In die Tränendatei

Drabble zum Thema Abschied

von  Jorge

Mit zittriger Hand suchte sie auf der Tastatur die rechten Worte.
Irgendwie fühlte sie sich von ihrem Kater hintergangen.
Oft hörte man von den sieben Leben einer Katze. Ihr Willi hatte nur das eine.
Und nun war sie völlig allein. Mit wem konnte sie jetzt schmusen, wem konnte sie liebevoll sein Fell kraulen, wem den Teller mit frischem Schabefleisch hinstellen?
Wem konnte sie eigentlich  ihren Schmerz mitteilen?
In ihrem OpenOffice Schreibprogramm hatte ihre Enkelin Sonja ihr eine Datei eingerichtet : „Meine Tränen“. Ja, dorthin speicherte sie diesen Text.
Sie schnaubte nochmal in ihr halb-feuchtes Taschentuch  und schaltete den Rechner ab.

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Kommentare zu diesem Text


 susidie (11.05.20)
Lieber Jorge, ein gruseliges Bild der absoluten Einsamkeit. Das tut richtig weh, wenn das alles ist, was bleibt. Aua :( Da kann man nur hoffen, dass Sonja noch mehr kann als Dateien einrichten.
Gruß von Su :)

 Jorge meinte dazu am 11.05.20:
Danke dir für dein mitfühlendes Kommentieren.
Was bin ich nun froh, dass dieses Drabble nur ein fiktiver Verlegenheitstext ist.
Bleib gesund und heiter
LG
Jorge

 AvaLiam (11.05.20)
SOOO fiktiv ist er gar nicht - mein lieber Jorge...

...ich selbst habe so eine Datei auf dem Rechner


Manchmal - da schaue ich in Jahre alte Zeilen hinein und erschrecke mich über meine eigenen Emotionen, Wahrnehmungen und Haltungen.

So konnten schon einige Wunden, die man stets mit sich herum trägt, Erleichterung oder gar Erlösung finden - und wenn es nur durch den Reifeprozess des Selbst geschieht.

Es ist natürlich schön zu lesen, dass die Zeilen keiner autobiographischen Erfahrung entsprungen sind.

herzlich - Ava

 Jorge antwortete darauf am 12.05.20:
Was du alles auf deinem Rechner hast!
Interessant finde ich den Gedanken, wie der eigene Reifeprozess die eigenen Emotionen und Haltungen beeinflusst.
Herzliche saludos
Jorge

 EkkehartMittelberg (11.05.20)
Sehr berührend. Viele, die keiner gelehrt hat zu schreiben, haben in dieser Situation nicht einmal eine Tränendatei.
LG
Ekki

 Jorge schrieb daraufhin am 12.05.20:
Es gibt sogar traurige Menschen, die keine Tränen mehr haben, Ekki.
LG
Jorge

 AchterZwerg (11.05.20)
Hallo Jorge,
ich denke auch, dass es sich im Drabbleinhalt um kein Einzelschicksal handelt. - Viele alte Menschen leben so. Oder müssen es.

Der Text ist in seiner eher verhaltenen Art gelungen. Und stark anrührend. -
Der letzte Satz widmet sich einem Rechner; vielleicht dem universellen Ansprechpartner der Zukunft ...

Liebe Grüße und "Bleib übrig"
der8.

 Jorge äußerte darauf am 12.05.20:
Danke zunächst lieber 8. für den Sonderklick. Dafür stelle ich dich gleich auf einen Lieblingssockel in unserem Garten.
Nicht nur Drabbles, sondern auch Kommentare können anrühren.

LG
Jorge

 tueichler (11.05.20)
Nicht weit hergeholt, in Zeiten, in denen persönlicher Kontakt keinen Trost spenden darf!

😎

 Jorge ergänzte dazu am 12.05.20:
Ja, die Zeiten sind hart lieber tueichler.
Wir bleiben im KV Kontakt
LG
Jorge

 AZU20 (11.05.20)
Schlecht, wenn man niemand anderen hat. Liebevoll geschrieben. LG

 Jorge meinte dazu am 12.05.20:
Hallo Armin, du hast deine Frau, dein E-Bike und uns.
Besser kannst du es nicht haben.
Danke für deinen Kommentar
LG
Jorge

 AZU20 meinte dazu am 12.05.20:
Ja, so ist es. Danke und lG

 ViktorVanHynthersin (12.05.20)
Tagebücher (ob digital oder analog) sind und bleiben ein Rettungsanker für Gefühle, Um- u. Zustände.
Mir gefällt Dein Drabble.
Herzlichst
Viktor

 Jorge meinte dazu am 12.05.20:
Vielen Dank Viktor. Meine Frau bevorzugt das analoge Speichern ich eher das digitale.
Herzlichst
Jorge

 harzgebirgler (24.10.20)
bukowski sagte seinerzeit
folgendes zur einsamkeit
vor der vielen eher graut
die ihm aber wohlvertraut:
"Wirkliche Einsamkeit beschränkt sich nicht
unbedingt auf die Zeit, in der man alleine ist."

lg
henning
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