Alle 9.505 Textkommentarantworten von Graeculus

06.07.22 - Kommentarantwort zum eigenen Text  Wiedergeburt?: "An Taina: Hier ist der komplette Text: Viele beklagen sich, daß die Worte der Weisen immer wieder nur Gleichnisse seien, aber unverwendbar im täglichen Leben, und nur dieses allein haben wir. Wenn der Weise sagt: „Gehe hinüber“, so meint er nicht, daß man auf die andere Seite hinübergehen solle, was man immerhin noch leisten könnte, wenn das Ergebnis des Weges wert wäre, sondern er meint irgendein sagenhaftes Drüben, etwas, das wir nicht kennen, das auch von ihm nicht näher zu bezeichnen ist und das uns also hier gar nichts helfen kann. Alle diese Gleichnisse wollen eigentlich nur sagen, daß das Unfaßbare unfaßbar ist, und das haben wir gewußt. Aber das, womit wir uns jeden Tag abmühen, sind andere Dinge. Darauf sagte einer: „Warum wehrt ihr euch? Würdet ihr den Gleichnissen folgen, dann wäret ihr selbst Gleichnisse geworden und damit schon der täglichen Mühe frei.“ Ein anderer sagte: „Ich wette, daß auch das ein Gleichnis ist.“ Der erste sagte: „Du hast gewonnen.“ Der zweite sagte: „Aber leider nur im Gleichnis.“ Der erste sagte: „Nein, in Wirklichkeit; im Gleichnis hast du verloren.“ (Franz Kafka, Von den Gleichnissen; in: Beschreibung eines Kampfes. Novellen, Skizzen, Aphorismen aus dem Nachlaß. Frankfurt/Main 21980, S. 72) Jetzt interessiert mich, wie Du das verstehst. Ich habe große Probleme und habe damit begonnen, daß ich die beteiligten Personen Standpunkten pro/contra Gleichnisse zugeordnet habe. "Der erste" ist demnach der Kritiker der Gleichnisse, der auch die Ausgangsthese formuliert hat; da er auch der letzte ist, der spricht, müßte er eigentlich Kafkas Standpunkt vertreten, oder?"

06.07.22 - Kommentarantwort zum eigenen Text  Wiedergeburt?: "Einstein kommt dem, was ich zitierte, sehr nahe - nur denkt er vorwärts, während Gerechtigkeit ja auch eine rückwärtsgewandte Dimension hat. Vielleicht steht es bei Dostojewskij sogar im "Großinquisitor"; ich kann ja auch selber einmal nachschauen. So dumm, Kriege, Hungersnöte und Seuchen zu ignorieren, war Hegel nicht (dann wäre er irrelevant); er sieht das Negative als notwendigen Bestandteil in der Selbstentfaltung des Absoluten, welche die Geschichte ist. Auf das Glück resp. Unglück der Individuen kommt es Hegel dabei nicht an (das Individuelle ist per definitionem das Vergängliche), sofern dadurch in der Gesamtendenz das Ziel der Vernunft erreicht wird. Diese Herabsetzung des Wertes des Individuellen hat dann schon Kierkegaard kritisiert. Auch ich kann mich damit nicht abfinden. Gewiß sind wir Individuen vergänglich, aber wie Philip K. Dick einmal sagte: "Ich bin nicht viel, aber ich bin alles, was ich habe." Wenn das Allgemeine (die Vernunft) mitleidlos die Individuen opfert, um zu seinem Ziel zu gelangen, und diese nur als austauschbare Elemente ansieht - von den "Geschäftsführern des Weltgeistes" à la Hegel abgesehen! -, dann hat das etwas Empörendes. Es macht sie zu bloßen Mitteln zum höheren Zweck. Das erscheint mir inhuman. Im Grunde berühren wir hier das Theodizee-Problem. Kennst Du Leibniz' These, daß wir in der besten aller möglichen Welten leben? Ja, wohl - kam zumindest in meinem Buch vor."

06.07.22 - Kommentarantwort zum eigenen Text  Wiedergeburt?: "Ich bin durchaus unsicher, welche Meinung Kafka hier vertritt. Mehrfacher Selbstbezug, bewußte Paradoxie. Falls Du zu einer Interpretation gelangst (es muß ja nicht die enzig mögliche sein), bin ich daran interessiert, sie zu erfahren. Ich möchte den Text für ein eigenes Projekt verwenden."

02.07.22 - Kommentarantwort zum eigenen Text  Wiedergeburt?: "Es wird ja mal wieder kälter. Wiedergeburt ist zudem m.W. temperaturunabhängig."

02.07.22 - Kommentarantwort zum eigenen Text  Wiedergeburt?: "Zwar ist "Wiedergeburt" in etwa eine Übersetzung von "Reinkarnation", aber auf einen speziell christlichen Standpunkt kommt es mir nicht an. Kann es sein, daß Ihr den Unterschied zur "Seelenwanderung" (Metempsychose) meint? Das wäre in der Tat etwas anderes und müßte ich bedenken. Mein Beispiel läuft wohl in der Tat eher auf Seelenwanderung hinaus. Für die Frage, ob man das geschilderte Ereignis als Beweis dafür ansähe, ist das natürlich nicht erheblich."

02.07.22 - Kommentarantwort zum eigenen Text  Wiedergeburt?: "Okay. Damit hättest Du eine naturgesetzliche Erklärung für das geschilderte Phänomen. Ich nicht, denn ich beschränke mich auf Selbstgespräche (kein Reden im Schlaf nach Auskunft gewöhnlich gut informierter Kreise)."

02.07.22 - Kommentarantwort zum eigenen Text  Wiedergeburt?: "Keine eindeutige Entscheidbarkeit der Frage? Ich habe meine Geschichte bewußt so konstruiert, daß der Fall einer Lüge oder eines Irrtums auf Seiten des jungen Mannes nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen ist. Mich würde es daher schon nachdenklich machen, zumal ich - s.o. - den Falle des Redens (Ausplauderns) im Schlaf für mich ausschließen kann."

02.07.22 - Kommentarantwort zum eigenen Text  Wiedergeburt?: "Stimmt, das Rätsel bliebe, warum wir uns in aller Regel nicht an frühere Existenzen erinnern (der Trank der Lethe in der antiken Mythologie). Der Ausnahmefall würde auch auf mich ziemlich düster wirken (sogar für ihn gibt es eine Parallele in der antiken Mythologie: die wenigen Menschen, die aus dem Hades zurückgekehrt sind und uns von den Gepflogenheiten dort [inkl. Lethe] berichtet haben). Eine merkwürdige Ungleichheit unter den Menschen? Zum Glück nur ein Gedankenexperiment."

03.07.22 - Kommentarantwort zum eigenen Text  Wiedergeburt?: "Das Motiv des jungen Mannes habe ich außen vor gelassen, das stimmt. Spontan weiß ich dazu nichts zu sagen. Du glaubst an Wiedergeburt/Reinkarnation. Für Dich scheint ein unerschütterlicher, durch nichts in Frage zu stellender Glaube irgendeinen Vorzug zu besitzen. Für mich - und ich habe diesen Gedanken ganz bewußt angehängt - hat er das nicht. Das hat, meine ich, mit Offenheit oder Geschlossenheit eines Weltbildes zu tun. D.h. die Unerschütterlichkeit eines Glaubens muß durch ein geschlossenes Weltbild erkauft werden. Nichts mehr von "offene Weite, keine Spur von heilig" (Bodhidharma)."

02.07.22 - Kommentarantwort zum eigenen Text  Wiedergeburt?: "Schreiben, zurückziehen, löschen - kann es sein, daß du in dieser Hinsicht etwas instabil bist? Nun, wie auch immer: Es handelt sich hier um ein Gedankenexperiment, was ein wirkliches Experiment und völlig unabhängig vom tatsächlichen Stattfinden des geschliderten Ereignisses ist. Wenn man nämlich zeigen kann, daß ein bestimmtes Ereignis denkbar (widerspruchsfrei zu denken möglich) ist, dann ist damit bewiesen, daß das (kontradiktorische) Gegenteil wahr sein kann, aber nicht logisch notwendig wahr ist. Das heißt in diesem Falle nichts darüber, ob es Wiedergeburt tatsächlich gibt, aber es würde besagen, daß Wiedergeburt möglich ist. Wir hätten dann sogar ein Kriterium dafür, wann das der Fall ist. Die Überlegung, was eigentlich passieren muß, damit wir unsere Ansichten in Frage stellen oder sogar aufgeben, kann ich dir ebenfalls ans Herz legen. Alles andere wäre eine Inanspruchnahme von Unfehlbarkeit."

Diese Liste umfasst nur von Graeculus abgegebene Antworten bzw. Reaktionen auf Kommentare zu Texten. Eigenständige Textkommentare von Graeculus findest Du  hier.

 
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