Was macht die Heimat unvergesslich?

Ansprache zum Thema Heimat

von  EkkehartMittelberg

Der Muttertag rückt näher und fast jeder erinnert sich an seine Heimat. Selbst wenn sie bei objektiver Betrachtung hässlich ist, bedeutet sie nahezu allen Menschen sehr viel.


Ich bin in einem unattraktiven Stadtteil von Hamm in Westfalen groß geworden. Die Zeche dominierte alles. Der tägliche Ausstoß von Kohlepartikeln hatte die kleinen Bergmannshäuschen schwärzlich, in den Augen seltener Besucher schmutzig gefärbt. Im Winter hing bei Schmuddelwetter manchmal eine bleierne Tristesse über der Kolonie, wie die Bergmannssiedlung genannt wurde.


Aber im Frühjahr, wenn in den Gärten der Bergmannshäuschen die Obstbäume blühten und mit den verrußten Häuschen kontrastierten, verwandelte sich die Kolonie in meinen Augen in ein kleines Paradies. Ich erinnere mich lebhaft an das Frühjahr, in dem der River-Kwai-March die Schlagerparade beherrschte. Die Bergleute hatten Fenster und Türen geöffnet und die schmissige Melodie schallte wie ein Weckruf guter Laune durch die Sielung.


Wenn man deren Peripherie verließ und mit dem Fahrrad in die Wiesen der Lippe fuhr, konnte man sich auf einen farbenfrohen Teppich von Margeriten, Korn- und Mohnblumen legen. Die Stadtväter Hamms haben diese Faszination erkannt und zu einer Attraktion gemacht.


Wenn Sie heute in die Lippwiesen Richtung Ruderclub fahren, empfängt Sie eine großflächige Palette dieser drei Blumen, wie Sie sie noch nirgends gesehen haben. Ich bin sicher, Sie werden begeistert sein. Da ich gerade bei den Farben bin. Wenn bei der Zeche Radbod abends die größte Kokerei Europas abfackelte, war die gesamte Himmelskuppel rot. Es gab einen Hügel, von dem aus man beobachten konnte, wie die Häuschen der Bergleute in diese warme Farbe getaucht wurden, und man spürte, dass sich Harmonie in die Seele senkte in meiner damals hässlichen Heimat.



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Kommentare zu diesem Text


 harzgebirgler (02.05.24, 16:32)
:) :)
hallo ekki,


wer von seiner heimat kunde gibt
gleich dir bekundet dass er sie liebt --
heimat ist der ort wo die wiege stand
im weit'ren sinne auch das vaterland
was vielen heute kaum noch etwas sagt
weil ihnen toughe wokeness mehr behagt
die wurzeln weder kennt oder vermisst
und stets die multikultifahne hisst -- :
„Ein Rätsel ist Reinentsprungenes. Auch
Der Gesang kaum darf es enthüllen. Denn
Wie du anfingst, wirst du bleiben,
So viel auch wirket die Not,
Und die Zucht, das meiste nämlich
Vermag die Geburt,
Und der Lichtstrahl, der
Dem Neugebornen begegnet.“
(Hölderlin, Der Rhein)

lg
henning

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.05.24 um 17:10:
Vielen Dank, Henning,

ich muss mich sehr anstrengen, um deinen feinen Kommentaren gerecht zu werden.
Herzliche Grüße
Ekki

 Saira (02.05.24, 17:50)
Lieber Ekki,

Erinnerungen, die uns in der Kindheit geprägt haben, können das Gefühl von Heimat vermitteln. Du hast ganz wunderbare. Ich bin in die Bilder, die du gemalt hast, eingetaucht.

Liebe Grüße
Sigi

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 02.05.24 um 18:00:
Grazie, Sigi,

ich vermute, dass sich Bilder einer Heimat mit herber Schönheit besonders tief einprägen.

Liebe Grüße
Ekki

 niemand (02.05.24, 18:33)
Ich "kenne" Hamm aus meinen Radreisen und kann nur sagen, dass es garnicht so hässlich ist in den diversen Ecken. Und die Bergmannshäuschen, welche es auch in anderen Städten von NRW gibt, haben mir schon immer gefallen. Ich hätte es mir vorstellen können, in einem dieser Häuschen zu wohnen und das gerne. Und in den Lippe-Auen war ich auch schon per Rad und das nicht nur einmal. Die Natur ist dort wirklich wunderschön. Schönheit allerdings liegt immer im Auge des Betrachters  :) Entlang der Lippe gibt es eine wunderbare
Natur. Ob Lünen, oder Werne, oder Hamm ... Ich fahre immer wieder in diese
Gegend und bin stets aufs Neue erstaunt, wie grün doch diese Gegend sein kann, grün und blumenbunt, je nach Jahreszeit.
Es freut mich daher sehr, dass wir die gleiche Ecke mögen ;) 
Am schönsten ist es immer per Rad.
LG Irene

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 02.05.24 um 19:14:
Grazie, Irene,
ich freue mich natürlich sehr, dass auch du diese herbe Schönheit empfindest.
LG
Ekki

 Teo (02.05.24, 19:29)
Hi Ekki,
mir war nicht so bewusst, daß es so weit östlich auch Förderanlagen gab.
Meine halbe Familie fand Anstellung im Bergbau. Allerdings nur wenige Untertage.In Herne gab es 7 Schachtanlagen. Im Großraum Ruhrgebiet erwas 300.
Sie gehörten dazu. Bei allem Dreck und Staub. Doch, ich liebe diese Region...meine Heimat. Die kleinen Gärten hinter den Zechenhäusern, die Schrebergartenkolonien. Es gab in der Tat einen großen Zusammenhalt.
Ich habe in den 70ger Jahren 6 Wochen unter Tage gearbeitet. Damals schon mit recht vielen Türken zusammen. Ich wüsste nicht, dass es da mal Streit oder sonstiges Ärger gab.
Es kommt ein wenig Wehmut hoch.
Ja, es war schön ...bei allem.
Danke fürs öffnen des Fensters in die Vergangenheit.
Glück Auf
Teo

Kommentar geändert am 02.05.2024 um 19:32 Uhr

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 03.05.24 um 10:45:
Gracias, Teo, in Hamm gab es drei Schachtanlagen. Ich habe als Jugendlicher viel über den Bergbau von meinem Onkel Klaus erfahren, der Elektrosteiger war, und von meinem Freund Ernst, der unter Tage die Loren fuhr.
Dier Hammer Innenstadt wurde durch das Oberlandesgericht geprägt und meine Klassenkameraden kamen eher aus diesen Kreisen. Ich spielte kein Tennis und war stolz auf meine Kumpels aus dem Milieu der Bergarbeiter.
Glück auf zurück
Ekki
Krakel (36)
(02.05.24, 20:06)
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 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 03.05.24 um 10:53:
Danke, Krakel.
Die Flüchtlinge aus Ostdeutschland wurden nach dem Kriege als Heimatvertriebene bezeichnet. Ich habe erst als Erwachsener begriffen, wieviel diese Menschen - auch immateriell - verloren hatten.

 willemswelt (02.05.24, 22:10)
wirkt auf mich, Ekki,sehr ehrlich und auch beeindruckend-liebe Grüße,Willem

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.05.24 um 11:35:
Grazie, Wilhelm,

man liebt etwas wirklich,  wenn man daran festhält, ohne sich etwas vorzumachen.

Liebe Grüße
Ekki

 BeBa (02.05.24, 22:27)
Ja, Ekki, ich kann dich verstehen. Vieles von dem, was du hier schreibst, finde ich bei mir wieder. Ich bin auch im Ruhrpott aufgewachsen, nicht in Hamm zwar, aber in Marl. Marl ist ja schon fast Münsterland, und um Marl herum gibt es viele schöne Ecken und Natur, das soll man nicht unterschätzen.
Und doch ist jeder Besuch in der alten Heimat auch traurig. Marl hat leider den Sprung in die Zukunft bis heute noch geschafft, im Gegensatz zu anderen Städten. Wie es in Hamm ist, weiß ich nicht. Aber Dortmund z.B. hat den Wandel erfolgreicher vollzogen.

Danke für den schönen Text, der mich zum Nachdenken und ein wenig zum Träumen gebracht hat.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.05.24 um 15:59:
Merci, Beba,
du schneidest eine Frage an, die manchen melancholisch stimmen wird, die Zukunftsfähigkeit der Heimat. Leider haben nicht alle Städte unserer Heimat die Zeichen der Zeit früh genug erkannt.

 Pensionstarifklempner (03.05.24, 04:37)
Oh. Heimat !
Heimat ist - wo die Rechnungen hinkommen ( Heiner Müller)
Ohne Rechnungen keine Heimat.
Man müsste mal die Wirkungsgeschichte des Begriffs HEIMAT untersuchen. Ist HEIMAT nicht auch eine Mißbrauchsgeschichte?
Wünsche einen schönen Heimatabend

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.05.24 um 11:47:
Hallo Petakle,

es ist richtig. dass während des Dritten Reichs Heimat unter dem Motto "Blut und Boden" ideologisch missbraucht wurde. Aber der Begriff ist unverwüstlich, weil es auch eine unsentimentale kritische Heimatliebe gibt.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.05.24 um 11:59:
Heimatfilm
Kurzgedicht zum Thema Heimat

Hirsche röhren in der Brunst.
Betörend liegt im Tal ein Dunst.
Immer verkauft sich der alte Wunst.
Petakle,
hier hast du die kritische Sicht aus meiner Feder.


Antwort geändert am 03.05.2024 um 12:00 Uhr

Antwort geändert am 03.05.2024 um 12:01 Uhr

 AchterZwerg (03.05.24, 07:30)
Das mutet traulich an, lieber Ekki.
Ich mag den Pott im weitesten Sinne - kein Wunder, denn wir Zwerge sich ja meist im Bergbau tätig.
Vor allem aber mag ich seine liebenswerten Bewohner!

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.05.24 um 12:13:
Vielen Dank, Piccola,

die Meinungen über den rauen Charme der Bewohner des Ruhrpotts sing geteilt. Tatsache ist, dass sich die Bergarbeiter  aus unterschiedlichen Ethnien zusammensetzten und lernen mussten, tolerant miteinander umzugehen. Das haben sie nach meiner Beobachtung gut geschafft.

Antwort geändert am 03.05.2024 um 12:15 Uhr

 AchterZwerg meinte dazu am 03.05.24 um 13:12:
Finnichaach!
"Identität über Arbeit", kannten schon die Marxisten - ganz so unrecht hatten die wohl nicht ...
Agnetia (66)
(03.05.24, 14:02)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.05.24 um 16:05:
Agnete, gerade du, die viele Erfahrungen im Ausland sammeln durfte, hast dieses Thema aus Kontrasten heraus bestimmt intensiver erfahren als manche andere.
LG
Ekki

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.05.24 um 16:05:
Agnete, gerade du, die viele Erfahrungen im Ausland sammeln durfte, hast dieses Thema aus Kontrasten heraus bestimmt intensiver erfahren als manche andere.
LG
Ekki

 AZU20 (03.05.24, 14:14)
So hässlich war es eben nicht.LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.05.24 um 17:12:
Gracias, Armin,

das Auge des heimatverbundenen Betrachters war liebevoll.

LG
Ekki

 TrekanBelluvitsh (05.05.24, 01:46)
Die "Heimat" ist in der Erinnerung immer schön, weil man die Probleme von damals nicht mehr lösen muss-

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.05.24 um 10:33:
Merci, Trekan, das trifft meistens zu. Für mich war die Heimat mit ihren Problemen liebenswert.

LG
Ekki

 Quoth (24.07.24, 11:41)
Und jedes der Koloniehäuschen hatte im Garten einen Stall, darin wurde manchmal ein Schwein, meistens aber nur eine Ziege gehalten. Das weiß ich von meiner Großmutter, die da wohnte und einen Ziegenbock hatte, den sie "Hans, mein Junge" nannte und der, weil ihm alles schmeckte, auch mal ihr Portemonnaie aufgefressen hat.

Im Licht einer abfackelnden Kokerei können Verliebte z.B. im Schwelgernpark in Duisburg auch schön Händchen halten. Das ist viel romantischer als der langweilige Mond!

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.07.24 um 23:21:
Merci, Quoth,
du zeigst Empathie für diese Art von Heimat.

LG
Ekki
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