Nonsens 11

Tagebuch zum Thema Leben/Tod

von  Augustus

Schon etwa 1 Jahr sehe ich ihn mit einer umgehängten Decke auf dem Boden der Straße sitzen, die ich oftmals quere, um mir einen Kaffee zu kaufen. Seine Klamotten sind schäbig, sein Gebiss halb vollständig, besonders fiel mir sein wildes Äußeres. Wer das Bild von Nietzsche gesehen hat, kann sich den jungen Bettler gut vorstellen. Er trägt dunkelbraun-rötliche Kastanienhaare und ebenso in der Farbe einen vollen Schnurbart. Die dunkelbrauen Augen versprechen so viel, aber aus ihnen schaut Ziellosigkeit und Hilfslosigkeit. Bei ersten Mal fiel er mir sofort auf und ich schenkte ihm einen Cappuccino. Er bedankte sich in einem gebrochenen Deutsch. Ich sah ihn dann immer öfters und gab ihm stets etwas Lebensmittel in die Hand. Doch eines Tages sollte er mich fragen, ob ich einen Job für ihr hätte. Er habe – sagte er -  Papiere und Dokumente. Ich nahm davon nur eine Notiz und gab ihm den Kurkumashot, den er mit mir trinken sollte. Wir stießen an und tranken es leer. Ich ging von ihm gedankenvoll weg. Beim nächsten Treffen lud ich ihn in ein Café, um mit ihm über seine Situation und sein Schicksal zu sprechen. Ich frug ihn allerlei, er antwortete, wie er konnte. Kurz: er hat kein Geld, keine Arbeit, kein Zuhause und lebt auf der Straße, versteht wenig Deutsch und ist auf die Wohltaten fremder Menschen, die sich seines Elendes erbarmen, angewiesen. Der Wille eines Bettlers zu arbeiten überraschte mich. Ich forschte diesen aus und fand heraus, dass er sein Schicksal neu in die Hand nehmen möchte und es zum Guten lenken möchte, wenn ihm doch nur jemand wirklich helfen könnte, mehr helfen könnte als die täglichen Wohltaten in Form von Gaben. Da er auf den Meister der Fälschungen traf, so hatte ich schon eine Idee, wie ich ihm helfen konnte.

3, 4 Zeugnisse erschuf ich neu und gab sie ihm in die Hand. Dabei versendete ich ein Bewerbungsanschreiben nebst Zeugnissen an den Botanischen Garten in der hiesigen Stadt. Er wollte unbedingt Gärtner werden. Ich simulierte mit ihm ein Vorstellungsgespräch. Durch die Hypnose nach ich ihm am Tag des Vorstellungsgespräch die Angst und ließ ein paare eloquente Sätze einsprudeln, die er quasi - automatik – heraussagte.

Zwei Wochen später hatte der Kerl den Job und es fand sich ein Mensch in meinem Leben, der mir vom ganzen Herzen dankbar war. Ab und an besuche ich ihn in den Botanischen Garten und wir spazieren ein wenig, dabei erstaunt er mich, als er anfing mir die lateinischen Bezeichnungen der Pflanzenarten zu nennen. Ha! – sagte ich - Ich wusste, dass Du ein ganzer Kerl bist! Er packte ein Zeichenblock hervor und zeigte mir eine Pflanze, die er durchaus gekonnt nachgezeichnet hatte. – Habe ich Pause, sagte er, dann zeichne ich die Primula bullesiana.

Während er so sprach, fiel mir ein Gedicht von Goethe ein, das ich abänderte.  

 

-         Ich grub ihn mit allen Wurzlein aus,

zum Botanischen Garten trug ich‘s,   

und pflanzt ihn wieder am stillen Ort,

nun blüht er immer und zweigt so fort. –



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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (09.06.23, 07:16)
Ein anrührender Beitrag. <3 
Tatsächlich kommt man in der Betreuung Langzeitarbeitsloser um ein bisschen Schummelei / Schönung nicht herum ... was zählt ist der Erfolg einer Maßnahme - wie beim Dichter das Werk.

Liebe Grüße
der8.

 Augustus meinte dazu am 09.06.23 um 11:17:
Durchaus darf der Dichter etwas Gewürz hinzustreuen wie ein guter Koch in die Gerichte. Den Kerl musst Du gesehen haben, selten habe ich ein so ausdrucksstarkes Gesicht gesehen und seltener noch das divergierende Schicksal zu solch einem Gesicht, und bedarf manchmal nur eines kleinen Anstoßes, um den Menschen von seinem Stillstand in neue Bahnen zu bewegen. 
Nun kreist er wie ein Satellit um den botanischen Garten herum, der ihn mit seiner Masse an Pflanzen und Sträuchern anzieht. 
Bald soll er auch sich in die Welt hinaus wagen, vllt empfehle ich ihm das Schloss Versailles in Paris sich den hübschen Garten anzuschauen. 

Selten helfen Ämter wirklich weiter, bei langzeitatbeitslosen handelt es sich an allen stellen entlang, um Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Wer sich - wie unser Unglücklicher - überhaupt nicht mit der Bürokratie auskennt, landet auf der Straße. Wer auch noch niemanden aus der Familie vorfindet, der dem Menschen in der Situation hilft, bleibt auf der Straße und muss sich mit naturalbagaben anderer zufriedengeben. 

Wo doch - nach näherer Einlassung - der Unglückliche Wesenszüge in sich bereithält, die zu außergewöhnlichen Blüten heranwachsen. 

Deshalb, ob privat oder beruflich, jeder kann etwas unmittelbar gegen die Armut etwas tun und Menschen am Boden wieder aufrichten. 

Der Mensch in sein richtiges Element gesetzt, vermag übermenschliches.
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