Sternentau kitzelt meine Fingerspitzen

Text zum Thema Einsamkeit

von  ZornDerFinsternis

An den Fingerspitzen bricht sich das blasse Licht der Sterne.
Meine rauen Finger spreizen sich der Nacht entgegen, um ihre geisterhafte Nichtexistenz in sich aufzusaugen.
Einsam bin ich hier. Schon immer. Und immer gewesen sein.
Die Zeit hat mich rasch wachsen lassen. Habe schwindelnd und ängstlich im ersten Sturm gestanden. Hilflos versucht
mein Blätterkleid beisammen zu halten.
Raben klagten ihr Leid über meinem Kopf, in die dunkle, stille Welt hinein.
Und mein Lächeln ist schon ganz ausgetrocknet. Maden und Borkenkäfer haben meine rissige, brüchige Haut durchbohrt.
Haben Leben, Leid, Liebe und Vergangene Zeiten, harzig aus mir bluten lassen.
Und Tränen habe ich keine mehr, die ich meinen geschwächten Wurzeln schenken könnte.
Bin von Sturm zu Sturm gewachsen. Bin vom Schmerz der Stille jahrhunderte hinweg, gealtert.
Voller Bitterkeit trage ich meine Krone im Sommer. Im Frühjahr, wenn mit den Vögeln die Sehnsucht wieder kommt.
Und im Herbst, fallen Erinnerungen und Seelenfreunde weit von mir ab - fallen zum Grunde.
Achtlose Menschen treten auf sie. Lachen. Schneiden mit Messern in meinen veralteten, geschwächten Körper.
Ich würde schreien, wenn sie ihre Namen in meiner Rinde zurücklassen. Aber ich kann es nicht.
Bin zu schwach und kränklich.
Der nächste Winter, der kommen wird, ich weiß genau, ich werde seine lieblichen Flockenkleidkinder, nicht erblicken.
Leise umspielt der Wind meinen knorrigen Leib. Ächtzend biege ich mich. Wiege in seinen Böhen und schlafe langsam ein.
Mein letztes Blatt, werfe ich fort. Hoffe, es fängt den Sternentau in der letzten Neumondnacht.

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Kommentare zu diesem Text


 Ginkgoblatt (20.02.10)
Der Titel wie auch die folgenden Zeilen sind klasse. Werfen wir unser letztes Blatt fort, vielleicht trägt es der Wind in eine bessere Welt - dem Horizont entgegen. Sei umarmt, kg Coline

 ZornDerFinsternis meinte dazu am 20.02.10:
Ich bin so überaus glücklich, dass ich meinen Seelenpartner in dir gefunden habe, Liebes. Ich drück dich. Anni

 franky (20.02.10)
Hi liebe Anni,
Du schreibst zwar mit düsteren Worten ein wunderschönes Bild eines alten Baumes. Du umhüllst ihn mit einen herrlichen Wortkleid. Es löst in mir eine nachdenkliche, aber positive Stimmung aus. Es bringt mich zum Staunen.

Herzliche Grüße

von
Franky:-)

 ZornDerFinsternis antwortete darauf am 20.02.10:
Ich bin zu Tränen gerührt...vielen Dank, Franky. Sprachlos hinterlässt du mich, ebenfalls mit einer positven Stimmung, irgendwo im Herzen. Ich hoffe, dieses Blatt fängt den Sternentau, für jemanden, wie dich und Coline.
LG, Anni

 Fuchsiberlin (20.02.10)
Wieder sehr kreativ, Du schaffst es oftmals mit Deinen sehr ausdrucksstarken Bildern eine Szenerie aufzubauen, die man intensiv spüren kann.

Ich wünsche dem letzten Blatt, dass es auf einer Sternschnuppe landet und somit der größte Wunschtraum in Erfüllung geht.

Ganz liebe sternige Grüße
Jörg

 ZornDerFinsternis schrieb daraufhin am 21.02.10:
Ach Jörg, dankeschön :) Du bist ein echter Schatz, hab' vielen Dank :) Und ich weiß, das letzte Blatt wird auch für dich einen Wunschtraum erfüllen. Anni
Samhain (23)
(21.02.10)
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 ZornDerFinsternis äußerte darauf am 26.02.10:
Vieeeelen Dank :) Das ist wirklich lieb und süß von dir ^^

 Dieter Wal (14.03.10)
In einem Wiener Antiquariat entdeckte ich einen großformatigen Band von Frida Bettingen, Gedichte. Bei Georg Müller in München 1922. 620 numerierte Exemplare. Dieser Band trägt die Nummer 566. Ein Rötel-Portrait der Verfasserin von 1921, auf dem sie etwa 60 Jahre alt ist. Ein Vorwort, das über die Lebensumstände der Autorin informiert, vorsichtige literarische Einordnungen erörtert.

Kein Mensch kennt heute Frida Bettingen.Wikipedia verzeichnet immerhin die Geburts- und Sterbedaten und enthält ihr Werkverzeichnis. (http://de.wikipedia.org/wiki/Frida_Bettingen). Wicisource bringt vier ihrer Gedichte. Bin erstaunt und angenehm überrascht. Seit ich das letzte Mal im Web suchte, sind das ihre ersten Einträge.  Hier findest du die größte Auswahl (Liebesgedichte), die ihr lit. Ausmaß verdeutlichen. Wir sollten etwas über diese Dichterin schreiben. Was meinst du?


Diese Dichterin würde dich als Tochter oder Schwester bezeichnet haben. Zumindest hätte sie erkannt, dass mit deinem Werk eine ihre verwandte Stimme in unserer Zeit sich Gehör verschafft. Bettingen teilt mit dir auch die Neigung zu manchmal originellen Überschriften, was in den 20er Jahren zu Protesten geführt hat, denn mein Buch enthält oberlehrerhafte Anmerkungen mit Bleistift, in denen sich ein Kleingeist ausgetobt hat. Deine Titel sind oft wesentlich poetischer. Speziell diesen halte ich für besonders schön. Aber du zeigst dich (nicht nur) in der Titelwahl oft als große Dichterin.

In diesem Text wird eine komplette Zusammenschau des lyr. Ichs mit der Natur geboten. Dein lyr. Ich ist ja auch eine Naturgewalt. Hoffentlich entdeckst du wie ich das großartige Werk Frida Bettingens. Falls du Schwierigkeiten haben solltest, ihre heutzutage seltenen Gedichtbände zu finden, schick ich dir gern Kopien.
(Kommentar korrigiert am 14.03.2010)

 ZornDerFinsternis ergänzte dazu am 14.03.10:
Wow...jetzt hast du mich aber mal wieder richtig erwischt. Bin schon den Tränen furchtbar nahe (um ehrlich zu sein, näher, als mir eigentlich gerade lieb ist). Du, das ist wirklich eine interessante Geschichte, die du da erzählst...und es ist eine noch viel interessantere Idee, etwas über diese Künstlerin zu schreiben, sie vielleicht dadurch weiterleben, bzw, aufleben zu lassen. Mal immer her mit deinen guten Einfällen, mein lieber Dieter :)
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