Alle Tage

Alltagsgedicht zum Thema Krieg/Krieger

von  EkkehartMittelberg

INGEBORG BACHMANN

Alle Tage

Der Krieg wird nicht mehr erklärt,
sondern fortgesetzt. Das Unerhörte
ist alltäglich geworden. Der Held
bleibt den Kämpfen fern. Der Schwache
ist in die Feuerzonen gerückt.
Die Uniform des Tages ist die Geduld,
die Auszeichnung der armselige Stern
der Hoffnung über dem Herzen.

Er wird verliehen,
wenn nichts mehr geschieht,
wenn das Trommelfeuer verstummt,
wenn der Feind unsichtbar geworden ist
und der Schatten ewiger Rüstung
den Himmel bedeckt.

Er wird verliehen
für die Flucht vor den Fahnen,
für die Tapferkeit vor dem Freund,
für den Verrat unwürdiger Geheimnisse
und die Nichtachtung
jeglichen Befehls.

1953

aus: Ingeborg Bachmann: Werke Bd. I: Gedichte. Piper Verlag. München 1978


Neufassung


Alle Tage


Ekkehart Mittelberg


Der kalte Krieg schien außer Gefecht.

Er ist heiß zurückgekehrt.

Das Unerhörte maskiert sich nicht mehr.

Es ist demonstrativ öffentlich einmarschiert.

Das Konstante ist der Schwache in den Feuerzonen.

Man verehrt wieder Helden.

Für Geduld ist keine Zeit,

die Toten mahnen zur Verhandlung.

Das Trommelfeuer dröhnt,

Der Feind bewegt sich auf diplomatischer Bühne

und schürt das höllische Inferno.

Rüstungsausgaben wachsen ins Gigantische.

Die Flucht vor den Fahnen,

die Tapferkeit vor dem Freund,

der Verrat unwürdiger Geheimnisse,

die Nichtachtung jeglichen Befehls

bleiben heroisch,

aber sie können den Größenwahn

der Demonstration von Macht nicht stoppen.

Das Leiden der Schwachen nimmt kein Ende.





Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 monalisa (17.03.22, 07:56)
Lieber Ekki,

mit Ingeborg Bachmann haben wir ale gehofft, dem immer näher zu kommen, dass unter anderem
Zitat: Ingeborg Bachmann 1953
... Die Flucht vor den Fahnen,

die Tapferkeit vor dem Freund,
der Verrat unwürdiger Geheimnisse,
die Nichtachtung jeglichen Befehls ...
ausgezeichnet werden und so in ein neues Zeitalter des Friedens führen. Heute stehen wir fassungslor vor den Trümmern dieser Hoffnung und deine Nachdichtung endet dementsprechend resigniert
Zitat: EkkehartMittelberg 2022
Das Leiden der Schwachen nimmt kein Ende.
Und dennoch denke ich, dass das nicht das Schlusswort sein darf, dass die Schwachen ihre Stärke entwickeln und gegen diesen Wahnsinn aufstehen werden, die "Tapferkeit vor dem Freund" sich irgendwann surchsetzen wird. Hoffentlich!


Liebe Grüße
mona

Kommentar geändert am 17.03.2022 um 07:57 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 17.03.22 um 10:16:
Liebe Freundin,

es ist legitim, Hoffnung zum Prinzip zu machen. In der Rückschau steht es schlecht um den "armseligen Stern".

Liebe Grüße
Ekki

 loslosch (17.03.22, 09:11)
manchmal verblasst das original hinter der "kopie".   lo
Taina (39) antwortete darauf am 17.03.22 um 09:43:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 17.03.22 um 10:21:
Danke, loslosch und Taina. Ich enthalte mich der Stimme.

 Dichter.Zeitgenosse. äußerte darauf am 17.03.22 um 11:04:
Ich halte eindeutig dagegen. Sorry, ist nicht persönlich gemeint. Allein die Idee, sich an der Bachmann messen zu wollen, als gäbe es die Sprache nicht...

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 17.03.22 um 11:42:
Ich halte das Gedicht der Bachmann für hervorragend, versuche es auf unsere Zeit zu beziehen und bin sicher, dass sie sich über die Bereitschaft, mit ihr weiterzudenken, freuen würde.
Taina (39) meinte dazu am 17.03.22 um 11:57:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 17.03.22 um 12:05:
Danke, Taina.
MarieT (64)
(17.03.22, 12:55)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 17.03.22 um 13:14:
Vielen Dank, Marie, dass du das noch einmal herausgestellt hast. Die von Bachmann gelobten Tugenden der Zivilcourage bleiben über jeden falschen Verdacht erhaben.

Liebe Grüße
Ekki

 Graeculus (17.03.22, 16:17)
Sehr gut umgesetzt!
Kann es sein, daß auch Bachmanns Gedicht einen aktuellen Bezug hatte: den Koreakrieg? Der Anfang könnte sich darauf beziehen, oder?

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 17.03.22 um 16:26:
Merci, Graeculus. Ich bin mir nicht ganz sicher, habe aber immer angenommen, dass sie sich auf den Koreakrieg bezogen hat.

 GastIltis meinte dazu am 17.03.22 um 17:52:
Wenn es der Koreakrieg war, und es liegt nahe, muss man mal zwei Dinge feststellen: es war ein Stellvertreterkrieg, die USA, Südkorea (und Australien) mit UN-Mandat auf der einen Seite, und China, Nordkorea und die damalige Sowjetunion auf der anderen Seite Und dann: General MacArthur hat von seiner Regierung (USA) den Abwurf von 34 Atombomben auf chinesische Städte verlangt, weil die von ihm befehligten Truppen bedeutende Rückschläge erlitten hatten. Zum Glück für die Welt hat seine Regierung dem Wunsch widersprochen.
Was ich daraus schlussfolgere? Alle Kriege sind ein Schrecken für die Menschheit. Der Korea-Krieg hat über drei Millionen Tote verursacht.
Vietnam, um das hinzuzufügen, über sechs. Und fast nur Vietnamesen. Das Leid muss unvorstellbar gewesen sein.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 17.03.22 um 18:01:
Vielen Dank, Gil. Wie schlimm Putins Hybris ist, wird auch daran deutlich, dass die Russen im Zweiten Weltkrieg mit 26 Millionen Toten wohl den höchsten Blutzoll bezahlt haben.

 harzgebirgler (17.03.22, 18:26)
auch putins lügen haben kurze beine -
die wahrheit ist auf seiten der ukraine
und auch der freien welt atem ist länger:
es wird für den aggressor eng und enger.

lg
henning

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 17.03.22 um 18:31:
Vielen Dank, Henning, die Hoffnung stirbt zuletzt.
LG
Ekki

 TrekanBelluvitsh (18.03.22, 00:11)
Die Frage bleibt, was man macht, wenn man angegriffen wird. Gedichte schreiben und "Give peace a chance" singen hilft da nichts. Und die, die eine "diplomatische Lösung" fordern, verlangen eigentlich, dass der Angreifer zumindest Teile seiner Ziele erreicht.

Ich meine, was würden wir sagen, wenn bei uns eingebrochen wird, Dinge gestohlen werden und dann die Polizei mit dem Einbrecher zurückkehrt und sagt, man müsse sich halt einigen. Wir würden uns betrogen fühlen.

Die Wahrheit ist doch: Aus der Ferne fordert man die diplomatische Lösung, nicht damit dem Angegriffenen damit geholfen ist, sondern damit die, die das alles aus der Ferne betrachten, ihr Leben ganz normal weiterleben können und auch nicht die kleinste Auswirkung des Konflikts spüren.

Dies wird dann kaschiert, in dem man die "Diskussion" auf eine Pseudometaebene verlagert wird, deren Aussage letztlich immer ist "Krieg ist immer schlimm". Doch das ist im besten Fall eine Binsenweisheit von der Güte "Milch wird sauer, wenn sie zu lange in der Sonne steht".

(Dies sind grundsätzliche Anmerkungen. Sämtliche Ähnlichkeiten oder Ufereinstimmungen mit aktuellen Ereignissen oder Diskussionen sind rein zufällig und vom Kommentator nicht beabsichtigt. Den Krieg ist ja immer schlimm.)

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.03.22 um 10:14:
Merci, Trekan.Wer glaubt, dass Lyrik an den Machtverhältnissen etwas ändert, ist naiv. Sie kann sie nur einschätzen.
Taina (39) meinte dazu am 18.03.22 um 10:21:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 TassoTuwas (18.03.22, 10:13)
Hallo Ekki,

sich diesem Bachmann Gedicht anzulehnen bedeutet Mut und vor allen Sprachsicherheit.
Du beweißt beides!
Nähe und Distanz sind überzeugend getroffen.

Chapeau
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.03.22 um 10:16:
Gracias, Tasso.
Beste Grüße
Ekki

 AZU20 (18.03.22, 10:48)
Leider kennt Putin Ingeborg Bachmann vermutlich nicht. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.03.22 um 11:16:
Danke, Armin. Wenn er sie kennen würde, würde er vermutlich darauf verweisen, dass er als Betreiber einer militärischen Operation mit Krieg nichts zu tun habe.
LG
Ekki
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram