Vorerst keine weiteren Krimis

Anekdote zum Thema Achtung/Missachtung

von  eiskimo

Seitdem Markus L. in den Ruhestand getreten war, schrieb er jedes Jahr einen Kriminalroman. Er hatte ja plötzlich sehr viel Zeit.

Da erfand er also jeweils einen bösen Kriminalfall, ganz wie das Genre es verlangt – das heißt mit einem markanten Tatort, mit stimmigem Komplott, einer unschönen Missetat und natürlich einem kauzigen Kommissar, dem eine hübsche Assistentin untersteht, eine mit Migrationshintergrund, um auch da total echt zu wirken. Kurz: Markus L. hatte die Rezeptur voll drauf.

Er erzählte auch stimmig, versäumte auch nicht, klug den Spannungsbogen zu aufzubauen – als Täter kamen immer mindestens zwei in Betracht – und am Ende gab es stets so etwas wie eine  überraschende Auflösung.

Markus L. hatte im Fernsehen gut aufgepasst. Deshalb machte er es so, wie die Spreewald-, Zürich-, Usedom- oder Bozenkrimis es vormachten: Der Schauplatz blieb immer gleich. Um unnötige Recherche-Reisen zu vermeiden und seinen unmittelbaren Alltag als Ideengeber zu nutzen, wählte Markus L. ganz einfach das Dorf, in dem er lebte.

Ein kleines Dorf, um das kriminologische Spielfeld gleich mal abzustecken. Die Zahl der möglichen Missetäter war von daher beschränkt. Zum Beispiel ein stets in schmierige Geschäfte verwickelter Gastwirt; der möglicherweise alkoholkranke Metzger; die unter Verfolgungswahn leidende gepiercte Lehrerin; ein unehrenhaft entlassener Briefträger,  das schwule Paar, das aus der Stadt zugewandert war… Trotzdem:  wenn jedes Jahr ein neuer Fall dazu kam, konnte der Personen-Fundus schon rasch knapp werden.

Natürlich änderte Markus L. die Namen dieser ihn inspirierenden Akteure, und natürlich variierte er auch ihre besonderen körperliche Merkmale oder das Alter. Aber nach dem fünften, sechsten Krimi  ohne besondere Rückmeldung wurde er in diesen Dingen etwas großzügig. Dazu kam, dass die Auswahl geeigneter Charaktere schrumpfte – er hatte die halbwegs brauchbaren Mitspieler fast alle durch.

Ja, fast alle hatte er zumindest verdächtigt, viele von ihnen mit ihren niedersten Instinkten bloßgestellt und einige definitiv kriminalisiert.

Fakt aber ist: Keiner der von Markus L. in Verbrechensnähe gebrachten war im echten Leben auch nur annähernd gefährlich geschweige denn eines Kapitalverbrechens schuldig geworden.

Das einzige Verbrechen, das jetzt zur Entsendung  eines echten Kommissars  in jenes Dorf geführt hat, war lediglich der Fall einer schweren Körperverletzung. Oh, ja! Markus L. hätte daraus sicher einen richtig guten Krimi gemacht.

Konnte er aber nicht, denn er war das Opfer.




Anmerkung von eiskimo:

Markus L. wird - sobald er wieder hergestellt ist - nur noch bei KV veröffentlichen. Da fühlt er sich sicher.

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Kommentare zu diesem Text


 Saira (24.06.25, 16:08)
Moin eiskimo,
 
das Dorf hat jetzt wahrscheinlich mehr Verdächtige als Einwohner. Kein Wunder, dass irgendwann einer die Nerven verliert!
 
Kopfschüttelnde Grüße
Saira

 eiskimo meinte dazu am 24.06.25 um 17:03:
Wenn man einen genügend kriminalisiert, wird er irgendwann wirklich kriminell...
Tja, ein Krimi voller Wohltäter und Samariter,  der wäre eine schöne Alternative.
Aber: Will das einer lesen?
LG
Eiskimo
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