Die Erfindung der Sünde

Glosse zum Thema Mensch (-sein, -heit)

von  eiskimo

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Also, dass eine Eva im Paradies die erste Sünderin war mit ihrer Verführungsnummer – das halte ich für Humbug. Ich habe da eine bessere Theorie, auch ganz weit zurückgreifend, aber weniger frauenfeindlich.

Als die ersten Menschen gelernt hatten, halbwegs ausreichend für Wohnung und Essen zu sorgen, stellte eine mit Haushalt, Kinderbetreuung und Pflege der Sozialkontakte nicht ganz ausgelastete Frau fest , dass da was krumm war in ihrem Gesellschaftsmodell – es fehlte ihnen ein, wie sie es intuitiv ausdrückte,  inneres Regulativ.

Warum auch hier eine Frau? Ganz einfach: Die Männer waren alle auf der Jagd. Wie die Wilden. Und als ausgemachte Fleischfresser jagten sie Wildschwein, Auerochse, Mammut – kurz: Ihr Ernährungsplan war total einseitig und kannte immer nur eins:  Jägerschnitzel. Und das, so befand diese Frau genial wortschöpferisch, war doch wohl …. Sünde! Nichts anderes als eine vorsätzliche Missachtung der göttlichen Schöpfung!

Natürlich wollte sie selber auch nicht länger Knochen abnagen und sich täglich Fleischreste aus den Zahnzwischenräumen pulen. Aber das mit dem inneren Regulativ war keine Spinnerei, es war ihr Langzeit-Konzept. Deshalb startete sie ihr eigenes Gardening. Frei von Sünde baute sie genießbares Grünzeug an und sammelte Körner und Kräuter. Frei von Sünde servierte sie bald Müsli und Körnerbrot – der Veggieday war damals nur ihr Einstieg. Wichtiger aber war rein anthroposophisch betrachtet: Es gab für die Menschen fortan so etwas wie Gut und Böse.

Pech dabei war nur, dass die zum „guten“ Ackerbau genötigten Männer dieses innere Regulativ nicht hin bekamen. Okay, sagten die nämlich: Wenn Mammut, Auerochse oder Wildschwein tabu wären, dann müssten sie halt anders sündigen. Und triebmäßig würden sie sich da schon was einfallen lassen.

Etwa dem Nachbarn die Frau abjagen, Hexenjagden machen, zum Spaß Jagdhunde züchten und warum nicht Raketen-bestückte Jagdflugzeuge konstruieren  oder Jagdpanzer – einmal Jäger, immer Jäger!

So ging die Sünde bald um die ganze Welt – auch, weil Männer ja immer wieder an einem schier unausrottbaren Virus erkranken – dem Jagdfieber. Schrecklich, wenn es grassiert. Es erwischt ja Junge wie Alte, auch längst Frauen, und manchmal werden sogar ganze Völker infiziert.

Gut, wenn man die hitzigen Aufwallungen dann in friedliche Bahnen lenken kann, in den Sport zum Beispiel. Dort werden dann nur Medaillen, Rekorde und Titel gejagt – harmlose Jagdbeute, also.

Schlimm aber, wenn von Staats wegen zur Jagd geblasen wird. Wenn politische Gegner zum Abschuss freigegeben oder Minderheiten außer Landes gejagt werden.

Dies noch mit dem Begriff Sünde zu belegen, klingt – ich gebe es zu - jetzt geradezu harmlos. Aber Vorsicht: Sünde abtun als blöden Trick, uns ein schlechtes Gewissen zu machen, das wäre auch zu einfach. Selbst wenn das Thema ziemlich in Vergessenheit geraten scheint, seitdem Kirche und Religion hierzulande keine Rolle mehr spielen. Vielleicht ist ja die Sache mit dem inneren Regulativ der Schlüssel. Wenn das einer für sich entdeckt, hallo, dem proste ich glatt zu… nein, zum Teufel -nicht gerade mit einem Jägermeister!




Anmerkung von eiskimo:

Die oben abgebildete Eva stammt von Gislebertus. Sie ist ausgestellt im Musée Rolin in Autun, das zur Zeit wegen Umbau geschlossen ist. Musste sie deswegen als Postkarte ablichten...

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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (19.06.25, 16:14)
Diese an sich schöne Geschichte hat zwei wunde Stellen:

1. Sie ist in ihrer Unterscheidung Jagd: böse - Pflanzensammeln: gut nicht biblisch. Denn in Genesis 9, 1 ff. heißt es:

Gott segnete den Noah und seine Söhne und sprach zu ihnen: „Seid fruchtbar, mehret euch und erfüllet die Erde!
Furcht vor euch und Schrecken sei bei allen Erdentieren, bei allen Himmelsvögeln, bei allem, was auf dem Erdboden kriecht, und bei allen Fischen des Meeres; in eure Hand sind sie gegeben.
Alles, was sich regt und lebendig ist, diene euch zur Nahrung; wie das Grünkraut gebe ich euch alles.

2. Sie entspricht in ihrer angenommenen Rollenverteilung Jagd: männlich, Pflanzensammeln: weiblich nicht mehr dem aktuellen archäologischen Forschungsstand; es werden immer mehr Gräber von Toten mit Waffen als Frauengräber identifiziert, während man früher vorurteilsbelastet angenommen hatte: Waffen? Das müssen Männergräber sein.

Dem Glauben, Frauen seien friedlicher als Männer, habe auch ich früher angehangen.

 eiskimo meinte dazu am 19.06.25 um 16:43:
Danke für die profunden Korrekturen. Meine Version hält wissenschaftlichen Ansprüchen nicht stand, völlig klar. Wobei Dein zweiter Absatz für mich auch neu ist. Ich dachte, die Amazonen wären die große Ausnahme gewesen.
Man lernt.

 Graeculus antwortete darauf am 19.06.25 um 16:57:
Die Forscher (Archäologen, Paläontologen) waren meistens Männer und haben Gräber unter lebhafter Beteiligung ihrer Vorurteile gedeutet; heute kann man das Geschlecht von bestatteten Toten genetisch eindeutig bestimmen. 
Allerdings bedeutet das nicht, daß Frauen gleichermaßen an der Jagd beteiligt waren. Ich habe immer noch die Vermutung, daß eine schwangere oder mit einem Säugling "behängte" Frau für die Jagd suboptimal ist; aber es gibt eben auch nicht-schwangere Frauen und eine kollektiv organisierte Kinderbetreuung.

Der griechische Amazonen-Mythos hatte als historischen Hintergrund die Skythen, bei denen die Frauen mitgekämpft und -gejagt haben. Das allerdings ist schon länger bekannt.

 Graeculus schrieb daraufhin am 19.06.25 um 16:57:
Aber schön ist Dein Text dennoch.

 eiskimo äußerte darauf am 19.06.25 um 17:19:
Danke nochmals. Es sollte auch gerne mit einem Augenzwinkern gelesen werden. Ich selbst bin auch bestenfalls ein Schnäppchenjäger...

 EkkehartMittelberg (19.06.25, 23:55)
Ein fantasievoller Text, der Graeculus zu einer nur wenigen bekannten Richtigstellung veranlasste.

LG
Ekki

 eiskimo ergänzte dazu am 20.06.25 um 13:38:
Merci, cher Ekki!

 AchterZwerg (20.06.25, 06:42)


Köstlich!

Der8e (morgendlicher Müsliesser)

 eiskimo meinte dazu am 20.06.25 um 13:37:
Dein Lob tut dem müden Jäger gut. 
Danke!
Eiskimo

 Saira (20.06.25, 11:28)
Danke, eiskimo, jetzt weiß ich endlich, warum ich beim Anblick von Jagdwurst immer ein schlechtes Gewissen bekomme. Das ist also evolutionär bedingt!  :)
 
Dankbare Grüße
Saira

 eiskimo meinte dazu am 20.06.25 um 13:35:
Liebe Saira!
Das mit dem schlechten Gewissen tut mir Leid, aber die so positive Bewertung des Textes - merci!
Eiskimo

 Saudade (20.06.25, 13:45)
Geschichten wurden fast immer von Männern geschrieben. Nicht zu vergessen.

 eiskimo meinte dazu am 20.06.25 um 18:07:
Dabei soll es auch durchaus wohlmeinende gegeben haben, auch wenn im Nachhinein bei manch vermeintlich großem Wohltäter oft noch grössere Missetaten entdeckt werden.

 Graeculus meinte dazu am 20.06.25 um 18:28:
Darf ich in diesem Zusammenhang John Stuart Mill erwähnen? Zusammen mit seiner Frau hat er sich im 19. Jhdt. publizistisch für die Gleichberechtigung von Frauen eingesetzt.
Zugleich soll er der letzte Mensch gewesen sein, der noch das gesamte menschliche Wissen - also als Universalgelehrter - überblickt hat.
"Größere Missetaten" sind mir bei ihm nicht bekannt.
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