Fressen und gefressen werden

Erörterung zum Thema Wirtschaft

von  loslosch

Piscem minorem maior piscis devorat (Walther von Chatillon, 1135 bis 1201? Nein, H. Walther, Proverbia sententiaeque, Göttingen 1963-1967). Der größere Fisch verschlingt den kleineren. Ebenso auch: Piscis minutos magnus comest (Varro, 116 v. Chr. bis 27 v. Chr.; Saturae Menippeae). Der große Fisch frisst die kleinen.

Dieses der Natur entnommene Bild fasziniert durch Einfachheit und Grausamkeit. Ein Tier wird von einem anderen uno actu oder stante pede oder so mir nichts dir nichts aufgefressen. Selbst die listige Schlange würgt sich am Objekt ihrer Begierde eine Zeitlang ab. Sogar die äußerst gefräßige Heuschrecke frisst ihre kleinere Artgenossin nicht mit einem Biss, sondern häppchenweise.

Das Auffressen in einem Akt kennt auch die moderne arbeitsteilige Wirtschaftsgesellschaft, im Falle dass Firmen mit ihren Konkurrenten fusionieren, sie sozusagen verschlingen. Solche Zusammenschlüsse können den Wettbewerb beeinträchtigen. Deshalb prüfen in Westeuropa die nationalen Wettbewerbsbehörden diese anmelde- und genehmigungspflichtigen Vorhaben. Zusammenschlüsse von überragender Bedeutung, vor allem grenzüberschreitende, müssen bei der EU-Kommission in Brüssel angemeldet werden.

Einmal hatte ein nationaler Wettbewerbshüter die Anmeldung eines Zusammenschlusses eines mittelgroßen mit einem kleinen Unternehmen auf dem Tisch. Kaum dass er zum Ergebnis gekommen war, dass die Fusion wettbewerbsrechtlich unbedenklich sei, flatterte ihm der Antrag eines Weltkonzerns zu mit dem Begehr, den größeren der Fusionspartner zu übernehmen.

Mit einem Mal fraß der ganz große Fisch den mittelgroßen, der bereits dabei war, einen kleinen zu vertilgen. Neue Gefechtslage: Die Prüfung dieser größeren Fusion war zuständigkeitshalber an die Brüsseler Wettbewerbsbehörde abzugeben, inklusive der Prüfung des vorherigen Fusionsantrags. Ein Fisch will den Fisch fressen und wird dabei selbst gefressen. La Grande Bouffe.

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Kommentare zu diesem Text

scalidoro (58)
(20.11.10)
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 loslosch meinte dazu am 20.11.10:
Ich hatte eben einen Blackout. Dann googlete ich "Müntefering Hedge-Fonds" und erhielt die Heuschrecken. Oh, die stehen oben schon. Als kleiner Junge, etwa mit 10, fing ich eine supergroße Heuschrecke, hielt ihr eine sehr kleine vor die Fresswerkzeuge. Schwupps war der Kopf ab - obwohl die große Schrecke in bedrängter Lage war! Muss ich mich jetzt schämen wegen Tierquälerei und so ...? Lo
scalidoro (58) antwortete darauf am 20.11.10:
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 loslosch schrieb daraufhin am 20.11.10:
Die Fressräuber sind weltweit auch menschliches Nahrungsmittel (Eiweiß). Das wusste ich damals noch nicht. Lo

 Didi.Costaire (20.11.10)
Hallo Lothar,
eigentlich hatte mich interessiert, warum Walther von Chatillon auf Lateinisch schrieb und nicht auf französisch.
Ich habe wenig über ihn gefunden, dafür einen gewissen Walter V. von Châtillon, der nur wenig später lebte und seine Lehren aus der Weisheit des Fast-Namensvetters gezogen hatte: Er gesellte sich zu den großen Fischen und lebte prächtig.
LG, Dirk

 loslosch äußerte darauf am 20.11.10:
Den Steinreichen fand ich durch Dich. Lange brauchte ich, um den echten Walther mit den lat. Sprüchen zu filtern. Im MA schrieben alle auf Latein, die was auf sich hielten, so wie ... Lothar

 Didi.Costaire ergänzte dazu am 20.11.10:
;-)

 Bergmann (20.11.10)
Schön gemacht! Einer der Wirtschafts-Lotinos, die buchreif sind!
LG, Uli
Graeculus (69)
(20.09.17)
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