Der privatisierte Handlanger

Anekdote zum Thema Arbeit und Beruf

von  EkkehartMittelberg

Schon in den 50er Jahren fuhren einige meiner Klassenkameraden mit ihren Eltern in den Urlaub. Ich gehörte zu der Minderheit von Gymnasiasten, die in den Sommerferien arbeiteten. Meine Erfahrungen mit Ferienarbeit waren oft anstrengend, aber ich möchte sie wegen wichtiger Einblicke in die Arbeitswelt nicht missen.

Ich begann mit meiner Ferienarbeit 1953 als Handlanger am Bau. Das war besonders in den ersten zwei Wochen sehr schwierig, weil ich die körperliche Arbeit nicht gewöhnt war und weil es nur wenige Gymnasiasten am Bau gab, die in den Augen der anderen Handlanger so lange als feine Pinkel galten, die sie mit Lust verspotteten, bis sie sich in ihren Augen bewährt hatten.

Das Grausamste war für mich in den ersten Tagen, dass ich den Maurern mit einem sog. geschulterten Speisvogel, einer Art Schiffchen aus Metall, unten abgeflacht,  Speis zutragen musste. Die Kanten des Vogels schnitten mir ins Fleisch und ich geriet nicht selten ins Stolpern, obwohl ich den Speis nur in die erste Etage bringen musste, begleitet von Witzen der anderen Handlanger über mich, den Leichtmatrosen. Wenn ich in den ersten Tagen abends nach Haus kam, schlang ich mein Abendbrot hinunter und fiel todmüde ins Bett.

Doch die Qual hatte bald ein Ende. Meine Mutter brachte mir damals das Mittagessen an die Baustelle. Dabei wurde sie von dem stärksten Handlanger Mischa Kova beobachtet, der die „Perle“ attraktiv fand und sich bei mir nach ihr erkundigte.

Danach erlaubte er sich zwar selbst noch auf zwei Fingern zu pfeifen, wenn meine Mutter mit dem Fahrrad kam, sorgte aber dafür, dass sich die anderen Handlanger anzügliche Bemerkungen verkniffen. Er machte mich sofort zu seinem privaten Handlanger. Ich war erstaunt, wie sensibel der vierschrötige Kerl sein konnte, den alle anderen wegen seiner Grobheit  und seiner Bärenkräfte fürchteten. Er hatte ein feines Gefühl für das, was ich leisten konnte, überforderte mich nie und gönnte mir außerhalb der festgelegten Ruhezeiten kleine Verschnaufpausen. Wer längere Zeit körperlich gearbeitet hat, weiß, wie schnell sich die Physis an größere Belastungen gewöhnt. Deswegen und wegen Kovas Empathie hatte ich mich nach drei Wochen so an die Arbeit gewöhnt, dass ich nach Feierabend ins Schwimmbad fuhr und als sehr schüchterner Junge zum ersten Mal wagte, ein Mädchen anzusprechen.

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Kommentare zu diesem Text


 Buchstabenkrieger (13.06.21)
Lieber Ekki,

eine schöne Anekdote. Ein tolles Ende.

Erinnert mich an meine etwa sechs Wochen als Helfer auf dem Bau, um die Zeit zwischen Ausbildungsabschluss und Bundeswehr herumzukriegen.
Ich hatte damals kaputte Hände vom Zement anrühren.

Auch da – ein den Achtzigern – wurde Frauen nachgepfiffen ... und Bier während der Arbeit getrunken. Heute gar nicht mehr vorstellbar (zumindest das zweite).

Wer längere Zeit körerlich gearbeitet hat,
--> körperlich

fuhr und
--> ein Leerzeichen zuviel

Schönen Sonntag und liebe Grüße,
Buchstabenkrieger

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 13.06.21:
Merci, Buchstabenkrieger, das Bier Trinken auf den Baustellen war in den 50er Jahren so exzessiv, dass vermutlich unter den Maurern, mit denen ich zusammenarbeitete, einige Alkoholiker waren. Sie hätten das niemals zugegeben.
Auch dir einen schönen Sonntag und liebe Grüße
Ekki

 Graeculus (13.06.21)
Harte körperliche Arbeit ist für Gymnasiasten und Studenten eine wichtige Erfahrung.
Ich erinnere mich noch, daß ich, die Leseratte, abends nicht einmal mehr die BILD-Zeitung hätte lesen mögen.
Du konntest immerhin - nach einer Phase der Eingewöhnung - noch ins Schwimmbad gehen.

Nebenbei lerne ich bei Dir etwas über das Arbeitsfeld meines Großvaters, der Polier war, aber mir gegenüber nie etwas davon erzählt hat. Als ich Umgang mit ihm hatte, war er bereits erblindet - da kam die BILD-Zeitung aus anderem Grund nicht mehr in Betracht.

Mein Vater berichtete mir später, er, der Polier und damit Vorarbeiter, sein mit einer Pistole auf den Bau gegangen - "wegen der vielen Polacken dort". Das muß in den 20ern gewesen sein. Hart und herrisch war er.

Was habe ich von ihm? Das Pfeiferauchen und das Trinken.

Da ist was hochgekommen bei der Lektüre Deiner Erinnerungen.

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 13.06.21:
Vielen Dank, Graeculus. Die Geschichtsschreibung von Thron und Ältären ist vorbei und wir erfahren inzwischen einiges über das alltägliche Leben unserer Vorfahren, aber immer noch viel zu wenig. Mein Großvater väterlicherseits arbeitete als Bergmann.. Ich werde demnächst von seinem ungewöhnlich entbehrungsreichen Leben berichten.

 harzgebirgler (13.06.21)
die empathie von diesem 'kleiderschrank'
war für dich quasi einst ne sich're bank.

lg
henning

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 13.06.21:
Merci, Henning, du bringst es mit Witz auf den Punkt.

LG
Ekki

 AchterZwerg (13.06.21)
Meine Erfahrungen mit solchen "Kleiderschränken" sind ebenfalls nur die allerbesten.
Eines Tages trugen die mich (von Schrank zu Schrank) in das 22. Stockwerk, weil der Uni-Aufzug ausgefallen war.

Allerdings war ich damals ein noch (!) schönerer, schwarzgelockter kleiner Zwerg. Ach, ja ...

Nostalgische Grüße
der8.Abschweifling

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 13.06.21:
Merci, Piccola, ein schönes, schwarzgelocktes Genie findet immer einen Grund zur Nostalgie.
Liebe Grüße
Ekki

 Didi.Costaire (13.06.21)
Hallo Ekki,

da hast du ja etwas fürs Leben gelernt.

Interessant zu lesen, wie es damals auf dem Bau so zuging.

Liebe Grüße,
Dirk

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 13.06.21:
Merci, Didi, das stimmt, während meiner Ferienjobs habe ich mehr fürs Leben gelernt als je in der Schule.

Liebe Grüße
Ekki

 GastIltis (13.06.21)
Hallo Ekki, eine für mich als Baumenschen interessante Geschichte.
Und dennoch hat mein Lebenslauf mit richtig schwerer Arbeit bereits nach der achten Klasse mit dem Erlernen eines Berufes im Baugewerbe? Nein! Als Schlosser begonnen. Da war ich ziemlich untergewichtig und konnte die schwere Feile, die wir die ersten drei Monate bewegen mussten, kaum bewegen. Dennoch muss ich sagen, dass ich diese Zeit auch nicht missen mag, weil sowohl die Lehrwerkstatt als auch die Berufsschule mit hervorragenden Ausbildern und Lehrern besetzt waren. Dass wir außer dem Schweißen und Hartlöten alle Metallarbeiten gelernt haben, die aufzuzählen Seiten füllen würde, ist nur eine Seite der Medaille. Die andere ist ein wunderbarer Zusammenhalt in der Gruppe, u.a. auch, weil wir bis auf zwei Mann alle aus einer Kleinstadt kamen und uns kannten. Dass ich dennoch nach dem Studium im Baugewerbe gelandet bin und mir u.a. die Ausbildung im Fachzeichnen nach DIN unwahrscheinlich viel genützt hat, ist nur eine der Facetten, die eine Rolle gespielt hat. Die andere war die, die du auch erwähnt hast, Ekki, die Einstellung zur körperlichen Tätigkeit, die stetig gewachsen ist.
Es freut mich immer wieder, deine Geschichten zu lesen und Vergleiche anzustellen.
Herzlich grüßt dich Gil.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 13.06.21:
Lieber Gil, dein Bericht von Lehrwerkstatt und Berufsschule hat mir wieder einmal schmerzlich bewusst gemacht, wie ungenügend meine gymnasiale Ausbildung in der BRD doch in puncto Polytechnik und Arbeitslehre war. Wegen der Ferienarbeit sind meine Kenntnisse auf diesen Gebieten heute wenigstens mangelhaft. :) Ich hatte Klassenkameraden, die keinen Nagel ins Brett hau8en konnten.
Herzliche Grüße
Ekki

 eiskimo (13.06.21)
Meine Defizite in vergleichbaren Jobs: Ich rauchte nicht, konnte die Bierflasche nicht ohne Flaschenöffner aufkriegen und hatte keine sauigen Witze drauf....
Das mit der Bierflasche habe ich inzwischen gelernt.
Dein Text, lieber Ekki, hat einige harte Erfahrungen wachgerufen. Die Welt war damals schon härter.
Lg
Eiskimo

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 13.06.21:
Merci, Eiskimo, die härtere Welt damals wurde in unseren Schulbüchern mit entsprechenden Sprüchen begleitet, zum Beispiel
"Der nicht geschundene Mensch wird nicht erzogen" oder "Arbeit macht das Leben süß".

LG
Ekki

 Dieter_Rotmund (14.06.21)
Was hat sich der Ich-Erzähler von dem verdienten Geld gekauft? Rock and Roll-Schallplatten? Ein Motorroller? 1000 Mal Toast Hawaii?

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.06.21:
Dieter, das war damals eine sehr wichtige Frage für mich. Ich hatte ein sehr altes Fahrrad mit einem sog .Gesundheitslenker und wurde von meinen Klassenkameraden deswegen verspottet. Also ich habe für ein neues Fahrrad gearbeitet, das ich bis zum Ende meines Studiums 1966 in Marburg benutzte

 TassoTuwas (14.06.21)
Hallo Ekki,
was ich aus der Anekdote lese ist, Menschenkenntnisse lernt man nicht aus dicken Büchern, sondern in der täglichen Begegnung und vor Ort!
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.06.21:
So ist es, Tasso. ich habe freilich so manchen Typen, den ich in der täglichen Begegnung kennengelernt habe, in Büchern, differenziert beschrieben, wiedergefunden und besser verstanden.
Herzliche Grüße
Ekki
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