Kuscheltier beim Psychiater

Fabel zum Thema Anerkennung

von  tastifix

„Na, Barry, dann mach mal auf der Liege schön Platz!“
Herr Bohrinderseele guckt hinter dem Rücken des Bernhardiners verzweifelt zur Decke.
„So`n Fall hat mir heute gerade noch gefehlt!“

Aber Barry bleibt mit schüchternem Dackelblick und eingezogener Rute zitternd stehen.
„Winsel! Bitte nicht!“
Der Psychiater wird ärgerlich:
„Ich pflege meine Patienten nur, wenn sie liegen, nach ihrer Kindheit zu fragen. Also hopp!“
„Nach meiner Kindheit ... ?“
Barry schlackern die Ohren:
´Auch das noch!`
Notgedrungen hopst er hoch und rollt sich dort so klein wie möglich zusammen.
´Na, immerhin!`
Herr Bohrinderseele lässt sich erleichtert in den Sessel am Kopfende der Liege plumpsen und linst heimlich auf die Armbanduhr:
´In sechzig Minuten ist es überstanden!`

Dann folgt die erste Frage:
„Barry, hattest du eine liebevolle Mama?“
Wehmütig schaut Barry den Mann an:
„Ach, seuufz. Sie hat mich immer abgeleckt und sehr viel mit mir gespielt.“
„Und wenn du Blödsinn gemacht hast ... ?“
„Dann hast sie mich im Nackenfell genommen und schrecklich fest geschüttelt.“
´Aha - Schütteltrauma!`
Herr Bohrinderseele freut sich. Schon lange nicht mehr hat er bei einem Patienten so schnell etwas herausgefunden.

„Und was ist mit deinen Geschwistern? Hast du dich gut mit ihnen verstanden?“
„Mein Bruder war sehr lieb zu mir, aber die fünf Schwestern haben mich oft geärgert und  ´Stehohrbernhardiner` zu mir gesagt.“
Barry ist kurz davor, los zu jaulen.
´Gravierende Verletzung der Tierkinderseele zieht Verlust des Selbstbewusstsein nach sich!`, brummt der Psychiater zufrieden.
„Und wie hast du darauf reagiert?“
„Ich hab mich winselnd ins Körbchen verkrochen und versucht, mit den Pfoten die Ohren umzuknicken.“
„Uund, hat es geholfen?“
„Nee, die sausten immer wieder nach oben! - Ich kann mich nirgends mehr sehen lassen, ein Bernhardiner mit Stehohren!“, jammert er.

„Sag mal“, kommt dem Psychiater eine Idee. „Waren deine Mama und dein Papa beide wirklich Bernhardiner?“
„Wuff! Was soll das denn jetzt heißen!? Meine Mama hat niemals ... und Papa auch nicht. Steht alles in meinem Pass vom Züchter.“
Empört vergisst Barry für einen Moment seinen Kummer und erklärt mit einem Anflug von Stolz:
„Auch Oma und Opa und Uroma und Uropa. Alle von und zu!!“
Doch dann sackt er wieder in sich zusammen:
„Was soll ich denn jetzt bloß machen?“
„Hm!“, fragt sich der Psychiater genau dies auch gerade: „Hmm!?“
´Hmm` hilft so gar nicht, vermag Barry nicht zu trösten, sondern gar das Gegenteil ist der Fall. In Innern schrumpft er zum Floh und hofft darauf, noch weiter zu schrumpfen – am besten zur Mikrobe.
„Eine Schande. Ich bin eine Schande für die ganze Familie! Wiiiinsel!“
´Himmel!`, denkt der Psychiater. ´Das ist ja nicht zum Aushalten!!`

Doch weil Psychiater meist nicht doof sind, fällt ihm dann recht schnell etwas ein:
„Du, Barry?“
„Jaauul??“
„Hör endlich auf mit dem Geflenne! Ich hab die Lösung!“
Der auf der Liege vor sich hin zitternde Barry verschluckt sich fast am letzten Jaulton und schielt den Mann schüchtern an. Vor ganz unten nach ganz oben. Er wartet.
„Barry, es gibt überhaupt keinen Grund dafür, dich minderwertig zu fühlen!“
„N..niich?“, haucht es von unten.
„Nein. Denn du bist etwas Besonderes!“
„Iich?“
Barry traut seinen Ohren nicht und des nicht etwa nur, weil es Stehohren sind.
„Du sagst doch selber, so läuft kein anderer Bernhardiner herum!“
Barry sieht aus, als ob er ein neues Heulkonzert anstimmen wolle. Hastig betont der Psychiater:
„Eben! Kein Anderer. Na, fällt der Groschen?“
Verlegen und so scharf nachdenkend, wie es ein Hund nur fertigbringt, birgt Barry den mächtigen Kopf zwischen die Pfoten und sagt ein paar Minuten erst mal gar nichts mehr.
Gespannt wartet der Psychiater. Dann geschieht ein Wunder. Zunächst zittert nur die Schwanzspitze ein wenig, doch dann
wedelt Barry dermaßen heftig, dass er fast von der Liege
rutscht.
„Bloß nicht! Wenn der jetzt auch noch ein Fall-Trauma bekommt, werd` ich den ja nie wieder los!“
Der Psychiater schnellt hoch und stellt sich sicherheitshalber vor die Liege.
„Na??“, hakt er nach.
„Wenn ich doch was Besonderes bin …, jubelt Barry los, „dann werden die Anderen sicher neidisch auf mich. Dann wollen die auch alle Stehohren!“
„Richtig!! Und jetzt melden wir dich zu einer Hundeausstellung an, auf der nur Bernhardiner mit Stehohren zugelassen sind!“
„Abaa, wau, es gibt doch fast keinen Anderen außer mir!“, meint Barry irritiert.
„Genau!! Und was sagt dir das jetzt?“

Wieder schaut der Psychiater Barry prüfend an:
´Wird er oder wird er nicht?`
Doch die Sorge ist unbegründet: Barry ist nicht wiederzuerkennen. Dort hockt nicht länger das Häufchen Elend von vor wenigen Minuten, sondern dort verpasst ein ausgesprochen selbstbewusster Hund der Liege eine  temperamentvolle Trampelmassage.
„Ich werd siegen und dann ganz berühmt sein. Ich, der einzige Stehohren-Bernhardiner weit und breit!!“

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