Außerhalb der vorgegebenen Denkmuster

Ansprache zum Thema Idee(n)

von  eiskimo

Indiskrete Frage: Hat von euch jemand echt Ja gesagt zur weiteren Erhitzung der Erdatmosphäre? Hat wirklich einer sein Okay gegeben, dass die Pole und Gletscher zunehmend wegschmelzen? Und war euer Daumen tatsächlich hoch für die ungebremste Vermüllung der Ozeane, das Artensterben, das Verschwinden des Regenwaldes?

Ja, klar! Ihr alle sagt mit eurem Verhalten, dass es es halt so weitergehen mag. Euer Verhalten sagt: Wir nehmen das in Kauf. Alle wollen das. Alle, die jetzt bei 22 Grad Wohlfühltemperatur vor einem Internet-Terminal hocken, bei gut gefülltem Kühlschrank, mit weitgreifenden Urlaubsplänen und hohen Ansprüchen an ihre Altersvorsorge – sie wollen alle weiter auf der Überholspur bleiben. Jawohl. Und das nächste Auto wird noch bulliger sein, und es wird kein Zögern gegeben im Rennen um mehr Wohlstand und mehr Wachstum. Wir alle wollen das doch. Wir brauchen das. Es ist unsere DNA. So lautet das ungeschriebene Gesetz: Es sich gut gehen lassen. Und bitte mit Sahne. Man lebt ja nur einmal.

Indiskrete Frage: Hat von euch jemand echt mal gefragt, ob es nicht ganz andere Lebens- und Gesellschaftsentwürfe geben könnte – so ganz außerhalb der vorgegebenen Denkmuster?




Anmerkung von eiskimo:

Die Frage drängt etwas. Siehe die jüngsten Umweltdaten

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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (20.10.25, 19:00)
Hat von euch jemand echt mal gefragt, ob es nicht ganz andere Lebens- und Gesellschaftsentwürfe geben könnte – so ganz außerhalb der vorgegebenen Denkmuster?

Es herrscht ja kein Mangel an utopischen Entwürfen einer alternativen Gesellschaft. Leider operieren sie, soweit ich sehe, alle mit idealen oder grundlegend umzuerziehenden Menschen und scheitern daher bei der Umsetzung in die Praxis.
Was sicher nicht hilft, sind Appelle und Predigten.

Am ehesten ändern sich Menschen, wenn ihnen das Wasser - in diesem Falle vielleicht wörtlich zu nehmen - bis zum Hals steht.

 eiskimo meinte dazu am 20.10.25 um 19:31:
Ihr da oben in Dobel habt gut reden ... könnte ich jetzt mit schwarzem Humor entgegnen.
Aber mir macht die Passivität der Leute einfach Angst. Ist es Verdrängung, Mutlosigkeit oder Trumpismus?
Sehenden Auges weiter in die Klimakatastrophe steuern, das kan  es doch nicht sein.

 dubdidu antwortete darauf am 20.10.25 um 21:17:
Es gibt durchaus Reformen im Bereich Bildung und Soziales, die relativ einfach umgesetzt werden könnten. Die Soziologie hat da jede Menge empirisches, eindeutiges Datenmaterial, das von der Politik ignoriert wird. Da ihr beide Lehrer wart, hier ein kleines Beispiel, das auf der Konferenz, an der ich neulich teilgenommen habe, angesprochen wurde: Kinder lernen besser in gemischten Altersgruppen, nämlich voneinander. Eine schrittweise Umsetzung dieser Erkenntnis erfordert keine vorherige Umerziehung, nur ein wenig Offenheit, könnte aber sowohl im Bezug auf den Erwerb von und den Umgang mit Wissen wie auch bezogen auf das soziale Miteinander große Wirkung entfalten.

 Graeculus schrieb daraufhin am 20.10.25 um 22:44:
eiskimo spricht ja ein globales Problem an, und ich sehe nicht recht, wie durch eine Bildungsreform in Deutschland, die schon hier schwer umzusetzen wäre (die einklassige Volksschule läßt grüßen), das weltweite Konsumverhalten zu ändern wäre.
Etwas, das m.E. geändert werden müßte, wäre die Struktur des Individualverkehrs. Weltweit, wohlgemerkt.
Wenn's ans Auto geht, ist aber schon in BaWü der Teufel los. Das haben selbst die Grünen hier einsehen müssen.

Solltet Ihr realistische Vorschläge haben, die zudem - wir leben ja in einer Demokratie - mehrheitsfähig sind und nicht erst - wie eine Bildungsreform - in Jahrzehnten Früchte tragen wird, würdet Ihr mich zu einem glücklichen Menschen machen.

Dabei herrscht, wie ich schon oben schrieb, an sich an Utopien kein Mangel. Sie scheitern traditionell an den realen Menschen.

 eiskimo äußerte darauf am 20.10.25 um 22:49:
Mehr  "soziales Miteinander" statt "Sich gegenseitig mit Statussymbolen Übertreffen", das wäre ein guter Ansatz hin zu weniger Konsum!
Und eine Schule, die dazu befähigt, sich von hohlen Statussymbolen und Konsumzwängen frei zu machen, wäre eine gute Schule.

Antwort geändert am 20.10.2025 um 22:57 Uhr

 Graeculus ergänzte dazu am 20.10.25 um 23:30:
das ist die dramatisch voranschreitende, unumkehrbare Zerstörung unserer Lebensgrundlagen - weltweit, für alle Menschen, insbesondere die die jungen.

Dessen bin ich mir nicht so sicher. Es ist ein Wandel unserer Lebensgrundlagen.
Vor allem ist es nicht der erste dramatische Klimawandel, den die Erde erlebt, es ist mindestens der fünfte - nur der erste von Menschen verursachte. Die früheren haben zu einem Verschwinden schlecht angepaßter und einem Aufstieg besser angepaßter Lebewesen geführt. Unter anderem dem der Säugetiere, d.h. wir sind die Profiteure eines solchen.

Worauf der gegenwärtige hinausläuft, ich weiß es nicht. Eine Erwärmung bedeutet ein Ansteigen des Meeresspiegels, häufigere Starkregenfälle und Verschiebungen für Pflanzen und Tiere in den verschiedenen Erdteilen. Hier werden andere Pflanzen wachsen, sehr niedrig gelegene Territorien werden im Meer verschwinden. Das glaube ich sagen zu können. Und: Es wird Verteilungskämpfe wegen der verschwindenden und um die neuen Ressourcen auf der Erde geben.
Mit unberechenbarem Ergebnis. Sicherer wäre es, bliebe alles beim Alten - sofern es nicht schon zu spät ist dafür. Ich sehe nur keine Anhaltspunkte dafür bei den 8 Milliarden Menschen. Zu sagen, was gut wäre, hilft ja nicht.

 Graeculus meinte dazu am 20.10.25 um 23:38:
Eine Bildungsreform, sofern sie denn durchsetzbar und tatsächlich durchgesetzt ist, benötigt ab dann mindestens dreißig Jahre, bevor sie politische Konsequenzen zeitigt, nämlich bis die so Gebildeten in Entscheidungspositionen einrücken.
Was den Klimawandel angeht, dürfte das zu spät sein, gibt es doch Fachleute, die behaupten, es sei schon heute zu spät, um gravierende Veränderungen zu verhindern.

 dubdidu meinte dazu am 21.10.25 um 00:12:
Naja, aber bei den Kindern (Miteinander und Lernen) zeigt sie ja sehr schnell Wirkung. Ich denke, es ergibt wenig Sinn, den Erfolg eines Wandels allein am zu erreichenden Ziel zu bemessen, es gibt viele kleine Änderungen, die eingeleitet werden können, die miteinander, aufeinander und gegeneinander wirken (was ohnehin immer so ist, also auch wenn im Gegenteil versucht wird, Wandel zu vermeiden). Geduld ist also ein wichtiger Faktor, einer der in der Vergangenheit häufig unterschätzt worden ist, sodass man Versuche frühzeitig abgebrochen hat. Es muss schnell, schnell gehen und der Erfolg einschlagen wie eine Bombe, wenn nicht, wird es als wertlos behandelt, das ist doch ein bisschen ein bisschen realitätsfern; manche Entwicklungen brauchen eben mehrere Generationen und nur, weil das so ist, heißt es nicht, dass man gar nicht erst anfangen braucht. Aber so einfach gibt es nicht, die Kombination macht es: Änderungen mit kurzfristiger, mittelfristiger und langfristiger Wirkung..

Was den Verkehr angeht: Zürich hat den Individualverkehr schon in den 90er Jahren stark eingeschränkt, durch einen Ausbau der Öffentlichen Verkehrsmittel, Straßenbahnen, Trolley-Busse und Schifffahrt zu Preisen, die (zumindest für die Schweizer) bezahlbar sind, mit großem Erfolg. Ich weiß nicht, ob davor mal da wart, ich selbst war zu jung, aber bei Max Frisch, ich glaube im Stiller, wird noch ausgiebig über die chaotische Verkehrslage geklagt. Ausbau der Öffentlichen ist, sodass auch Menschen, die in weniger guten Lagen kommen, günstig und zuverlässig zur Arbeit und zum Einkaufen kommen, liegt durchaus im Bereich des Möglichen und ist nicht wahnsinnig idealistisch.

 Graeculus meinte dazu am 21.10.25 um 00:29:
Nein, es herrscht wirklich kein Mangel an guten Vorschlägen, auch wenn nicht wenige von ihnen einander ausschließen, miteinander konkurrieren.
Woran ein Mangel herrscht, das sind Strategien zu ihrer Um- und Durchsetzung.
Das haben schon Marx und Engels an den utopischen Sozialisten und den Anarchisten kritisiert, die ebenfalls gute Vorschläge hatten.
Marx und Engels wollten es mit ökonomischen Analysen und Berechnungen über die Interessen eines zahlenmäßig wachsenden Proletariats besser machen. Das Ergebnis ist bekannt.
Was daher geblieben ist, ist der besagte Mangel.

Wenn wir vernünftig wären, dann müßten wir ... das ist noch keine Strategie.

 Jack (20.10.25, 20:05)
Der Mensch von heute lebt wie ein ungeliebtes Kind mit dem Kinderzimmer voller Spielzeuge, von denen er 99% gar nicht mehr wahrnimmt.

Ein alter Mann warf mir vor, als ich 17 war, von Luft und Liebe leben zu wollen. Ich bin mit 42 zur Altersweisheit gekommen, dass man tatsächlich von Luft und Liebe leben kann. Es ist all das andere, all diese Spielzeuge im Kinderzimmer (Geld, Karriere, Status, Besitz usw.), das man nicht wirklich braucht.

 eiskimo meinte dazu am 20.10.25 um 22:36:
Dein erstgenannter Gedanke entlarvt genau diese Programmierung, die ich meine: Konsum von immer Neuem und davon möglichst mehr. Schon in zartestem Kindesalter verabreichen wir diese Fixierung auf das "Haben Müssen". Wo bleibt das "Sein" ?
Auch Dein zweiter Gedanke gefällt mir. Er ist radikal formuliert, aber trifft es ....

Antwort geändert am 20.10.2025 um 22:40 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 20.10.25 um 22:48:
Asketen (um sie einmal so zu nennen) gibt es ja schon seit Jahrtausenden, ebenso Bußprediger, die uns ein "Kehrt um!" zurufen. 
Sie sind stets eine Minderheit geblieben.

Übrigens hat ein französischer Autor sich einmal die Mühe gemacht, die in der Zeit der menschlichen Schriftlichkeit prognostizierten Weltuntergänge zu sammeln und aufzulisten. Er kam auf über 1000.
Autor und Titel des Buches auf Anfrage.

 eiskimo meinte dazu am 20.10.25 um 23:08:
Was sich geändert hat in Vergleich zu Bußpredigern und Asketen früherer Epochen, das ist die dramatisch voranschreitende, unumkehrbare Zerstörung unserer Lebensgrundlagen - weltweit, für alle Menschen, insbesondere die die jungen. 
Der zu zahlende Preis, sollten wir weiterhin dieses "Kehrt um!" ignorieren, ist immens.

 Jack meinte dazu am 20.10.25 um 23:10:
Liebe und Bedürfnislosigkeit, das ist keine Askese. Der Asket entsagt. Dem, was man nicht braucht, entsagt man nicht. Man spürt gar nicht, dass es nicht da ist, wenn das Leben von Sinn und Freude erfüllt ist. Askese ist wie Konsumismus, nur mit negativem Vorzeichen: ein aussichtsloser Kampf gegen die innere Leere.

 Graeculus meinte dazu am 20.10.25 um 23:31:
Mir ist kein besseres Wort eingefallen als Asketen. Ersetze es durch ein Wort Deiner Wahl ... und sage mir, ob das so Bezeichnete mehrheitsfähig ist oder ob Du eine Ökodiktatur vorschlagen möchtest.

 Jack meinte dazu am 20.10.25 um 23:54:
Ich bin libertär, die Menschen sollen von aus aus Freiheit den Planeten und sich selbstg zugrunde richten, es ist eh alles vergänglich.

Mir geht es darum, dass der einzelne Mensch, der in der Masse zur Zerstörung der eigenen Lebensgrundlagen beiträgt, mit dieser Lebensweise selbst gar nicht glücklich ist (wäre wenigstens noch nachvollziehbar, wenn er das wäre!) ; lieblos, vereinsamt, jeder Zweite unter 30 bereits psychisch krank, aber dafür überhäuft mit Konsumgütern, die nicht einmal den Schmerz betäuben (weshalb sonst die Flucht in Safe Spaces, politische Hasskultur, ästhetische Selbstverstümmelung?) 

Wenn die Liebe zur emotionalen Lebensgrundlage werden soll (statt Gier, Macht, Status), dann ist Freiheit die erste notwendige Bedingung, denn die Grundlage der Liebe ist die Freiheit. Um die Ultradekadenz noch umzukehren, müssen die Gesellschaften so viel Freiheit riskieren, wie es noch nie für das Individuum gab (mit offenem Ergebnis). Diktatur wäre nur die konsequente Reaktion auf Ultradekadenz nach der Systemlogik: Digitales KZ für alle als das "Ende der Geschichte".

 J.B.W meinte dazu am 21.10.25 um 00:01:
@ eiskimo zu den Stichworten "haben" und/oder "sein":

https://youtu.be/eL5PO1Q7bcg?si=LP7AOo89iqxMdd10

Erich Fromm ist dir sicher bekannt und hat zu der Debatte eigentlich alles gesagt 😌.

LG
Janosch

 Graeculus meinte dazu am 21.10.25 um 00:02:
Nein, daß wir glücklich wären mit unserer Lebensweise, kann man wohl nicht behaupten - nicht bei (wie ich heute gehört habe) 10 Millionen Menschen mit Depression allein in Deutschland.
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