Tourismus, eine Art Kino, oder?

Monolog zum Thema Entfremdung

von  eiskimo

Es gibt im Leben Momente, da muss man auch mal ablästern dürfen. Das tu ich jetzt mal, auch als kleiner Hotelier, der ich ansonsten stets unterwürfig zu Diensten stehe.

Also frank und frei heraus: Wir mögen sie nicht wirklich, die organisiert reisenden Gruppen. Weder die handverlesenen „Freunde exotischger Schlossgärten“ noch sparsame Großfamilien. Dabei sind genau diese Kategorie Touristen unser tägliches Brot. Zumindest in der Saison, die bei uns an der Loire von April bis November dauert.

Wir, das sind meine Frau, ich und unsere beiden Söhne Cédric und Franc. Dazu gehört ein eher dörfliches Hotel, zwei Sterne, aber ideal gelegen zwischen Chaumont und Amboise, direkt am viel frequentierten Eurovélo-Radweg, nicht weit von den attraktivsten Loire-Schlössern entfernt.

Also, wir können da nicht klagen: Der Laden brummt, und die von uns – sagen wir: weniger geschätzten Gruppen und Grüppchen geben sich förmlich die Türklinken in die Hand.

Warum wir nicht Freudentränen vergießen und Dankesworte stammeln, dass uns damit ein gutes , ja, ein sehr gut⁸es Auskommen gesichert ist?

Weil Touristen auf ihre Art eine ungemein stereotype und langweilige Spezies sind. Erst haben sie immer Durst, dann Angst um ihre Fahrräder oder Köfferchen und prompt nach der Begehung der Zimmer was zu meckern: „Wir wollten doch zwei getrennte Betten!“ - „Wieso kriege ich kein Netz?“ - „Kann man die Klimaanlage nicht stärker an / ganz ausschalten?“

Wie wir diese immer gleichen Rituale und Mechanismen aushalten? Nun, wir wissen ja, was kommt ...und nach zwei, drei Nächten passé ist. Und: Wir haben uns gewappnet. Mit Humor.


So haben bei uns die Zimmer keine Nummern, sondern die Namen von Loire-Schlössern, was bei Nicht-Franzosen im Fall von Azey-le-Rideau, Dunois, Langeais, Beaugency oder Clos-Ussé häufig zu komischen Versprechern führt.

Danielle, meine Frau, freut sich immer auf die etwas anspruchsvolleren Gruppen: Geführte Radreisen von „Kultour“ oder „Curiosus“ zum Beispiel. Die wollen immer besonders viel regionalen Touch, natürlich als erstes beim Wein, aber auch bei der Käseplatte und sogar bei der Frühstücksmarmelade. Danielle ist Meisterin im Entwerfen gut klingender Käsesorten und wortmalerischer Fruchtaufstriche – die sie einfach nur aus dem Großhandels-Gebinde herausnimmt und entsprechend aufpeppt. Wichtig: Es muss ein Kärtchen dran mit Blumedeko, und „la Belle des bois“ sollte handgeschrieben sein. Sonderwünsche sind Danielles Steckenpferd. „Für nette Veganer gibt’s bei uns doch immer eine Extrawurst,“ pflegt sie zu sagen und hat damit die Lacher auf ihrer Seite.

Unsere Söhne, 16 und 19 Jahre alt, helfen am Wochenende und in den Ferien. Ihr Job ist das Picknick, das wir für Wanderer und Rad-Touristen am Ufer der Loire anbieten. Gut gekühlter Weißwein, Softdrinks. Baguette, Aufschnitt... Die Low-Budget-Vereine kriegen das Ganze als Do-it-yourself-Paket auf die Wiese gestellt für acht Euro pro Nase. Die Premium-Gäste aber haben – bei 20 Euro mehr - Anspruch auf extra aufgebaute Tische und Bänke, nett belegte Canapés, Schinkenröllchen, Bauernkäse und Mutters aufgepeppte Desserts: Crème brûlèe und/oder Mousse au chocolat - im Glas, das ist jetzt angesagt.

Manche schniekeren Gruppen wünschen auch Austern – schließlich passen die besonders gut zum Anblick der königlichen Landsitze links und rechts der Loire. Und wir liefern.

Jedenfalls können wir so bei allen Gästen zuverlässig unsere Pluspunkte sammeln. Um es salopp auszudrücken: Fressen und Saufen, das geht immer, zumal im Sommer, wenn sich alles mit unserer fotogenen Loire-Kulisse hoch romantisiert.

Ein weiteres Plus: Cédric und Franc haben den Bogen raus ….. und Charme. Bei Bedarf entwicklen sie den auch auf Englisch oder Deutsch -ach, wie süß, dieser französische Akzent! - und dann fliegen ihnen nicht nur die Herzen der älteren Damen zu, sondern auch großzügige Trinkgelder.

Witzig bei diesem Service-Paket: Es gibt sie immer, in jeder Gruppe. Die einen, das sind die Genießer, die reichlich trinken, die förmlich aufblühen und dann gar nicht weiter wandern oder radeln wollen – im Extremfall kommen die bei Cédric mit in den Lieferwagen. Und die magersüchtigen Asketen, die wollen lieber ihrer Gesundheit Gutes tun und schnell wieder loswandern. Ab und zu zeigen sich darunter auch Bildungsbeflissene. Ja, die rechnen kleinkrämerisch jede Minute nach, die ihnen durch „diese Völlerei“ an Kultur und Besichtigungen verloren geht. Manche sitzen schon nach zehn Minuten nur noch da und starren sehnsuchtsvoll in ihre Reiseführer. Wie gesagt – die sind eher selten.

Mein Job ist - neben der Buchführung – alles, was mit Fahrrädern zu tun hat, Und ich kann sagen: „les vélos“, die boomen seit Jahren. Kamen die Radtouristen früher eher einzeln oder als Pärchen mit professioneller Ausrüstung und viel Touren-Erfahrung, so ist das inzwischen ein Massenspektakel, bei dem sich immer mehr Ungeübte betätigen … mit sehr schicken, aber trotzdem ungeeigneten Rädern. Bei den fremd gebuchten Radtouren ist meine Hilfe nicht nötig – da gibt es ein Begleitfahrzeug bzw. den Guide für die Havarierten oder Gesäß-Gestraften.

Was für mich bleibt, das sind inzwischen immer mehr junge Familien oder Gruppen mit Kindern, die spontan die ein- oder zweiwöchige Fahrradtour antreten mit ihren am Vortag neu gekauften Pentathlon-Rädern; nur halb aufgepumpt, falsche Lenker- und Sattelposition, ratternder Schaltung...Zwar haben diese Abenteurer meist einen (schlecht sitzenden) Helm, aber die wenigsten ausreichend Kondition geschweige eine Idee, wieviele Kilometer sie sich bzw. den Kindern so zumuten können.

Diese Strategen stranden dann bei uns, und mein Spaß ist es, mit ein paar geübten Handgriffen schleifende Bremsen zu justieren, Sättel zu tauschen oder auch einmal eins von meinen Leihrädern zur Probefahrt anzubieten – es ist oft unvorstellbar leicht, Leuten die Freude am Radfahren wiederzugeben.

Gäste mit E-Bikes haben wir jetzt auch vermehrt. Der Klassiker dabei: Die Frau hat das neue Elektro-Rad, und der Mann quält sich verbissen weiter „per Muskelkraft“. Natürlich pflege ich so viel Heldentum entsprechend zu loben; dafür sind die Herren allesamt sehr dankbar. Dankbar sind sie auch, wenn sie die 4000-Euro-Boliden von Madame in eine gut gesicherte Garage stellen können, wo sie dann trotzdem ihre vier Kilo schweren Schlösser zum Einsatz bringen. Ich bin dann immer froh, wenn sie am nächsten Tag auch noch die Schlüssel wiederfinden – alles andere wäre sehr stressig.

Mittlerer Stress ist normal. Extremen Stress aber haben wir, wenn ich einmal so die letzten Jahre betrachte, kaum. Man muss organisiert sein, seine Pappenheimer kennen. Gut, dass unsere Klientel erstaunlich genügsam ist. Daher sind die täglichen Herausforderungen durchaus beherrschbar: Die Leute wollen in ordentlichen Zimmern halbwegs gut schlafen, sie haben eine sehr gängigeVorstellung von französischer Küche – die muss man bedienen, und für ein paar Augenkitzel bzw. nette Foto-Erinnerungen sollte man auch sorgen – das reicht, und das alles können wir.

Wirkliche Begegnung und inhaltliche Auseinandersetzung mit uns, mit unserer Geschichte und Kultur, Teilhabe an den aktuellen poltischen Fragen, das alles will keiner. Wir vom Hotel gehören irgendwie nur zur Kulisse. Wir vollbringen unsere Dienstleistungen – voilà, c´est tout.

Ob wir die ehrliche Neugier unserer Gäste wirklich vermissen? Schwere Frage. So, wie es ist, können wir jedenfalls gut leben, können Distanz halten und bei aller Eingespanntheit noch unseren Spaß haben.

Vielleicht - die Frage stelle ich einfach mal so - gibt moderner Tourismus einfach nicht mehr her? C´est une forme de cinéma, non?



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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (08.04.22, 09:22)
 gutres -> gutes
Pappenheime -> Pappenheimer
soft Drinks -> Softdrinks

 eiskimo meinte dazu am 08.04.22 um 14:34:
Danke, habe es berichtigt.
Schreibe hier unterwegs, bei schwierigen Bedingungen...
Aber es sollte trotzdem nicht passieren.

 Dieter_Rotmund (08.04.22, 09:28)
Vielleicht Fawlty Towers, TV-Serie, UK 1975-1979 ?
imdb.com schreibt:
"Die Inkompetenz, die kurze Zündschnur und die Arroganz des Hotelbesitzers Basil Fawlty bilden eine Kombination, die dafür sorgt, dass Unfälle und Ärger nie weit weg sind."

 AZU20 (08.04.22, 09:58)
Moderner Tourismus? Abschaffen. Schleunigst. LG

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 08.04.22 um 11:22:
Was für Urlaube machst du denn??? Naked Survival?

 AchterZwerg (08.04.22, 13:02)
Lieber Eiskimo,

ach, wie gut ich dich verstehen kann!
Der Massentourismus bringt deutsche Blüten wie: "Die wollen wohl unser Geld nicht!" oder das komplette Vertilgen einer üppigen Käseplatte nach der Hauptmahlzeit hervor.
Schlimmer sind nur Wohnmobile!
Falls der Autor diesmal mit dem Text identisch sein sollte: Du und deine Liebsten haben sich ein spannendes Betätigungsfeld ausgesucht.
Aber bestimmt auch ein ziemlich stressiges ...

Weil ihr schon zwei Sterne habt, gibts von mir nur einen ... :P

Der8.Fahrradfan

 Judas schrieb daraufhin am 08.04.22 um 13:06:
Wohnmobile > Massentourismus.
Außer, sie stecken bei uns am Trollstigen fest...

 eiskimo äußerte darauf am 08.04.22 um 14:45:
@achter Zwerg
Nee, ich bin selber da nicht aktiv, nur über die Famiie verbandelt und kenne ein wenig die Innenansicht....
Das ist schon ein Panoptikum.
Humor hilft!
Eiskimo

 Judas (08.04.22, 13:05)
Als jemand, der in der Tourismusbranche arbeitet und immer die selben drei Fragen hört, geht der Text natürlich mitten rein. Ich hab ziemlich oft beim Lesen genickt.
Da sind aber leider ein paar Vertipper mit reingerutscht, Darth_Rotmund hat sie aber glaube schon alle freiwillig für dich raus lektoriert.

 eiskimo ergänzte dazu am 08.04.22 um 14:40:
Danke für Deine Rückmeldung. Du wirst sicher noch andere Facetten beisteuern können - Tourismus ist ja wie ein Art Brennglas, man sieht die Sorte Mensch in aller Deutlichkeit
LG
Eiskimo

 Judas meinte dazu am 08.04.22 um 14:45:
Top 4 der doofen Fragen/Aussagen, die IMMER und auf jeder Tour kommen:
1. Und? Weshalb sind sie nach Norwegen gezogen? Wegen der Lieeeebe? Haha
2. Und was machen Sie dann im Winter, da ist doch alles dunkel?!
3. Ah, Weimar! Weimar ist aber auch sehr schön!
4. Haha wenn Engel reisen! (wenn die Sonne scheint)

Antwort geändert am 08.04.2022 um 14:47 Uhr
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