WM-Fieber oder Bühne frei für ... Fußball-Theater

Beschreibung zum Thema Sport

von  eiskimo

Die Fußball-WM steht vor der Tür,  die FIFA will Milliarden erreichen (an Umsatz/an Zuschauern) mit noch mehr Fernsehen, noch mehr Vermarktung, public viewing für alle – da kommt ein schweizer Theatermann auf die Idee, es genau anders herum zu versuchen, nämlich dieses Riesen-Spektakel Fußball zu minimieren, herunter zu brechen auf ausgesuchte  tragisch-brisante Momente  und …  dies auf die Bühne zu bringen
Die spektakulärsten und dramatischsten Szenen aus den weltbesten Fußball-Spielen. Die Psyche der Akteure, Strategien, fatale Aussetzer, tragisches Scheitern oder Spieler im Torrausch…
Mich hat das sofort elektrisiert, hat mir Szenen wachgerufen, die sich eingraviert haben in mein Fußballer-Herz. Helmut Rahn 1954 mit seinem historischen Tooor, Tooor, Tooor für das neue, nicht mehr mit den Nazis gleichgesetzte Deutschland; Pele 1958 in Schweden, aufglühender WM-Star als kaum 18jähriger; dann – oh Schande - 1966 Wembley mit dem Finale und dem dritten englischen Tor, das vielleicht gar keins war; die WM in Mexiko mit dem „Kracher“ Italien : Deutschland, das erst in der Verlängerung entschieden wurde; der zweite deutsche WM-Titel durch Gerd Müllers 180°-Dreher gegen die armen Holländer – es gäbe hochdramatischen Stoff in Hülle und Fülle, fest gemacht an strahlenden Helden und höchst tragischen Verlierern – denken wir nur Maradonas „Hand Gottes“, oder besser noch an Zinedine Zidane und seinen Kopf-Stoß gegen Materazzi 2006! Was für ein Absturz, was für ein epochaler finaler Dialog zweier schicksalhafter Hauptdarsteller, der eine in der perfiden Rolle des „Anstifters“ und Provokateurs, der andere, der in seiner Ehre gekränkt wird und zerrissen ist zwischen dem zum Greifen nahen Sieg... oder der Schmähung seiner geliebten Mutter. Tragödie vom Feinsten!
Aber warum sollten sich da nur die Torschützen und entscheidenden Mittelfeld-Strategen auf der Bühne neu entfalten dürfen?  Ein immenses dramaturgisches Potential hätten auch die Torhüter - ein Jaschin, ein Olli Kahn, ein Ullreich oder zuletzt Loris Karius, die für sich alleine Jahrhundert-Spiele entschieden haben, nein, nicht immer, indem sie über sich hinauswuchsen....
Ich höre ihn förmlich schon, diesen fast todesnahen inneren Monolog nach dem Kullerball, der tatsächlich den Weg ins Tor gefunden hatte, unter den fangbereiten Armen hindurch ….  Oder war es der fatale falsche Abwurf in die Füße des Gegners?
Und dann stände ein Olli Kahn allein auf einer schwarzen Bühne, die Torwarthandschuhe lässt er kraftlos fallen, die nackten Fäuste reckt er anklagend gegen den Himmel mit der Frage: „Warum?“ Ohne Worte könnte  Liverpools Keeper Karius agieren, mit leerem Blick  nieder sitzend, wie an den Torpfosten genagelt. Ein  Aristoteles hätte keine stärkere Szene ersinnen können für die Nähe zwischen göttlicher Weihe und …. dem  Höllenschmerz. Ja, der Fußball ist für die Bühne gemacht, dessen bin ich mir sicher!
Zur szenischen Überhöhung, vielleicht auch als retardierendes Moment vor der alles entscheidenden Szene, könnte man die Trainer „einspielen“. Sie spiegeln gestenreich das Geschehen, zeigen in ihren gemarterten Gesichtern den Spannungsbogen, suchen hilflos Worte für die tragische Verkettung von individuellen Fehlern, von Pech und menschlichem Unvermögen. Das wären Rollen für die ganz großen Charakterdarsteller unserer Zeit!

Will man das allzu Tragische auflockern durch ein bisschen Comedy, hätten die Spielerfrauen ihre glamourösen Auftritte. Ich sehe schon das ganze Repertoire an Schuhen, Handtaschen,  körperbetonten Tops…was für ein köstlicher Kontrast zum Männerschweiß, zu ihren irren Tatoos, kecken Frisuren, martialischen Gesten, die das Rennen und Ballgeschiebe  auf dem Rasen garnieren.
Lohnend fände ich es dann, auch die Schiedsrichter ins Rampenlicht zu holen: Die alles entscheidenden Sekunden mit der Rückfrage an den Linienrichter – „Nein, doch kein Tor,“ oder „ja, ich gebe den Elfmeter ...“ - das ist doch „Schicksal pur“ wie auf dem Tablett serviert. Das Publikum kann gar nicht anders als sich identifizieren, Partei ergreifen, sich zur „Fan-Kurve“ verwandeln.
Und von dieser hoch emotionalisierten Zuschauer-Kulisse zu Schmäh-Gesängen, Verbal-Injurien hin zu ersten Flaschen-Würfen und Pyro-Technik wäre es nicht weit. Was für ein Schauspiel ... diesmal nicht im Stadion, nein im Theater! Die Licht-Technik, die modernen Möglichkeiten der Beschallung, ja, sogar das Einspielen von Original-Filmsequenzen aus der „Sportschau“,  das könnte die Inszenierungen zu ungeahnter Zuspitzung und Verdichtung führen.
Muss ich die Theater-Macher darauf hinweisen, dass sie mit der „Entdeckung des Fußballs“ eine ganz neue Klientel in ihre Häuser locken würden? Ganze Fan-Klubs kämen mit Bussen angereist, und schon in der passenden Kostümierung würden diese die Säle füllen. Ich würde dann auch wie in den Stadien, das Rauchen und Trinken erlauben – Theater muss schließlich die Realität abbilden, auch die krachledernen Seiten eines Massensports.
Was mich an dieser Fußball-Theater-Idee natürlich ganz besonders anfixt: Man könnte auf der Bühne die Fußball-Geschichte ja auch korrigieren: Deus ex machina greift „von oben“ ein und bringt eine gerechte Lösung: Das Wembley-Tor wird doch nicht gegeben, Zidane kann sich im letzten Moment doch noch beherrschen, Olli Kahn hat keinen Aussetzer... Mich juckt es förmlich in den Fingern, um gleich mit den wichtigsten Richtigstellungen zu beginnen (der Abstieg des HSV wäre aber nicht auf der Korrektur-Liste).

Frage am Ende: Wie halten wir es mit der FIFA – sollen wir die beteiligen,  nach irgendwelchen Rechten fragen? Oder gehört der Fußball nicht uns allen? Ich sag mal ganz selbstbewusst: Was da entstanden ist zwischen den Aktiven, dem Publikum und ganzen Nationen, die stets aufs Neue mit fiebern, das ist „Produkt und Objekt des öffentlichen Interesses“ - das kann keiner für sich reklamieren geschweige als „seine Ware“ vermarkten. Fußball ist Emotion, ein zauberhaftes Miteinander, magisch – da mag ich keine FIFA, weniger denn je.
Ich bin sicher, unser schweizer Theater-Mensch guckt in diesen Tagen aufmerksam nach Russland. Er wird viel Fußball schauen, aber mit anderen Augen als die Fans. Und er wird Sequenzen einfangen für ganz großes Theater!


Anmerkung von eiskimo:

Der Text stand kürzlich schon in der Donnerstags-Kolumne. Hier ist er abgewandelt und aktualisiert.

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Kommentare zu diesem Text

RedBalloon (58)
(08.06.18)
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Graeculus (69) meinte dazu am 08.06.18:
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 eiskimo antwortete darauf am 08.06.18:
Ich werde es umgehend korrigieren. Aber es gab zwischen Frankreich und Deutschland doch auch einen "Kracher" - da wo unser Torwart (Schumacher) den Franzosen Battiston "weggeräumt" hat, was dem eine Zahnlücke bescherte.... (auch gut für die Bühne geeignet, vor allem, wie dieses Foul danach verarbeitet wurde...)

 TrekanBelluvitsh (08.06.18)
Es hat schon seinen Grund, warum es keine gute Literatur/Kunst über den Sport (hier: Fußball) gibt: Der Sport hat alles, da gibt es nichts zu verdichten, nichts zu dramatisieren. Die Fußballbundesliga wird z.B. jede Entscheidung für jeden Verein in nur 51 "Arbeitsstunden" gefällt (also Stunden die Zählbares liefern).
Graeculus (69) schrieb daraufhin am 08.06.18:
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 TrekanBelluvitsh äußerte darauf am 08.06.18:
Ich möchte dir widersprechen. Bei Plastiken, Skulpturen oder Fotos geht es um den Menschen bzw. den menschlichen Körper.. Der Sport hat den Vorteil, dass man den Menschen in jenen körperlichen Ausnahmesituationen beobachten kann, zumindest ohne Gefahr für Leib und Leben.

Wäre dies z.B. im Krieg möglich, würde man das tun. Aber das ist eben gefährlich und man kann die (Kampf-)Situationen nicht inszenieren oder den Beobachtungspunkt beliebig wählen. Wenn z.B. im WK II ein Panzer einen Feind auf 700 Meter Entfernung bekämpft, gibt es wenig zu sehen. Und im Nahkampf fliegen dem Beobachter die Kugel (und nicht nur die) nicht nur um die Ohren. darum sind auch - meine Schätzung - 95 bis 99% der Fotos aus Kriegen gestellt, bzw. nicht von der direkten Front an sich.

Bei den Oden würde ich mal vermuten, dass es eher um die Bedeutung des Sports bzw. eines Sieges (oder einer Niederlage?) geht, nicht um die Dramatik des Wettkampfes. Natürlich kann man versuchen, diese durch Kultur einzufangen

Aber nehmen wir als Beispiel mal einen Film. Einen guten Film schaut man auch gerne mehrmals. Ein Film über eine Fußballmannschaft und ihren weg in ein Finale. Höhepunkt des Filmes: das Finale. Wenn man den film aber ein zweites Mal sieht, weiß man schon, wie dieses ausgeht. ein echtes Spiel ist tausend Mal spannender. Natürlich kann man davon ausgehen, dass der FC Bayern München die SG Wattenscheid 09 sehr hoch schlagen würde. Aber nichts desto trotz muss das Spiel erst gespielt werden. Der Ball muss rollen und wue er das tut, dass macht die Dramatik aus. Und selbst wenn die SG Wattenscheid 09 den FC Bayern München 4:3 schlagen würde, würden die Leute es danach doch bevorzugen, die nächsten Spiele anzuschauen, ganz allein wegen der Dramatik.

 eiskimo ergänzte dazu am 08.06.18:
Genau diese Ausnahmesituationen im Sport, die ja in Sekundenschnelle vorbei sind, die stumm verlaufen und nur rein visuell zu verfolgen sind, die könnte man mit den Mitteln des Theaters (Dialog, Licht, Perspektivewechsel...) sozusagen sezieren und ganz anders erlebbar machen. Das ganze "Theater" um den modernen Sport beweist ja, wie massenwirksam und populär die "Ware" ist...
tileo (37)
(08.06.18)
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