Erst die Arbeit, dann das Vergnügen

Fabel zum Thema Arbeit und Beruf

von  EkkehartMittelberg

Ein alter Ackergaul zog verdrossen den schweren Pflug bergauf.  Er tröstete sich mit dem Sprichwort „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ und freute sich auf eine Krippe voller Hafer am Feierabend. Da stieg vor ihm eine Lerche jubilierend zum Himmel auf.
„Das ist nicht gerecht“, rief er dem Vogel zu. „Du freust dich schon deines Lebens und hast noch nichts geleistet.“ Die Lerche ließ sich noch einmal auf die Erde fallen, um dem alten Griesgram zu entgegnen: „Du blickst zu viel auf den Boden, alter Nörgler. Deshalb fehlt dir die richtige Perspektive. Würdest du ab und an den Blick zum Himmel heben, dann wüsstest du, dass ich gerade in meinem Metier arbeite. Denn meine Aufgabe ist es, den Schöpfer zu loben. Dazu muss ich Höhe gewinnen, damit es alle hören. Du weißt ja nicht, wie anstrengend meine Aufschwünge sind. Deshalb sinke ich von Zeit zu Zeit wieder zur Erde hinab, um neue Stärke zu sammeln. Ich halte die wiederholten kraftraubenden Hochflüge aus, weil ich mir klar gemacht habe, dass meine Arbeit ein Vergnügen ist.“
Das hörte ein Maulwurf, der unter Tage schwer malochen musste und gerade aufgetaucht war, um frische Luft zu schnappen. „Halte durch, Genosse“ rief der Schwarzkittel dem Gaul zu und der Lerche erwiderte er:  „Scheinbar haben wir alle drei ein schweres Los. Doch wisse, schöne Alauda, Künstlerinnen wie du haben mehr Zeit, sich Tröstliches auszudenken. Bis heute sind der Gaul und ich noch nicht auf die Idee gekommen, dass unsere Arbeit Vergnügen machen könnte.“

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (03.01.20)
Ja, Arbeit und die Theorie von Arbeit sind oft nur auf dem Papier vergleichbar...

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.01.20:
Merci, Trekan, es gibt nur wenige, die keine entfremdete Arbeit leisten. Sie haben das Privileg, über Arbeit und Vergnügen nachzudenken.
Sätzer (77)
(03.01.20)
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 AchterZwerg antwortete darauf am 03.01.20:
Saach bloß!

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 03.01.20:
Danke, Uwe, wenn sich eine jubilierende Lerche ans Fließband verirrt, wird dieses wohl vor Schreck stehen bleiben :)
LG
Ekki

 AchterZwerg (03.01.20)
Lieber Ekki,
für mich sind Lebenskünstler etwas Bewundernswertes. Und gleichzeitig absolut undeutsch.
Ich kannte mal einen Herrn aus der Karibik (wie der schon lief!),
der meinen Bedenken stets ein Lachen entgegensetzte. Und seine Musik.
Und heute? Tja ...

nostalgische Grüße
der8.

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 03.01.20:
Grazie, Pico, da stimme ich zu: Lebenskünstler sind bewundernswert. Freilich lässt sich nicht aus jedem Leben eine Kunst machen. Die Sozialisten der Neuen Linken haben noch davon geträumt, entfremdete Arbeit für alle abzuschaffen. Es war ein schöner Traum.
Lerchenhafte Grüße
Ekki

 AchterZwerg ergänzte dazu am 03.01.20:
Ja, d a s war ein schöner Traum! :)
Lese gerade wieder die "Sternstunden der Menschheit", um zwischen Lenins Fahrt nach Schweden ("Der versiegelte Zug" von Stefan Zweig) und Gretas Fahrt nach Hause einen Vergleich ziehen zu können:
Lenin hatte einen Sitzplatz. Und ich die Idee aus einer Tageszeitung.

;-)

 Moja (03.01.20)
Lieber Ekki,

beim Lesen fielen mir die mahnenden Worte meines Vaters ein, ich hielt es immer anders herum und begann mit dem Vergnügen, das wie in Deiner Fabel ernsthaft sein kann und die Voraussetzung für gelungene Arbeit ist. Kraft tanken, nannte ich es und schaffte auf diese Weise viel mehr.

Schmunzelnd grüßt Moja
mit vielen guten Wünschen für 2020!

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.01.20:
Liebe Monika,
merci, selbstverständlich darf man auch mit dem Vergnügen beginnen, wenn man daraus die Kraft für lebenserhaltende Arbeit schöpft. Leider sind sich nur wenige bewusst, dass sie privilegiert leben, wenn sie beides im Gleichgewicht halten dürfen.
Auch dir ein gesundes und kreatives Jahr 2020.
Ekki

 AZU20 (03.01.20)
So hat jede Arbeit Vor-und Nachteile. LG

 Artname meinte dazu am 03.01.20:
Eine Wurzel des Blues bilden die Worksongs der Baumwollpflücker. Vielleicht blieb der Blues deshalb so bodenständig .... bis heute! - Ob er wohl gar den Gesang texanischer Lerchen prägte?

lg und ein gesundes neues Jahr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.01.20:
@AZU20: Danke, Armin, im Zweifelsfalle wollte ich freilich lieber Lerche sein als Ackergaul.
@Artname: Merci Artname; deine Frage rührt an den Kern der Fabel. Ich finde, dass sich die Worksongs der Baumwollpflücker gut mit ihrer Intention vereinbaren lassen. Die Lerchen indes jubilieren ohne Erdenschwere.
Ich wünsche euch beiden ein gesundes und kreatives neues Jahr.
Ekki

 FrankReich (03.01.20)
Hi Ekki,

"Denn meine Aufgabe ist es, den Schöpfer zu loben."
Ich habe ja schon immer geahnt, dass sich irgend so ein windiger Vogel den nur ausgedacht hat. Deine Fabel trägt nicht gerade dazu bei, meine Vermutung zu entkräften.

Ciao, Frank

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.01.20:
Danke, Ralf, lassen wir der Lerche ihre Hymnen, wenn diese sie glücklich machen.
Servus
Ekki

 TassoTuwas (03.01.20)
Hallo Ekki,
deine lehrreiche Fabel kommt genau zum richtigen Zeitpunkt.
Die Tage des Nichtstuns sind vorüber und jetzt gehört das Augenmerk wieder dem Bruttosozialprodukt!
Wie gut, dass unter meinem Tannenbaum ein Feldstecher lag, jetzt kann noch besser kontrollieren, ob hier alle pünktlich zur Arbeit fahren
Herzliche Grüße
TT

Kommentar geändert am 03.01.2020 um 13:38 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.01.20:
Besten Dank, mein Freund, so schnell kannst du deinen Feldstecher gar nicht zücken, wie Geier und Sturzflug in die Hände spucken.
Herzliche Grüße
Ekki

 LottaManguetti (03.01.20)
So tut jeder, was er am besten kann. Eine schön geschriebene Fabel, Ekki, deren Sprache mir sehr gefällt.

Lieben Gruß

Lotta

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.01.20:
Vielen Dank, das stimmt Lotta. Vielleicht hätten der Ackergaul und der Maulwurf noch etwas anderes als pflügen und graben besser gekonnt, wenn man sie rechtzeitig gelassen hätte.
Ich freue mich, dass du auch der Sprache Aufmerksamkeit geschenkt hast.
Liebe Grüße
Ekki
Fisch (55)
(03.01.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.01.20:
Hallo Fisch, gracie especiale für deinen erfrischend klarsichtigen Kommentar. Ich hätte mit einer Selbstinterpretation die Intention meiner Fabel nicht so differenziert darstellen können.

 Didi.Costaire (03.01.20)
Hallo Ekki,
"Alauda" klingt ja hübsch.
Für den bedauernswerten Ackergaul heißt es mittlerweile: Erst die Arbeit, dann wegrationalisiert.
Beste Grüße, Dirk

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.01.20:
Gracias, Dirk. ja, wer unter solchen Bedingungen schafft, würde mit größtem Vergnügen den Rationalisierenden in den Allerwertesten treten.
Beste Grüße zurück
Ekki

 niemand (03.01.20)
Na, ja, wenn man es auf Menschen überträgt, dann kann man leicht Lebens/Künstler sein, besonders wenn andere die nicht so bequemen Arbeiten des Alltags erledigen. Wenn diese fleißigen
Arbeiterlein erstmal auf die Idee kommen sollten aufzuhören,
dann möchte ich die Lebenskünstler schreien hören und wenn es nur der Schrei nach schnöden Brötchen ist. Und auch des Künstlers liebstes Gesöff, der Wein muss erstmal gemacht werden
LG Irene

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.01.20:
danke, Liebe Irene. Vielleicht ist dir entgangen, dass die "Lehre" meiner Fabel die Lebenskünstlerin Lerche kritisch sieht. Oder lese ich meinerseits deinen Kommentar falsch, der als Bestätigung für eben dies gemeint ist?
LG
Ekki

 niemand meinte dazu am 03.01.20:
Es sollte eine Bestätigung dessen sein, lieber Ekki.
Slivovic (49)
(03.01.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.01.20:
Danke, d i e Kunst gibt es nicht. Es gibt unterschiedliche Erscheinungsformen von Kunst, die zum Teil auch Erdenschwere symbolisieren. Aber das wird ja nicht bestritten. Wenn du den Kommentar von Fisch liest, weißt du, worum es in der Fabel geht.
Slivovic (49) meinte dazu am 04.01.20:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 04.01.20:
ja, Kunst ist Arbeit, an der die Lerche Vergnügen findet, Der Ackergaul und der Maulwurf finden an ihrer Arbeit kein Vergnügen. Das ist der Unterschied.
Slivovic (49) meinte dazu am 04.01.20:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 04.01.20:
Du vergisst, dass dies meine Fabel ist, in der ich die Lerche so charakterisieren kann, wie ich das möchte. Bei mir fehlt ihr die Empathie für das Los des Ackergauls und des Maulwurfs, die sie belehren will, so wie du mich.
Slivovic (49) meinte dazu am 04.01.20:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 04.01.20:
Ich klinke mich hier aus und überlasse es der Arroganz mit ihrem "dummen Irrtum" zurechtzukommen.
Slivovic (49) meinte dazu am 04.01.20:
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 Momo (04.01.20)
Unterhaltsam geschrieben, Ekki. Die Lerche ist mir ein bisschen zu vernünftelnd, aber Lerchen sagt man ja in der Symbolsprache auch weissagende Kräfte nach, von daher passt es schon. :)

Die Lerche hat das privilegierte Los gezogen, über den Dingen zu schweben, der einen umfassenderen Blick gewährt. Ein bisschen Abstand ist wohl nötig, um auch der anstrengendsten und eintönigsten Arbeit noch etwas abgewinnen zu können.
Letztlich läuft es auf die Sinnfrage hinaus.

Beste Wünsche für Neue
Momo

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 04.01.20:
Merci, Momo, du hast auf das Entscheidende hingewiesen: Die Lerche hat ein privilegiertes Los gezogen. Es ist auch richtig, dass der Ackergaul und der Maulwurf in ihrer Arbeit keinen Sinn finden können. Andernfalls empfänden sie vielleicht Vergnügen daran.
Ein glückliches und kreatives neues Jahr für dich
Ekki
Dieter Wal (58)
(05.01.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 06.01.20:
hallo Dieter, danke für das Kompliment, das mich sehr freut.
LG
Ekki
Al-Badri_Sigrun (61)
(06.01.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 06.01.20:
Vielen Dank, Sigi, du hast die Fabel in meinem Sinne interpretiert.
Liebe Grüße
Ekki

 harzgebirgler (07.01.20)
wie hennecke, fällt mir dazu noch ein,
könnt' mancher gaul auch 'held der arbeit' sein.

lg
henning

https://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_Hennecke

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 07.01.20:
Eine originelle Reminiszenz, Henning, die gut passt, denn Held der Arbeit wird man nur mit Verbissenheit.
LG
Ekki
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