07:49:
Liebe Regina,

es freut mich sehr, dass dich mein Text zu eigenen Taten anregt! :)
Sollte mal etwas schiefgehen, kannst du dich durch Cori, die klingende Mondscheinsonate, beraten und später auch vertreten lassen.

Wir sorgen vor!

 Regina meinte dazu am 23.07.24 um 08:38:
du meinst, ich fahre extra nach Österreich, um zu klauen, damit MoSo eine Aufgabe hat?

 Mondscheinsonate meinte dazu am 29.07.24 um 18:35:
Ich hab genug Aufgaben, bin aber dann im Markenrecht. ;)

 S4SCH4 (22.07.24, 20:57)
Du wolltest das Buch sicher nicht für DICH haben, oder...? Moooment, da fällt mir ein: Du hättest dir fast Diebstahl zum Eigentum gemacht. In jedem Fall hättest du, dein Gedanken(eigen)tum mit Diebstahl angereichert...was sagt der Proudhon dazu? Am besten du siehst über diesen unqualifizierten Kommentar hinweg...Der Moooralapostel wird mich heute kommen holen :(

 AchterZwerg meinte dazu am 23.07.24 um 07:50:
Doch,

das wollte ich für mich!
Es war einfach zuuu schee!

 RainerMScholz (28.07.24, 14:35)
Ich klau´ lieber Bukowski, den trage ich dann am Kiosk vor; ab einem gewissen Jahrgang können die Delinquenten sogar mitsingen.
Grüße,
R.

 AchterZwerg meinte dazu am 28.07.24 um 18:23:
Bukowski hat auch den großen Vorteil, dass man ihn locker im Bett lesen kann, indes Bakunin oder Kalle M. einer die Brust plattdrückte!

 RainerMScholz meinte dazu am 30.07.24 um 20:27:
Oder mit drei Promille, und kommt sich selbst dann immer noch intellel vor, oder auf dem Klo mit Mastdarmdurchbruch, oder in der vollgeschwitzten August-U-Bahn auf dem Weg zur Nachtschicht, oder kurz nach einem misslungenen Selbstmordversuch, oder mit Rotwein in der Badewanne, oderoderoder...
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