Sprache und Sprechen - Orpheus und das Orphische

Lyrischer Prosatext zum Thema Melancholie

von  LotharAtzert

Gell da spreche ich was an.

Ein einziger Ton spricht an, ist demnach Ansprache. Einmal hörte ich im Garten einen Vogel so eine Ansprache oder zutreffender Anrufung abhalten. Oder auch Anhimmelung. Oder schlicht Gebet. Sehen konnte ich ihn jedenfalls nicht, aber seinen einzigen allesdurchdringenden Ton, Mark und Bein zumindest durchdringend. empfand ich wie ein vor Sehnsucht überquellendes Herz, das allen Schmerz, alle Hoffnung in diesen einen Klagelaut unterbringen wollte, vielleicht musste und fast dran zerbrach, ein einziges, etwa fünfsekündiges langsames auf- und absteigendes beschwörendes Fieep, so fiepig, daß mein Herz zu zerreißen drohte. Darauf eine Pause der doppelten Läng, um sich danach noch zwei mal zu wiederholen.

 

Und ich erkannte und begriff mich selbst in jenem schmachtenden Schwunge ohne weitere Ausdrucksmittel nach der erlösenden Geliebten, dem Du, der Anima, legte meinerseits alles mit in den einen Ton, ergriff mich im Innersten, wie Münchausen und zog mich heraus, nur um mit Imbrunst zu klagen, über das Fernsein und wollte sogleich lieber sterben, als ohne sie weiterleben zu müssen, - falls Antwort ausbleiben sollte.

Und so lauschte ich immer wieder klopfenden, laut-klopfenden  Herzschlags blöd-hoffend dem verklingenden Ton hinterher, mit jedem neuen Klagelaut ein Stückchen tiefer in des Raumes unendliche Weite, ob denn eine Antwort erfolge, aber … nach einer Weile flog eine Meise durchs Blickfeld und die sogenannte Realität hatte mich wieder. Der Vogel schwieg, war weggeflogen oder was auch immer. Und so schrieb ich diese Worte auf.

 

Den Vogel, seine Art, konnte ich anhand des Tones nicht identifizieren,  hat mich spontan an die eigene Sehnsucht erinnert. Dieser eine Ton, dieses Sehnen des Einen nach dem erlösenden Du, dem es einzig galt, diese ganze Schmachterei vom Schmelzenden Schnee im Sonnenlicht, der höchsten vollkommenen Weisheit in einem einzigen Ton am Erklingen, den man sicher kilometerweit schwingen hören konnte, oder gar mehr - Dieser einzigartige Vogel sang vielleicht schon ganz allein für mich – und auch nur dieses eine mal. Zumindest hörte ich ihn in all den verflossenen Jahren nie wieder. Nur die Sehnsucht blieb, dieses unschuldig-ungeborene Ding, wo hätte sie auch hingehen wollen.

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Der „Ansprechpartner“ heißt es heute, - pfui deiwel. Die ganze durchgewichste Industriesprache von machtbesessenen Multimilliadären, global die Erde ausgefressen, mit Ersatzteilen und Zeitvertreib Einlull-Medien das Artensterben weggelogen und bald werden sie mit dem Gerafften in den „Kosmos“ verduften, um dort als Freibeuter andere auszuplündern, um noch reicher zu werden, um andere Galaxen… pfui deiwel nochmal..

 

Ob Melancholie da eine Hilfe ist, weiß ich gar nicht, aber ich bin der Schwarzgalligen dankbar, zumal sie die erkrankte Sehnsucht pflegt, die mir all die Jahre als Einzige treu geblieben ist und wünsche dem Sänger von ganzem Herzen, daß aus der Trauer Kraft ihr Ebenbild entspringen möge und sie im Lande des Phönix wiedergeboren werden, wo allen Ausgestorbenen bis zum Archeopterix eine magische Praxis angeboten wird, die Praxis der fünfhundertjährlichen Feuergeburt aus der Asche. So eine Anbetung in einen einzigen Ton zu legen, das, so schien es mir, ist wahres Sprechen, Strenge wie im Zen-Kloster, wahres orphisches Singen, wahres Auflösen ins unhörbare OM, aus dem wir sind und nicht sind.

 

 



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Kommentare zu diesem Text


 Regina (13.01.25, 19:08)
Das war vllt. eine Nachtigall.

 LotharAtzert meinte dazu am 13.01.25 um 21:00:
Liebe Gina, Hast Du schon einmal von einer Nachtigall gehört, die nur einen einzigen Ton wiederholt?

 DanceWith1Life antwortete darauf am 13.01.25 um 23:38:
Wenn sogar ein Lothar Atzert auf KeinVerlag nur noch in einem einzigen Ton singt. Der dazu noch aus seinem Garten entspringt mit vorbeifliegender Meise, wohlgemerkt, dann wird es doch der Dance schaffen, sich auf Dinge zu reduzieren, jetzt wo das Übertriebene die Wahl mal wieder gewonnen hat, die den Tatbeständen gerecht werden, vielleicht schaffen wir ja dann den Spagat zwischen den extremen, sie Sichtweisen zu nennen tut eigentlich schon weh, aber im Sinne der gesuchten, gerechten Objektivität, also gut Sichtweisen, mit oder ohne Zenklosterstrenge im sprachlichen Ausdruck, was immer das sein soll. Was wollte ich diesem im Prinzip also eher sehr stillen Text als Kommentar da lassen. Ein Garten ist ein Garten, früher auch ein Ort der Begegnung.
Mit oder ohne dieser doch sehr speziellen Sehnsucht, und wo kämen wir da hin, wenn jeder die gleiche hätte.
One World hieß es im Lied so schön, one Love, von Gier war nicht die rede, one greed, wenn nicht gar, everyones greed, und dieser eine Ton im Garten, Gutes Neues Lebensjahr (war doch klar). 
Btw. Wann war denn dieses wirklich inspirierende Erlebnis?

Antwort geändert am 14.01.2025 um 13:10 Uhr

 Regina schrieb daraufhin am 13.01.25 um 23:41:
https://www.youtube.com/watch?v=b3iq2XrYebk
https://www.google.com/search?sca_esv=db7ed66b9cb86445&q=Welcher+Vogel+pfeift+nur+einen+Ton&sa=X&ved=2ahUKEwie2uKf5fOKAxWFBNsEHXYsOvsQ1QJ6BAg5EAE&biw=1366&bih=639&dpr=1#fpstate=ive&vld=cid:5250006e,vid:IiHhuCXmpT8,st:0

Antwort geändert am 13.01.2025 um 23:57 Uhr

 LotharAtzert äußerte darauf am 14.01.25 um 00:17:
Auf keinen Fall so. Hört sich das etwa zum Weinen an?
Der Ton eher wie eine Sirene, die noch im Hochfahren wieder abgestellt wird und abfällt - nicht jubilierend.

Das war der Phoenix, garantiert!
Aber als Geburtstagsständchen ist die Nachtigall hübsch anzuhören.
Danke sehr.

 Regina ergänzte dazu am 14.01.25 um 00:30:
Ja, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.

 LotharAtzert meinte dazu am 14.01.25 um 10:11:
<3

 AchterZwerg (14.01.25, 07:11)
Lieber Lothar,
nein, die Doppelbesternung ist kein Geburtstagsgeschenk!
Vielmehr die Würdigung eines aus meiner Sicht großArtigen Textes.
Hier stimmt einfach alles: die Sprache, das Kontrastprogramm und die leider nur allzu berechtigte Melancholie.

Applaudierende Grüße

 LotharAtzert meinte dazu am 14.01.25 um 10:17:
Warst Du das vielleicht?
Vielen herzlichen Dank. Eines Tages erzähl ich Dir doch noch mal, wessen Wiedergeburt ich bin. Wir sind halt nicht in Indien, wo man darüber weniger staunen würde und keine Beweise verlangte. Hier .... ach egal.

Ich verbeuge mich in Dankbarkeit

 Nuna (14.01.25, 10:44)
Das kann ein Gimpel oder auch Dompfaff genannt, gewesen sein lieber Lothar. Der klingt sehr traurig.

Om und Namaste 
Gudrun

 LotharAtzert meinte dazu am 14.01.25 um 10:55:
Ach Du bist Nuna - liebe Gudrun, da staun ich manchmal noch. ...

Dompfaff - in der Tat kommt das schon eher hin. Aber eigentlich war der Ton dafür etwas zu laut, hab aber auch schon lange keinen Gimpel mehr gehört und gesehen. Werd mal im Internet gucken.

Ja Danke, Om und Namaste
Lothar

 Augustus meinte dazu am 14.01.25 um 12:44:
Könnte auch der Hausrotschwanz sein. Nachtigallen singen eher im Wald bzw. von Bäumen, um einen See herum und dann auch ab 22 Uhr.

 LotharAtzert meinte dazu am 14.01.25 um 16:53:
Auf gar keinen Fall Hausrotschwanz. Nachtigallen gibt es hier viele.
Nein nein, das war subtiler. Da kommt ja der Habicht noch näher dran.

 LotharAtzert meinte dazu am 14.01.25 um 17:07:
Der Dompfaff singt süß, ist es aber auch nicht.
Auch kein Habicht, wie ich dachte. Der rote Milan ist ähnlich, scheidet aber auch aus, - war viel durchdringender.

 Augustus (14.01.25, 12:47)
Klingt nach der Sehnsucht nach Nähe. Ich schätze, du bist viel allein.

 LotharAtzert meinte dazu am 14.01.25 um 16:50:
Bin ich. Jedoch gewollt, wo es keine Dichter, Denker und Mystiker gibt.
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