Schlechtwetterzulage

Gedicht zum Thema Abendstimmung

von  Isaban

Wie Wimpel wehen Haare von den Köpfen,
wie Schaben strömt das Volk zum U-Bahnschacht,
der Tag ist um, im Nacken sitzt die Nacht
und jene, die in Bahnen Atem schöpfen,
haben ihre Betten längst gemacht.

Verloren steht ein Mantel an den Gleisen.
Der Mann darin verschwimmt zum grauen Strich.
Er wippt, als warte er aufs Weiterreisen,
die U-Bahn kommt, er wirft sich in ihr Licht -
ein Fahrgast stöhnt, die Zeitplanung zerbricht.

Da weint ein Kind und will in Mutters Arme,
zwei Rentnerinnen tuscheln leicht verstört,
der Knopf-im-Ohr-Mann hat noch nichts gehört,
doch auf den Schienen klebt das dunkelwarme
Blut. Die Bahn steht still und zischt empört.

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Kommentare zu diesem Text

Jack (33)
(19.05.11)
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Caty (71)
(19.05.11)
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 AZU20 (19.05.11)
Die Verse sind fast zu schön gegenüber dem harten Inhalt. LG
KoKa (42)
(19.05.11)
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 mondenkind (19.05.11)
von strophe zu strophe steigert sich das erzählerische element. deshalb gefallen mir die ersten beiden am besten. und ganz besonders der anfang der zweiten. danach wird die metaphorik subtiler, aber nicht weniger kraftvoll. gefällt mir sehr gut.
(nur mit dem titel muss ich mich noch anfreunden.)
lg,
nici

p.s. uff! :)

 Didi.Costaire (19.05.11)
Hallo Sabine,
die erste Strophe erscheint mir sehr dick aufgetragen. Wenn nach Arbeitsschluss gleicht die Nacht folgt, ist es eigentlich ein Wunder, dass sich nicht alle vor den Zug schmeißen. In V 2 könnte ich mir vorstellen, dass das Volk "zur S-Bahn hin" strömt, mit der Frage nach dem "Sinn" weitergereimt wird und sich die Szenerie über Tage, näher am schlechten Wetter, fortsetzt. Auch die Tatsache, dass die Bahn in der Strophe gemesssen am Reimschema eine Zeile zu spät kommt, fände ich dann noch etwas plausibler.
Trotzdem halte ich das Gedicht für gelungen. Es ist sehr spannend und dramatisch beschrieben und reich bebildert.
Liebe Grüße, Dirk

 Peer (19.05.11)
Über den Titel würde ich nochmals nachdenken. Da ließe sich m. E. was Treffenderes finden. Ansonsten gefällt es wie so oft von den Metaphern und der Sprachrhythmik.
LG Peer
ichbinelvis1951 (64)
(19.05.11)
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 Reliwette (19.05.11)
Liebe Silbenfee, getextet ist es wie immer grandios.
Mir ist es inhaltlich etwas zurückhaltend (trotz Küchenschabenmodus). Also da muss noch was kommen z.B.
dass zur selben Zeit des Suizids in China ganz langsam ein
Sack Reis von einem Fahrrad fällt.
Lieber Gruß vom Meermann
Raissa (57)
(19.05.11)
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dunham (41)
(19.05.11)
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 Irma (23.05.11)
Das Thema des Gedichtes hat mich sehr berührt. Meine zwölfjährige Tochter musste letztens hier an unserem Bahnhof einen Schienen-Suizid miterleben. Sie wollte zwar nicht in Mutters Arme, brauchte aber auch sehr viel Trost und lange Gespräche, um das Erlebte verarbeiten zu können. (Seitdem hört sie ihren Lieblingssong "Grenade" von Bruno Mars mit gemischten Gefühlen.)

Irgendwie fühlt man sich so furchtbar hilflos und ohnmächtig in dieser Rolle des Zuschauers. Dein Gedicht hat auch so etwas stark Bildhaftes an sich. Man blickt auf dieses expressive Gemälde, alles spielt sich eigenwillig verzerrt vor dem inneren Auge ab, ohne dass man irgendwie einschreiten könnte. Ganz große Klasse!!! LG
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