Letzte Tage im Licht.

Erzählung zum Thema Ausweglosigkeit/ Dilemma

von  franky

Trotz intensiver Suche im Internet konnte ich nicht herausfinden, welcher alter Herr des ungarischen Königshauses der etwa am 10.04.1045 in einem Wagendross das Murtales nach norden gezogen war und bei uns in Laufnitzdorf, im Wald vom Wieserbauern Campiert hat.
Einige fein gekleidete Damen übernachteten im Heustadel über dem Hasenstall  von unserem Nachbarn Grassecker. Eine hübsche junge Frau trug sogar eine sauber gebügelte lange Herrenhose, was bei uns Hinterwäldlern große Aufmerksamkeit hervorrief. Auch zwei junge Soldaten befanden sich in ihrer Begleitung. Eine von den beiden Damen nahm bei uns in der Küche ein längeres Fußbad. Der Eine von den beiden Soldaten benützte einen Krückstock, könnte im Kampf eine Beinverwundung davongetragen haben. Der pirschte sich an die Fußbadende heran und schäkerte und lachte, dabei rührte er mit dem Krückstock das Badewasser um, was die Fußbadende Nixe mit zustimmendem, wohlwollendem  Lächeln quittierte. 
Aus dem Camp im Wieserwald hatten wir einige mehr oder weniger freundliche Besucher, die alle glaubten, unser von außen so prunkvolles Haus wäre für hunderten ungarischen Flüchtlingen geeignet. Wenn jedoch das Eingangstor des geräumigen Stallgebäudes geöffnet wurde, gähnte ihnen ein riesiges Loch an der Hinterwand entgegen und davor der dazugehörige Steinhaufen der eingestürzten Hinterwand. Das konnte man strengsten Falles als Schweinestall benutzen.
Die vor Zorn zitternden Besichtiger mussten wohl oder übel mit hängenden Köpfen das Gebäude wieder verlassen. Der eine von ihnen stürmte sogar mit gezückter Waffe in den Maroden Stall, um weiß Gott was zu erlegen. Nichts von allem Erhofften war hier zu finden.   
Dann aber stand eines Tages ein Mann vor der Türe von Mamas Küche, der trug eine, wie eine Bierkiste so großen Holzbehälter mit sich, darin waren in purem Fett Fleischstücke gelagert. Der Mann, anscheinend der Koch konnte nicht sprechen, den hatte man vorsichtshalber die Zunge herausgeschnitten, um keine tragenden Geheimnisse verraten zu können. Das war in den Königshäusern so üblich. Der in Militärklamotten gekleidete, versuchte mit Händen und Füßen zu erreichen, dass man ihm eine Feuerstätte zur Verfügung stellen solle, um für seine Herrschaften ein kräftiges Essen kochen zu können. 
Mit seinen Lippen formte er Worte mit Zischlauten, die mit einem gleichbleibenden Ton einher gingen. Wenn er seinen Mund etwas öffnete, konnte man deutlich den Stumpf seiner abgeschnittenen Zunge sehen. Bei Untermieterin Frau Pool, schien der Mann mehr Erfolg als bei meiner Mama zu haben. Er deutete mit den Händen, dass er nur einen großen Topf auf den Herd stellen wolle, um Fleisch zu erhitzen. und sonst nichts. Die Zahnlose Frau Pool versuchte ihm begreiflich zu machen, dass man dafür viel Holz brauche und das müsse er zu erst im Wald hinter dem Hause sammeln. Von ihr könne er kein Holz bekommen, sie habe selber zu wenig. Schließlich stellte er den mit Fleisch und Fett gefüllten Holzkasten auf Frau Pools kleinen Küchentisch. Das mit dem Holz zum Heitzen leuchtete dem Zungenlosen Mann schließlich ein. Er  krappelte auf allen Vieren hinterm Haus linkisch und suchend über den Waldboden, wo er mit Mühe und Not ein geeignetes Häuflein Holz zusammen brachte, das gerade zum Feuern reichte. 
Ich beobachtete ihn mit etwas Schadenfreude, da ist sonst der war, der das Holz sammeln musste. Jetzt war einmal ein anderer dran.
In einem riesigen Topf brachte der Stumme das Fleisch samt Fett zu kochen.
Mir stellte sich die Frage: „Wer könne so was essen?“
Aber als es so weit war, trafen auf dem Fußweg nach oben kommend unbemerkt einige alte Männer ein und setzten sich bei Mama in der Küche vorsichtig, majestätisch gästikolierend zu Tisch.  Der Stumme servierte mit hektischen Bewegungen, aber doch irgendwie routiniert in Suppentellern das Fleisch im kochendem Fett. Schweigend löffelten die Männer diese Speise in sich hinein. 
Mir zieht sich heute noch der Magen zusammen bei so vielen Fettigen Kalorien
Gesprochen wurde nur mit gedämpfter Stimme, damit ja nichts Gefährliches nach außen dringen könne.
Für diese Angehörigen der ungarischen Königsfamilie, war dies bestimmt ein Festmahl, das sie sich in der nächsten Zeit nicht mehr so oft gönnen werden.

Am dreizehnten April, nach meinem Unfall im verlassenen Camp vom Wieserbauern, erfuhr meine Mama, dass auch ein General der Ungarischen Armee sich in dieser Gruppe befunden haben soll. Sein Bedauern konnte mir mein Augenlicht auch nicht wieder zurückgeben.   
Alle Entscheidungen, was in der Küche so ab ging, lagen allein auf Mamas Schultern, da vor zwei Jahren Papa zu Militär eingezogen wurde.
Während so einem Trubel mit so vielen fremden Männern, musste Mama auch für uns Kinder eine Mahlzeit auf die Beine stellen. Die bestand in dieser Zeit meist aus Kartoffeln und Gemüse. Wenn das auch zu Ende ging, gab es nur noch Kartoffel und selbstgemachtes Sauerkraut, das uns Kinder gar nicht zusagte, weil es für unsere Schnäbel viel, viel zu sauer war. Bei diesem Menü schnitt ich nur ein saures Gesicht und würgte diese Speise mehr hinunter, Essen konnte man das nicht nennen. Dann kochte Mama Spinat, den herrlichsten Spinat konnte sie mit einer misslungenen Einbrenne ungenießbar machen. 
Mama hatte vom Leben alles das geschenkt bekommen, was sie sich als junge Frau nicht erträumt hatte. Fünf Kinder und kein Geld für extra Ausgaben, obwohl Papa in der Papierfabrik als Schleifermeister ganz gut verdient hatte. Die Mitgliedschaft in der Partei machte es ihm etwas leichter an solche Posten zu Kommen.  Dadurch zählte er zu der gehobenen Klasse. Papa wurde sogar Präsident des Frohnleitner Gesangsverein. Zuhause übte er zu Radiomusik das dirigieren, was er mit höchster Konzentration durchführte.
Das Perfide muss man sich noch vorstellen! Mit den Paar übrigen Mark erwarb Papa von seinen Parteigenossen überredet, eine Kriegsanleihe, die Adolf Hitler zur Finanzierung seines unsinnigen Krieges dringend benötigte. Papa wurde bei Erreichen des propagierten Endsieges eine kräftige Verzinsung versprochen. 

In der Nacht vom Zwölften zum Dreizehnten April, Brach der Tross mit dem Ungarischen Königshaus Mitgliedern ohne viel Aufsehen zur Weiterfahrt auf. Man könnte fast sagen, es war ein überstürzter Aufbruch, da die Front der roten Armee schon gefährlich nahe bis an die Österreichische Grenze gekommen war. 
Hier oben vom Natzbauern, sahen wir nur noch die großteils schon heruntergebranntem Lagerfeuer, da stieg nur noch vereinzelt Rauch auf. 

So viel Platz in unserer Küche hatten wir schon lange nicht mehr!
Wir Kinder tanzten vor Übermut Ringel ringel Reier. (Ein Auszähletanz)
Mama kochte zum Frühstück Kaffee und Türkensterz (Gekochtes und gesalzenes Weizenmehl), etwas in Butterschmalz knusprig angebraten, für uns Kinder ein Festessen. 
Meine große Schwester Poldi und kleinere Schwester Franziska bekamen von Mama den Auftrag, in den Kreißlerladen Solat am Schweizerhof mit den Zuteilungsmarken  einkaufen zu gehen. Ich bettelte bei Mama, ob ich nicht in den verlassenen Zeltplatz der Ungarischen Herrschaften hinuntergehen dürfe, um in den zurückgelassenen Sachen etwas Brauchbares zu finden. Was für Mama brauchbar wäre und was für mich brauchbar war, trennten Welten.
Ich wartete auf dem drei Stufen des Hauseinganges. Mein Blick kreiste über das geisterhaft stille Murtal. Graugrüne Nebelschwaden hingen über den grünen Wäldern, kein fröhlicher Anblick. Franziska versprach mich bis ins Tal mitzunehmen, am Rückweg könne sie mich ja wieder abholen und nachhause bringen.
Wir machten ein Zeichen ab, falls ich früher zuhause sein sollte. Dieses Zeichen ist bis heute noch nicht gelöscht.
Von Weiten sah ich meinen Cousin Gernot mit Freund Hauser des Weges kommen, die nahmen auch Kurs auf den verlassenen Lagerplatz.
Ein unbeschreibliches Gefühl überkam mich und packte mich mit eisernen Fäusten und zwang mich diesen unheilvollen Weg bis zum Wieserwalt zu gehen. Ein freudiges Zittern durchdrang meinen kleinen Achtjährigen Körper. „Was alles wird mich da erwarten;“
Der eingezäunte Weg führte mich unbarmherzig dem breiten Tor im Holzzaun entgegen.
Von da an erschien mir, erst nur sehr unklar, dann jedoch etwas deutlicher, ich erkannte meinen Schutzengel am Nussbaum kauernd. Er hielt beide Hände vors Gesicht, als wolle er ganz kräftig was nachdenken, er könnte auch weinen! Das erschloss sich mir aus der Ferne nicht ganz deutlich. Was ich aber noch erkennen konnte, dass eine dunkle Gestalt den Schutzengel vom Ast des Nussbaumes stoßen wollte.
Meine Gedanken purzelten vom einen Extrem ins Andere.

Unser Untermieter Herr Pool bekam von seinen Bekannten die Nachricht, dass er wieder in seine Heimat ins Jugoslawien zurückkehren könne, was sich später als fatale Falschmeldung herausstellen sollte. Für dieses Vorhaben kaufte Herr Pool zwei Pferde, wo eines ziemlich an der Hinterhand lahmte, doch für diese nicht allzu lange Fahrt müsste es reichen.
An diesem dreizehnten April früh morgens, packte das Ehepaar Pool seine Habseligkeiten auf einen Leiterwagen und spannte zwei Pferde davor. Die zwei Tiere waren sich so fremd, die kamen vorher nie miteinander in Berührung, da kann man sich bildlich vorstellen was da abging! Als Herr Pool die beiden Köpfe der Pferde sanft zusammen bringen wollte, fing ein durch Mark und Bein gehendes Wiehern los! Die Tiere bäumten sich auf und standen minutenlang nur auf den Hinterhänden. Nach dem sich die Pferde sich einigermaßen beruhigt hatten, versuchte man sie gemeinsam vor den Leiterwagen zu spannen. Von Neuem ging ein Gerangel los! Sie waren total aufgewühlt, ganz und gar nicht einverstanden, dass sie nun den alten Karren ziehen sollten. Sie versuchten sich seitlich in die Nüstern zu beißen. Durch dieses entstandene Geschuppse, drohte wiederum der bis oben beladene Leiterwagen umzustürzen. Mit Ach und Krach ging es dann den Karrenweg hinunter ins Tal.

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (17.07.19)
Mein Gott, Franky, das, was du erlebt hast, reicht für mehrere Leben aus. Du hast diese Episoden wieder einmal sehr spannend erzählt.
Liebe Grüße
Ekki

 AZU20 meinte dazu am 17.07.19:
Da schließe ich mich glatt an. LG
rochusthal (71) antwortete darauf am 17.07.19:
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 Regina (02.08.19)
Sehr schön erzählt.

 Regina schrieb daraufhin am 03.08.19:
Zwei Fragen hätte ich noch: Wohin wandten sich die Ungarn als sie euch verließen und was ist 1945 mit eurer Gegend passiert?

 Dieter_Rotmund äußerte darauf am 17.10.21:
Da steht " 10.04.1045", nicht 1945,
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