Die Frau mit dem Pickup

Sie hat es auf ältere Herren abgesehen. Alleinstehende. Bevorzugt solche, die mit ihrem Eintritt in den Ruhestand noch einmal Gas geben, die sich der Fitness verschreiben, um mit ausdauernd hartem Sport ihr Altwerden zu verzögern.

Dafür wohnte sie ideal, nämlich im sportbegeisterten Norwegen nördlich der Olympia-Stadt Lillehammer, der Kultstätte des nordischen Wintersports, da, wo alte Langlaufhasen von November bis Mai über endlose Loipen ins tief verschneite Fjell rennen können.

Louisa hatte in dem Dorf Vestmarka das ideale Langläufer-Quartier eingerichtet: Ein altes norwegisches Bauernhaus, direkt am Waldrand gelegen, stilvoll restauriert, mit einem schmucken Kaminzimmer, mit Sauna, mit einer Kammer für das Präparieren der Ski und ihrem speziellen Wellness-Angebot: Massage und Physiotherapie, Schwerpunkt Rücken und Schultern.

Diese stämmige Norwegerin, blond, Mitte Vierzig, vermietete dort also deutlich mehr als nur ein „Fremdenzimmer. Es war eher ein ganzes Ferienappartement, das mit eigener Küche sogar die Möglichkeit der Selbstversorgung mit einschloss. Und Louisa war im Vergleich mit den anderen Airbnb-Quartieren preislich eindeutig das attraktivste, was speziell deutsche und holländische Männer aufmerksam werden ließ.

Vestmarka ist per Zug in knapp drei Stunden von Oslo aus erreichbar – ideal für Louisas Beuteschema. Wie gesagt: allein reisende Männer in vorgerücktem Alter, die dazu aber sparsam und umweltbewusst antraten, sprich: nicht per Auto anreisten. Ein Auto wäre für Louisas Pläne nämlich höchst abträglich gewesen.

Klar, dass der kostenlose Transfer vom Bahnhof zum Quartier bei der Alte-Herren-Klientel stets schon eine positive Grundstimmung auslöste, zumal Louisa mit einem coolen Pickup vorzufahren beliebte.

Einmal bei Louisa einquartiert, bestätigte sich ihr Gefühl, wirklich in guten Händen  zu sein. Louisa spendierte einen Begrüßungs-Glühwein, machte in humorvollen Englisch eine Einweisung in die Lokalität und hielt sogar Pantoffel in der richtigen Schuhgröße bereit – der Gast möchte sich doch bitte wie zu Hause fühlen! Sie bot auch Frühstück an, falls ihre Gesellschaft gewünscht wäre – aber das ginge nur sehr früh am Morgen, sie arbeite nämlich noch als Teilzeitkraft im Krankenhaus.

Spätestens mit diesem kleinen Hinweis auf ihre wohltäterische Kompetenz hatte Louisa gewonnen. Der neu angekommene Senior dachte nicht mehr nur, wie preiswert er im teuren Norwegen da ein so komfortables Quartier ergattert hatte , sondern er schmolz förmlich dahin in Vertrauensseligkeit.

Louisa konnte nun den Fisch ein paar Tage zappeln lassen. Vom Haken ging ihr keiner mehr. Denn der Gast drehte tagsüber einsam seine Runden in der Loipe, marterte sich da auf seinen gut gewachsten Langlaufbrettern, und abends war er dann nicht nur wohlig müde und voller Dankbarkeit für so viel Lebensglück, sondern auch willig, was immer Louisa da noch an Wellness oder Physiotherapeutischem für ihn bereithalten mochte.

Wenn der Glückliche in der Folge auf der Massagebank oder bei der Ausgleichsgymnastik die Injektion mit dem Thiopental erhalten hatte, konnte er nicht nur schmerzfrei und ohne traumatische Abschiedszuckungen aus dem Leben scheiden, nein, er hinterließ Louisa dann auch widerstandslos Kontodaten, Bargeld und Wertgegenstände – bei jener Kategorie "allein reisender älterer Herr, sparsam", oft erstaunlich viel.

Jedenfalls war so der Wohltäterin die weitere Finanzierung ihrer noblen Sportler-Herberge wieder ein Stück weit möglich. Und da die Winter lang sind nördlich von Lillehammer, und immer wieder neue ältere Herrn durch Langlauf ihr Alt Werden herauszögern wollen, hat Louisa keine Sorge um ihr Geschäftsmodell. Bislang, nach immerhin schon 13 glücklich verarzteten Kandidaten (11 Deutsche, zwei Holländer), fragte auch noch nie jemand nach den allein angereisten und dann plötzlich verschwundenen Senioren.
Ja, vielleicht liegt es ja auch an der schier endlosen Wildnis da oben, nördlich von Lillehammer. Da hat Louisa mit ihrem Pickup auf dem endlosen Fjell noch immer problemlos ein abgelegenes Plätzchen gefunden, um einen mumienähnlichen Ski-Sack diskret im Gelände verschwinden zu lassen.