Wir verlieren alle

Kommentar zum Thema Krieg/Krieger

von  eiskimo

Der Krieg in der Ukraine, der nun schon fast sieben Monate andauert, findet auch in den Medien statt. Natürlich ist das nur eine bruchstückhafte Übersetzung in Bilder und Worte von all den Grausamkeiten, die uns hier – nett ausgedrückt:  weitab vom Schuss erreichen. Trotzdem, denke ich, geschieht da etwas mit uns – die Front holt uns sehr wohl ein, seelisch und psychisch.

Die sieben Monate Kriegsberichterstattung, gerne mit martialischen Bildern unterlegt, hat uns nicht nur vertraut gemacht mit der täglich wiederholten Szenerie von Flucht und Zerstörung, sondern auch mit der alles diffamierenden Sprache des Krieges, mit dem unsäglichen, immer kälteren Vokabular von Droh- und Vernichtungstechnik, von stupider Kriegspropaganda und Hassbotschaften.

Wir haben gelernt, es zur Kenntnis zu nehmen, dass Krankenhäuser und Schulen bombardiert und zu Todesfallen gemacht werden. Wir lesen weiter von Verschleppung, von Misshandlung und üblen Foltermethoden. Dabei geht auch unser Alltag hier weiter, lenkt uns ab. Gut so. So erreichen uns die neuen Schlagzeilen von Massengräbern und Exekutionen nur noch wie durch einen Filter – ja, wir haben uns an die täglich brutaleren Nachrichten gewöhnt.  Sie haben uns abgestumpft. Denn fast nur noch routinemäßig nehmen wir die Spots aus dem Krisengebiet wahr. Sie sind uns zum Ritual geworden ähnlich dem Wetterbericht.

Die Berichterstattung klingt banal, erreicht uns kaum mehr. Und wenn doch, dann vermischen sich für uns schwere Waffen mit leichten, zerstörtes Kriegsgerät mit zerstörten Wirtschaftsbeziehungen, Hilflosigkeit mit Fatalismus.
Was uns anfangs, vor sieben Monaten, noch aufbrachte, hat sich verbraucht. Der Krieg hat uns abgenutzt, hat unsere Sensorik zerstört. ER mag da sein, real und fürchterlich,  und man mag uns immer wieder aufhorchen lassen, uns das alles immer wieder aufs Neu nahe bringen. 

Aber: Wir haben das alles jetzt Tausend Mal gehört, von den Experten wie auch am Stammtisch, es zieht sich seit Monaten hin, und ein Ende ist nicht absehbar.

Schaffen wir es da, noch empört zu sein?  Noch wirklich Anteil zu nehmen? Oder haben wir schon verloren?



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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (16.09.22, 17:51)
Hallo  eiskimo, Du stellst deine Frage zu Recht. Aber ich weiß nicht, ob man sie im Wir-Stil beantworten kann. Die Menschen sind unterschiedlich sensibel.

 eiskimo meinte dazu am 16.09.22 um 17:53:
Da stößt Du etwas an .. vielleicht schreibe ich es um in der Ich-Form.
Danke für Deine Anregung!
LG
Eiskimo
Agnete (66)
(16.09.22, 21:48)
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 Dieter_Rotmund (16.09.22, 23:07)
Tausend -> tausend

Ich finde nicht, das man verloren hat, wenn man aufhört, sich zu empören. Empörung ist was für Wichtigtuer.

 eiskimo antwortete darauf am 17.09.22 um 08:15:
Ich würde bei "Empörung" unterscheiden zwischen der, die rein reflexhaft bzw. nur für die Kulisse ist und der, die Folgen hat, also ein aktives Reagieren hervorruft.
Dein Wichtigtuer gehört zur ersten Gruppe.

 FrankReich schrieb daraufhin am 22.10.22 um 15:20:
Ich denke, dass Empörung immer als egoistisches Element zu werten ist, im Gegensatz zur Betroffenheit genügt sie sich nämlich selbst.

Ciao, Frank

 AchterZwerg (17.09.22, 06:57)
Wir haben bereits verloren.
Wenn wir schon für diesen Krieg frieren dürfen, warum nicht auch sterben?
 
Kürzlich rühmte sich die Ukraine der (bisher) 50.000 getöteten Russen. Umgekehrt klingt es genauso.

"Kanonenfutter", "Menschenmaterial."
Terminator (41)
(17.09.22, 07:22)
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Taina (39)
(17.09.22, 07:46)
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 eiskimo äußerte darauf am 17.09.22 um 11:07:
Die Berichterstattung der seriösen Medien ist m.E. angemessen. Aber unsere Wahrnehmung verändert sich. Da ist ein Abnutzungs- oder Ermüdungseffekt. Und wenn ich für mich spreche: Man arrangiert sich mit den bösen Nachrichten, man verdrängt sie. Verloren gegangen ist unsere Aufgebrachtheit, vielleicht auch unsere Scham, dass wir das nicht verhindern konnten.
Ob auch die europäische Friedensordnung schon verloren ist? Ich sehe für sie noch Chancen, so lange die Ukraine dagegenhält.
Taina (39) ergänzte dazu am 17.09.22 um 17:12:
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Teolein (70)
(17.09.22, 07:51)
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 Quoth (17.09.22, 12:14)
Für mich ist es keine Niederlage, nicht über alles Empörenswerte empört zu sein. Empörung ist kein Selbstzweck. Ich halte es (ohne Gott) mit Reinhold Niebuhrs Gelassenheitsgebet
https://de.wikipedia.org/wiki/Gelassenheitsgebet
 - und ich glaube, so denken auch viele andere und gießen ihre Petersilie, statt sich sinn- und wirkungslos zu empören. Das ist dann keine Abstumpfung, sondern weise Gefühlsökonomie und auch ein kluges Haltsuchen an den Notwendigkeiten des Alltags.

 eiskimo meinte dazu am 17.09.22 um 13:54:
Gefällt mir gut, was Du anmerkst. Speziell die Gefühlökonomie, die ja etwas anderes meint als Abgestumpftheit oder Wegschauen
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