Schatz, gehen wir ne Runde streiten?

Geschichte zum Thema Harmonie

von eiskimo

Wir gehen zur Zeit vermehrt spazieren. Viele Alternativen dazu gibt es ja nicht. Es wird auch schon ein bisschen langweilig, immer dieselben Runden ums Viertel zu absolvieren. Darum haben meine Frau und ich beschlossen, uns zur Abwechslung dabei einfach zu streiten. Über so einen kreativen Streit kann man nämlich die ewig gleiche Ödnis seiner Spazier-Route vergessen und statt dessen seinen runtergefahrenen Lockdown-Puls wenigstens kurzfristig etwas ankurbeln.
Anlass heute: Ich habe einen Zettel vom Bürgersteig aufgehoben, einen gelben Zettel, etwa Briefumschlag-groß. Natürlich war das für meine Frau Jutta der ideale Einstieg in so einen verbalen Schlagbtausch.
„Musst du jeden Dreck vom Boden aufheben!“
„Das ist kein Dreck, Jutta. Das ist ein verloren gegangener Zettel, noch ganz sauber, und da könnte eine ganz wichtige Botschaft draufstehen, ein Hilferuf – vielleicht wurde da jemand entführt und hofft jetzt verzweifelt, dass ich ihn rette.“
„Schwachsinn! Wenn du einen kreativen Streit anfangen willst, such bitte was Schlaueres!“
„Das ist hier was Schlaues. Schau mal, der Zettel ist ganz dicht beschrieben, handschriftlich!“
Und tatsächlich konnten wir da eng aneinandergereiht von oben nach unten lesen – ich las es meiner Frau langsam und mit großer Gewichtigkeit vor:
„Parmesan,
Zwiebeln,
10 Champ.,
8 Möhren,
dunkler Saucenbinder ..“
„Pah! Das ist ein stinknormaler Einkaufszettel,“ bekam ich von Jutta zu hören
„Stinknormal?“ konterte ich. „Da hält sich eine Frau sklavisch an ein Rezept! Wenn ich das schon lese: Exakt zehn Champignons, exakt acht Möhren -„
„Wieso behauptest du, das stamme von einer Frau? Männer sind viel unselbständiger beim Kochen , die kochen so selten, dass sie für jede Zutat und jede Handreichung haarkleine Anweisungen brauchen.“
„Das ist eindeutig eine Frauen-Handschrift,“ unterbrach ich Juttas Anti-Männer-Tirade, worauf sie mir in einer Art Überraschungsangriff den Zettel aus der Hand rupfen wollte. Ich war aber schneller und drehte mich weg. Triumphierend las ich weiter vor, aber mit verstellter Frauenstimme:
„ 4 Paprika,
Frischkäse 5 %,
600 Gramm Schweinefleisch,
2 Köpfchen Brokkoli ..“
„Komisches Rezept,“ befand Jutta nachdem wir ein paar Meter stumm gegangen waren.. . Und mit kriminologischem Spürsinn: „Vegetarier sind die jedenfalls nicht, und auch keine Muslime…“
„Ich schließe Akademiker aus – die Frau schreibt Broccoli mit doppel-K – und sagt man das überhaupt bei Broccoli: Köpfchen?“
„Das ist jetzt wieder typisch Mann: Sich an so Formalien hochziehen – das ist doch völlig nebensächlich, Broccoli mit doppel-K … Viel wesentlicher wäre doch rauszukriegen, was die mit dieser Liste eigentlich kochen wollten!“
“Wenn sie das überhaupt alles für ein- und dieselbe Mahlzeit nehmen wollten…“
„Was für eine Mahlzeit? Die haben doch den Zettel verloren – die konnten ja gar nicht einkaufen!“
„Du meinst: Diese Frau konnte gar nicht einkaufen. Die konnte ja noch nicht einmal Broccoli richtig schreiben.“
„Und du hast keine Ahnung vom Kochen!“
Um es abzukürzen: Wir stritten noch ca. 2 Kilometer lang. Denn der Einkaufszettel ging ja auch noch weiter.
“Fladenbrot, Tomaten, 1 Gurke, Toastbrot , Rucola – Ruccola mit nur einem C geschrieben….“
Ich habe das jetzt hier nur der Vollständigkeit halber zu Ende vorgelesen. Es könnte ja sein, dass eine Leserin sich und ihren Zettel hier wiedererkennt. Dann wäre das Nachdenken und Aufschreiben nicht ganz umsonst gewesen.
Meine Frau lässt jedenfalls ausrichten, dass sie mit diesen Zutaten keine Lust hätte, was zu kochen. Na klar. Aber Jutta ist in letzter Zeit sowieso auf Krawall gebürstet. Selbst im Haus lässt sie keine Gelegenheit zum Streiten mehr aus.

Anmerkung von eiskimo:

Meine Frau heißt gar nicht Jutta. Aber wenn ich ihr erzähle, dass ich sie hier Jutta getauft habe, ausgrechnet Jutta! - dann haben wir für den nächsten Spaziergang schon ordentlich Stoff (Zoff)...

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Kommentare zu diesem Text

minze (11.01.21)

schönes Thema. coole Episode.
hab ich auch wieder was zum nachdenken. merci (:

eiskimo meinte dazu am 11.01.21:

... oder ne pfiffige Idee fürs Mittagessen!
Danke für die Rückmeldung,
Eiskimo

minze antwortete darauf am 11.01.21:

Genauso.ich bin mir außerdem unsicher mit der Rechtschreibung von räusper Broccoli?!?und schreibe SOFORT Parmesan auf meinen Einkaufszettel,weil ich das seit gefühlt zwei Monaten vergesse.Einkaufszettel- nicht meine Stärke. D.h. auch (m)ein Thema

minze schrieb daraufhin am 11.01.21:

Ebenso wie die spannende Beziehungsgestaltung im Lockdown

eiskimo äußerte darauf am 11.01.21:

Ja, dieser Lockdown lockt so manches heraus aus einer Beziehung. Das ist so wie sechs Wochen Camping bei Regen, nur noch länger...
Genießen wir die neuen Erfahrungen!
Eiskimo

minze ergänzte dazu am 11.01.21:

Ja. Es geht nicht so üppig in die Weite, also rein in die Tiefe.

Dieter_Rotmund (11.01.21)

Herrlich!

EkkehartMittelberg (11.01.21)

Willst du genussvoll streiten,
musst du mit der Richt'gen schreiten.
Amüsierte Grüße
Ekki

eiskimo meinte dazu am 11.01.21:

Streiten ist eine Kunst! Wenn man ein paar wichtige Regeln einhält, kann es sogar genussvoll werden! Und das Sich Versöhnen hat ja auch was
friedfertige Grüße
Eiskimo

AZU20 meinte dazu am 12.01.21:

Das sehe ich auch so. LG

Graeculus (11.01.21)

Das kann man sich so vorstellen als Ehemann bzw. -frau.
Obwohl es natürlich nur Fiktion ist.
Schön beschrieben.

Ein Punkt geht übrigens an den anonymen Einkaufszettelverfasser: es heißt tatsächlich Rucola.

eiskimo meinte dazu am 11.01.21:

Rucola?? Tatsächlich? Aber wir wollen uns hier nicht streiten.