Wenn Annelene L. in Lästerlaune ist, trifft sie sich mit ihrer alten Lästerfreundin Margot draußen, in der Dolce Vita.
Dolce Vita, das ist der Italiener am Ortsrand, direkt hinter dem Edeka und DM – also immer gut besucht, auch, weil er reichlich Parkplätze hat und neben der Terrasse eine Art Kinderparadies. Auto- und kindgerecht in einem, also.
Annelene und Freundin Margot können es sich bei schönem Wetter draußen bequem machen, den einen oder anderen Aperol Spritz süffeln – und: nichts kann den beiden älteren Damen da entgehen.
Nicht die Schüler, die in der Freistunde dort einfallen und erstaunlich viel Taschengeld auf den Kopf hauen. Nicht die Handwerker, die man am frühen Nachmittag eigentlich auf dem Baugerüst vermuten müsste, und auch nicht die schick gekleideten Junior-Chefs, die sich im Dolce-Vita gerne sehr ausgiebig auf einen Kaffee einfinden „komisch – alle uniform in schicken weißen Turnschuhen“, wie Margot mit scharfem Blick anmerkt.
Die Lieblingsfeinde der beiden Lästerdamen sind allerdings die Mummies. Das sind junge Mütter, denen das Leben offensichtlich derart mitspielt, dass sie mal „ein break“ haben müssen in ihrem vollgespickten Kinder-Hausfrau-Multitasking-Familien-Programm. Annelene grinsend: „Tired-Girl-Ästhetik für Ü-30“
Ja, diese armen Kreaturen kommen gerne zur Dolce Vita. Bei schönem Wetter chauffieren sie heran auf dem zünftigen Lastenrad - Kind, Hund, Proviant und Wechselklamotten vorn in der überquellenden Kiste. Bei schlechtem Wetter nehmen sie den Cayenne oder Tucson, jedenfalls einen SUV, der für ihre magersüchtigen Proportionen immer viel zu groß erscheint.
Die Aushilfskellner, die beim Dolce Vita jobben, kennen die Mummies. Es ist eine großzügige Klientel. Immer schick gekleidet, sehr sportlich, Ton in Ton. Bussi, Bussi ...
Die Kinder werden mit Nudeln und Pizza ruhig gestellt, süße Softdrinks dazu nach Lust und Laune. Der Hund – ach, wie süüüß - liefert Gesprächsstoff, und die Damen selber achten sehr auf ihre Fitness bei einer Insalata Mista, dazu ihr Pinot Grigio – schön kalt.
Annelene L. und Freundin Margot wissen: Es kann dann auch laut werden. Die Hunde, die Kinder … Denn die smarten Damen lassen die Zügel schleifen. Dolce Vita. Die Kleinen langweilen sich nach Kräften zwischen Kinderparadies und Fanta – ihre Mütter schauen nach Kräften weg. Sie haben sich untereinander ja auch schrecklich Abenteuerliches zu erzählen.
Es ist ein bisschen wie kommerzielles Fernsehen. Live-Einblendung des bonbonfarbenen Nachmittagsprogramms.
„Nichts Kindgerechtes passiert da“, so hat Annelene längst erkannt. Dafür, so analysiert sie milde, sei Dolce Vita sicher auch nicht da. Aber dann knallhart: „Hier läuft nur so etwas wie Desperate Housewives…“