Vive la baguette! Aber auch in der Provinz, s´il vous plaît

Erzählung zum Thema Essen/ Ernährung

von  eiskimo

Wenn wir in den sogenannten Kartoffel-Ferien nach Burgund fahren, in das 500-Seelen-Dorf Bonnard, laufen wir tatsächlich Gefahr, hauptsächlich nur Kartffeln zu essen. Warum? Weil alle Bäcker Frankreichs sich konspirativ abgesprochen haben, im Oktober ihre „fermeture annuelle“ einzurichten, sprich sich zwei- oder gar dreiwöchige Betriebsferien zu gönnen. Auch in der Provinz.
Dieses Jahr war die Not besonders schreiend. Denn kaum waren wir  angekommen, verkündeten Nachbarn uns die Hiobsbotschaft: In der Bonnard-Bäckerei habe es gebrannt, die fiele wohl noch Monate aus;  „es gibt Ärger mit der Versicherung“.  Zudem habe sich das Bäcker-Paar wegen dieses „sinistre“ nach 25jähriger Ehe getrennt. Wahrscheinlich, so die Theorie unseres Vermieters Jean-Marc, habe der eine dem anderen die brandverursachende Nachlässigkeit vorgeworfen. Oder , grinste er: War es sogar Vorsatz, einfach, weil einer der beiden aus dieser mit Mehlstaub gepuderten Provinz-Tretmühle ausbrechen wollte?
Jedenfalls wären wir erst einmal auf das „dépôt pain“ entweder bei der Metzgerfrau oder in der Epicerie angewiesen. So ein Depot ist nichts anderes als ein großer Bäckerei-Korb voller Baguettes, sonntags bereichert um ein paar Croissants. Die werden „von außen“ durch  eine Fremd-Bäckerei angeliefert. Leider kalkulieren beide Aushilfs-Geschäfte die Ration sehr knapp – nach neun, halb zehn Uhr morgens kommt das Schild an die Tür „Plus de pain“, was schon von Weitem signalisiert, dass der Brot-Vorrat ausverkauft ist.
Ein Frühstück in „la douce France“ ohne frisches Baguette – so etwas würde den Charme unseres dörflichen Ferienglücks erheblich beschädigen. Also schafften wir es anfangs, dass einer aus der Familie rechtzeitig zum „Brotdienst“ aus den Federn kam.
Als Touristen, die an der Brot-Front von Bonnard in etwa so gern gesehen sind wie die reichen Pariser, mussten wir dann freilich erleben, dass viele der begehrten Baguettes unter der Theke abgelegt waren, vorgemerkt für die einheimischen Stammkunden. Wenn einer von uns dann gezielt wegen des Brotes vorsprach und nichts anderes kaufen wollte, hieß es plötzlich nur noch “ Non, réservé“.
Existentielle Nöte also schon am frühen Morgen.
Diese Nöte verschärften sich nach der ersten Ferienwoche noch einmal dramatisch. Denn beide Aushilfs-Stellen, sowohl Epicerie wie auch Metzgerie, hatten nun ebenfalls ihre „fermeture annuelle“. Bonnard war gänzlich ohne Brot. In einem Dorf mitten im Haute-Cuisine-Land Frankreich …  „plus de pain“!
Jean-Marc,  in der Provinz heimisch, war auf derartige Brot-Pannen eingestellt.  Er habe, so erklärte er mir, in seiner Tiefkühltruhe immer ein paar Baguettes eingefroren. Nicht lecker, beschied er mich, aber damit käme er über die Woche. Aber falls die Lieferungen länger ausblieben, müsste man morgens wohl oder übel in einen der nächstgelegenen Orte fahren, Villeboeuf  oder Millerey.
Alte Baguettes aus der Tiefkühltruhe, das mochte ich meiner Familie nicht zumuten, schon gar nicht zum Frühstück, wo man endlich einmal so schön vereint an einem gut gedeckten Tisch sitzen konnte. Dann lieber ganz früh am Morgen schnell ins Nachbardorf fahren...
Gesagt, getan. Ich entschloss mich, mannhaft und völlig selbstlos in meinem Familiensinn, als erster diese soziale Großtat zu vollbringen und vergaß auch nicht, dies mit markigen Worten anzukündigen. Ja, schon gleich für den nächsten Morgen!  Großtat, weil ich mir dafür Jean-Marcs Fahrrad auslieh. Die elf Kilometer nach Villeboeuf à vélo,  pahh, das wäre doch der ideale Frühsport und .. pas de problème, brüstete ich mich.
La réalité: Ich radelte mir die Seele aus  dem Leib, denn Bonnard liegt im Tal, Villeboeuf liegt zwei Täler weiter. Gefühlt 600 Höhenmeter; ein bisschen kalter Regen, Jean-Marcs Fahrrad ein bleischweres Ungetüm.
Ich kann es kurz machen. Ich kam tatsächlich nach 67 Minuten in Villeboeuf an. Halbtot. Ich fand auch schnell die kleine, etwas schäbige Bäckerei dort. Sagen wir: relativ schnell. Ich war auch noch des Lesens mächtig. Was aber stand auf dem Zettel, der an der Tür klebte? „Fermeture annuelle“.
Mein lautes Fluchen muss eine ältere Dame auf den Plan gerufen haben, die gerade ihren Hund ausführte. Freundlich klärte sie mich auf, dass jetzt, im Oktober, nur die Bäckerei in Millerey offen hätte. Grimmig rief ich meine Frau an und forderte sie auf, doch mit dem Auto dorthin zu fahren, um mindestens Brotvorräte für drei Tage zu holen. Meine Stimme muss wohl keine Widerworte zugelassen haben.
Zeitgleich mit meiner Frau kam ich an den Frühstückstisch. Ratet mal, wer den Beifall der gerade aus ihren Betten herangeschlurften Kinder erhielt....

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (22.10.20)
Etwas sehr, sehr familienharmonisch, aber flüssig zu lesen.

 eiskimo meinte dazu am 22.10.20:
Danke für die Empfehlung. Familienharmonisch, das habe ich mir als Kind immer gewünscht. Meine Eltern haben viel getan, dass es nicht so war - bin da ein bisschen sentimental

 AZU20 (22.10.20)
Ich weiß es, verrate es aber nicht. LG

 eiskimo antwortete darauf am 22.10.20:
Lass mich raten: Fängt mit F an und hört mit rau auf...
salut
Eiskimo
Stelzie (55)
(22.10.20)
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 eiskimo schrieb daraufhin am 23.10.20:
Danke!
Trotz allem mag ich dieses Bonnard,das so ein bisschen mein Clochemerle geworden ist.
LG
Eiskimo
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