Die vier Betrachtungen, die den Geist auf das Wesentliche richten

Essay zum Thema Betrachtung

von  LotharAtzert

Das Wesentliche im Mahayanabuddhismus, dem ich hier folge, ist Dharma, die Wirklichkeit, die Lehre davon, bzw. der Weg. Im Grunde ist das Sanskrit-Wort Dharma kaum zu übersetzen, da es eine ungeheure Vielfalt an Bedeutungen hat. So zum Beispiel auch die kleinstmöglichste Zeiteinheit und andererseits alles Existierende. Im Besonderen versteht man aber darunter die buddhistische Lehre. Ihr Befolger nimmt Zuflucht zu Buddha, Dharma und Sangha – Buddha ist einer, der bis zur letztendlichen Verwirklichung – Befreiung von jeglicher Abhängigkeit - gelangt ist; Dharma, wie gehabt und Sangha ist die Gemeinschaft derer, die diesen Weg bis zur Verwirklichung UNUMKEHRBAR bereit sind zu gehen.

1. Die Kostbarkeit einer menschlichen Geburt.
Das Leben mag hart sein und uns nicht immer gefallen. Oder wir verplempern es mit unnützen Dingen. Deshalb steht am Anfang die Betrachtung der Kostbarkeit des Menschseins: es ist nicht leicht, als Mensch geboren zu werden. Viele günstige Umstände müssen zusammenkommen. Nur darum ist von Kostbarkeit die Rede.
Die Zahl der Lebewesen ist schier unbegrenzt. Auch eingedenk der Tatsache des immer rascher voranschreitenden Artensterbens. (wozu nicht nur Flora und Fauna, sondern auch Dichter und Denker und alles Originale gehören.) Wenn wir nur an einen heißen Sommertag denken – explosionsartig vermehren sich die Fliegen, Maden, alle Arten von Insekten usw. Heben wir einen x-beliebigen Stein hoch, rennen soundsoviele aus Eiern gekrochene Krabbeltiere in Panik davon. Im Verhältnis dazu ist die Zahl der Menschen doch sehr begrenzt. Doch selbst als solcher kann man in Krisengebieten zur Welt kommen, wo ein menschenwürdiges Leben zumindest schwierig ist.
Nach buddhistischer Auffassung ist alles Lebendige in sechs Gruppen oder Daseinsbereiche zu gliedern: Götter, Halbgötter, Menschen, Tiere, hungrige Geister und Höllenbewohner. Die beiden Extreme sind der Götter- und der Höllenbereich. Herrscht im einen unvorstellbarer Genuß und Freude, so im anderen die nackte Pein und größtmögliches Elend. Genuß und Freude, sowie Pein und Elend nehmen die Erlebenden so gefangen, daß sie aus unterschiedlichsten Gründen kein Interesse am Dharma verspüren. Auch wissen die einen nichts vom Dasein der Anderen.
Nur der Mensch, so heißt es traditionell, kennt beides, sowohl Leid, als auch Freude – und weiß oder ahnt zumindest, wie schnell aus dem einen der andere Zustand werden kann, denn nichts bleibt, wie es ist, solange man in diesem als Rad gedachten Zustand verweilt.
Dieses Lebensrad, wie es heißt, dreht sich durch die Nabe, die sogenannte Wurzelursache – die drei Geistesgifte Gier, Haß und Unwissenheit. Aus dieser Kombination erheben und konzipieren sich die sechs Daseinsbereiche, je nach Art und Weise, mutieren in weitere Gifte, wie Eifersucht (Halbgötter) Neid (Hungergeister) und Stolz (Götter). Das Hauptgeistesgift der anderen drei: Gier führt in die Menschen-, Unwissenheit in die Tierwelt und Haß mitten in die Hölle. Die Unwissenheit der Tiere bezieht sich bloß auf das Vorhandensein der Befreiung aus dem Daseinskreis. Daß sie bezüglich ihrer naheliegenden Ebenen von Geister und Menschen mehr wissen, als die Letztgenannten von jenen, ist unbestreitbar.
Die Kostbarkeit der menschlichen Geburt besteht nun darin, diesen Vorgang betrachten zu können und abzuwägen, ob es sich lohnt, darin immer und immer wieder herum geschüttelt zu werden, mal unwissend als dies, mal unwissend als das geboren zu werden und auch unwissend zu sterben – oder den Weg zur Befreiung zu suchen, zu finden, zu gehen.

2. Tod und Vergänglichkeit.
Nichts bleibt, wie es ist. Keinen Moment lang! Auch weiß niemand, egal welchen Alters, ob er noch den nächsten Atemzug machen wird. Dieses sich vorhalten, nicht bloß einmal! -immer wieder, solange es nötig ist (=täglich, wie die Körperpflege) - sollte dazu führen, daß wir nicht irgendwann in der Zukunft uns um den Dharma bemühen, sondern augenblicklich beginnen. Wenn nicht hier und jetzt, dann möglicherweise nie! Das NIE aber birgt die Gefahr in sich, auf einer Ebene wiedergeboren zu werden, die weniger günstige Voraussetzungen bietet. Zum Beispiel, daß solche Lehren völlig unbekannt und unzugänglich sind. Ohnehin „glaubt“ die Mehrzahl der westlichen Menschen nicht an die sogenannte Re-Inkarnation, was zur Folge hat, daß sie dem Tod weniger Aufmerksamkeit schenkt, als dem Leben, respektive dem Einatmen und Festhalten mehr, als Ausatmung und Loslassen.
Und selbst wenn ein beschwerdefreies Atmen bei bester physischer Gesundheit möglich ist – das Menschendasein ist kurz – hingegen das Lernen dauert lang und so bedarf es der dritten Sammlung.

3. Leiden.
„Getrennt sein von Geliebtem ist Leiden; vereint sein mit Ungeliebtem ist Leiden.“ – so die Definition, die eigentlich jedem bekannt vorkommen müßte. Durch den Tod ist selbst in den wenigen Fällen, wo man kurzfristig vereint ist mit Geliebtem eine Grenze gesetzt. Anders herum ist auch dem Vereintsein mit Ungeliebtem dieselbe Grenze gesetzt, so daß beides sich gegenseitig aufhebt und das Neutrale ist nun ganz und gar unbefriedigend.
Das allumfassende Leiden – Geburt, Alter, Krankheit, Tod - wird inzwischen im Osten genauso verdrängt, wie im Westen. Aber Verdrängen heißt nicht, daß es weg ist, es wird nur nicht mehr wahrgenommen, an diesem Programm arbeiten viele Millionen von Menschen. Das gleicht – seien wir ehrlich – dem Verhalten von Affen, die vor einem Herd stehen, wo gerade eine Speise überkocht. Anstatt die Flamme abzudrehen, schmeißen sie mit Steinen danach……
Um das zu bereinigen, was hieraus an Krankheiten resultiert, muß immer mehr Energie eingesetzt werden, mit immer mehr unerwünschten Begleiterscheinungen, wie Artensterben, Klimakatastrophe etc etc.. Energie, die wieder dem Planeten geraubt wird, was weiter verdrängt wird usw. usw.

4. Die Umkehr (das Praktizieren des Dharma)
„Aus Gutem resultiert Gutes und aus Schlechtem Schlechtes“ – diese einfache Zusammenfassung ist das, was man unter dem Begriff „Karma“ versteht. „Gutes tun und Schlechtes vermeiden“ so wurde die Essenz der Lehre Buddhas einmal benannt. Nur ist das Einfache in dunkler Zeit immer am schwersten verständlich, so daß man mit zunehmendem Fortschritt immer mehr für die Intellektuellen reden und schreiben, darlegen und abwägen muß:
Karma bedeutet Ursache und Bedingung. Aus einer anderen Perspektive läßt sich von Ursache und Wirkung sprechen: das Heute ist das Ergebnis einer in der Vergangenheit bewirkten Bedingung und zugleich auch neue Ursache für eine zukünftige Auswirkung. Wer heute einen Samen pflanzt, muß, entsprechend der Art des Samens – ob gut oder böse und im Sinne der genannten Geistesgifte Gier, Haß und Dummheit - einige Zeit warten, bis dieser Früchte trägt. Und je langlebiger, um so länger dauert es in aller Regel. Was aber weiter, als fünf Minuten zurückliegt – dessen Wirkung wird in der allgemeinen Raserei heute mehr und mehr als „Zufall“ abgetan. Man begreift damit auch nicht mehr, daß der Tod niemals ein Ende ist, sondern lediglich das Ende einer Entwicklungsstufe, der ein Anfang auf neuem Daseinsplan zwangsläufig folgt – in einem der sechs Bereiche, je nach vergangenen Handlungen.
Doch einen Zufall gibt es nicht. Alles folgt einem Ordnungsgefüge.
Da stellt sich dann die Frage, ob die Rastlosigkeit noch eine Kostbarkeit darstellt, bzw. ob es nicht allerhöchste Zeit ist, hier und jetzt ganz entspannt umzukehren, einen guten Tee zu trinken, den Duft zu genießen und alles noch mal zu betrachten. Und wenn Du, liebe Leserin, lieber Leser, nicht damit anfängst – wer dann?

Dies sind die vier vorbereitenden Betrachtungsweisen, welche dazu motivieren können, den Wahnsinn des heutigen Materialismus bewußt hinter sich zu lassen.
OM MANI PEME HUNG

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Kommentare zu diesem Text


 Bluebird (03.07.13)
Hallo Lothar,

habe den Text nur kurz an- und quergelesen. Den Rest hole ich ... vielleicht ... später nach. Was mir aber auf Anhieb gefällt ist die übersichtliche GLIEDERUNG und GESTALTUNG des Textes. Und er scheint mir über weite Strecken auch nicht zu "schwer" geschrieben zu sein.
(Kommentar korrigiert am 03.07.2013)
(Kommentar korrigiert am 03.07.2013)

 LotharAtzert meinte dazu am 03.07.13:
" Und er scheint mir über weite Strecken auch nicht zu "schwer" geschrieben zu sein."
(Kommentar korrigiert am 03.07.2013)
(Kommentar korrigiert am 03.07.2013)

- wie unser gemeinsamer Freund zu sagen pflegt: Hahaha!
(Antwort korrigiert am 03.07.2013)

 Bluebird antwortete darauf am 04.07.13:
Ich nehme mal an, dass Du noch ähnlich "veranlagte" Texte veröffentlichen willst/ wirst. Es empfiehlt sich einen mehrteiligen Text/Gesamtwerk mit einem OBERTHEMA ( z.B "Mein Buddhishus") anzulegen, unter die du die Einzeltexte dann einordnen kannst. Das ist ein richtig guter TOOL hier im KV, von dem ich selber ausgiebig Gebrauch mache.

 LotharAtzert schrieb daraufhin am 04.07.13:
Danke, Blauvogel, für den Tipp. Werd's mir mal anschauen.
GabrielSiegmann (35)
(11.09.13)
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 LotharAtzert äußerte darauf am 12.09.13:
Hallo Gabriell,
danke für's feedback. Den Daoismus mag ich auch sehr.
Aber wie kommst Du nur auf die Erhöhung des Menschen vor dem Tier? Wir haben durch unseren Intellekt mehr Möglichkeiten zur Reflektion, dafür können wir auch - wg. mehr Verantwortung - tiefer stürzen, das ist alles.
Es gibt ein Buch über die vorangegangenen Inkarnationen des Buddha. In einer davon soll er sich einer Tigerin zum Fraß angeboten haben, deren Jungen kurz vor dem Hungertod standen.
Böses vermeiden; Gutes tun - das ist die komplette Lehre!

Gruß
Lothar
GabrielSiegmann (35) ergänzte dazu am 12.09.13:
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