Sie jammern alle

Fabel zum Thema Lebenseinstellung

von  EkkehartMittelberg

Eine Biene folgte ihrer Bestimmung, Nektar zu sammeln, und ließ sich auf einem Gänseblümchen nieder. Dieses empörte sich und klagte sie an: „Es ist einfach, die wehrlosen Kleinen auszubeuten. Ich brauche meinen Nektar selbst. Halte dich an die Großen, die viel mehr davon haben.“
Da flog die Biene auf eine Sonnenblume. Doch auch diese herrschte sie an: „Ihr Bienen seid nicht besser als die Menschen. Diese rauben uns unsere Kerne, ihr stehlt uns unseren Nektar. Fliege doch zu den Rosen, die die Vorteile ihrer Schönheit und ihres Duftes genießen. Sie können leicht etwas Nektar entbehren.“
Kaum hatte die Biene auf einer Rose ihre Fühler ausgestreckt, als auch diese sich entrüstete: „Die Menschen gönnen uns unsere natürliche Lebenszeit nicht und wir verwelken vorzeitig in ihren Vasen. Jetzt willst du uns auch noch unseren Nektar entwenden. Hast du denn gar kein Mitleid?“
Da flog die Biene traurig zu ihrem Stock, um ihren Artgenossen ihr Leid zu klagen: “Das kennen wir“, sagten jene. “Mach dir nichts aus der allgemeinen Wehleidigkeit, denn egal, zu welchem Stande die Blumen gehören. Eines ist ihnen allen gemeinsam, das Jammern.“

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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (02.02.20)
Wenn man das Bild weiterdenkt, dann kann man sogar sagen: Sie jammern selbst über die, von deren Wohlwollen sie abhängen.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.02.20:
Merci, Graeculus. man trifft öfter auf diese egozentrische Beschränkung.

 TrekanBelluvitsh (02.02.20)
Ja. Es ist ja sooo schwer das Solidaritätsprinzip zu verstehen... bis man selbst darauf angewiesen ist*.



* = Also derart darauf abgewiesen ist, dass man es nicht mehr verleugnen kann.

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 02.02.20:
Danke, Trekan, mir gefällt dein Wortspiel: angewiesen und abgewiesen.

 AchterZwerg (02.02.20)
So kann nur einer outputten, lieber Ekki,

der noch nicht Fabulist des Jahres war.
Deine Picola - bald beste Kurztexterin einer ganzen Aera - kennt sich da aus.

:)

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 02.02.20:
Grazie, Picola, wir lassen es uns nicht verdrießen und machen weiter: fabelhaft und einmalig.
Herzliche Grüße
Ekki

 DanceWith1Life (02.02.20)
Also der Biene hilft beim Jammern, ihren Artgenossen ihr Leid zu klagen und die Feststellung, das machen sie alle. Interessant.

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 02.02.20:
Merci, DanceWith1Life, jedenfalls muss sie sich das allgemeine wehleidige Jammern nicht zu Herzen nehmen.

 DanceWith1Life ergänzte dazu am 02.02.20:
...und sich auf ihr eigenes besinnen?

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.02.20:
Das tut sie ja beim Sammeln des Nektars. Dabei braucht sie kein schlechtes Gewissen zu haben, das ihr die anderen einreden wollen.

 GastIltis (02.02.20)
Lieber Ekki,
ich weiß gar nicht, was du hast. Eigentlich wird doch das Jammern den Ost-Bienen nachgesagt. Nun hat ja der Osten, gemeint sind natürlich die Beitrittsländer, sehr viel an „Bienen“ verloren, das ist statistisch nachgewiesen. Und jetzt kommen von irgendwoher die Killerbienen, die meist im Schwarm und mit Messern bewaffnet auftreten. Gut, wahrscheinlich nicht mit Messern, das ist möglicherweise eine Übertreibung von irgendeinem ehemaligen Chef irgendeiner Polizeigewerkschaft, der ja alle internen Statistiken zerredet hat, als er noch durfte, was heißt durfte, heute gilt ja die Meinungsfreiheit, und da darf jeder alles sagen, was er für richtig hält. Nein, nicht ernsthaft!
Aber, um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, mein lieber Ekki, hier noch ein ganz kurzes Gedicht mit lieben Grüßen von Gil:

Keiner soll lungern ohne zu hungern

Der eigentliche Titel steht, einmalig in der
deutschen Lyrik, am Ende der Zeilen

Keiner soll leiden ohne zu klagen
und keiner jammern ohne zu fragen.
Keiner soll lernen ohne zu streben,
keiner abheben ohne zu schweben.
Keiner soll hobeln ohne zu feilen
und keiner bummeln ohne zu eilen.

Keiner soll reisen ohne zu fliegen,
keiner verlieren ohne zu siegen.
Keiner soll liegen ohne zu stehen
und keiner laufen ohne zu gehen.
Keiner soll sehen ohne zu hören
und keiner lügen ohne zu schwören.

Keiner soll tun ohne zu lassen
und keiner lieben ohne zu hassen.
Keiner soll aushol’n ohne zu schlagen
und keiner gewinnen ohne zu wagen.
Keiner soll tasten ohne zu fühlen
und keiner wärmen ohne zu kühlen.

Keiner soll fassen ohne zu halten
und keiner walten ohne zu schalten.
Keiner soll meckern ohne zu maulen
und keiner stinken ohne zu faulen.
Keiner soll riechen ohne zu schmecken,
keiner nur da sein, um zu verrecken.

Keiner soll speisen ohne zu fasten
und keiner rosten ohne zu rasten.
Keiner soll hungern ohne zu frieren
und keiner lungern ohne Manieren.
Keiner soll richten ohne zu büßen
und keiner dichten ohne zu grüßen:

Mahlzeit!

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.02.20:
Gracias, lieber Gil, hinter deiner allumfassenden Sicht verschwindet meine kleine Fabel. Doch ich halte mir zu gute, sie ausgelöst zu haben.
Keiner soll kommentieren, ohne zu loben,
keiner verreißen, ohne zu toben. :)
In diesem Sinne grüße ich dich herzlich
Ekki

 DanceWith1Life meinte dazu am 02.02.20:
keiner verreißen, ohne etwas gut heißen
der Reim war zu verführerisch
für den mit Gegensatz gedeckten Tisch

 GastIltis meinte dazu am 02.02.20:
Hallo Dance, mein Text ist kein Verriss, falls du das meinen solltest. Dafür steht immerhin die von mir von Herzen gegebene Empfehlung!
Ansonsten werde ich jetzt erstmal eine Runde honigfrei hungern. (Geht nicht gegen dich!)

 DanceWith1Life meinte dazu am 02.02.20:
dein Text war nicht gemeint, der Kommentar, "keiner verreißen, ohne zu toben, loben Reim
Agneta (62)
(02.02.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.02.20:
Vielen Dank für dein Kompliment, Monika
LG
Ekki

 princess (02.02.20)
Ach, was soll man dazu sagen
wenn jetzt auch die Bienen klagen
nicht nur Blumen lauthals jammern
und alle sich ans Ächzen klammern?

Fabelhaft inspirierend, lieber Ekki!

Herzliche Grüße
Ira

Kommentar geändert am 02.02.2020 um 14:34 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.02.20:
Grazie, Ira, vielleicht, dass es ein Trost ist, beim Jammern nicht allein zu sein.
Herzliche Grüße
Ekki

 niemand (02.02.20)
Der Mensch kriegt die Schnauze einfach nicht voll, daher kommt er fast nie zu der Überzeugung mal genug zu haben/besitzen, sondern schielt immer nach oben, zu dem, welcher seiner Meinung nach mehr hat und dieser schielt noch höher und, und, und,....
LG Irene

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.02.20:
Vielen Dank, Irene, auch wenn ich alle christliche Moral mal beiseite lasse, ich habe diese Gier nie verstanden.
Liebe Grüße
Ekki
Sätzer (77)
(03.02.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.02.20:
Merci, da bin ich mir nicht so sicher.
LG
Ekki

 AZU20 (03.02.20)
Bald müssen die Bienen nicht mehr jammern, weil sie das ganze Jahr Nektar finden. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.02.20:
Danke, Armin, das stimmt. Aber die Blumen, die ihn abgeben, werden weiter jammern.
LG
Ekki
Al-Badri_Sigrun (61)
(03.02.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 04.02.20:
Merci, Sigi, es kommt wohl darauf an, worüber man jammert. Die jammernden Blumen in dieser Fabel erkennen nicht, dass die Biene durch Bestäubung zu ihrer Arterhaltung beiträgt, Sie jammern mit verengtem egozentrischen Blick.
Liebe Grüße
Ekki
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