Das Experiment

Satire zum Thema Gewalt

von  Saira

Szene: Gruppenraum im Zuchthaus, Stuhlkreis. Ein vergilbtes Flipchart, ein nervöser Psychologe. Die Insassen sitzen sich gegenüber.

 

Psychologe (mit gezwungenem Lächeln, die Hände zittern leicht am Klemmbrett):
„Gut, meine Damen und Herren, unser heutiges Experiment: Stellen Sie sich vor, Sie sind im Fußballstadion. Vor Ihnen sitzt eine sehr attraktive Brünette, die für die falsche Mannschaft jodelt. Wie verhalten Sie sich? Denken Sie daran, Ihre Reaktionen sind entscheidend für Ihre mögliche Entlassung.“

 

Gustav (leckt sich die Lippen, grinst schief, die Augen funkeln):
„Also, ich würde ihr erstmal ganz höflich sagen, dass sie aufhören soll zu jodeln. Und wenn sie nicht hört… naja, ich hab ja meine Methoden, Leute zum Schweigen zu bringen. Die sind… effektiv.“

Er zwinkert dem Psychologen zu, der hektisch etwas auf seinem Block notiert.

 

Klothilde (mit gefalteten Händen, scheinheilig, die Stimme triefend vor falscher Reue):
„Ich würde tief durchatmen, an meine Therapie denken und ihr freundlich erklären, dass sie sich auf der falschen Seite befindet. Vielleicht biete ich ihr sogar einen Schal in den richtigen Farben an. Gewalt ist keine Lösung mehr für mich.“

Die anderen rollen die Augen, Candice stöhnt genervt.

 

Hauke (kalt, emotionslos, spricht wie ein Wetterbericht):
„Ich würde sie beobachten. Ganz ruhig. Warten, bis sie alleine aufs Klo geht. Dann…“

Der Psychologe unterbricht panisch:
„Danke, Hauke, das reicht!“

 

Candice (kichert hysterisch, spielt mit ihren Haaren, die Augen wild):
„Also, wenn sie sexy ist und für die falsche Mannschaft jodelt, dann will sie doch Aufmerksamkeit, oder? Ich würde ihr zeigen, wie man richtig jodelt – mit einem Messer an der Kehle! Dann ist sie ganz schnell still.“

Der Psychologe schluckt, Schweißperlen auf der Stirn.

 

Heiner (lehnt sich zurück, die Stimme ruhig, fast geschäftsmäßig):
„Ich würde erstmal abwarten, ob jemand anderes sie schon erledigt. Spart Ressourcen. Falls nicht, kann ich das diskret übernehmen – gegen Bezahlung natürlich. Aber ehrlich gesagt, für Fußballfans gibt’s bei mir keinen Mengenrabatt.“

Er lächelt dünn, als würde er über Aktienkurse sprechen.

 

Psychologe (zitternd, die Stimme überschlägt sich):
„Äh… und was ist mit Empathie? Reue? Zivilcourage?“

 

Alle (im Chor, wie aus einem schlechten Werbespot):
„Das ist was für Verlierer!“

 

Der Gruppenraum wirkt noch stickiger, das Licht flackert. Der Psychologe wischt sich nervös die Stirn, sein Lächeln ist nur noch eine Grimasse. Die Insassen lehnen sich vor, als hätten sie Blut gerochen.

 

Psychologe (die Stimme bricht, er klammert sich ans Klemmbrett wie an einen Rettungsring):
„Vielleicht… äh… versuchen wir es mal mit einer Rollenspiel-Übung? Wer möchte die Brünette spielen?“

 

Gustav (schlägt sich auf die Schenkel, lacht kehlig):
„Ich kann auch die Brünette sein. Ich hab Erfahrung mit Rollen – und mit Rollenwechseln, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

Er zwinkert, seine Zunge fährt über die Zähne.

 

Klothilde (legt den Kopf schief, die Stimme honigsüß, aber die Augen eiskalt):
„Ich finde, wir sollten alle mal in die Rolle der Brünetten schlüpfen. Dann spüren wir, wie es ist, schwach zu sein. Und dann… können wir entscheiden, ob wir Gnade walten lassen. Oder eben nicht.“

Sie lächelt, als hätte sie gerade ein Kätzchen gestreichelt.

 

Hauke (starrt an die Decke, spricht tonlos):
„Ich habe mal gelesen, dass Menschen unter Druck ihr wahres Gesicht zeigen. Ich würde sie so lange provozieren, bis sie ausrastet. Dann weiß ich, wo ihre Schwäche liegt. Dann kann ich sie brechen.“

Er blinzelt nicht.

 

Candice (wippt auf dem Stuhl, die Stimme überschlägt sich vor Aufregung):
„Ich liebe Experimente! Vielleicht fange ich an zu jodeln, lauter als sie. Und wenn sie dann weint, tröste ich sie. Mit einem Kissen. Ganz fest. Bis sie einschläft. Für immer.“

Sie kichert, als hätte sie einen besonders guten Witz gemacht.

 

Heiner (zieht eine imaginäre Bilanz, spricht wie ein Buchhalter):
„Emotionen sind überbewertet. Es geht um Effizienz. Wenn jemand stört, wird er entfernt. Das ist wie Unkraut jäten. Und wenn der Preis stimmt, kann ich auch gleich den ganzen Block säubern. Mengenrabatt gibt’s aber wirklich nicht.“

Er tippt auf eine unsichtbare Uhr.

 

Der Psychologe (die Stimme ist nur noch ein Flüstern):
„Aber… aber… was ist mit Menschlichkeit? Mit Hoffnung? Mit Veränderung?“

Seine Hände zittern so stark, dass das Klemmbrett klappert.

 

Gustav (lehnt sich vor, das Gesicht im Halbschatten):
„Hoffnung ist was für die da draußen. Hier drinnen zählt nur, wer am längsten durchhält. Oder am härtesten zuschlägt.“

 

Klothilde (flüstert):
„Veränderung? Wir haben uns längst angepasst. An euch. An das System. Wir sind das System.“

 

Hauke (leise, fast zärtlich):
„Menschlichkeit ist ein Mythos. Ein Märchen für Kinder. Hier gibt’s nur Jäger und Beute.“

Candice (singt leise, wie ein Kinderlied):
„Wer nicht jodelt, wird nicht gehört. Wer gehört wird, wird nicht mehr lange jodeln.“

 

Heiner (steht auf, streicht sich die Kleidung glatt):
„Zeit ist Geld. Und Ihre Zeit, Herr Doktor, läuft ab.“

 

Die Insassen stehen auf, der Kreis schließt sich. Der Psychologe drückt sich an die Wand, das Klemmbrett fällt klappernd zu Boden. Die Schatten der Insassen wachsen, verschlingen das Licht.


Das Experiment war ein voller Erfolg. Die Insassen haben bewiesen, dass sie bereit sind – für die nächste Halbzeit. Und der Psychologe? Der hatte wohl verstanden, was es heißt, auf der falschen Seite zu sitzen.




Anmerkung von Saira:

Diese Satire habe ich bewusst überspitzt und böse gehalten, um die Absurdität und Hoffnungslosigkeit einer Resozialisierung in diesem Setting zu karikieren. Sie ist nicht als Verherrlichung von Gewalt zu verstehen, sondern als bitterböse Gesellschaftskritik.

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Kommentare zu diesem Text


 Teo (23.06.25, 09:51)
Moin Sigi,
ein wirklich interessantes Abbild einer Therapiesitzung. Nur...warum lässt du Stefan nicht zu Wort kommen?. Trotz Spuckmaske, Fußfessel und Zwangsjacke hättest du ihm getrost zwei Sätze gönnen können.
Nett gemacht.
Der geduldige Teo

 Saira meinte dazu am 23.06.25 um 16:11:
Moin Teo,

Stefan ist ein Spezialfall: Er spricht nur in Morsezeichen mit den Augenbrauen. Das war dem Psychologen dann doch zu viel Interpretation für eine Sitzung.

 
Sorry, aber da kann man nichts machen, Drops 
 
Liebe Grüße
Sigi

 Graeculus antwortete darauf am 23.06.25 um 22:12:
Der Text ist gut aufgezogen. Mehr und mehr - und mit zunehmendem Bangen - habe ich mich allerdings bei der Lektüre gefragt, wie unser Teo reagieren würde, wenn die attraktive Brünette ein Schalke-Fan wäre.

 Saira schrieb daraufhin am 24.06.25 um 09:12:
Moin Wolfgang,

das wäre dann wohl der Moment, in dem der Psychologe die Sitzung abbricht und stattdessen eine Krisenintervention für Teo einleitet 

 
Sonnige Grüße
Saira

 EkkehartMittelberg (23.06.25, 10:34)
Hallo Sigi,

Satiren, die dicht an der Wirklichkeit sind, sind die besten.

Liebe Grüße
Ekki

 Saira äußerte darauf am 23.06.25 um 16:11:
Moin Ekki,

manchmal reicht es, die Realität nur leicht zu überzeichnen - der Rest erledigt sich von selbst. Die Grenze zwischen Satire und Dokumentation ist oft erstaunlich dünn.

 
Liebe Grüße
Sigi

 AchterZwerg (23.06.25, 11:45)
Liebe Sigi,

ich finde den Text ebenfalls sehr gelungen.

In Einzelfällen kann Resozialisierung durchaus gelingen. Habe das selber zuweilen erlebt.
Aber insgesamt viel seltener als unsere leichtgläubige Gesellschaft meint.

Ein echter Knacki ist Vollprofi - gerade gegenüber seinen Sozialarbeitern! Ich zitiere: "Während einer unwichtigen
Auseinandersetzung schlug er mich dergestalt (!) nieder, dass ich ihm nur mein Messer an die Kehle halten konnte .."

Tja.

 Saira ergänzte dazu am 23.06.25 um 16:15:
Danke, liebe Heidrun, für deinen Einblick und das Zitat! Das Zitat ist wirklich heftig und zeigt, wie dünn die Grenze zwischen Kontrolle und Kontrollverlust sein kann.
 
Zu oft liest und hört man von Rückfällen, sodass auch ich denke, dass Resozialisierung zwar möglich, aber selten ist.
 
Liebe Grüße
Sigi

 Tula (23.06.25, 23:04)
Liebe Sigi
Also ich würde ihr ein Gedicht schreiben und zu einer ganz privaten Lesung mit Wein und Schokolade einladen. Fussball ist schließlich Nebensache ...  ;)

LG Tula

 Saira meinte dazu am 24.06.25 um 09:02:
Lieber Dirk,
 
dein Vorschlag klingt nach einem Elfmeter ins Herz. Aber sag, was, wenn die Brünette lieber Fußball schaut als Gedichte hört?
 
Nachdenkliche Grüße
Sigi

 plotzn (24.06.25, 10:14)
Servus Sigi,

Du machst mir Angst. Zu realistisch sind die Charaktere Deiner herzallerliebsten Therapiegruppe. Die werden sicher aller wegen guter Führung vorzeitig entlassen, besonders der Psychologe...

Liebe Grüße
Stefan

 Saira meinte dazu am 24.06.25 um 15:20:
Servus Stefan,

der Psychologe hat sich schon einen neuen Job gesucht: als Türsteher im Fußballstadion. Da kennt er sich jetzt aus! 

Herzliche Grüße aus dem Stuhlkreis  :getlost:
Sigi

 Saudade (24.06.25, 16:08)
Liebe Saira!
Ich habe deinen Text nun sehr oft gelesen und drückte mich vor einem Kommentar. 
Aber, da kein einziger kritischer Ton kam, der kommen hätte müssen, aus den nächstfolgenden Gründen, antworte ich nun doch.
Ich war schon öfters in JVAs, habe auch mit den Insassen, den Tätern gesprochen. Dies in der Jugendstrafanstalt Gerasdorf, Graz-Karlau, Stein und der Intersuchungshaft Josefstadt Wien. 
Und dies nicht nur im Halbgesperre, sondern wirklich drinnen. 
Mir ist schon klar, du schreibst hier überspitzte Satire, jedoch sind hier überzogene Film- und Fernsehproleten, die sich ausrülpsen. Die Wahrheit sieht anders aus. Die meisten Tötungsdelikte wurden im Rausch oder aus Habgier begangen. Du findest stinknormale Typen vor, die im billigen Strick und Jogginghose vor dir sitzen. Manche wirken so harmlos, das ist fast schon erschreckend. Einige haben sehr gute Manieren, andere sind primitiv, aber keiner ein Rowdy. 
Frauen und Männer sind stets strikt getrennt. 
Die Vergewaltiger sehen alle aus wie Milchbubis, die noch bei Mutti wohnen. 
Anders in der Jugendstrafanstalt, dort würde dein Text eher passen, zumeist leider, sehr objektiv geschildert, Jugendliche aus dem Ausland, ohne Perspektiven. Wurden kriminell angesehen und wurden es auch. Die Rückfallquote ist hier sehr hoch. Das ist ein Jammer. 
Es gibt überall sehr wenig forensische Psychiater. Anders als in Deutschland, haben wir hier keinen eigenen Lehrstuhl dafür. Dafür sind das hochgradig kompetente Professoren und Professorinnen, die die Ruhe selbst sind. 
Was ich meine, der Text passt für mich vorne und hinten nicht zusammen. Auch vermittelt er, dass eine Resozialisierung gar nicht möglich ist, was schlichtweg nicht stimmt. In meinem Haus wohnt ein Mann mit Hund, der hat vor 30 Jahren seine Lebensgefährtin erschlagen. Er lebt ruhig und zurückgezogen, grüßt immer freundlich. Natürlich, man ist nur Mensch, ist mir mulmig, aber der ist friedlich. Oft, wer so große Sprüche klopft, ist nur ein Maulheld. Ich finde, der Mensch hat eine zweite Chance verdient und sollte nicht pauschal abgeurteilt werden. Im Grunde, Saira, verdient alles eine Einzelfallbetrachtung. 
LG Cori

 Saira meinte dazu am 24.06.25 um 17:02:
Liebe Cori,
 
vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar. Es ist spürbar, wie viel eigene Erfahrung und echtes Nachdenken in deinen Worten steckt - das schätze ich sehr. Gerade weil du so nah dran warst und bist, sind deine Einblicke besonders wertvoll.
 
Du hast völlig recht: Die Realität in den Justizvollzugsanstalten ist oft viel unspektakulärer, als es Klischees und Medienbilder vermitteln. Die meisten Menschen, die dort einsitzen, sind keine „Filmproleten“, sondern, wie du schreibst, ganz normale Leute, die aus unterschiedlichsten Gründen an einen Punkt gekommen sind, an dem sie eine Grenze überschritten haben. Dass viele Taten im Rausch oder aus Verzweiflung geschehen, wird in der öffentlichen Wahrnehmung oft ausgeblendet.
 
Du sprichst auch einen Punkt an, der mir sehr am Herzen liegt: die fehlenden Perspektiven, gerade bei Jugendlichen. Es ist ein gesellschaftliches Versagen, wenn junge Menschen so wenig Chancen bekommen, dass sie in die Kriminalität abrutschen - und dann auch noch stigmatisiert werden. Die hohe Rückfallquote ist kein individuelles, sondern ein strukturelles Problem. Hier fehlt es an Prävention, an sozialer Unterstützung, an echter Integration und an einer Justiz, die nicht nur bestraft, sondern auch heilt und aufbaut.
 
Dass es in Österreich zu wenig forensische Psychiaterinnen gibt und keinen eigenen Lehrstuhl dafür, ist ein weiteres Beispiel dafür, wie wenig wir als Gesellschaft bereit sind, in die Resozialisierung und Betreuung von Straftäterinnen zu investieren.
 
Du hast auch völlig recht, dass jeder Mensch eine zweite Chance verdient hat. Pauschale Urteile helfen niemandem weiter - weder den Betroffenen noch der Gesellschaft. Es braucht Einzelfallbetrachtungen, Empathie und die Bereitschaft, hinter die Fassade zu schauen. Dass du das tust, zeigt, wie wichtig solche Stimmen wie deine sind.
 
In meiner Satire arbeite ich bewusst mit Überzeichnung und Überspitzung: Die Charaktere zeichne ich klischeehaft und extrem, ihre Aussagen sind drastisch und teils grotesk gewalttätig. Durch diese Übertreibung betone ich die Absurdität der dargestellten Situation und mache die Künstlichkeit des Settings deutlich. Ironie und schwarzer Humor durchziehen meinen Text: Die eigentlich therapeutische Gruppensituation verkehre ich ins Gegenteil - anstatt zur Reflexion zu dienen, wird sie für die Insassen zur Bühne, auf der sie ihre Gewaltbereitschaft zur Schau stellen. Die Ironie kulminiert darin, dass der Psychologe, der eigentlich helfen soll, am Ende selbst zum Opfer wird.
 
Ich setze einen starken Kontrast zwischen der bürgerlich-therapeutischen Sprache des Psychologen („Ihre Reaktionen sind entscheidend für Ihre mögliche Entlassung“) und den rohen, zynischen Antworten der Insassen. Dieser Gegensatz unterstreicht für mich die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit im Resozialisierungsprozess.
 
Symbolisch aufgeladene Elemente wie Stuhlkreis, Flipchart und Klemmbrett - Sinnbilder für Kontrolle und Resozialisierung - führe ich durch das Verhalten der Insassen ad absurdum. Die Metapher der „nächsten Halbzeit“ steht in meinem Text einerseits für die nächste Gelegenheit zur Gewalt, andererseits für die Aussichtslosigkeit echter Veränderung.
 
Ich spiele mit den Erwartungen an Resozialisierung und Therapie im Strafvollzug und führe diese ins Lächerliche. Die Insassen sind in meiner Darstellung nicht an Besserung interessiert, sondern nutzen die Situation, um ihre Gewaltbereitschaft zu demonstrieren. Der Psychologe, der eigentlich helfen soll, wird zum hilflosen Opfer. Die bitterböse Pointe, dass das Experiment ein „voller Erfolg“ war, entlarve ich als zynisch: Erfolg bedeutet hier nicht Besserung, sondern die Bestätigung der Hoffnungslosigkeit.
 
Mit meiner Satire kritisiere ich auf mehreren Ebenen:
- Ich stelle infrage, ob Resozialisierung in einem solchen Setting überhaupt möglich ist oder ob sie nicht vielmehr eine Illusion bleibt.
- Der Psychologe steht für mich stellvertretend für ein System, das mit den realen Problemen überfordert ist und letztlich selbst zum Opfer wird.
- Ich zeige, dass die Insassen so sehr in ihrer Gewaltkultur gefangen sind, dass selbst harmlose Situationen sofort eskalieren.
 
Meine Satire ist bewusst provokant und nutzt Übertreibung, Ironie und schwarzen Humor, um die Absurdität und Hoffnungslosigkeit von Resozialisierungsversuchen in einem gewaltgeprägten Milieu schonungslos offenzulegen. Sie regt zum Nachdenken an, schockiert und hält der Gesellschaft einen Spiegel vor: Wie realistisch sind unsere Erwartungen an Besserung? Wie hilflos sind unsere Institutionen? Und was passiert, wenn die Rollen sich umkehren?
 
Liebe Grüße
Saira

 Saudade meinte dazu am 24.06.25 um 19:00:
Liebe Saira!

Vermutlich, weil ich die Menschen gesehen und gesprochen habe, kann ich nichts damit anfangen. Meiner Ansicht nach verstärken die Zeilen nur das Klischeebild, das manche LeserInnen vom Häfn haben. Wo ich dir allerdings zustimme, das ist bei der Resozialisierungsohnmacht. Die Gelder fehlen zumeist, um anständige Therapien zu bezahlen. 
In Österreich haben wir das Rechtsinstitut der Diversion, die bei Straftaten bis zu drei Jahren möglich ist. Was bedeutet, der mutmaßliche Täter sieht die Tat ein, im Gegenzug kommt er nicht ins Gefängnis. Zumeist sind Ersatzleistungen im Spiel, wie gemeinnützige Arbeit. Das kommt dann auch nicht in den Strafregisterauszug, somit unbescholten. Kein Urteil, das macht die Staatsanwaltschaft. 
Ich denke, das ist die beste Form der Resozialisierung: Der Mensch muss sich selbst in den Griff kriegen. Alles, was Zwang ist, will keiner. 
Meiner Ansicht nach ist das Thema zu heikel, um tri tra trallala - Kommentare darunter zu setzen, hier geht es nämlich mitunter um die Komplettzerstörung ganzer Leben, der Selbst- und Fremdzerstörung. Ja, das Thema ist zu heikel für eine Satire.
Aber du weißt, dass ich es aus der beruflichen Sicht betrachte.

 Moppel (25.06.25, 19:39)
eine Satire, die gelungen darstellt, wie Menschen sich darstellen, wie sie wirklich sind und wie hoch die Hürden sind, über seinen eigenen Tellerrand hinauszusehen.
Dass es in einer Strafvollzugsanstalt spielt, ist eher das Pikante, weil man ja dort genau die Reaktionen erwartet, die erfolgen. Betitelt ist das Ganze als "Experiment".
Ich sehe es durchaus über eine Strafvollzuganstalt hinausgehend und das macht es satirisch. Die Schlüsselfigur ist der Psychologe:
"der Psychologe steht für mich stellvertretend für ein System, das mit den realen Problemen überfordert ist und letztlich selbst zum Opfer wird."
lG von M.

Kommentar geändert am 25.06.2025 um 19:40 Uhr

 Saira meinte dazu am 25.06.25 um 22:00:
Moin Moppel,
 
du hast gut erkannt, worum es in der Satire geht. Die Szene im Gruppenraum wirkt erstmal wie ein typisches Bild für das Thema Gewalt, aber wie du sagst, steckt dahinter noch mehr. Das „Experiment“ zeigt ja nicht nur, was im Gefängnis passiert, sondern sagt auch viel über unsere Gesellschaft aus.

Die Figuren sind zwar im Knast, aber ihr Verhalten und wie sie miteinander umgehen, kann man auch als Spiegel für das sehen, was draußen passiert. Genau das ist ja das Ziel von Satire: Sie übertreibt, damit wir das Grundsätzliche besser erkennen.
Ich finde es auch super, dass du den Psychologen als Schlüsselfigur siehst. Deine Idee, dass er für ein überfordertes System steht, das am Ende selbst nicht mehr klarkommt, trifft genau das, was ich zeigen wollte. Er ist nicht nur Zuschauer, sondern wird selbst zum Opfer der Situation. Seine Unsicherheit und sein Verhalten zeigen, dass er eigentlich gar nicht weiß, wie er damit umgehen soll. Am Ende sitzt er „auf der falschen Seite“. Das steht für alle, die glauben, sie hätten alles im Griff, aber dann von der Realität überrascht werden.

Dein Hinweis, dass es schwer ist, über den eigenen Tellerrand zu schauen, gefällt mir besonders. Genau das ist ja oft das Problem: Die Insassen und auch der Psychologe stecken in ihren Rollen fest. Die Satire will zeigen, wie schnell wir andere in Schubladen stecken und wie schnell sich die Rollen auch mal umdrehen können.

Danke für dein tolles Feedback! Es freut mich, dass du den Text nicht nur als Provokation, sondern auch als Anstoß zum Nachdenken siehst. Schön, dass das so bei dir angekommen ist.

LG
Saira

 TassoTuwas (26.06.25, 14:43)
Liebe Sigi,

herzlichen Dank für den interessanten Einblick in den Alltag unser lieben Einsitzenden. Von mir noch einige Fakten zum Thema Strafvollzug, die für die Leser von Interesse sein könnten.
Per Gesetz wurden alle Zuchthäuser zum 1.4.1970 (kein Aprilscherz) geschlossen, was aber nicht heißt, das sie verschwanden.
Die Berüchtigsten ihrer Art wurden veräußert und von den neuen Besitzern als "Adventure-Resorts" weiter betrieben. Gäste, die den besonderen Urlaubskick suchen, können hier das Passende finden.

Die Angebote umfassen Vollpension nach dem Verpflegungsplan der sechziger Jahre, tägliches Steineklopfen ohne Helm und Schutzkleidungund, eine Stunde Kreislaufen im Hof (wahlweise rechts oder linksrum). 
Für die Zellenwahl liegt ein breit gefächertes Angebot vor, z.B. "Drei Nächte auf der Pritsche eines Lebenslänglichen", "Zellenfenster ohne Aussicht" oder "Ruhe finden beim Studium der Wandinschriften" .
Mein Rat, auch hier Preise vergleichen, Buchungsmöglichkeiten seriöser Anbieter findet man im Darknet.

Herzliche Grüße
TT

 Saira meinte dazu am 26.06.25 um 15:30:
Lieber Tasso,
 
apropos Knast-Urlaub: Ich kann aus eigener Erfahrung berichten! Mein letzter Trip führte mich ins Karosta Prison Hotel. Nach einer Nacht auf der Pritsche, Weckruf durch den „Wärter“ und einer Kostprobe der lokalen Hafenküche kann ich sagen: Ich bin jetzt offiziell Wiederholungseinsitzerin!
 
Es hat fast schon etwas Beruhigendes, wenn die Zellentür hinter einem ins Schloss fällt – zumindest, solange man weiß, dass sie am nächsten Morgen auch wieder aufgeht.
 
In diesem Sinne: Viel Spaß beim nächsten Abenteuerurlaub – vielleicht diesmal im Hochsicherheitstrakt mit All-Inclusive-Fußfesseln und garantiertem Einzelzimmer!
 
Herzliche Grüße
Sigi





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